© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 016/21 Zur Einrichtung eines Härtefallfonds des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 2 Zur Einrichtung eines Härtefallfonds des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 016/21 Abschluss der Arbeit: 18. März 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Beispiel für Härtefallfonds auf Bundesebene 4 3. Rechtlicher Rahmen für die Tätigkeit des Petitionsausschusses 4 3.1. Grundgesetz 4 3.2. Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses 5 3.3. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages 5 3.4. Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses 5 4. Haushaltsrechtliche Voraussetzungen für Härteleistungen aus Billigkeitsgründen (§ 53 BHO) 5 4.1. Verbandskompetenz des Bundes zur Gewährung von Härteleistungen 6 4.1.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes / Gesetzesvorbehalt 6 4.1.2. Verwaltungskompetenz des Bundes 7 4.2. Finanzierungskompetenz des Bundes 9 4.2.1. Ausgabentragung bei gesetzesfreier Verwaltung 9 4.2.2. Ausgabentragung bei gesetzesakzessorischer Verwaltung 9 4.3. Organkompetenz für Härtefallfonds auf Bundesebene 9 4.4. Bereitstellung von Mitteln im Haushaltsplan 11 4.5. Leistungen aus Gründen der Billigkeit 12 4.5.1. Einzelfallentscheidung zur Herstellung von Gerechtigkeit 13 4.5.2. Härteausgleich 13 4.6. Subsidiarität der Billigkeitsleistung 14 4.7. Art und Höhe der Billigkeitsleistung 14 5. Gestaltung der Mittelvergabe durch Richtlinien 15 5.1. Mussvorschriften 15 5.2. Sollvorschriften 16 5.3. Kannvorschriften 16 6. Zusammenfassung 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 4 1. Fragestellung Gefragt wird, ob die Einrichtung eines Härtefallfonds des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages möglich ist, und welcher rechtliche Rahmen (Haushaltstitel, formelles Gesetz, Ergänzung der Verfahrensgrundsätze, Aufstellung interner Leitlinien) dafür geschaffen werden muss. Damit sollen Geldleistungen insbesondere auch in Fällen erlittenen Unrechts möglich sein, in denen ein Schadensersatzanspruch nicht besteht. Gefragt wird ferner, ob Geldleistungen nicht nur in Fällen einer unverschuldeten finanziellen Notlage, sondern auch darüber hinaus möglich sind. Weiter wird gefragt, welche Möglichkeiten der Gestaltung der Mittelvergabe im Hinblick auf die Kriterien für die Vergabe und die Höhe der Zahlung sowie eine eventuelle Delegation innerhalb des Ausschusses oder auf eine Stelle außerhalb des Ausschusses bestehen. 2. Beispiel für Härtefallfonds auf Bundesebene Im Bundeshaushalt 2021 sind in Kapitel 0718 (Bundesamt für Justiz) 1.000.000 Euro für Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe (Titel 681 01) und 5.000.000 Euro für den Entschädigungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt (Titel 681 02) veranschlagt. Als (für verbindlich erklärte) Erläuterung zu beiden Titeln heißt es im Haushaltsplan jeweils: „Die Ausgaben dienen als Soforthilfe der Zahlung von Härteleistungen aus Billigkeit an Opfer extremistischer Übergriffe (bzw. terroristischer Straftaten) bei Personenschäden, immateriellen und materiellen Schäden . Nähere Einzelheiten regelt eine Richtlinie des BMJV.“ Die Mittel werden vom Bundesamt für Justiz verwaltet. Zahlungen erfolgen auf der Grundlage von derzeit drei Richtlinien.1 Leistungen aus diesen Härtefallfonds erfolgen freiwillig aus Gründen der Billigkeit, ohne dass ein Rechtsanspruch darauf besteht. Leistungen sind neuerdings auch für wirtschaftlich Betroffene solcher Taten zum Ausgleich materieller Schäden möglich. 3. Rechtlicher Rahmen für die Tätigkeit des Petitionsausschusses 3.1. Grundgesetz Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden . Nach Art. 45c Abs. 1 GG behandelt die an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden der vom Bundestag bestellte Petitionsausschuss. Damit ist keine Kompetenz des Petitionsausschusses zur Erledigung der Petitionen verbunden, die dem Bundestag obliegt.2 Die Zuständigkeit des Bundestages zur Behandlung von Petitionen besteht nur im Rahmen der Kompetenz 1 Siehe dazu https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Haerteleistungen/Haerteleistungen _node.html. 2 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Zur Möglichkeit plenarersetzender Erledigungsbefugnisse des Petitionsausschusses, 2015 (WD 3 – 3000 – 055/15), S. 5 (dort zu der Frage der Delegation der Erledigungskompetenz auf den Petitionsausschuss), https://www.bundestag.de/resource /blob/405458/4c5dfe9a21c8969114df0114f273f610/WD-3-055-15-pdf-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 5 des Bundes.3 Betrifft die Petition die Tätigkeit der Exekutive, verfügt der Bundestag wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht über die Abhilfekompetenz.4 3.2. Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses Das Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (Gesetz nach Artikel 45c Abs. 2 GG) enthält keine Bestimmungen über mögliche Härtefallzahlungen durch den Petitionsausschuss. 3.3. Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages enthält Bestimmungen über die Behandlung von Petitionen (§§ 108 ff. GO-BT), schweigt aber zur Frage eines Härtefallfonds des Petitionsausschusses . Nach § 110 Abs. 1 GO-BT hat der Petitionsausschuss Grundsätze über die Behandlung von Petitionen aufzustellen und zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung im Einzelfall zu machen . 3.4. Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses Die Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden (Verfahrensgrundsätze ) enthalten keine Bestimmungen über mögliche Härtefallzahlungen durch den Petitionsausschuss. 4. Haushaltsrechtliche Voraussetzungen für Härteleistungen aus Billigkeitsgründen (§ 53 BHO) Leistungen in besonderen Notlagen aus einem Härtefallfonds werden im Einzelfall aus Gründen der Billigkeit gewährt (Härteleistungen), ohne dass ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht. Für die Gewährung solcher Leistungen aus Mitteln des Bundes sind die Vorgaben des § 53 Bundeshaushaltsordnung (BHO) zu beachten. Nach § 53 BHO dürfen Leistungen aus Gründen der Billigkeit (dazu nachfolgend 4.5.) nur gewährt werden, wenn dafür Ausgabemittel besonders zur Verfügung gestellt sind (dazu nachfolgend 4.4.). Die Ermöglichung von Billigkeitsleistungen durch § 53 BHO stellt eine Ausnahme vom Haushaltsgrundsatz der Notwendigkeit dar.5 Nach diesem Grundsatz darf der Bund Ausgaben nur leisten und Verpflichtungsermächtigungen (für 3 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Petitionsrecht und laufende Planfeststellungsverfahren, 2008 (WD 3 – 480/07), S. 8, https://www.bundestag.de/resource /blob/407374/f9efe028d9a6a65ff77968ce4b51d55e/WD-3-480-07-pdf-data.pdf. 4 Klein, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 45c Rn. 31. 5 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 1; von Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 2013, § 53 Rn. 1 sprechen von einer Milderung des Haushaltsgrundsatzes der Notwendigkeit; aA Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 2, der unter Hinweis auf die Gesetzeshistorie sowie systematische und teleologische Aspekte nicht von einer Ausnahme ausgeht. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 6 künftige Ausgaben) nur in Anspruch nehmen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendig ist (§ 6 BHO). Der mit der Billigkeitsleistung im Sinne des § 53 BHO verfolgte Zweck muss zu den Aufgaben des Bundes entsprechend der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes gehören.6 Für Zahlungen von Härteleistungen aus dem Härtefallfonds muss also eine allgemeine Zuständigkeit des Bundes bestehen (Verbandskompetenz, dazu nachfolgend 4.1.), der Bund muss diese Aufgabe finanzieren dürfen (Finanzierungskompetenz, dazu nachfolgend 4.2.) und der Bundestag muss diese Aufgabe wahrnehmen und auf den Petitionsausschuss delegieren dürfen (Organkompetenz, dazu nachfolgend 4.3.). 4.1. Verbandskompetenz des Bundes zur Gewährung von Härteleistungen Der Bund muss für die Einrichtung, Verwaltung und Finanzierung des Härtefallfonds zuständig sein (zur Finanzierungskompetenz siehe gesondert 4.2.). 4.1.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes / Gesetzesvorbehalt Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Unter den Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG fallen die Unterstützung von Hilfsbedürftigen in – vornehmlich wirtschaftlichen – Notlagen durch öffentlich-rechtliche oder öffentlich-rechtlich beliehene Rechtsträger mit öffentlichen Mitteln.7 Für den historisch bedingt weit auszulegenden Begriff der öffentlichen Fürsorge ist ausschlaggebend, ob sich eine Maßnahme am tradierten, aber offenen Typus staatlicher Unterstützung Hilfsbedürftiger ausrichtet ; dazu genügt eine nicht notwendig akute Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation.8 Gestützt auf diese Gesetzgebungskompetenz kann der Bund also die Unterstützung Hilfsbedürftiger gesetzlich regeln. Der Bund hat von dieser Kompetenz durch verschiedene Gesetze Gebrauch gemacht, z.B. durch das Opferentschädigungsgesetz, das HIV-Hilfegesetz oder das neue soziale Entschädigungsrecht im SGB XIV.9 Damit dürfte der Bund allerdings die Entschädigung von Hilfsbedürftigen noch nicht abschließend geregelt haben. Denn außerhalb des Anwendungsbereichs der bestehenden Gesetze verbleiben Härtefälle, die zum Beispiel erst durch die gesetzlich nicht geregelten Härtefallfonds für die Opfer terroristischer oder extremistischer Angriffe (siehe 6 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 3; Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 9. Vgl. auch Verwaltungsvorschrift des Bundes zu § 53 BHO Nr. 2.2.1. 7 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 74 Rn. 55. 8 Seiler, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 74 Rn. 23 f. unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG. 9 Vgl. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 74 Rn. 59. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 7 oben 2.) erfasst werden, wie sich zum Beispiel anlässlich der Entschädigung der Opfer des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz vom 19.12.2016 gezeigt hat.10 Eine gesetzliche Regelung zur weiteren Ausgestaltung des Entschädigungsrechts in besonderen Härtefällen durch ein Bundesgesetz auf der Grundlage der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist also denkbar. Eine Grundlage in Gestalt eines formellen Gesetzes für eine solche Entschädigung in Härtefällen ist allerdings auch unter Beachtung des Gesetzesvorbehalts und des Wesentlichkeitsgrundsatzes nicht erforderlich. Denn für die Gewährung staatlicher Leistungen genügen nach vorherrschender Auffassung in der Regel ein Ansatz im Haushaltsplan und die Konkretisierung der Leistungsgewährung durch eine Richtlinie.11 4.1.2. Verwaltungskompetenz des Bundes Wenn der Bund die Entschädigung von Härtefällen ohne spezielles Bundesgesetz, sondern auf der Grundlage eines Ansatzes im Haushaltsplan vornimmt (siehe 4.1.1.) und die Prüfung und Gewährung der Härteleistungen durch eigene Organe des Bundes erfolgen soll – wie im Falle der Härtefallfonds für die Opfer terroristischer und extremistischer Angriffe durch das Bundesamt für Justiz (siehe oben 2.) – benötigt er neben dem Ansatz im Haushaltsplan dafür eine entsprechende Verwaltungskompetenz. Diese ist im Weiteren auch Voraussetzung für die Finanzierungskompetenz des Bundes zur Bereitstellung der entsprechenden Gelder aus Bundesmitteln (dazu nachfolgend 4.2.). Mangels einer ausdrücklichen Verwaltungskompetenz des Bundes zur Auszahlung von Härteleistungen muss er sich dazu auf eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz stützen. Dem Bund steht eine Reihe von ungeschriebenen Verwaltungskompetenzen kraft Natur der Sache zu.12 So- 10 Vgl. Krücker, NZV 2020, 626, 631; Kranig, NZV 2020, 21, 33; vgl. auch den Abschlussbericht des Bundesbeauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz vom November 2017, S. 20 ff. (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/121317_Abschlussbericht_Opferbeauftragter .pdf?__blob=publicationFile&v=1). 11 Kube, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 110 Rn. 76; Jarass, in: Jarass/Pieroth, 16. Aufl. 2020, GG Art. 20 Rn. 75 (etwas anderes gilt nur, wenn die Gewährung der Leistungen für die Grundrechtsverwirklichung des Leistungsempfängers oder eines Dritten erhebliche Bedeutung hat, was bei einem Härteausgleich in Notfällen wohl nicht der Fall sein dürfte); kritisch dagegen Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 20 Rn. 281 f., der dies nur für kurzfristige Maßnahmen zum Beispiel bei Unglücksfällen für ausreichend hält und darauf hinweist, dass der Haushaltstitel in der Regel nur eine allgemeine Zweckbestimmung enthält, ohne die Verteilungskriterien näher festzulegen; siehe auch Kranig, NZV 2020, 21, 33, der eine gesetzliche Grundlage für erforderlich hält. 12 Siehe dazu Brockmeyer, in: Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 633 (648 f.); Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 6 Rn. 17; Schulte, in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, GG Art. 104a Rn. 36 ff.; Keilmann, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 52. EL. 2020, GG Art. 104a Rn. 14 f.; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 104a Rn. 116; Heintzen, in: von Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, GG Art. 104a Rn. 30 ff. Die Verwaltungskompetenz des Bundes verdrängt die Zuständigkeit der Länder nicht, s. Brockmeyer, a.a.O., S. 640. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 8 weit als äußerste Grenze einer ungeschriebenen Verwaltungskompetenz die entsprechende Gesetzgebungskompetenz des Bundes angesehen wird,13 ist diese jedenfalls gegeben (siehe oben 4.1.1.). Allerdings begründet die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nie die Zuständigkeit zur Verwaltung, da das Grundgesetz beide Kompetenzen ausdrücklich trennt.14 Allerdings ist die Grundlage einer ungeschriebenen Verwaltungskompetenz des Bundes für die Gewährung von Härteleistungen nicht zweifelsfrei zu bestimmen. Dies gilt auch, wenn man den Entwurf des sog. Flurbereinigungsabkommens15 zugrunde legt. Danach kann der Bund zum Beispiel zentrale Einrichtungen nichtstaatlicher Organisationen im Bereich der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fördern, die für das Bundesgebiet als Ganzes von Bedeutung sind und deren Bestrebungen ihrer Art nach nicht durch ein Land allein wirksam gefördert werden können (so § 1 Abs. 1 Nr. 6 des Entwurfs des Flurbereinigungsabkommens), zum Beispiel durch Zuschüsse an Wohlfahrtsverbände. Ggf. lässt sich die Zuständigkeit des Bundes auf die „Wahrnehmung der Befugnisse und Verpflichtungen, die im bundesstaatlichen Gesamtverband ihrem Wesen nach dem Bund eigentümlich sind (gesamtstaatliche Repräsentation)“ (so § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfs des Flurbereinigungsabkommens) oder auf die „Befugnis des Bundes, Maßnahmen zu finanzieren, die zur sachgemäßen Erfüllung von Aufgaben der Bundesbehörden notwendig sind“ (§ 1 Abs. 2 des Entwurfs des Flurbereinigungsabkommens) stützen. Daraus lässt sich wohl annehmen, dass der Bund in einer Situation, die im Zusammenhang mit Angelegenheiten des Bundes bzw. des Handelns seiner Organe steht, und aus der sich im Einzelfall das Bedürfnis zur Gewährung einer Härteleistung aus Gründen der Billigkeit ergibt, eine solche Härteleistung prüfen und gewähren darf. Hinsichtlich des Härtefallfonds für die Opfer terroristischer oder extremistischer Angriffe wird die Kompetenz des Bundes zur Gewährung solcher Leistungen durch das Bundesamt für Justiz soweit ersichtlich nicht hinterfragt.16 Im Ergebnis ist die Frage der Verwaltungskompetenz des Bundes zur Prüfung und Gewährung von Zahlungen in Härtefällen und zur Einrichtung eines allgemeinen Härtefallfonds nicht geklärt, angesichts der Weite der ansonsten in Anspruch genommenen ungeschriebenen Verwaltungskompetenzen lassen sich aber durchaus Argumente dafür vorbringen. 13 Dies ist umstritten, dafür Schulte in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL November 2020, GG Art. 104a Rn. 42; aA Trute, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 83 Rn. 14; Brockmeyer, in: Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 633 (639). 14 F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 83 Rn. 60. 15 Siehe dazu und zur Bedeutung des Entwurfs des Abkommens Brockmeyer, in: Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 633 (643 ff.); Heintzen, in: von Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, GG Art. 104a Rn. 34. 16 Es wird vereinzelt betont, dass eine gesetzliche Grundlage dafür fehle, so Kranig, NZV 2020, 21, 33; Rabe, FD- SozVR 2020, 430616 (Anm. zu LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.05.2020 - L 3 U 124/17, BeckRS 2020, 10683). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 9 4.2. Finanzierungskompetenz des Bundes Nach Art. 104a Abs. 1 GG tragen Bund und Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Nach diesem sog. Konnexitätsprinzip folgt die Ausgabenlast der Aufgabenverantwortung, wobei unter letzter die verfassungsrechtlich zugewiesene Verwaltungszuständigkeit zu verstehen ist.17 4.2.1. Ausgabentragung bei gesetzesfreier Verwaltung Bei Durchführung der Härteleistungen im Wege der gesetzesfreien Verwaltung (dazu 4.1.2.) erfolgen die Leistungen auf der Grundlage des Haushaltsplans. Die Gewährung und Finanzierung dieser Leistungen durch den Bund knüpft an die Aufgabenverantwortung des Bundes an, da die Mittelveranschlagung im Haushaltsplan gem. § 2 Satz 1 BHO, § 6 BHO nur für Zwecke zulässig ist, die den Aufgaben des Bundes nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes entsprechen.18 Aus dem Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG ergibt sich hier das Gebot, die Ausgaben im Rahmen der eigenen Aufgabenzuständigkeit zu tragen. Soweit dem Bund eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz für die Einrichtung eines Härtefallfonds (dazu 4.1.2.) zusteht, trägt er folglich nach der allgemeinen Regel des Art. 104a Abs. 1 GG (Konnexitätsprinzip) auch die Ausgaben dafür.19 Einer Ausnahme vom Konnexitätsprinzip bedarf es dafür nicht. 4.2.2. Ausgabentragung bei gesetzesakzessorischer Verwaltung Sollte der Bund die Härteleistungen stattdessen auf der Grundlage eines Bundesgesetzes vorsehen (dazu 4.1.1.), wird das Gesetz grundsätzlich durch die Länder ausgeführt (Art. 83 GG). Als Ausnahme vom Konnexitätsprinzip kann in dem Gesetz bestimmt werden, dass die Leistungen ganz oder teilweise vom Bund finanziert werden (Art. 104a Abs. 3 Satz 1 GG). Trägt der Bund mindestens die Hälfte der Kosten, wird dieses Gesetz im Wege der Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) von den Ländern vollzogen (Art. 104a Abs. 3 Satz 2 GG). 4.3. Organkompetenz für Härtefallfonds auf Bundesebene Bei gegebener Verbandskompetenz (dazu 4.1.) muss die mittelbewirtschaftende Stelle für die Gewährung der Billigkeitsleistungen zuständig sein.20 Fraglich ist, ob diese Aufgabe innerhalb der Kompetenz des Bundes durch den Bundestag oder den von ihm bestellten Petitionsausschuss 17 Heun, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 104a Rn 12. 18 Meyer, in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn 3. 19 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang von ungeschriebenen Finanzierungskompetenzen des Bundes gesprochen. Richtigerweise handelt es sich jedoch um eine gerade aus Art. 104a Abs. 1 GG folgende Ausgabentragung des Bundes im Anschluss an eine ungeschriebene Verwaltungskompetenz. Die Annahme ungeschriebener Finanzierungskompetenzen ist überflüssig bzw. abzulehnen, s. Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht , 2. Aufl. 2019 Rn. 183; Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 104a Rn. 118. 20 Vgl. Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 10 allgemein zur Organkompetenz. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 10 wahrgenommen werden kann. Zwar hat der Bundestag eine umfassende formelle parlamentarische Allzuständigkeit für die Behandlung von Petitionen.21 Es ist seine Aufgabe, alle ihn als Volksvertretung des Bundes ansprechenden Petitionen entgegenzunehmen, sachlich zu prüfen und zu verbescheiden; er ist jedoch nicht berechtigt, eine sachliche Entscheidung zugunsten des Petenten zu treffen.22 Zur Wahrung der Gewaltenteilung hat der Bundestag keine materielle Abhilfekompetenz bei der Behandlung von Petitionen.23 Der Petitionsausschuss darf nicht unter Änderung der staatlichen Kompetenzordnung anstelle der Exekutive entscheiden, der Beschwerde abhelfen oder der Exekutive Weisungen erteilen.24 Es ist insoweit zwischen der Petitionsbehandlung , deren Kompetenz auf Art. 17 GG fußt, und der Abhilfezuständigkeit, welche ihre Grundlage , Rechtfertigung und Begrenzung in den allgemeinen Aufgaben- und Zuständigkeitsnormen des Bundestages findet, zu unterscheiden.25 Die genauen Aufgaben des Bundestages und der Bundesregierung und folglich auch die Aufgabenverteilung zwischen Bundestag und Regierung sind im Grundgesetz nicht exakt abschließend bestimmt.26 Zur Abgrenzung der Staatsgewalten ist daher nur eine Unterscheidung nach Typen möglich, jeweils ohne abschließende exakte Definition. Dies formuliert F. Kirchhof27 so: „Die Legislative erlässt allgemeine Regeln für die Zukunft und betreibt im Zusammenwirken mit der Gubernative die Politik, die Exekutive gestaltet nach den parlamentarischen Vorgaben im Einzelfall vor Ort die Zukunft und handelt gegenüber dem Bürger.“ (Hervorhebung nur hier). Aus der Gewaltenteilung und der Zuweisung von Aufgaben an jede einzelne der drei Gewalten folgt kein trennscharfer Verwaltungsvorbehalt, der die anderen zwei Gewalten von der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben ausschließt, weil dadurch lediglich typisierend Kernaufgaben 21 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Petitionsrecht und laufende Planfeststellungsverfahren, 2008 (WD 3 – 480/07), S. 8, https://www.bundestag.de/resource /blob/407374/f9efe028d9a6a65ff77968ce4b51d55e/WD-3-480-07-pdf-data.pdf. 22 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 1985, S. 41 (die Allzuständigkeit besteht folglich nur formell ). 23 Klein, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 45c Rn. 31; Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung , 1985, S. 40 f.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Petitionsrecht und laufende Planfeststellungsverfahren , 2008 (WD 3 – 480/07), S. 8, https://www.bundestag.de/resource /blob/407374/f9efe028d9a6a65ff77968ce4b51d55e/WD-3-480-07-pdf-data.pdf. 24 Klein, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 45c Rn. 55. 25 Graf Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertretung, 1985, S. 40 f., 44 (Strukturprinzip des parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems). 26 Dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 62 Rn. 51 ff. zur Offenheit des materiellen Regierungsbegriffs und zur Abgrenzung der Funktionen von Bundestag und Bundesregierung. 27 F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 83 Rn. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 11 verteilt werden und andere Bestimmungen des Grundgesetzes die Gewalten wieder verschränken .28 Allerdings gehört die Prüfung und Entscheidung über die Gewährung von Leistungen in Einzelfällen nach dieser typisierenden Abgrenzung jedenfalls nicht zu den Aufgaben und Funktionen des Bundestages,29 sondern zu den typischen Aufgaben der Verwaltung, die Einzelfallentscheidungen mit Außenwirkung gegenüber dem Bürger trifft. Die direkte Gewährung solcher Leistungen durch den Bundestag an einzelne Personen würde die staatliche Kompetenzordnung insoweit ändern, als dadurch eine Form der Abhilfe eingeführt würde, die nach bisherigem Verständnis dem Bundestag im Rahmen seiner Befassung mit Petitionen nicht zusteht. Im Ergebnis ist die Organkompetenz des Bundestages und infolgedessen des von ihm bestellten Petitionsausschusses zur Gewährung von Geld- und Sachleistungen in einzelnen Härtefällen daher zumindest zweifelhaft. Stattdessen kann die für die Gewährung der Härteleistungen zuständige Behörde im Haushaltsplan benannt werden, wie zum Beispiel das Bundesamt für Justiz im Falle der Härtefallfonds für die Opfer terroristischer oder extremistischer Gewalt (siehe oben 2.). Zu der weiteren Frage, ob der Bundestag eine Kompetenz auf den Petitionsausschuss delegieren kann, wird auf die Ausarbeitung „Zur Möglichkeit plenarersetzender Erledigungsbefugnisse des Petitionsausschusses“ der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 3000 – 055/15)30 verwiesen. Danach können Erledigungskompetenzen entweder durch verfassungsrechtliche Ermächtigung (wie zum Beispiel in Art. 45 Satz 2, 3 GG) oder durch gesetzliche Regelung auf den Petitionsausschuss delegiert werden. 4.4. Bereitstellung von Mitteln im Haushaltsplan Für die Gewährung von Billigkeitsleistungen müssen Ausgabemittel dafür „besonders zur Verfügung gestellt“ werden (§ 53 BHO). Dem Wortlaut nach gilt § 53 BHO nur für Ausgaben, die im selben Haushaltsjahr erfüllt werden, kommt aber auch auf Verpflichtungsermächtigungen zur Anwendung, die in künftigen Haushaltsjahren fällig werden.31 Die Ausgabe- oder Verpflichtungsermächtigung muss sich im Bundeshaushaltsplan aus einem eigenen Titel, einem entsprechenden Haushaltsvermerk oder den die Billigkeitsleistung nach ihrem Zweck eindeutig festlegenden Erläuterungen zu einem Titel ergeben.32 Außerdem kann sie auch im Wege der Entscheidung 28 So F. Kirchhof, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 83 Rn. 40 zur Frage eines Verwaltungsvorbehalts der Exekutive gegenüber den beiden anderen Staatsgewalten, wobei er eine Verlagerung von Verwaltungsaufgaben auf die beiden anderen Gewalten beklagt. 29 Dazu etwa Klein, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 38 Rn. 47 ff.; Müller, in: v. Mangoldt /Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 38 Rn. 16 ff. 30 https://www.bundestag.de/resource/blob/405458/4c5dfe9a21c8969114df0114f273f610/WD-3-055-15-pdfdata .pdf. 31 Von Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 2013, § 53 Rn. 2 für unmittelbare Anwendung (da auch Verpflichtungsermächtigungen zum Eingehen von Verpflichtungen zur „Leistung von Ausgaben“ ermächtigten); für analoge Anwendung aufgrund einer unbeabsichtigten Gesetzeslücke Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 7; Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 17. 32 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 12 über eine außerplanmäßige Ausgabe gem. § 37 BHO33 erteilt werden. Eine Bezugnahme auf § 53 BHO ist dafür nicht erforderlich.34 Der entsprechende Titel, Haushaltsvermerk oder die festlegende Erläuterung muss hinreichend bestimmt sein, also eine klare Zweckbestimmung enthalten, welche die Leistungsvoraussetzungen sowie den Kreis der Begünstigten erkennen lassen.35 Auf diese Weise werden das parlamentarische Budgetrecht aus Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG sowie die Bindung der mittelbewirtschaftenden Verwaltung an den Haushaltsplan gesichert.36 Die Mittel für den Härtefallfonds müssen also ausdrücklich im Haushalt bereitgestellt werden, zum Beispiel in einem eigenen Titel mit entsprechender Zweckbestimmung. In einem dazugehörigen Haushaltsvermerk können verbindliche Vorgaben für die Bewirtschaftung des Titels gemacht werden. Weitere Einzelheiten können auch in Erläuterungen dazu aufgenommen werden. Im Hinblick auf die besonderen Anforderungen des § 53 BHO für Billigkeitsleistungen sollten die Mittel für den Härtefallfonds in einen eigenen Titel mit ausdrücklicher Bezeichnung des Zwecks aufgenommen werden und die zweckmäßige Verwendung der Mittel durch einen Haushaltsvermerk oder Erläuterungen möglichst konkret beschrieben werden. Dabei sollte auch darauf verwiesen werden, dass Einzelheiten durch eine Richtlinie (dazu nachfolgend 5.) durch eine zu bestimmende Behörde geregelt werden. 4.5. Leistungen aus Gründen der Billigkeit § 53 BHO erfasst Leistungen aus Gründen der Billigkeit. Bei der Formulierung „aus Gründen der Billigkeit“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch die Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 1 konkretisiert wird.37 Demnach sind Billigkeitsleistungen „finanzielle Leistungen des Bundes, auf die kein Anspruch besteht, die aber aus Gründen der staatlichen Fürsorge zum Ausgleich oder der Milderung von Schäden und Nachteilen gewährt werden “. Die Gewährung staatlicher Leistungen aus Gründen der Billigkeit beruht auf dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG; danach ist der Staat zur Fürsorge für Einzelne oder Gruppen verpflichtet, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind.38 33 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.1. 34 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 16. 35 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 17; Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 11. 36 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 11. 37 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 8. 38 Vgl. Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 9; Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 13 (das Sozialstaatsprinzip ist Auslegungsmaßstab für § 53 BHO). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 13 4.5.1. Einzelfallentscheidung zur Herstellung von Gerechtigkeit Billigkeit bezeichnet häufig eine rechtliche Orientierung, die neben den bestehenden Gesetzen für eine Einzelfallentscheidung berücksichtigt werden muss, um ein gerechtes Ergebnis zu erreichen ; sie kann zur Auslegung eines Gesetzes, zu dessen Korrektur und sogar zu dessen Verwerfung , vor allem aber zur Lückenfüllung herangezogen werden.39 Billigkeitsmaßnahmen erfolgen nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, die die Leistung als sachgerecht erscheinen lassen.40 Billigkeitsentscheidungen im Sinne des § 53 BHO verlangen also stets eine genaue Einzelfallbetrachtung und lassen Raum für individuelle Gerechtigkeitswertungen, die sich einer textlichen Standardisierung entziehen. Dies ist bei der Zweckbestimmung im Haushaltsplan (siehe oben 4.4.) sowie bei der Formulierung der Richtlinie (dazu nachfolgend 5.) zu berücksichtigen. 4.5.2. Härteausgleich Billigkeitsleistungen sollen grundsätzlich nur zum Ausgleich von Härten gewährt werden, die ihre Ursache in einem Ereignis haben, das für den betroffenen Personenkreis nicht vorhersehbar und von ihm auch nicht zu vertreten ist.41 Ein Vertretenmüssen liegt vor, wenn das Ereignis vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt wurde. Eine Gefahr ist vorhersehbar, wenn die nicht ganz fern liegende Möglichkeit einer Schädigung besteht. Die Vorhersehbarkeit ist unerheblich, wenn der Betroffene keine Möglichkeit hatte, den Schaden abzuwenden.42 Für den Härteausgleich ist unerheblich, ob sich der Betroffene gegen das schädigende Ereignis hätte versichern können. Berücksichtigung findet die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer privaten Absicherung aber im Rahmen der Entscheidung über die Höhe der Entschädigungsleistung.43 Gegen die Gewährung einer Billigkeitsleistung kann sprechen, dass der Betroffene nicht bedürftig ist oder über ausreichendes Privatvermögen verfügt, um den Schaden oder den sonstigen Nachteil zu tragen. Allerdings müssen die Umstände des Einzelfalls hierbei besonders differenziert beurteilt werden, da andererseits gerade eine sparsame Lebensführung sanktioniert würde.44 Die Prüfung der Billigkeitsleistung durch die zuständige Stelle (dazu oben 4.3.) bedarf also einer gründlichen Einzelfallbetrachtung, wobei insbesondere festzustellen ist, dass der Antragsteller den erlittenen Schaden oder Nachteil nicht hätte vermeiden können bzw. müssen. Nach diesen Grundsätzen kommt eine Leistung in Fällen einer vorwerfbar (mit-)herbeigeführten Situation 39 Becker, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, 8. Auflage 2017 („Billigkeit“). 40 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 16. 41 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 1.1. 42 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 14. 43 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.2.2; so auch Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 15. 44 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 17; aA Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 11: keine Bedürftigkeitsprüfung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 14 grundsätzlich nicht in Betracht. Eine solche Leistung kann nicht mehr als Billigkeitsleistung angesehen werden. Gleichwohl erlittene Härten müssen nach dem Grundsatz der Eigenverantwortung selbst getragen werden. Allerdings dürfte ein den Umständen des Einzelfalls und den Fähigkeiten des Antragstellers entsprechender subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzuwenden sein, um das Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. 4.6. Subsidiarität der Billigkeitsleistung Um eine Überkompensation des Antragstellers zu vermeiden, sind Billigkeitsleistungen subsidiär zu anderen erhaltenen Leistungen und Ansprüchen des Antragstellers, insbesondere Ausgleichsoder Schadensersatzansprüchen. Die Zahlung der Billigkeitsleistung kommt grundsätzlich nicht in Betracht, sofern Ansprüche gegen Dritte bestehen, auch wenn diese praktisch, z.B. wegen Insolvenz des Schuldners, nicht durchsetzbar sind.45 Subsidiär sind Billigkeitsleistungen auch, wenn der konkrete Fall von speziellen Leistungsgesetzen erfasst wird, auch wenn diese eine Leistung gerade ausschließen, was nicht durch Billigkeitsleistungen unterlaufen werden darf.46 Billigkeitsleistungen kommen ferner nicht in Betracht, wenn die mit der geplanten finanziellen Leistung verfolgten Zwecke mit Zuwendungen i.S.d. § 23 BHO erreicht werden können.47 Zuwendungen sind Leistungen, auf die ebenfalls kein Rechtsanspruch besteht, die aber im Gegensatz zu Billigkeitsleistungen zweckgerichtet der Erfüllung eines bestimmten öffentlichen Zwecks dienen.48 Im Gegensatz dazu enthalten Billigkeitsleistungen keine Vorgaben für den Empfänger hinsichtlich der Verwendung der Mittel.49 Billigkeitsleistungen sind außerdem subsidiär zu Entscheidungen nach §§ 58 f. BHO (z.B. über die Stundung und den Erlass von Forderungen) und Fürsorgeleistungen aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften.50 Bei der Entscheidung über Billigkeitsleistungen ist folglich der Grundsatz der Subsidiarität zwingend zu beachten, wozu der konkrete Sachverhalt zu ermitteln und zu würdigen ist. 4.7. Art und Höhe der Billigkeitsleistung Die Gewährung von Billigkeitsleistungen steht im Ermessen der zuständigen Stelle (dazu oben 4.3.). Das Ermessen erfasst grundsätzlich sowohl die Frage, ob aus Gründen der Billigkeit eine Leistung gewährt wird (siehe dazu auch 4.5.), als auch die Frage, in welcher Art (Geld- oder 45 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 19; Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 11 unter Hinweis auf das allgemeine Lebensrisiko und die Umgehung der Insolvenzordnung . 46 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 18. 47 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 3. 48 Vgl. Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 4. 49 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 13. 50 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 3; aA zu beamtenrechtlichen Fürsorgeleistungen Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 15 Sachleistung, verlorener Zuschuss oder Darlehen) und in welcher Höhe geleistet wird.51 Die Gesamthöhe der Leistungen wird durch den Haushaltsgesetzgeber bestimmt. Die Höhe der Entschädigungsleistung muss in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe des eingetretenen Schadens stehen.52 Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Schaden durch eine übliche und zumutbare Versicherung hätte abgedeckt werden können.53 Die Billigkeitsleistung ist nicht auf eine Totalreparation ausgerichtet.54 Außerdem sollen in den Billigkeitsrichtlinien eine Selbstbeteiligung und ein Ausschluss für Bagatellschäden vorgesehen werden.55 5. Gestaltung der Mittelvergabe durch Richtlinien Entscheidungen über Billigkeitsmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes in gleich gelagerten Fällen in gleicher Art und Weise getroffen werden.56 Um die gleichmäßige Ausübung des Ermessens zu leiten, sollen daher Grundsätze über die Gewährung von Billigkeitsleistungen in Richtlinien näher geregelt werden.57 Die Billigkeitsrichtlinien legen den Zweck der Billigkeitsleistungen, die leistungsbegründenden Voraussetzungen einschließlich ihres Nachweises und die Höhe der Entschädigungsleistungen fest.58 Aus der Billigkeitsrichtlinie in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG kann sich bei Erfüllung der leistungsbegründenden Voraussetzungen ein Anspruch auf Gewährung einer Billigkeitsleistung ergeben.59 Zur Gewährleistung eines gleichheitsgerechten Vollzugs müssen für die Vergabe von Leistungen aus einem Härtefallfonds also Vergaberichtlinien von der mittelbewirtschaftenden Stelle aufgestellt werden. Diese Richtlinien bedürfen der Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen (§ 40 Abs. 1 BHO, Verwaltungsvorschrift zu § 53 BHO Nr. 2.2). 5.1. Mussvorschriften Die Vergaberichtlinien müssen folgende Mindestbestimmungen enthalten. 51 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 8, 21; Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 7, 19. 52 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.2.2. 53 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.2.2; Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 23. 54 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 74. EL. 2020, BHO § 53 Rn. 12. 55 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.2.2. 56 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 24. 57 Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 25. 58 Verwaltungsvorschrift des BMF zu § 53 BHO Nr. 2.2. 59 Meyer in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, 2020, § 53 BHO Rn. 5, 19; Gröpl, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 53 Rn. 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 16 Sie müssen den Kreis der Antragsteller und der Leistungsberechtigten festlegen. Sie müssen die Anlässe und Bedingungen für Härtefälle möglichst konkret bezeichnen unter Beachtung der Voraussetzungen für Billigkeitsleistungen im Sinne des § 53 BHO (dazu oben 4.5.). Sie müssen die notwendigen Ausschlüsse für Billigkeitsleistungen bezeichnen, um deren Charakter als eine Leistung aus Billigkeit zu wahren, insbesondere bei vorwerfbar herbeigeführten Notlagen (dazu oben 4.5.) und aufgrund ihrer Subsidiarität (dazu oben 4.6.). Sie müssen die auszugleichenden Nachteile (zum Beispiel Personenschäden, Vermögensschäden , immaterielle Schäden, Folgeschäden) und die Höhe sowie die Art der Leistungen (zum Beispiel Geld- oder Sachleistung, verlorener Zuschuss oder Darlehen) festlegen (dazu oben 4.7.). 5.2. Sollvorschriften Die Vergaberichtlinien sollten folgende weitere Bestimmungen enthalten. Sie sollen in einer Präambel eine allgemeine Zweckbestimmung und Grundsätze für die Gewährung der Leistungen enthalten, an denen sich die Entscheidungen im Einzelfall orientieren können. Sie sollen Grundzüge des Antragsverfahrens festlegen, insbesondere Ausführungen zur Antragstellung und über die Rücknahme der Leistung. Sie sollen festlegen, wie die erforderlichen Nachweise für die Voraussetzungen und Ausschlüsse der Leistungen zur Überzeugung der entscheidenden Stelle zu führen sind und ggf. das erforderliche Beweismaß reduzieren. Sie sollen eine Abtretung der möglichen gleichwertigen Ersatzansprüche vorsehen. Sie sollen ihren zeitlichen Anwendungsbereich festlegen, ggf. mit Rückwirkung für Schadensereignisse , die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie liegen. Sie sollen eine Bagatellgrenze oder einen Selbstbehalt vorsehen. 5.3. Kannvorschriften Die Vergaberichtlinien können folgende weitere Bestimmungen enthalten. Sie können festlegen, ob und wie die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Leistungen bekannt gemacht werden soll. 6. Zusammenfassung Der Bund hat die Kompetenz zur Einrichtung eines Härtefallfonds durch Gesetz, das von den Ländern vollzogen werden müsste. Alternativ dürfte der Bund auch die Verwaltungskompetenz zur Einrichtung und zur Verwaltung eines Härtefallfonds haben, dessen Mittel im Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Der Härtefallfonds kann von einer im Bundeshaushalt zu benennenden mittelbewirtschaftenden Stelle verwaltet werden. Problematisch ist es, den Härtefallfonds vom Bundestag verwalten zu lassen, weil die Gewährung von Geld- und Sachleistungen als Einzelfallentscheidung mit Regelungscharakter und Außenwirkung gegenüber den Antragstellern im Rahmen der verfassungs- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 016/21 Seite 17 rechtlichen Gewaltenteilung nicht zu den typischen Aufgaben des Bundestages, sondern der exekutiven Gewalt gehört. Die Übernahme verwaltender Tätigkeiten durch den Bundestag ist zwar nicht ausgeschlossen. Im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Aufgabe des Bundestages zur Befassung mit Petitionen ist die Mittelgewährung allerdings vor allem deshalb problematisch , weil dem Bundestag dabei keine Abhilfekompetenz zukommt, was durch die Auszahlung von Geld- und Sachleistungen an die Petenten unterlaufen werden könnte. Die Mittel für den Härtefallfonds müssen im Bundeshaushalt ausdrücklich und mit einer möglichst konkreten Zweckbestimmung zur Verfügung gestellt werden. Aus dem Charakter als Billigkeitsleistungen ergeben sich für Leistungen aus dem Härtefallfonds bestimmte Anforderungen; so dürfen die Leistungen nur in Härtefällen, deren Entstehung dem Antragsteller nicht vorwerfbar ist, und subsidiär zu anderen erhaltenen Leistungen oder Ansprüchen gewährt werden. Die mittelbewirtschaftende Stelle muss Richtlinien mit Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen aufstellen, in denen die Bedingungen der Leistungsgewährung in Grundzügen bestimmt werden , insbesondere Antragsteller und Leistungsberechtigte, Art der auszugleichenden Nachteile, Art und Höhe sowie Ausschluss der Leistungen. * * *