© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 014/18 Berücksichtigung von Alleinerziehenden im Einkommensteuergesetz Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 2 Berücksichtigung von Alleinerziehenden im Einkommensteuergesetz Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 014/18 Abschluss der Arbeit: 23. Januar 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung und Inhalt des Sachstands 4 2. Geltendes Einkommensteuerrecht 4 3. Entwicklung der steuerlichen Entlastung von Alleinerziehenden seit 2004 5 4. Diskussion um die Gestaltung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende 5 4.1. Öffentliche Anhörung zur Änderung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende 5 4.2. Abschließende Beratung der Änderungen im Finanzausschuss 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 4 1. Fragestellung und Inhalt des Sachstands Der Auftraggeber bittet um eine Übersicht zu folgenden Fragen: Was hat der Gesetzgeber für Alleinerziehende in den letzten 10 Jahren beschlossen? Was wird vielleicht in Zukunft für Alleinerziehende getan? Wie könnte man bestehendes Recht ändern, um Alleinerziehende zu stärken? Im nachfolgenden Sachstand geht es ausschließlich um die Berücksichtigung der Alleinerziehenden im Einkommensteuergesetz (EStG). Dabei werden die maßgebliche Norm und ihre Entwicklung sowie anschließend wesentliche Diskussionspunkte beim Thema Berücksichtigung von Alleinerziehenden im Einkommensteuerrecht dargestellt. 2. Geltendes Einkommensteuerrecht Alleinstehende Steuerpflichtige können den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b Einkommensteuergesetz (EStG) von der Summe ihrer Einkünfte abziehen. Dabei sind laut Gesetzestext insbesondere folgende Einzelheiten zu beachten:1 – Damit Alleinstehende den Entlastungsbetrag in Anspruch nehmen können, muss zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehören, für das ihnen ein steuerlicher Freibetrag oder Kindergeld zusteht. – Alleinstehend sind Steuerpflichtige, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens erfüllen oder verwitwet sind. Sie dürfen auch keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden, es sei denn, für diese steht ihnen ein steuerlicher Freibetrag oder Kindergeld zu oder diese leistet „entlastende Dienste“2. – Die Zugehörigkeit des (minderjährigen) Kindes zum Haushalt ist anzunehmen, wenn es in der Wohnung des Alleinerziehenden gemeldet ist. Ist das Kind bei mehreren Steuerpflichtigen gemeldet, steht der Entlastungsbetrag demjenigen Alleinstehenden zu, der die Voraussetzungen auf Auszahlung des Kindergeldes erfüllt oder erfüllen würde in Fällen, in denen nur ein Anspruch auf einen steuerlichen Freibetrag besteht. – Der Entlastungsbetrag für ein Kind beträgt im Kalenderjahr 1.908 Euro. Für jedes weitere Kind erhöht sich dieser Betrag um 240 Euro je weiterem Kind. Für jeden vollen Kalendermonat , in dem die Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigt sich der Entlastungsbetrag um ein Zwölftel. 1 Zu detaillierten Erläuterungen und Beispielen vgl. Anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen : Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) vom 23. Oktober 2017, unter: http://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2017-10-23-entlastungsbetrag -fuer-alleinerziehende.pdf?__blob=publicationFile&v=2, abgerufen am 22 Januar 2018. 2 Ein Kind kann unter bestimmten Bedingungen über das 21. oder 25. Lebensjahr hinaus beim steuerlichen Freibetrag oder beim Kindergeld berücksichtigt werden, wenn es den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat oder sich anstelle des gesetzlichen Grundwehrdienstes freiwillig für die Dauer von nicht mehr als drei Jahren zum Wehrdienst verpflichtet hat oder eine vom gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst befreiende Tätigkeit als Entwicklungshelfer ausgeübt hat. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 5 Alleinerziehende Arbeitnehmer werden in Lohnsteuerklasse II eingruppiert. Bei der Berechnung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber wird jedoch ausschließlich der Entlastungsbetrag für ein bzw. das erste Kind in Höhe von 1.908 Euro berücksichtigt. Der Erhöhungsbetrag für zweite und weitere Kinder kann bei der Lohnsteuerberechnung im Rahmen eines Freibetrags berücksichtigt werden. Hierfür ist beim örtlich zuständigen Wohnsitzfinanzamt ein Antrag zu stellen. 3. Entwicklung der steuerlichen Entlastung von Alleinerziehenden seit 2004 Von 2004 bis einschließlich 2014 erhielten alleinerziehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 Euro. Der Betrag war durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29. Dezember 20033 mit Wirkung ab 1. Januar 2004 eingeführt worden und hat den im selben Gesetz abgeschafften Haushaltsfreibetrag in Höhe von zuletzt 1.188 Euro (§ 32 Abs. 7 EStG) abgelöst . Mit dem Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags vom 16. Juli 20154 wurde das geltende Recht geschaffen, indem der Gesetzgeber – rückwirkend für das ganze Jahr 2015 – den Entlastungsbetrag auf 1.908 Euro angehoben und nach der Zahl der im Haushalt des allein erziehenden Steuerpflichtigen lebenden Kinder gestaffelt hat. Die Erhöhung des Entlastungsbetrages und die Staffelung nach Zahl der Kinder waren zunächst nicht im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen, sondern wurden bei den parlamentarischen Beratungen im Finanzausschuss eingefügt.5 4. Diskussion um die Gestaltung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende 4.1. Öffentliche Anhörung zur Änderung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende Die öffentliche Anhörung des Finanzausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzu- 3 Bundesgesetzblatt I Seite 3075. 4 Bundesgesetzblatt I Seite 1202. 5 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/4649, 18/5011 – Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags , des Kindergeldes und des Kinderzuschlags, Bundestags-Drucksache 18/5244. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 6 schlags - Bundestags-Drucksache 18/4649 - am 20. Mai 2015 schloss auch den Antrag zur Änderung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende ein.6 Dieser Änderungsantrag war erst eingebracht worden, nachdem sich der Bundesminister der Finanzen dazu bereit erklärte, den überwiegenden Teil der Finanzierung zu übernehmen.7 In der Anhörung bezogen sich zahlreiche Sachverständige auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Mai 2009. Das BVerfG betonte darin zum wiederholten Male die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung. Speziell zum § 24b EStG führte das BVerfG aus, dass offenbleiben könne, ob § 24b EStG einer tatsächlichen Mehrbelastung von Alleinerziehenden Rechnung trage oder allein der sozialen Förderung diene: – Wenn es sich um eine tatsächliche Mehrbelastung handele, sei der Gesetzgeber berechtigt, einen diesbezüglichen Entlastungsbetrag zu gewähren. Die Höhe des Entlastungsbetrags falle in den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers. – Handele es sich um eine reine Fördermaßnahme, weil die die Leistungsfähigkeit mindernde Faktoren bereits durch andere einkommensteuerliche Vorschriften vollständig erfasst seien, seien die Gründe für die Gewährung des Entlastungsbetrages von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen könnten. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehenden könne zudem, so das BVerfG, auch ohne Rücksicht auf erhaltene Unterhaltsleistungen gewährt werden.8 Letztendlich, so die Sachverständigen in der Anhörung, sei völlig offen, was der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende darstelle. Deshalb unterschieden die Sachverständigen bei der Beurteilung der geplanten Änderung zwischen dem Ziel des Ausgleichs der Mehrbelastung und damit der steuerrechtlichen Sicht einerseits und der sozialpolitischen Sicht andererseits. Aus steuerrechtlicher Sicht betrage die Erhöhung des Entlastungsbetrags das Zehnfache der letzten Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrags und stelle somit eine bedeutende Entlastung dar. Der Abzug von der steuerlichen Bemessungsgrundlage bewirke jedoch automatisch eine progressionsabhängige Wirkung, sodass sich mit steigendem Einkommen die Entlastung mehr auswirke. Im Umkehrschluss erreiche ein steuerlicher Entlastungsbetrag diejenigen, die wenig oder keine Steuern zahlen, nicht. Damit verfehle er das sozialpolitische Ziel. 6 Das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses sowie die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen sind abrufbar unter: http://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a07/anhoerungen /43--sitzung/374544, abgerufen am 23. Januar 2018. 7 Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags - Bundestags -Drucksache 18/4649 - , Seite 21, unter: http://www.bundestag .de/blob/377394/62a770c727f08b3af730ae86a5c05e62/protokoll-data.pdf, abgerufen am 23. Januar 2018. 8 Nichtannahmebeschluss des BVerfG: Keine Verletzung von Grundrechten durch Gewährung des Entlastungsbetrags nach § 24b EStG nur für Alleinerziehende unter gleichzeitigem Ausschluss von Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen für eine Ehegattenveranlagung erfüllen, Aktenzeichen 2 BvR 310/07. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 7 Außerdem werde der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nur einem Elternteil gewährt, auch wenn sich beide Eltern annähernd in gleichem Umfang in getrennten Haushalten der Erziehung der Kinder widmen. Allerdings werde das verfassungsrechtlich als zulässig erachtet.9 Als eine Möglichkeit, sozialpolitische Ziele zu erreichen, sei die Integrierung in die Kindergeld- Regelungen zu erwägen. Dem hielten jedoch andere Sachverständige entgegen, dass Kindergeld auf verschiedene Sozialleistungen angerechnet werde und die gewünschte Wirkung verpuffen könnte. Einige Sachverständige brachten auch die Gestaltung des Entlastungsbetrages als Abzug von der Steuerschuld oder ggf. Negativsteuer zur Diskussion. Als Beispiel könne der Alleinerzieherabsetzbetrag in Österreich dienen.10 Andere Sachverständige schlossen sich der Forderung an, dass der Gesetzgeber dem vom BVerfG eingeräumten Spielraum nutzen solle, um den Entlastungsbetrag zu dynamisieren. Damit könne eine erneute Diskussion um die Höhe des Entlastungsbetrags in einigen Jahren vermieden werden . 4.2. Abschließende Beratung der Änderungen im Finanzausschuss Bei den abschließenden Beratungen im Finanzausschuss haben die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD hervorgehoben, dass die vorgesehenen Änderungen des Einkommensteuergesetzes nicht nur die verfassungsrechtlich gebotenen Anpassungen der Freibeträge enthielten, sondern auch Erhöhungen des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende vornähmen. „Damit werde eine Zielgruppe erfasst, die in der Vergangenheit zu lange vernachlässigt worden sei. Alleinerziehende müssten für ihre Familien Verantwortung übernehmen und Leistungen erbringen, die normalerweise von zwei Partnern bewältigt werden müssten. Wichtig sei bei der Erhöhung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende, dass die finanziellen Mittel, die hierfür eingesetzt würden, nicht durch Kürzungen in Programmen oder bei gesetzlichen Leistungen aus dem Etat des Familienministeriums gegenfinanziert würden.“ Die Fraktion DIE LINKE. begrüßte in der damaligen Diskussion zwar die Anhebung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende, „allerdings stelle dies eine unzureichende Maßnahme zur Unterstützung der von Armut besonders betroffenen Alleinerziehenden dar. Die Anhebung nütze nur denjenigen Alleinerziehenden, deren Bruttoeinkommen wenigstens so hoch sei, dass sie überhaupt noch einer Einkommensteuerzahlung unterliegen. Demgegenüber würden am meisten die vergleichsweise wenigen Alleinerziehenden mit hohen Einkommen profitieren - also ausgerechnet diejenigen, die eine Unterstützung am wenigsten nötig hätten. Unter dem Gesichtspunkt der Armutsreduzierung sei die Anhebung des Steuerfreibetrages daher ein ungeeigneter Ansatz. Hierzu brauche man vor allem Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Instrumente. Eine zielgenauere 9 Vgl. schriftliche Stellungnahme von Prof. Dr. Frank Hechtner (Freie Universität Berlin), Seite 10, unter: http://www.bundestag.de/blob/375298/e6852586b2122e382826dc82bc5e8dfe/10-data.pdf, abgerufen am 23. Januar 2018. 10 Bundesministerium für Finanzen: Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag, unter: https://www.bmf.gv.at/steuern/familien-kinder/alleinverdiener-und-alleinerzieherabsetzbetrag.html, abgerufen am 23. Januar 2018. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/18 Seite 8 Maßnahme wäre zum Beispiel ein Ausbau des Unterhaltsvorschusses. Dessen Wirksamkeit könne durch eine Anhebung des höchstmöglichen Bezugsalters, eine Streichung der bisher geltenden maximalen Bezugsdauer sowie durch eine nur noch hälftige statt der bisherigen vollen Anrechnung des Kindergelds erheblich gesteigert werden.“ Die Erhöhung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende fand auch die Zustimmung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. „Allerdings handle es sich dabei lediglich um eine nachholende Anpassung, die seit 11 Jahren unterblieben und nun in einem wenig würdigen Verhandlungsprozess auf den Weg gebracht worden sei.“11 * * * 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/4649, 18/5011 – Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags, Bundestags-Drucksache 18/5244.