© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 014/16 Einzelfragen zur Gewerbesteuer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/16 Seite 2 Einzelfragen zur Gewerbesteuer Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 014/16 Abschluss der Arbeit: 04. März 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/16 Seite 3 Der Auftraggeber bittet um Prüfung und Erörterung folgender Aspekte bei der Gewerbesteuer: - Aufhebung des Differenzierungsverbots - Verfassungsrechtliche Grenzen bei der Ausgestaltung der Hebesätze - Rechtmäßigkeit des Mindesthebesatzes 1. Differenzierungsverbot Der Gewerbesteuerhebesatz muss für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen der gleiche sein (§ 16 Abs. 4 Satz 1 GewStG). Es können deshalb z. B. für Einzelgewerbetreibende keine anderen Hebesätze festgesetzt werden als für Unternehmen von Personengesellschaften oder von Kapitalgesellschaften. Da gemäß § 35 a GewStG die Reisegewerbebetriebe der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag unterliegen, gilt der Hebesatz ohne weiteres nicht nur für die stehenden Gewerbebetriebe, sondern auch für die Reisegewerbebetriebe. Eine Ausnahme, dass für alle in der Gemeinde vorhandenen gewerbesteuerpflichten Unternehmen der gleiche Hebesatz gilt, kann sich wie bisher nur dann ergeben, wenn die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bei einer Änderung des Gebiets von Gemeinden für die von der Änderung betroffenen Gebietsteile auf eine bestimmte Zeit verschiedene Hebesätze zulässt (vgl. § 16 Abs. 4 Satz 3 GewStG).1 Nach früherer Rechtslage gab es Ausnahmen von dem Grundsatz der Hebesatzgleichheit. Zum Beispiel konnte nach § 17 Abs. 1 bei Bank-, Kredit- und Wareneinzelhandelsunternehmen, die ihre Geschäftsleitung nicht in der betreffenden Gemeinde hatten, die Hebesätze um bis zu 3/10 höher festgesetzt werden, als für die anderen Gewerbetreibenden in der Gemeinde (sog. Zweigstellensteuer ). Diese Vorschrift ist durch das BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden (BVerfG 1 BvR 771/59 u. a. v. 13.7.65, BStBl III 67, 355, für die Wareneinzelhandelsunternehmen;1 BvR 25/64 v. 14.2.67, BStBl III 67, 355 für die Bank- und Kreditunternehmen). Gemäß dem Urteil des BVerfG muss sich eine Differenzierung auch am Zweck der Gewerbesteuer messen. Die Gewerbesteuer verfolgt den Zweck, die besonderen Belastungen und Aufwendungen der Gemeinden wegen des Vorhandenseins von Gewerbebetrieben auszugleichen. Nach Ansicht des BVerfG lassen sich keine Gründe für eine erhöhte Gewerbesteuer für solche Bank- und Kreditunternehmen finden, die aus überörtlichen Betriebsstätten Einnahmen erzielen.2 Eine mögliche Aufhebung des Differenzierungsverbots könnte zudem gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Steuerrecht verstoßen. Auch die Gewerbesteuer orientiert sich inzwischen am Leistungsfähigkeitsprinzip.3 Der Gesetzgeber unterliegt in diesem Bereich einer strengeren verfassungsrechtlichen Bindung. „Für den an diesem Maßstab zu messenden Steuertarif entfaltet sich der Gleichheitssatz in horizontaler Richtung; die Steuerpflichten müssen bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch 1 Fock, Ernst/ Klaus, Herbert/ Genge, Claus-Werner/ Hörcher, Helmut/ Röwekamp, Hartmut: Praxis der Kommunalverwaltung , § 16 GewStG, Rn. 390. 2 Fock, Ernst u.a.: Praxis der Kommunalverwaltung, GewStG § 16, Rn. 390. 3 Tipke/Lang: Steuerrecht, §12, Rn. 1. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/16 Seite 4 besteuert werden. In vertikaler Richtung muss die Besteuerung der wirtschaftlich Leistungsfähigeren im Vergleich mit der Steuerbelastung wirtschaftlich weniger Leistungsstarker angemessen unterschieden sein. Werden weniger leistungsfähige Steuerschuldner mit einem höheren Steuersatz besteuert als wirtschaftlich leistungsfähigere, ist diese Ungleichbehandlung rechtfertigungsbedürftig . Dieser Vergleich einer Belastung je nach finanzieller Leistungsfähigkeit ist unabhängig von der Frage, ob leistungsfähige Steuerschuldner absolut einen höheren Steuerbetrag zu zahlen haben als leistungsschwächere Steuerschuldner. Wenn der Steuertarif mit steigender Leistungsfähigkeit (Bemessungsgrundlage) abnimmt und damit dem Leistungsfähigkeitsprinzip entgegen gesetzt wirkt, so ist diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen.“4 Eine Aufhebung des Differenzierungsverbots müsste somit zumindest sicherstellen, dass Differenzierungen im Hebesatz sich am Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientieren. Differenzierte Hebesätze, bspw. nach Branchen, dürften im Ergebnis nicht dazu führen, dass weniger Leistungsfähige einen höheren Hebesatz auferlegt bekämen als leistungsstärkere Marktteilnehmer , nur weil sie in unterschiedlichen Branchen tätig sind. Es ist davon auszugehen, dass das BVerfG dem Bundesgesetzgeber Vorkehrungen gegen eine gleichheitswidrige Branchenbesteuerung durch die Kommunen abverlangen würde, um der Wahrung des Leistungsfähigkeitsprinzips Rechnung zu tragen. Zudem könnte durch eine Aufhebung des Differenzierungsverbots eine unüberschaubare Rechtsvielfalt entstehen. „Die Grundlagen der Besteuerung erfordern vielmehr (…) eine einheitliche Regelung im Sinne der notwendigen Rechtseinheit für steuerpflichtige Unternehmen und die staatlichen Ebenen unabhängig vom betrieblichen Standort und dort divergierenden Landesregelungen . Gestützt wird diese Wertung im Hinblick auf die schädlichen Folgen divergierender Landesregelungen für die Wirtschaftseinheit.“5 2. Verfassungsrechtliche Grenzen bei der Ausgestaltung der Hebesätze Das Hebesatzrecht über kommunale Realsteuern ist verfassungsrechtlich manifestiert. Nach Artikel 106 Abs. 6 Grundgesetz steht das Aufkommen der Grundsteuer und der Gewerbesteuer den Gemeinden zu. Gleichzeitig wird den Gemeinden das Recht eingeräumt, die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen. Diese Regelung stärkt letztlich die kommunale Selbstverwaltung nach Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz. Letzterer bestimmt insb. auch, dass die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung umfasst: Kommunale Selbstverwaltung ist ohne (zumindest partiell vor Ort selbst der Höhe nach zu bestimmende) finanzielle Basis nicht möglich. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG gewährleisten nicht, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird. Die gemeindliche Hebesatzautonomie verlangt insbesondere keine unentziehbare 4 Maunz/Dürig: Grundgesetz. Kommentar; Art. 3 Abs. 1 Rn. 269 5 Faber, Michael: Die Kommunen zwischen Finanzautonomie und staatlicher Aufsicht- Vorgaben zur Einnahmeoptimierung und Ausgabenkontrolle in der Haushaltssicherung, S. 28f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/16 Seite 5 Befugnis der Gemeinden, auf die Erhebung der Gewerbesteuer ganz zu verzichten. Das Grundgesetz fußt weder in seiner ursprünglichen Fassung noch in seinen späteren Änderungen auf einer einfachgesetzlichen Tradition uneingeschränkter Gestaltungsfreiheit der Gemeinden bei den Hebesätzen . Mit der wettbewerblichen Funktion der Gewährleistung eines Hebesatzrechts können auch gesetzliche Bestimmungen vereinbar sein, die die Freiheit des Wettbewerbsverhaltens begrenzen , um den Wettbewerb in gemeinwohlverträglichen Bahnen zu halten. Den Gemeinden ist weder eine bestimmte Aufkommenshöhe noch die Gewerbesteuer als solche von Verfassungs wegen garantiert.6 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gemeindlichen Hebesatzrechts lässt allerdings keine beliebigen Einschränkungen zu. Der "Rahmen der Gesetze", an den Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG das Hebesatzrecht bindet, darf nicht beliebig eng gezogen werden. Die Finanzhoheit muss den Gemeinden im Kern erhalten bleiben. Das Hebesatzrecht darf nicht unverhältnismäßig beschränkt werden. Seine natürliche Grenze findet die Hebesatzautonomie in den landesseitig aufgestellten Regelungen zum regelmäßigen kommunalen Haushaltsausgleich, mithin dem Erfordernis zum Ausgleich des(ordentlichen) Ergebnisses. Das ist schon dahingehend nötig und zweckmäßig, weil ein dauerhaftes Verfehlen des Ergebnisausgleiches Eigenkapital vernichtet, also die finanzielle Grundlage für kommunale Selbstverwaltung aushöhlt. Ohne steten Haushaltsausgleich ist kommunale Selbstverwaltung auf Basis eines entsprechenden finanziellen Fundamentes nicht möglich. Entsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall entschieden, in dem eine Gemeinde trotz Nicht-Erreichen des Haushaltsausgleiches eine Hebesatzsenkung vornehmen wollte und in diesem Unterfangen letztlich gebremst wurde. Das Hebesatzrecht findet seine Grenze in dem Erfordernis des Haushaltsausgleiches, so der Tenor des Urteils.7 3. Mindesthebesatz Seit dem 1. Januar 2004 sind Gemeinden nach § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG verpflichtet, Gewerbesteuern zu einem Mindesthebesatz von 200 % zu erheben. Zuvor stand es den Gemeinden frei, jeden beliebigen Hebesatz festzusetzen und durch eine Festsetzung des Hebesatzes auf Null von der Erhebung der Gewerbesteuer gänzlich abzusehen. Den unter Punkt zwei des Sachstands genannten Anforderungen zur Einschränkung des Hebesatzrechtes wird der gesetzliche Mindesthebesatz von 200 % für die Gewerbesteuer gerecht. Gemäß dem Urteil des BVerfG dient die Regelung dem legitimen Ziel, die Bildung von "Steueroasen " zu verhindern und die Streuung von Gewerbebetrieben über das ganze Land hinweg zu fördern sowie der Sicherung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Gewerbesteuer-Umlage. Da die Berechnung der Umlage vom Ist-Aufkommen der Gewerbesteuer abhängt, kann sich eine Gemeinde durch Festsetzung des Hebesatzes auf Null der Abführung der Umlage entziehen. Die Festlegung eines Mindesthebesatzes verhindert, dass Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer erhalten, ohne sich an der Gegenfinanzierung durch die Gewerbesteuerumlage zu be- 6 http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2010/bvg10-012.html [22.02.16]. 7 http://www.haushaltssteuerung.de/weblog-hebesatzrecht-findet-grenze-im-haushaltsausgleich.html [22.02.16]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 014/16 Seite 6 teiligen. Ein Mindesthebesatz von 200 % wahrt auch die Grenzen der Zumutbarkeit. Das Hebesatzrecht als solches bleibt den Gemeinden weiter erhalten. Bei dem maßvollen, weit unter dem Durchschnitt liegenden Mindesthebesatz von 200 % ist es ihnen weiterhin möglich, Standortnachteile auszugleichen und am interkommunalen Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen teilzunehmen . Ihnen bleibt ein erheblicher Gestaltungsspielraum erhalten. Ende der Bearbeitung