© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 021/20 ÖPNV-Abgabe für Arbeitgeber Finanzverfassungsrechtliche Aspekte in Deutschland, Frankreich und Österreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Die Auftraggeberin bittet um Beantwortung von Einzelfragen zum Themenkomplex „Rechtliche Umsetzbarkeit von Drittnutzerfinanzierungsmodellen im ÖPNV“. Hierzu soll zunächst die rechtliche Möglichkeit der Erhebung einer ÖPNV-Abgabe bei Arbeitgebern geprüft und anschließend auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der französischen Nahverkehrsabgabe und der Wiener Dienstgeberabgabe dargestellt werden. Im Anschluss wird ein Überblick über die kommunalabgabenrechtlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern gegeben. 2. ÖPNV-Abgabe als Sonderabgabe? Eine von Arbeitgebern zu tragende Abgabe, die der ÖPNV-Finanzierung dient, kann nicht als Steuer eingeordnet werden. Die Legaldefinition des Steuerbegriffs enthält § 3 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). In § 3 Abs. 1 AO heißt es: „Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“ Da die ÖPNV-Abgabe jedoch nur von Arbeitgebern entrichtet werden soll und einem konkreten Verwendungszweck dienen soll, erfüllt sie nicht die Kriterien des Steuerbegriffs, der auch der Finanzverfassung des Grundgesetzes immanent ist.1 Neben den Steuern einerseits und den Vorzugslasten (Gebühren und Beiträgen) andererseits gibt es einen weiteren von der Rechtsprechung bestätigten2 Abgabentyp, dessen Erhebung aufgrund seiner Haushaltsflüchtigkeit und seiner Systemwidrigkeit nur in sehr engen Grenzen zulässig ist. Diese sogenannten Sonderabgaben werden den Abgabepflichtigen, wie die Steuern, ebenfalls ohne Gegenleistung auferlegt. Im Unterschied zur Steuer, werden Sonderabgaben jedoch nur von einer bestimmten von der Allgemeinheit abgrenzbaren Gruppe erhoben und dienen nicht der allgemeinen Deckung des Finanzbedarfs, sondern der Finanzierung besonderer Aufgaben, die nicht von den Haushaltsplänen erfasst sind.3 Der typische Fall der Sonderabgabe ist, dass ein bestimmter Zweck finanziert werden soll, der jedoch vor allem aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes nicht aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden kann, da die Finanzierung bestimmungsgemäß Vorteile für bestimmte 1 Maunz/Dürig: GG, Art. 105 Rn. 36 (beck-online) 2 Ausführlich: BVerfGE 55, 274. 3 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, § 3 Rn. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 021/20 Seite 5 Gruppen mit sich bringt, die es ungerecht erscheinen lassen, die Allgemeinheit dafür aufkommen zu lassen.4 Sonderabgaben sind keine Steuern im Sinne der Finanzverfassung des Grundgesetzes. Die Gesetzgebungskompetenz zur Erhebung ergibt sich somit nicht aus den Art. 104a ff GG, sondern ist als Annexkompetenz der jeweiligen Sachgesetzgebungskompetenz aus Art. 70 ff GG zu entnehmen .5 Begründet wird die Zulässigkeit einer Sonderabgabe im Wesentlichen mit der besonderen Sachverantwortung der Belasteten für die finanzierte Aufgabe.6 Die Rechtsprechung differenziert zwischen Sonderabgaben mit Finanzierungszweck, die Belastungen innerhalb eines bestimmten Wirtschaftszweiges ausgleichen sollen und Sonderabgaben mit Lenkungsfunktion, die das Ziel haben, ein bestimmtes Verhalten der Abgabepflichtigen hervorzurufen oder zu sanktionieren. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Erhebung bestimmen sich nach dem individuellen Schwerpunkt der Zielsetzung der Sonderabgabe.7 Zwar soll die ÖPNV-Abgabe als Nebeneffekt auch dazu beitragen, dass mehr Menschen den ÖPNV nutzen (können) und der Verkehr und die Umwelt entlastet werden. Der zweckmäßige Schwerpunkt ist hier jedoch in der Finanzierung des ÖPNV und nicht in der Verhaltenslenkung zu sehen. Letztlich haben die Arbeitgeber zudem kaum Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl ihrer Arbeitnehmer. Der Lenkungszweck wäre somit gar nicht erreichbar. Damit wäre eine ÖPNV-Abgabe für Arbeitgeber als Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion einzuordnen. „Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion haben zur Aufgabe, Mittel zur Realisierung einer bestimmten Sachaufgabe aufzubringen, beispielsweise wenn die Produzenten bestimmter Agrarprodukte in einen Fonds zahlen, den der Staat zur Vermarktung gerade dieser Produkte eingerichtet hat.8 Ein weiteres Beispiel hierfür sind etwa die Beiträge zur Einlagensicherung bei Kreditinstituten .9 Hierzu zählt aber auch die Finanzierung der Tätigkeit von Aufsichtsbehörden, jedenfalls wenn von der Branche besondere Gefahren ausgehen oder der Markt in einer bestimmten Weise reguliert werden muss. Durch ihren Finanzierungscharakter geraten die Sonderabgaben mit Finanzierungsfunktion in ein besonders enges Konkurrenzverhältnis zur Steuer. Daher sind an sie besonders strenge verfassungsrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen zu stellen.“10 4 Wilms, „Die Entlastung der Innenstädte vom Individualverkehr – Abgaben und andere Geldleistungspflichten als Mittel zur Verkehrslenkung“ Band 2: Die Pendler- und Großveranstaltungsabgabe, 1994, S. 42. 5 BVerfGE 101, 141, 148, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2000, 307, 308. 6 Kube in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar (BeckOK) GG, 1. Oktober 2010, Art. 105 GG, Rn.16. 7 Birk, Steuerrecht, § 2 A I 3 Rn. 125. 8 BVerfGE 82, 159 (181) – Absatzfonds. 9 BVerfGE 124, 348 (366ff.) – Einlagensicherungsfonds. 10 Kloepfer: Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, § 2 Rn. 44 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 021/20 Seite 6 „Eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion darf nur einer (vorgefundenen) gesellschaftlichen Gruppe, die durch eine gemeinsame, vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar ist (homogene Gruppe), auferlegt werden. Die Gruppe muss von einer gewissen Einheitlichkeit ihrer Interessen geprägt sein (Gruppenhomogenität).“11 Die Gruppe der Arbeitgeber ist eine anerkannte Gruppe der Sozialordnung, die insbesondere bei Tarifauseinandersetzungen von einer ähnlichen Interessenlage geprägt sind. Die Gruppe muss in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten nicht-fiskalischen Zweck stehen.12 An einer derartigen Sachnähe von Arbeitgebern und ÖPNV sind bereits Zweifel angebracht. Zwar stehen die Arbeitgeber für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ihrer Arbeitnehmer in einer gewissen organisatorischen Mitverantwortung. Dies geht jedoch nicht soweit, dass von einer spezifischen Beziehung der Arbeitgeber zum ÖPNV-Angebot ausgegangen werden könnte. Ein weiteres Kriterium für eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion ist die Gruppennützigkeit . Sie erfordert, dass das Abgabeaufkommen überwiegend im Interesse der Gruppe der Abgabepflichtigen verwendet werden muss.13 Eine gruppennützige Verwendung liegt bei einer (allgemeinen) ÖPNV-Finanzierung jedoch gerade nicht vor. Es handelt sich um ein Angebot, das der Allgemeinheit und insbesondere auch den Arbeitnehmern zu Gute kommen soll. Für die abgabepflichtigen Arbeitgeber werden die Einnahmen dabei nicht gruppennützig verwendet. Zwischenergebnis: Eine ÖPNV-Abgabe die nur von Arbeitgebern erhoben wird, kann nach den gegenwärtigen finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben weder als Steuer noch als Sonderabgabe realisiert werden.14 Denkbar wären allenfalls Beitragsmodelle mit einer kombinierten Gruppe der Beitragspflichtigen, wobei die Arbeitgeber aus gleichheitsrechtlichen Gründen nicht die alleinig Beitragspflichtigen sein dürften.15 11 Kloepfer: aaO., Rn. 45 12 Eine Finanzierungsverantwortung für das Fehlverhalten Dritter (außerhalb der Gruppe) gibt es nicht, BVerfGE 113, 128 (151 f.) – Solidarfonds Abfallrückführung. 13 BVerfGE 55, 274 (307) – Ausbildungsförderungsabgabe; 67, 256 (276) – Investitionshilfegesetz. 14 Zum gleichen Ergebnis kommen auch Maaß/Waluga/Weiland: „Fahrscheinlos. Grundlagen- und Machbarkeitsstudie , Fahrscheinloser ÖPNV in Berlin. Berlin 2015; https://www.neues-deutschland.de/downloads/Machbarkeitsstudie _fahrscheinlos_Piratenfraktion.pdf [zuletzt abgerufen am 7.3.2020] 15 Siehe dazu ausführlich: Maaß/Waluga/Weiland: aaO., S. 68 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 021/20 Seite 7 3. Vergleich mit Frankreich und Österreich 3.1. Die französische TVT „Die französische Nahverkehrsabgabe ist von Arbeitgebern mit mehr als zehn Mitarbeitern und vom Einzelhandel als Nutznießer des ÖPNV-Angebots zu entrichten. Die Nahverkehrsabgabe ist an die Lohnsumme gekoppelt und der Steuer-Höchstsatz orientiert sich an der Einwohnerzahl der Kommune. Um in eine höhere Kategorie zu gelangen, schließen sich Gemeinden daher häufig zu Kommunalverbänden zusammen. Bei einem Verkehrssystem auf eigener Trasse hat die Steuer einen höheren Hebesatz. Die Nahverkehrsabgabe wird inzwischen in den meisten zur Erhebung berechtigten Kommunen eingenommen. Im Jahr 2010 wurden 44,2 % der Ausgaben für den französischen ÖPNV über die Nahverkehrsabgabe finanziert, die neben den Fahrgeldeinnahmen damit das wichtigste Finanzierungsinstrument ist.“16 Im französischen Verfassungsrecht ist eine Überprüfung von parlamentarisch beschlossenen Gesetzen nur unmittelbar nach der Verabschiedung im Parlament vorgesehen. „Geltende Gesetze können nicht mehr verfassungsrechtlich überprüft werden, was zwar einerseits unter Rechtsschutzgesichtspunkten problematisch sein kann, anderseits zu einer Stärkung der Rechtssicherheit und Autorität des Gesetzgebers führt. Daher hat der Gesetzgeber größeren Gestaltungsspielraum und kann innerhalb seines Gestaltungsrahmens innovationsfreudiger sein.“17 „Eine Kontrolle von Parlamentsgesetzen durch die Verwaltungsgerichte oder ordentlichen Gerichte ist nicht zulässig.“18 3.2. Die Dienstgeberabgabe in Wien Die Wiener Dienstgeberabgabe oder Dienstgeberabgabe der Gemeinde Wien (kurz DGA) wurde im Jahr 1969 vom Wiener Landtag beschlossen und fließt gemäß § 9 des Gesetzes über die Einhebung einer Dienstgeberabgabe bis heute „der Stadt Wien zu und ist zur Errichtung einer Untergrundbahn zu verwenden.“ Die Dienstgeberabgabe ist vom Dienstgeber (§ 1 DAG) für jeden Dienstnehmer mit Beschäftigungsort in Wien (§ 2 DAG) für jede angefangene Woche eines bestehenden Dienstverhältnisses zu entrichten (§ 5 DAG). Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 21. Juni 197219 betont , „durch die Zweckwidmung wird […] am rechtlichen Charakter einer Abgabe nichts geändert (Slg. 3159/1957). Dies gilt auch für den Fall einer Widmung für nicht hoheitliche Aufgaben, denn der österreichischen Finanzverfassung ist ein Gebot, Abgaben nur für die Bestreitung von 16 https://www.mobi-wissen.de/Finanzierung/Nahverkehrsabgabe [zuletzt abgerufen am 7.3.2020] 17 Binsti-Jahndorf, Claire: „Maßstäbe für Steuergesetzgebung und verfassungsgerichtliche Normenkontrolle in Frankreich“ in StuW 2001, 341-353 (346) 18 Binsti-Jahndorf : ebenda 19 VfGH B 330/71 (= VfGH, Slg. 6755/1972); unter: https://www.ris.bka.gv.at/VfghEntscheidung.wxe?Abfrage =Vfgh&Dokumentnummer=JFT_19720621_71B00330_00&IncludeSelf=True [zuletzt abgerufen am 6.3.2020] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 021/20 Seite 8 Aufgaben hoheitlicher Art einzuheben, fremd (Slg. 3033/1956, 3919/1961). […] Besteuerungsgegenstand der Dienstgeberabgabe sind nicht die Vorteile, die sich aus der unter Verwendung ihres Ertrages zu errichtenden Untergrundbahn ergeben, sondern Besteuerungsgegenstand ist das Bestehen eines Dienstverhältnisses. […] Was das DAG unter dem Bestehen eines Dienstverhältnisses in Wien (§ 1) versteht, wird in der Folge (§ 2) durch Legaldefinitionen klargestellt. […] Der Dienstgeber hat dafür eine Abgabe zu entrichten, daß ihm ein Dienstnehmer, dessen Beschäftigungsort in Wien liegt, seine Arbeitskraft schuldet. Dieses Schulden der Arbeitskraft des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber ist Gegenstand der Abgabe des Dienstgebers. Der Landesgesetzgeber ist im Rahmen seiner Zuständigkeit grundsätzlich frei, den Gegenstand einer Abgabe zu bestimmen. Er ist aber insoweit verfassungsgesetzlich gebunden, als er […] auch dem Gleichheitsgebot dadurch entsprechen muss, dass die Regelung in sich, insbesondere die Abgrenzung des Abgabegegenstandes, nicht unsachlich sein darf.“20 In der einschlägigen Literatur zum österreichischen Finanzverfassungsrecht wird ebenfalls der weite Handlungsspielraum des Gesetzgebers beim Steuerfindungsrecht betont: „Neben den im FAG genannten Landesabgaben besitzen die Länder ein Steuerfindungsrecht: sie dürfen Abgaben, die im FAG nicht genannte sind, „erfinden“ (zum Beispiel „U-Bahn-Steuer“ in Wien).“21 3.3. Bewertung der unterschiedlichen Rechtssysteme In der Darstellung der Finanzverfassungssysteme von Frankreich und Österreich wurde bereits deutlich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben in beiden Nachbarstaaten nicht mit den strengen Regelungen der Finanzverfassung des Grundgesetzes und ihrer engen Auslegung durch das BVerfG vergleichbar sind. In Frankreich findet eine verfassungsgerichtliche Kontrolle von Steuergesetzen sowohl zeitlich als auch inhaltlich nur in sehr eingeschränktem Umfang statt. Eine verfassungsgerichtliche Vorgabe , sich an bestimmte Steuertypen des GG halten22 (kein Steuererfindungsrecht des Gesetzgebers ) und feste Kriterien für die Einführung von Sonderabgaben als Gesetzgeber beachten zu müssen 23, existiert in Österreich und Frankreich nicht. Dadurch ergeben sich für den Gesetzgeber in Frankreich und Österreich bei der Schaffung neuer Steuern wesentlich größere Entscheidungsspielräume als sie das BVerfG dem deutschen Gesetzgeber zubilligt. Daneben sind auf landesrechtlicher Ebene die Vorschriften der jeweiligen Kommunalabgabengesetze zu beachten. 20 VfGH Österreich: ebenda 21 Öhlinger, Theo: Verfassungsrecht. Wien 1997. S. 117 22 BVerfG, Beschluss vom 13. April 2017 – 2 BvL 6/13 –, BVerfGE 145, 171-248 (Kernbrennstoffsteuer) 23 BVerfGE 55, 274 (306 f.); 67, 256 (276); 113, 128 (151 f.) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 021/20 Seite 9 4. Überblick über die kommunalabgabenrechtlichen Regelungen Inwieweit das Kommunalabgabengesetz des jeweiligen Bundeslandes die Erhebung eines ÖPNV- Beitrages tragen würde, hängt insbesondere von folgenden vier Voraussetzungen ab:24 „Der ÖPNV müsste als öffentliche Einrichtung im Sinne des jeweiligen Kommunalabgabengesetzes gelten. Weiterhin müsste das Gesetz auch die Finanzierung von laufenden Kosten durch die Erhebung von Beiträgen vorsehen. Darüber hinaus dürften als Abgabeschuldner nicht nur Grundstückseigentümer geeignet sein und schließlich müsste das Kommunalabgabengesetz nicht nur die einmalige, sondern auch die wiederkehrende Erhebung des Beitrages gestatten.“ Ein Überblick über die kommunalabgabenrechtlichen Regelungen kann der tabellarischen Zusammenfassung entnommen werden. Anlage *** 24 WD 4 – 3000 – 268/12, S. 11. Anlage zu WD 4 - 021/20 S. 1 Bundesland Rechtsgrundlage Tatbestandsmerkmale Öffentliche Einrichtung Investitionsaufwand wiederkehrend Abgabeschuldner Baden- Württemberg § 20f. KAG Ja „Kosten für die Anschaffung, die Herstellung und den Ausbau“, § 20 Abs. 1 KAG Nein Eigentümer des Grundstücks, § 21 Abs. 1 KAG. Bayern Art. 5 KAG Ja „Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung (…) (Investitionsaufwand)“, Art. 5 Abs. 1 S. 1 KAG Nein Grundstückeigentümer und Erbbauberechtigte, Art. 5 Abs. 1 S. 1 KAG Berlin § 4 GebBtrG BE „der durch ein öffentliches Interesse bedingten Anlagen“, § 4 GebBtrG BE „Kosten für die Herstellung und Unterhaltung“ Nein Grundeigentümer und Gewerbetreibende, § 10 GebBtrG BE Brandenburg § 8 KAG Ja „jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung“, § 8 Abs. 2 KAG Nein Grundstückeigentümer, § 8 Abs. 2 KAG Bremen § 17 BremGebBeitrG Ja „jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung“, § 17 Abs. 2 BremGebBeitrG Nein Grundstückseigentümer oder Erbbauberechtigte, § 17 Abs. 2 BremGebBeitrG Anlage zu WD 4 - 021/20 S. 2 Hamburg § 2 ff. Hamburgisches Abgabengesetz1 - - - - Hessen § 11 KAG Ja „Deckung ihres Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und Erneuerung“, § 11 Abs. 1 S. 1 KAG Nein Grundstückseigentümer, § 11 Abs. 1 S. 4 KAG Mecklenburg- Vorpommern § 7 ff. KAG Ja „Aufwandes für die Anschaffung, Herstellung, Verbesserung, Erweiterung und den Umbau (…) jedoch ohne laufende Unterhaltung und Instandsetzung“, § 7 Abs. 1 KAG Nein Eigentümer des bevorteilten Grundstücks oder Inhaber des Gewerbebetriebes, § 7 Abs. 2 KAG Niedersachsen § 6 NKAG Ja „Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung“, § 6 Abs. 1 S. 1 NKAG Ja, für Verkehrsanlagen, § 6c NKAG Grundstückseigentümer, § 6 Abs. 1 S. 1 NKAG Nordrhein- Westfalen § 8 KAG Ja „ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung“, § 8 Abs. 2 S. 1 KAG Nein Grundstückseigentümer, § 8 Abs. 2 S. 2 KAG 1 Das Gesetz formuliert keine Tatbestandsmerkmale für Beiträge. Es gelten daher die allgemeinen abgaberechtlichen Grundlagen. Anlage zu WD 4 - 021/20 S. 3 Rheinland-Pfalz § 7ff. KAG Ja „die der Erneuerung, der Erweiterung, dem Umbau oder der Verbesserung dienen.“, § 9 Abs. 1 KAG Ja, für Verkehrsanlagen, § 10a KAG Grundstückseigentümer, dinglich Nutzungsberechtigten oder Gewerbetreibenden, § 7 Abs. 2 KAG Saarland § 8 KAG Ja „Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung oder Erneuerung“, § 8 Abs. 2 KAG Ja, für Verkehrslagen, § 8a KAG Grundstückseigentümer, § 8 Abs. 2 KAG Sachsen § 17 SächsKAG Ja „angemessene Ausstattung öffentlicher Einrichtungen mit Betriebskapital“, § 17 Abs. 1 S. 1 SächsKAG „infolge weiteren Kapitalbetrags (…) können weitere Beiträge erhoben werden.“, § 17 Abs. 2 S. 1 SächsKAG Grundstücke, § 17 Abs. 1 S. 1 SächsKAG Sachsen-Anhalt § 6f. KAG-LSA Ja „Deckung des Aufwandes für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung“, § 6 Abs. 1 KAG-LSA Ja, für Verkehrsanlage, § 6a KAG-LSA Grundstückseigentümer, § 6 Abs. 8 KAG-LSA Schleswig-Holstein § 8 KAG Ja „Deckung des Aufwandes für die Herstellung, den Ausbau und Umbau sowie die Erneuerung“, § 8 Abs. 1 KAG Ja, für Verkehrsanlage, § 8a KAG Grundstückseigentümer, zur Nutzung von Grundstücken dinglich Berechtigten und Gewerbetreibenden, § 8 Abs.1 KAG Anlage zu WD 4 - 021/20 S. 4 Thüringen § 7 ThürKAG Ja „Investitionsaufwand“, § 7 Abs. 1 ThürKAG Nein Grundstückseigentümern, Erbbauberechtigten oder Inhabern eines dinglichen Nutzungsrechts im Sinne des Art. 233 § 4 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §7 Abs. 1 ThürKAG