© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 023/20 Vergleich der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung und der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung sowie Überblick über die Möglichkeiten der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Strafrechtliche Vermögensabschöpfung 6 5. Ergebnis 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 023/20 Seite 4 1. Einleitung Im Strafrecht und im Recht der Ordnungswidrigkeiten ist zwischen der Verfolgungsverjährung und der Vollstreckungsverjährung zu unterscheiden. Die Vollstreckungsverjährung bezieht sich dabei auf die Frage, wann die Vollstreckung einer rechtskräftig verhängten Strafe oder Maßnahme wegen Verjährung ausgeschlossen ist. Bei der Beantwortung der zu Grunde liegenden Frage, wie sich die strafrechtliche Verfolgungsverjährung und die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung zueinander verhalten und wann letztendlich von Verjährung auszugehen ist, kann die Vollstreckungsverjährung somit außer Acht gelassen werden. Konkret soll die Frage beantwortet werden, welche Rechtsgrundlagen die strafrechtliche Verfolgungsverjährung und die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung bestimmen und wie diese miteinander in Bezug stehen. Zusätzlich soll geklärt werden, ob die strafrechtliche Vermögensabschöpfung auch im Rahmen von Steuerstraftaten Anwendung findet und inwieweit für diese die Verjährungsregeln greifen. 2. Strafrechtliche Verfolgungsverjährung Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung ist geregelt in den §§ 78 – 78c des Strafgesetzbuches (StGB). Für das Steuerstrafrecht werden diese Vorschriften nach dem Grundsatz des Vorrangs des spezielleren Gesetzes durch die Abgabenordnung (AO) teilweise verdrängt.1 Dies zeigt sich auch in § 369 Abs. 2 AO. Mangels Sondervorschrift in der AO richtet sich der Beginn der Verjährungsfrist nach §§ 369 Abs. 2 AO, 78a StGB. Danach beginnt die Verjährung mit Beendigung der Tat, der Täter also regelmäßig endgültig bereichert ist.2 Die Beendigung kann also entweder bei Bekanntgabe eines zu niedrigen Steuerbescheides oder aber bei Auszahlung einer Steuererstattung aufgrund eines unrichtigen Bescheides erfolgen.3 Die Frist beginnt jeweils mit dem genauen Tag der Beendigung zu laufen.4 Die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 StGB wird durch § 376 AO ergänzt. Nach § 78 Abs. 4 StGB richtet sich die Länge der Frist nach der im Gesetz vorgesehenen Strafandrohung. Für die einfache Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO beträgt die Frist somit fünf Jahre, §§ 369 Abs. 2 AO, 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Für die Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung kann der § 376 Abs. 1 AO hinzutreten. Danach beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre, soweit eines der ausdrücklich genannten Regelbeispiele nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 – 6 AO erfüllt ist. Es kommt dabei allein auf die Frage an, ob 1 Joecks in: Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Auflage 2015, AO § 376 Rn. 3. 2 Joecks in: siehe Fußnote 1, AO § 376 Rn. 11. 3 Asmus/Werneburg, Cum/Ex-Geschäfte: Die Verjährungsfrage, DStR 2018, 1527; Jäger in: Klein, Abgabenordnung , 15. Aufl. 2018, § 376 Rn. 24 f. 4 Joecks in: siehe Fußnote 1, AO § 376 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 023/20 Seite 5 eines der Regelbeispiele objektiv erfüllt ist. Nicht relevant ist, ob eine Gesamtwürdigung der Umstände im konkreten Fall tatsächlich die besondere Schwere der Tat rechtfertigen würde.5 Ein besonders schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO ist gegeben, wenn der Gesamtbetrag der Hinterziehung 50.000 € übersteigt.6 Der Lauf der Verjährungsfrist kann in den Fällen des §§ 369 Abs. 2 AO, 78c Abs. 1 StGB sowie § 376 Abs. 2 AO unterbrochen werden. Die Unterbrechung bewirkt, dass der Lauf der Verjährung von neuem beginnt, §§ 369 Abs. 2 AO, 78c Abs. 3 S. 1 StGB. Die Höchstfrist der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung beträgt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist, also zehn Jahre bei einfacher und 20 Jahre bei einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung, §§ 369 Abs. 2 AO, 78c Abs. 3 S. 2 StGB. Mögliche Ruhezeiten nach §§ 369 Abs. 2 AO, 78b StGB sind allerdings nicht zu berücksichtigen, sodass sich die absolute Höchstfrist um die Ruhezeit verlängern kann.7 Als Unterbrechungshandlung kommt im Rahmen der steuerstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung zusätzlich zu den allgemeinen Unterbrechungshandlungen nach §§ 369 Abs. 2 AO, 78c Abs. 1 StGB auch die Bekanntgabe der Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Täter in Betracht , § 376 Abs. 2 AO. Ähnlich wie bei den Steuerstraftaten, werden die allgemeinen Regeln des Ersten Teils des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) auch bei den Steuerordnungswidrigkeiten durch Spezialvorschriften der AO ergänzt, § 377 Abs. 2 AO. Steuerordnungswidrigkeiten nach den §§ 378 – 380 AO (Leichtfertige Steuerverkürzung, Steuergefährdung, Gefährdung der Abzugsteuern) verjähren danach in fünf Jahren, § 384 AO. Für andere Steuerordnungswidrigkeiten ist somit auf die allgemeine Vorschrift des §§ 377 Abs. 2 AO, 31 OWiG zurückzugreifen. Die Verjährung beginnt mit Beendigung der Handlung und dauert je nach Höhe der angedrohten Geldbuße bis zu drei Jahre, §§ 377 Abs. 2 AO, 31 Abs. 2, 3 OWiG. Ähnlich wie im StGB, sind auch im OWiG Vorschriften zum Ruhen und zu Unterbrechungen der Verjährungsfrist enthalten, §§ 377 Abs. 2 AO, 32, 33 OWiG. 3. Steuerrechtliche Festsetzungsverjährung Die Festsetzungsverjährung, geregelt in den §§ 169 – 171 AO, dient dem Rechtsfrieden und legt den spätesten Zeitpunkt fest, zu dem noch ein Steuerbescheid ergehen kann. Sie ist abzugrenzen von der Zahlungsverjährung nach § 228 AO, die die Verjährung bereits festgesetzter Ansprüche regelt.8 Die Verjährung beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist, § 170 Abs. 1 AO. Dieser Grundsatz greift allerdings nur, wenn keine Pflicht zur Abgabe einer 5 BGH, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 StR 73/13; Jäger in: siehe Fußnote 3, § 376 Rn. 11. 6 BGH, Urteil vom 02.12.2008 – 1 StR 416/08. 7 Joecks in: siehe Fußnote 1, AO § 376 Rn. 62. 8 Rüsken in: siehe Fußnote 3, § 169 Rn. 1 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 023/20 Seite 6 Steuererklärung besteht, was praktisch selten der Fall ist.9 Besteht hingegen eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung oder Anzeige, so beginnt die Frist frühestens mit Ablauf des Jahres, in dem die Erklärung oder Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch nach drei Jahren ab Entstehungsjahr , § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO. Konstruktiv ist in diesem Fall somit der Ablauf gehemmt.10 Die Dauer der Frist richtet sich grundsätzlich nach § 169 Abs. 2 AO. Bei Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen beträgt sie ein Jahr, bei sonstigen Steuern vier Jahre, § 169 Abs. 2 S. 1 AO. § 169 Abs. 2 S. 2 AO verlängert diese Frist allerdings für die Fälle der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre und für Fälle der leichtfertigen Steuerverkürzung auf fünf Jahre. Damit die verlängerte Frist greift, muss sich der Täter der Steuerhinterziehung nach § 370 AO oder der leichtfertigen Steuerhinterziehung nach § 378 AO strafbar gemacht haben.11 Darüber hinaus sind weitere Fälle der An- und Ablaufhemmung in § 171 AO geregelt. Hier zu beachten sind die Absätze 5, 7 und 9. Gemäß § 171 Abs. 5 AO ist der Ablauf der Frist gehemmt, wenn Ermittlungsbehörden noch innerhalb der Festsetzungsfrist mit Ermittlungen beginnen. § 171 Abs. 5 AO verdrängt daher unter Umständen § 171 Abs. 9 AO, der den Anlauf der Frist an die Selbstanzeige des Steuerpflichtigen knüpft und den Ermittlungsbehörden entsprechend Zeit geben soll.12 § 171 Abs. 7 AO regelt, dass die Festsetzungsfrist nicht vor der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung enden kann, wenn der Steuerpflichtige die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat. 4. Strafrechtliche Vermögensabschöpfung Die strafrechtlichen Regelungen zur Einziehung von Taterträgen nach den §§ 73 ff. StGB sind auch auf Erträge aus Steuerstraftaten anwendbar.13 Hat der Täter oder Teilnehmer durch oder für die rechtswidrige Tat etwas erlangt, so ordnet das Gericht die Einziehung an. Gemäß § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB kann das Erlangte auch bei einem strafrechtlich unbeteiligten Dritten eingezogen werden, wenn der Täter zumindest faktisch für den Bereicherten gehandelt hat. Eine wirksame Stellvertretung ist nicht erforderlich.14 Im Grundsatz ist die Verjährung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung an die Verfolgbarkeit des Straftatbestandes geknüpft. Da die Tat nach Anklage vom Tatrichter festgestellt werden muss, darf die Verfolgung notwendigerweise nicht wegen Verjährung ausgeschlossen sein.15 Darüber hinaus gewährt § 76a StGB aber die Möglichkeit ein selbstständiges Einziehungsverfahren anzustrengen, soweit keine Person wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. 9 Rüsken in: siehe Fußnote 3, § 170 Rn. 3. 10 Rüsken in: siehe Fußnote 3, § 170 Rn. 5. 11 Rüsken in: siehe Fußnote 3, § 170 Rn. 26, 35. 12 Rüsken in: siehe Fußnote 3, § 171 Rn. 78, 93. 13 Jäger in: siehe Fußnote 3, § 370 Rn. 352. 14 So der BGH noch zu § 73 III StGB aF, der heute in § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB aufgegangen ist, BGH, Urteil vom 19.10.1999 – 5 StR 336/99; Heger in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2018, § 73b Rn. 2. 15 Heger in: siehe Fußnote 13, § 73 Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 023/20 Seite 7 Speziell in Bezug auf die Verfolgungsverjährung ist hier § 76a Abs. 2 S. 1 StGB zu beachten, wonach die selbstständige Einziehung trotz Verjährung der Verfolgbarkeit ausdrücklich möglich ist. Die selbstständige Einziehung verjährt gemäß § 76b Abs. 1 S. 1 StGB in 30 Jahren und beginnt mit Beendigung der Tat, § 76b Abs. 1 S. 2 StGB. Die §§ 78b, 78c StGB gelten gemäß § 76b Abs. 1 S. 3 StGB entsprechend, sodass die Vorschriften zum Ruhen und zur Unterbrechung der Verjährungsfrist anwendbar sind. Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 316h EGStGB ist die strafrechtliche Vermögensabschöpfung auch auf Altfälle anwendbar. Das Vermögen wird durch den Staat kraft eigenen Rechts eingezogen und im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung an die Verletzten ausgekehrt, § 459h StPO.16 5. Ergebnis Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung und die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung sind grundsätzlich getrennt voneinander zu beurteilen. Dies zeigt sich schon in den unterschiedlichen Vorschriften zum Beginn der Verjährungsfristen. Dennoch gibt es Zusammenhänge, wie man an der Verknüpfung durch § 171 Abs. 7 AO sieht. Diese Vorschrift bewirkt, dass die Festsetzungsfrist nicht vor der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung ablaufen kann. Die längste denkbare Frist wäre also 20 Jahre, weil sich die Dauer der Verfolgungsverjährung in Folge von Unterbrechungen auf bis zu 20 Jahre ausdehnen könnte. *** 16 Siehe zu den genauen Verfahrensvorschriften Köhler/Burkhard, Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – Teil 2/2, NStZ 2017, 665.