© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 011/20 Einzelfrage zur Umsetzung der Schuldenbremse in der Freien und Hansestadt Hamburg Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Der Auftraggeber fragt, ob im Falle der Freien und Hansestadt Hamburg eine Streichung der Schuldenbremse aus der Landesverfassung (LV) und der Landeshaushaltsordnung (LHO) den fiskalischen Spielraum des Landesgesetzgebers durch die alternativ geltenden Rahmenbedingungen im Vergleich zu jetzigen Ausgestaltung der Schuldenbremse erweitern. 2. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Schuldenbremse auf Länderebene Hierzu wird auf die Ausführungen in folgenden Sachständen verwiesen: WD 4 – 3000 – 092/19 WD 4 – 3000 – 010/20 3. Schuldenbremse des Landes Hamburg Das Bundesland Hamburg hat die Vorgaben aus Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG landesrechtlich umgesetzt . Dabei wählte der Landesgesetzgeber eine Variante aus einer Verankerung in LV (Art. 72 und 72a LV-HH) und LHO (§ 27). Beim Konjunkturbereinigungsverfahren hat Hamburg, wie die Länder Baden-Württemberg, Mecklenburg -Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen, ein steuerglättendes Verfahren gewählt. Dabei wird die Konjunkturkomponente als Differenz aus dem Steueraufkommen und einem Normalniveau bestimmt. Hamburg ermittelt sein Trendniveau ökonometrisch unter der Annahme einer konstanten Trendwachstumsrate. Sogenannte Steuertrendverfahren erzeugen, nach Einschätzung der Bundesbank, in der Regel stetigere konjunkturbereinigte Steueraufkommen als Verfahren, die an der Produktionslücke anknüpfen. Schwächt sich aber das tatsächliche Trendwachstum ab, besteht die Gefahr, dass darauf nicht schnell genug reagiert werden muss. Denn dann werden strukturelle Defizite fälschlich als konjunkturbedingt entschuldigt, und es kann sich eine zusätzliche dauerhafte Verschuldung aufbauen. Insofern schlussfolgt die Bundesbank , dass gezielte Trendkorrekturen notwendig seien.1 Eine weitere Ausnahme vom Verschuldungsverbot ist durch Notfallklauseln möglich. Sie können für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen gelten, die sich staatlicher Kontrolle entziehen. Eine Kreditaufnahme in diesen Fällen ist nur erlaubt, wenn ein Tilgungsplan damit verknüpft wird. Das Land Hamburg hat eine solche Notfallklausel verabschiedet.2 Für eine Kreditaufnahme ist eine Zweidrittelmehrheit3 in der Hamburgischen Bürgerschaft notwendig. Für den Tilgungsplan ist ein angemessener Zeitraum vorgegeben. 1 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, Oktober 2018, S. 41. 2 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, Oktober 2018, S. 42. 3 So auch die Länder Hessen, Sachsen und Schleswig-Holstein. Die Länder Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben sich für eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen entschieden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 011/20 Seite 5 Bei der Einbeziehung von Sondervermögen bzw. Extrahaushalten ist die Rechtslage für den Bund nach Art. 109 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 143 GG eindeutig. Demnach sind auch ausgegliederte Sondervermögen zu berücksichtigen. Für die Länder gilt diese Regelung so nicht. Mit dem vorangestellten Art. 109 Abs. 2 GG, sollen die europäischen Haushaltsregeln abgesichert werden.4 Es erscheint daher naheliegend, dass auch die Länder ihre Extrahaushalte einbeziehen sollten. Die Schuldenbremse des Landes Hamburg sieht eine Berücksichtigung von Sondervermögen vor. Demnach werden alle Landesbetriebe, Sondervermögen und staatliche Hochschulen einbezogen. Weiterhin besteht grundsätzlich die Möglichkeit ein sogenanntes „Kontrollkonto“ einzuführen. Der Hintergrund eines solchen Kontrollkontos ist, dass zwar in der Planung die Schuldenbremse eingehalten wird, jedoch nicht im Vollzug. Um einen daraus resultierenden Schuldenaufbau zu verhindern, sehen einige Länder ein Kontrollkonto vor (wie der Bund). Dieses erfasst, inwiefern der Haushaltsabschluss die Nettokreditaufnahme von der Obergrenze der Schuldenbremse abweicht . Wird auf dem Konto ein Schwellenwert überschritten, wird eine Korrektur im Regelfall über eine niedrigere Kreditgrenze im nächsten Haushalt gewährleistet.5 Das Land Hamburg hat auf die Einführung eines Kontrollkontos verzichtet. 4. Auswirkungen einer möglichen Abschaffung der landesrechtlichen Regelungen Entscheidet sich ein Land gegen die Modifikation landesrechtlicher Regelungen, auch etwa im Wege der schlichten legislativen Untätigkeit auf die Föderalismusreform II von 2009 hin, gilt das strikte Nettoneuverschuldungsverbot seit 01.01.2020 ausnahmslos.6 Folglich bestehen Handlungsspielräume für die Bundesländer nur dann, wenn eine Umsetzung der Schuldenbremse im Landesrecht erfolgt. Nach Heintzen ist jedoch eine landesrechtliche Regelung erforderlich. „Der Indikativ „regeln“ in Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG ist gemäß den Sprachusancen des Grundgesetzes als Imperativ zu verstehen , und die Frist ergibt sich aus Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG. Auch das Wort „können“ in Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG schwächt die Regelungspflicht nicht zu einer Regelungsoption ab, denn Satz 2 bezieht sich, wie Satz 1 von Art. 109 Abs. 3, auf die jährlichen Haushalte, nicht auf das diesen zugrundeliegende Haushaltsrecht.“7 Die Bundesländer können ihren Spielraum insbesondere bei der Wahl des Konjunkturbereinigungsverfahrens nutzen. Inzwischen haben sich drei Konjunkturbereinigungsverfahren etabliert. Dabei stellt die Bundesbank fest, dass die konkret gewählten Verfahren sich zum Teil in ihrer Ausgestaltung und den Ergebnissen erheblich unterscheiden: „Die betrifft unter anderem den Umgang mit überraschenden Einnahmeentwicklungen, die sich nicht aus konjunkturellen 4 Vgl. BeckOK Grundgesetz/Reimer, GG, Art. 109, Rn. 26ff. 5 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, Oktober 2018, S. 43. 6 Maunz/Dürig/Kube, GG, Art. 109, Rn. 182. 7 Heintzen, Markus: Die Umsetzung der Schuldenbremse des Grundgesetzes in den Bundesländern, unter besonderer Berücksichtigung von Bayern und Berlin, in: Ismer/Reimer/Rust/Waldhoff: Territorialität und Personalität , Festschrift für Moris Leiher, 2019, S. 539. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 011/20 Seite 6 Schwankungen am BIP ableiten lassen, die Auswirkungen einer erwarteten Änderung des grundlegenden Einnahmetrends sowie die Absicherung der Symmetrie konjunktureller Be- und Entlastungen . Darüber hinaus spielen Transparenz und Gestaltungsanfälligkeit sowie die Beziehungen zu den europäischen Regeln eine wichtige Rolle.“8 Nach Einschätzung des Deutschen Steuerzahlerinstituts (DSi) ist aus theoretischer Sichtweise das Produktionspotenzial-Modell am anspruchsvollsten, jedoch wenig transparent. „Das Referenz- Modell wirkt in Boomphasen besonders stark schuldenbremsend. In Abschwungsphasen gestattet es aber mehr „Konjunkturkredite“ als das Trend-Modell.“9 Das DSi kommt dabei zu der Auffassung , dass insbesondere aufgrund der hohen Transparenz, die Länder, die bisher kein Verfahren festgelegt haben, das Trend-Modell einführen sollten. Eine Analyse der Bundesbank kommt zu dem Ergebnis, dass sich die fiskalische Ausrichtung der einzelnen Verfahren auf den Konjunkturzyklus im Nachhinein nur sehr eingeschränkt beurteilen lasse. 10 Bei der Abwägung möglicher landesspezifischer Handlungsspielräume sollten die europäischen Vorgaben Berücksichtigung finden. So zielen die europäischen Vorgaben auf strukturelle gesamtstaatliche Defizite ab, die auf Basis des Konjunkturbereinigungsverfahrens der EU ermittelt werden . Die Bundesbank kommt deshalb zu der Auffassung, dass eine „einheitliche Anwendung dieses Ansatzes (wie beim Bund) in allen Ländern den Vorteil hätte, dass drohende Konflikte mit den europäischen Vorgaben besser identifiziert wären.“11 5. Fazit Nicht nur bei einer engen Auslegung des Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG, sondern auch mit Blick auf die Nutzung von landesrechtlichen Handlungsspielräumen, ist eine Verankerung der Schuldenbremse im jeweiligen Landesrecht erforderlich. Auch wenn das Grundgesetz gewisse landesrechtliche Spielräume zulässt, sind diese immer im Lichte der europarechtlichen Verpflichtungen zu betrachten. *** 8 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, März 2017, S. 38. 9 Der Steuerzahler: Alles schon geregelt?, Die Umsetzung der Schuldenbremsen in den Ländern, in: Der Steuerzahler , 09/18, S. 200. 10 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, März 2017, S. 41. 11 Deutsche Bundesbank: Monatsbericht, März 2017, S. 50.