© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 016/19 Verschiedene Fragen zur Begründung und Realisierung von Erstattungsansprüchen im Rahmen von Verpflichtungserklärungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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B. nach Haushaltsrecht) gesetzlichen Bestimmungen haben öffentliche Stellen zu beachten, wenn Forderungen gegenüber Privatpersonen und/oder juristischen Personen geltend gemacht sind, soweit entgegen der abgegebenen Bürgschaft öffentliche Mittel ausgezahlt werden mussten? 5 2.3. Welche allgemeinen (z. B. nach dem Haushaltsrecht) gesetzlichen Bestimmungen haben öffentliche Stellen hinsichtlich der Beitreibung/Vollstreckung einer Schuld zu beachten, soweit eine Forderung bestands- bzw. rechtskräftig festgestellt wurde? 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 016/19 Seite 4 1. Fragestellung Vorliegendem Auftrag liegen die folgenden Fragen zur Begründung und Realisierung von Erstattungsansprüchen gegen den Garantiegeber im Rahmen von Verpflichtungserklärungen von Privatpersonen zugunsten öffentlicher Stellen zugrunde. Die Beantwortung der Frage bezüglich der „Haushaltsuntreue“ (Frage 4) bleibt der gesonderten Stellungnahme der Fachbereiche WD 6 und WD 7 vorbehalten. 2. Einzelne Fragen 2.1. Welche allgemeinen (z. B. nach Haushaltsrecht) gesetzlichen Bestimmungen haben öffentliche Stellen zu beachten, wenn sie Bürgschaften von Privatpersonen und/oder juristischen Personen entgegennehmen, soweit mit diesen öffentliche Mittel abgesichert werden sollen? Wesentliche Maßstäbe für das Handeln der Exekutive bilden der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG und das in Art. 114 Abs. 2 GG i.V.m. § 6 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)1 und § 7 Bundeshaushaltsordnung (BHO)2 verankerte Gebot, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (Wirtschaftlichkeitsgrundsatz) zu beachten.3 Die hier in Rede stehenden Verpflichtungserklärungen dienen dazu, Erstattungsansprüche zugunsten öffentlicher Stellen gegen den Garantiegeber zu begründen. Durch die Verpflichtungserklärung werden die öffentlichen Stellen begünstigt in Gestalt der Berechtigung, den Garantiegeber wegen entstandener erstattungspflichtiger Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln im Wege behördlicher Selbsttitulierung durch Verwaltungsakt und das Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung in Anspruch zu nehmen.4 Dies setzt die Wirksamkeit der vom Verpflichtungsgeber abgegebenen Verpflichtungserklärung voraus. Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung sind die Verfassungsgrundsätze der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit zu beachten.5 Die inhaltliche Bestimmtheit erstreckt sich in sachlicher Hinsicht auf die zu erstattenden Leistungen und in zeitlicher Hinsicht auf die Dauer der Haftung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt die Begrenzung der Haftung auf ein zumutbares Maß. 1 Vom 19.8.1969, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 14.8.2017, BGBl. I S. 3122. 2 Vom 19.8.1969, BGBl. I S. 1284, zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 14.8.2017, BGBl. I S. 3122. 3 BVerfGE 30, 292, 332; BVerwG NVwZ 1999, 779, 783. 4 BVerwG NVwZ, 2017, 1200, 1202; BVerwG NVwZ 2013, 1339, 1343. 5 BVerfGE 30, 292, 332; BVerwG NVwZ 2017, 1200, 1202. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 016/19 Seite 5 Die Formvoraussetzungen von Verpflichtungserklärungen sind in den einschlägigen Gesetzen und den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften geregelt.6 2.2. Welche allgemeinen (z. B. nach Haushaltsrecht) gesetzlichen Bestimmungen haben öffentliche Stellen zu beachten, wenn Forderungen gegenüber Privatpersonen und/oder juristischen Personen geltend gemacht sind, soweit entgegen der abgegebenen Bürgschaft öffentliche Mittel ausgezahlt werden mussten? Nach den Verfassungsgrundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die zuständigen Behörden grundsätzlich verpflichtet, die der öffentlichen Hand aus den Verpflichtungserklärungen entstandenen Geldleistungsansprüche geltend zu machen.7 Ausnahmen hiervon bedürfen einer gesetzlichen Ermächtigung.8 Fehlt es an einer Ausnahmeregelung und lässt sich aus der gesetzlichen Regelung eine ausnahmslose Verpflichtung zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht ableiten, kann die Regelungslücke unter Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze geschlossen werden.9 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können Abweichungen von den o.g. Grundsätzen bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, insbesondere der Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zulässig sein.10 Insgesamt ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen aus Verpflichtungserklärungen folgendes Regel-Ausnahme -Verhältnis zu beachten:11 „Im Regelfall ist der Verpflichtete zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn die materiellen Voraussetzungen einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden. Wann in diesem Sinne ein Ausnahmefall vorliegt, ist 6 Vgl. z. B. §§ 23 Abs. 1 und 68 Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.2.2008, BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12.7.2018, BGBl. I S. 1147, betreffend Verpflichtungserklärungen zum Zwecke der Erteilung von Aufenthaltstiteln. 7 BVerfGE 30, 292, 332; BVerwG NVwZ 1999, 779, 783. 8 BVerfGE 30, 292, 332. 9 BVerwG NVwZ 1999, 779, 783. 10 BVerwG NVwZ 2013, 1339, 1343; BVerwG NVwZ 1999, 779, 783. 11 BVerG NVwZ 1999, 779, 783. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 016/19 Seite 6 anhand einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden12 und unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung.“ Bei einer Mehrzahl gleichgelagerter Fälle hat die Verwaltung im Rahmen der Ermessensausübung dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. 2.3. Welche allgemeinen (z. B. nach dem Haushaltsrecht) gesetzlichen Bestimmungen haben öffentliche Stellen hinsichtlich der Beitreibung/Vollstreckung einer Schuld zu beachten, soweit eine Forderung bestands- bzw. rechtskräftig festgestellt wurde? Gemäß § 34 Abs. 1 BHO sind bei Fälligkeit die dem Bund zustehenden Einnahmen vollständig zu erheben. Von diesem Grundsatz lässt § 59 BHO Ausnahmen zu und legt in Übereinstimmung mit § 31 Haushaltsgrundsätzegesetz die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen fest, unter denen auf Gesetz, Vertrag oder sonstigem Rechtsgrund beruhende fällige Ansprüche des Bundes gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden dürfen. Nach § 59 Abs. 1 BHO darf das zuständige Bundesministerium Ansprüche nur (1) stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Anspruchsgegner verbunden wäre, und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird, (2) niederschlagen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen, (3) erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Die Bedeutung der vorstehenden Vorschrift erschöpft sich nicht in der gesetzlichen Ermächtigung der Exekutive, in Ausnahmefällen von dem Grundsatz des § 34 BHO abzuweichen. Ihr liegt zugleich die Verpflichtung zugrunde, solche Ausnahmen nach einheitlichen Maßstäben zu behandeln . Damit soll im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes und im Interesse des Haushalts vermieden werden, dass individuelle Vorteile durch Anwendung der genannten Instrumente zu Lasten der Allgemeinheit gehen.13 Niederschlagung, Stundung und Erlass stellen Ermessensentscheidungen der Verwaltung dar, die dem Erfordernis der Einzelfallbetrachtung im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unterliegen .14 Auf solche Entscheidungen hat der Schuldner grundsätzlich keinen Rechtsanspruch, 12 Im Hinblick auf die Qualifizierung eines Falles als atypisch hat die Verwaltung im Rahmen der Ermessensausübung vornehmlich die Umstände zu würdigen, unter denen die jeweilige Verpflichtungserklärung abgegeben wurde. Hierbei ist zu klären, ob und in welchem Ausmaß die Gründe für die Abgabe der Verpflichtungserklärung im Interesse des Garantiegebers bzw. im öffentlichen Interesse liegen. Ein eventueller Interessenausgleich ist im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes herbeizuführen. Vgl. BVerwG NVwZ, 1999, 779, 783. 13 Vgl. Rohrer, in: Scheller (Hrsg.), Kommentar zum Haushaltsrecht, Dezember 2018, § 59 BHO Rn 12. 14 BVerG NVwZ, 1999, 779, 783. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 016/19 Seite 7 da es sich bei § 59 um eine Vorschrift des Innenrechts der Verwaltung handelt.15 Allerdings könnten sich bei einer Mehrzahl gleichgelagerter Fälle über den Gleichbehandlungsgrundsatz Ansprüche der Schuldner auf Entscheidungen nach § 59 BHO ergeben.16 **** 15 Vgl. Rohrer, a.a.O. 16 Vgl. Nebel, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 49. Erg.-Lfg. Februar 2018, § 59 BHO Rn 1.