© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 010/16 Gewerbesteuer und Sonderabgaben auf Windkraftanlagen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 2 Gewerbesteuer und Sonderabgaben auf Windkraftanlagen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 010/16 Abschluss der Arbeit: 10. Februar 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Kommunale Abgabenkompetenz 4 1.1. Kompetenzverteilung nach dem Grundgesetz 4 1.2. Kompetenzverteilung nach dem Kommunalverfassungsrecht 5 1.3. Besondere Ermächtigung der Gemeinden 5 1.4. Fazit 6 2. Verfassungsrechtliche Aspekte der Zerlegung der Gewerbesteuer bei Windkraftanlagen 7 2.1. Die Sonderregelung des § 29 GewStG 7 2.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewerbesteuer 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 4 1. Kommunale Abgabenkompetenz Laut Auftraggeberin beklagen Gemeinden, auf deren Gebiet Windanlagen errichtet werden, einen zu geringen finanziellen Ertrag aus dem Betrieb von Windenergieanlagen. Sie möchte daher wissen , ob es vor diesem Hintergrund zulässig ist, zugunsten von betroffenen Gemeinden örtliche Abgaben zu erheben, die durch den Betreiber und/oder Investor von Windenergieanlagen zu entrichten sind. Um eine Abgabe zu erheben, muss die Kommune die Kompetenz zur Abgabenerhebung haben. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) umfasst die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle . 1.1. Kompetenzverteilung nach dem Grundgesetz Im Übrigen regelt das Grundgesetz nur das Verhältnis von Bundes- und Landeskompetenzen, Gesetze über Abgaben zu beschließen: Die Kompetenz zur Steuergesetzgebung steht den Ländern subsidiär nach Art. 105 Abs. 2 GG zu, soweit der Bund nicht von seiner konkurrierenden Zuständigkeit Gebrauch macht. Ausschließlich die Länder sind nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG dafür zuständig, örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern zu beschließen, die nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Für alle Abgaben, die keine Steuern sind, also für Gebühren1, Beiträge2 sowie Abgaben eigener Art (z. B. Sonderabgaben3 oder der Kurbeitrag als Mischform zwischen Beitrag und Gebühr4), bestimmt sich die Gesetzgebungskompetenz als Annex zur Sachkompetenz nach den Art. 70 ff. GG. Danach dürfen die Länder nach Art. 70 Abs. 1 GG nichtsteuerbezogene Abgabengesetze beschließen , soweit dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz dafür zusteht5. 1 Mohr, Kommunale Steuer-Zeitschrift 1997, 170. 2 Beushausen, Kommunale Steuer-Zeitschrift 1998, 41, 42 f. 3 W. Schmidt, NVwZ 1991, 36. 4 VGH Mannheim, Urteil vom 19.3.1998 - 2 S 669/94 http://www.jura.uni-saarland.de/Entscheidungen /pressem98/VGH_BW/kurtaxe.html; Oehler, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Kommentar zum Bayr. Kommunalabgabengesetz, Erläuterung 1 zu Art. 7. 5 BVerfG NJW 1965, 435, 436 f.; BVerfG NJW 1974, 1317, 1318; BVerfG 1981, 329, 330; BVerfG 1988, 2529, ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 5 1.2. Kompetenzverteilung nach dem Kommunalverfassungsrecht Das Verhältnis zwischen Land und Gemeinden ist eine Frage des Landes-(Kommunal-) Verfassungsrechts6. Das Grundgesetz sieht allein in Art. 106 Abs. 6 GG vor, dass den Gemeinden das Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern zusteht7. Die bloße Ertragszuständigkeit ist aber von der Rechtsetzungszuständigkeit zu trennen8: Auch das durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Recht der Gemeinden, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, gilt nur „im Rahmen der Gesetze “. Die darin liegende Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung bedarf also der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung9. Auch für ihre Finanzierung. Die Erhebung von Steuern und anderen Abgaben stellt zudem einen Grundrechtseingriff beim Abgabeschuldner dar. Zumindest der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG wird durch eine öffentlich -rechtliche Zahlungspflicht berührt, so dass es einer formell-gesetzlichen, hinreichend bestimmten Ermächtigung bedarf, Abgaben zu erheben10. Eine ohne landesgesetzliche Grundlage erlassene kommunale Steuersatzung genügt dem Gesetzesvorbehalt daher nicht11. 1.3. Besondere Ermächtigung der Gemeinden Um die finanzielle Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden zu würdigen und ihnen eine Steuerquelle zu sichern, können Länder jedoch ihr Steuerfindungsrecht nach Art. 105 Abs. 2 und 2a GG auf die Gemeinden übertragen12. So enthalten die Kommunalabgabengesetze oft eine Ermächtigung an die Gemeinden, Steuern durch Erlass besonderer Satzungen zu erheben13. Doch müssen 6 Das allerdings den Maßstäben von Art. 28 Abs. 2 GG entsprechen muss. 7 Nach Art. 106 Abs. 5, 5a bzw. 6 Satz 1 1. HS GG steht zwar den Gemeinden das gesamte Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer sowie ein Anteil des Umsatz- und Einkommensteueraufkommens zu. Doch ist dafür allein der Bund zur Gesetzgebung befugt. 8 Henneke, in Praxis der Kommunalverwaltung, Bayern, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, Kapitel 2.1. 9 So BVerfG NVwZ 1989, 347, 348. 10 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 202; Beushausen, KStZ 1998, 41, 43; BVerfG NJW 1966, 150, 151. 11 Henneke, in Praxis der Kommunalverwaltung, Bayern, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, Kapitel 5.7 (Anlage 2); Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 11; Pahlke/Koenig, AO § 3 Rn. 56; BVerwG NVwZ 2000, 933, 934. 12 Tipke/Lang, a.a.O; BVerfG NJW 1997, 573, 574; BVerfG NJW 1979, 859, 860 f.; VG Köln NWVBl 2007, 491; BVerwG NVwZ 2004, 1128; BVerwG NVwZ 2000, 933, 934. 13 Oehler, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Kommentar zum Bayr. Kommunalabgabengesetz, Erläuterung 1 zu Art. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 6 der die Abgabe begründende Tatbestand, der Maßstab, die Schuldner und der Satz der Abgabe sowie die Entstehung und die Fälligkeit der Abgabeschuld darin bestimmt sein14. Das bayrische Kommunalabgabengesetz (KAG) z.B. erlaubt es in Art. 3 Abs. 1 und 3, durch entsprechende Satzung örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind und es sich nicht um Getränkesteuer, eine Jagdsteuer, eine Speiseeissteuer oder eine Vergnügungssteuer handelt. Neuartige Verbrauchund Aufwandsteuern sind zudem nach Art. 2 Abs. 3 KAG zuvor durch das Staatsministerium des Inneren zu genehmigen. Beiträge und Gebühren sowie Mischformen werden nicht ohne Gegenleistung verlangt. Diese (und Sonderabgaben) unterfallen daher nicht dem Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO15. Deshalb bedürfen sie einer gesonderten gesetzlichen Rechtsgrundlage16. Wie bei den Steuern können die Gemeinden ebenfalls ermächtigt werden, gesetzlich ausdrücklich zugelassene Abgaben durch Satzung zu erheben17. Diese müssen denselben Anforderungen genügen18. Im bayrischen Kommunalabgabengesetz sind allerdings nur die Erhebung von bestimmten Beiträgen, insbesondere Erschließungsbeitrag , Fremdenverkehrsbeitrag, Kurbeitrag, sowie Benutzungsgebühren und Erstattung von Kosten für Grundstücksanschlüsse durch Satzung eröffnet (Art. 3 bis 9 KAG)19. Daran ist die Gemeinde gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). 1.4. Fazit Die Erhebung von Abgaben steht somit einmal unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Zum anderen zwingt der Vorrang des Gesetzes dazu, den durch die Kommunalabgabengesetze vorgegebenen Rahmen einzuhalten20. Eine Satzung, die eine nicht vorgesehene oder über die Vorgaben hinausgehende Abgabe erhebt, wäre danach nichtig21. Eine Gemeinde kann Abgaben daher nicht ohne landesgesetzliche Grundlage und nur im dort vorgegebenen Rahmen erheben. Auch das Urteil des BVerfG zur kommunalen Verpackungssteuer unterstreicht, dass die Steuergesetzgebungskom- 14 So z.B. Art. 2 Bayr. KAG 15 Oehler, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Kommentar zum Bayr. Kommunalabgabengesetz, Erläuterung 2.2 zu Art. 1. 16 Beushausen, KStZ 1998, 41, 43. 17 Henneke, in Praxis der Kommunalverwaltung, Bayern, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, Kapitel 5.7; Zur Kurabgabe: Oehler, a.a.O., Erläuterung 1 zu Art. 7. 18 Art. 2 des bayrischen KAG unterscheidet nicht zwischen Steuern und sonstigen Abgaben. 19 Sonstige Gebühren sind dagegen im bayrischen Kostengesetz geregelt, ebenso eine staatliche Kurtaxe für die Staatsbäder nach der Kurtaxenordnung. 20 BVerfG NJW 1966, 149, 150; BVerwG NVwZ 2004, 1128, 1130; OVG 21 Oehler, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Kommentar zum Bayr. Kommunalabgabengesetz, Erläuterung 6 zu Art. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 7 petenz weder der Gesamtkonzeption des Umweltrechts noch der konkreten Einzelregelungen zuwider laufen dürfe.22 Eine gesetzliche Grundlage zur zusätzlichen finanziellen Belastung für das Betreiben von Windkraftanlagen ist nicht ersichtlich. Der 2010 gescheiterte Versuch zur Implementierung einer Windkraftsteuer durch eine brandenburgische Gemeinde zeigt das enge kommunale Handlungsfeld in dieser Thematik auf. Insofern wäre eine Änderung der Zerlegung der Gewerbesteuer zielführender. 2. Verfassungsrechtliche Aspekte der Zerlegung der Gewerbesteuer bei Windkraftanlagen 2.1. Die Sonderregelung des § 29 GewStG Die Fragestellerin möchte wissen, ob die Sonderregelung zur Zerlegung des Gewerbesteueraufkommens bei Windkraftanlagen dahingehend geändert werden kann, dass die Gemeinden auf deren Gebiet die Windenergieanlagen betrieben werden, das hierfür anfallende Gewerbesteueraufkommen in größerem Umfang als bisher vorgesehen erhalten. Insbesondere soll geprüft werden, ob einer 100%igen Zuweisung des Gewerbesteueraufkommens an die Standortgemeinde der Anlage und nicht an die Betriebsstättengemeinde verfassungsrechtliche Vorgaben entgegenstehen. Mit dem Jahressteuergesetz 200923 ergänzte der Gesetzgeber die Zerlegungsregelung in § 29 Abs. 1 GewStG um eine Sonderregelung für Windenergieanlagen. Demnach ist bei Windenergieanlagen das Gewerbesteueraufkommen zu 7/10 das Verhältnis der Summe der Sachanlagen zu den Sachanlagen in den einzelnen Betriebsstätten, jedoch ohne Betriebs- und Geschäftsausstattung, Anzahlungen und Anlagen im Bau. Die übrigen 3/10 bestehen aus dem Verhältnis, in dem die Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu den Arbeitslöhnen steht, die an die, bei den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden beschäftigten, Arbeitnehmer gezahlt worden sind. Die aktuelle Regelung entstand in Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der in einer Entscheidung aus dem Jahr 2007 die Berücksichtigung möglicher negativer Auswirkungen einer Windkraftanlage auf das Orts- und Landschaftsbild, den Immobilienwert oder den Tourismus für eine abweichende Zerlegung des Gewerbesteueraufkommens verneint hatte. 22 BVerfGE 98, 106, Rn. 61. 23 Gesetz vom 19.12.2008, BGBl I 2008, 2794 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 8 2.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gewerbesteuer Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 27.01.201024 zur Verfassungsmäßigkeit des Mindestbetrags für den Gewerbesteuer-Hebesatz grundsätzliche Feststellungen zur Gewerbesteuer als kommunaler Ertragsteuer getroffen. Dabei sieht das BVerfG in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG und 106 Abs. 6 Satz 2 GG die beiden zentralen Bestimmungen, die die kommunale Finanzhoheit, die im Grundgesetz zunächst als Bestandteil der allgemeinen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) gewährleistet war, konstitutiv verstärken.25 „Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert die kommunale Selbstverwaltung. Der einfache Gesetzgeber darf dieses Recht nicht aufheben und die Selbstverwaltung nicht derart einschränken, dass sie innerlich ausgehöhlt wird.26“ „Schon vor der Einführung des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG war die Finanzhoheit, die jedenfalls das Recht zu eigenverantwortlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft umfasst, Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Zu ihr gehört unter anderem die Steuer- und Abgabenhoheit , die den Gemeinden erlaubt, ihre Einwohner aus eigenem Recht zu den aus der Aufgabenerfüllung resultierenden Lasten heranzuziehen. Finanzzuweisungen und die Beteiligung an den Landessteuern dürfen nicht die einzigen kommunalen Einnahmequellen sein. Den Gemeinden sind damit eigene Finanzierungsquellen, auch in der Form eigenverantwortlich auszuschöpfender Steuerquellen, gesichert. Aus Art. 28 Abs. 2 GG folgt allerdings über das in Satz 3 der Vorschrift Gewährleistete hinaus keine bestimmte Ausgestaltung des kommunalen Einnahmesystems .“27 „Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, der seit 1969 den Gemeinden das Recht zusichert, die Hebesätze der Realsteuern – nach heutigem Normtext: der Grundsteuer und der Gewerbesteuer – im Rahmen der Gesetze festzusetzen, verstärkt bereichsbezogen den Inhalt der von Art. 28 Abs. 2 GG bereits zum damaligen Zeitpunkt gewährleisteten Finanzautonomie.28“ „Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG gewährleisten nicht, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird.29“ 24 BVerfG, Beschluss vom 27.01.2010 – 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04 -, BVerfGE 125, 141-174 25 BVerfG aaO., Rn. 65 26 BVerfGE 1, 167 (175) zit. nach BVerfG aaO., Rn. 66 27 BVerfG, Beschluss v. 27.01.10, Rn. 67 28 BVerfG aaO., Rn. 68 29 BVerfG aaO., Rn. 73 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 9 Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Ausgestaltung des kommunalen Hebesatzes der Gemeinde. Die Frage der gesetzgeberischen Verteilung des Gewerbesteueraufkommens zwischen mehreren Gemeinden stellen aber ebenfalls Eingriffe des Bundesgesetzgebers in das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf kommunale Selbstverwaltung dar. „Die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung . Sie kann insofern zwar eingeschränkt werden, ist aber nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt. Vielmehr sind dem beschränkenden Zugriff des Gesetzgebers seinerseits Schranken gesetzt. Er unterliegt insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In den Kernbereich oder Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung darf nicht eingegriffen werden.30“ Die Bedenken gegen die Geeignetheit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der verfassungsrechtlichen Prüfung von Steuergesetzen31 greifen im vorliegenden Fall nicht durch, da von der angestrebten Gesetzesänderung keine Belastungswirkung für den einzelnen Steuerpflichtigen ausgeht. Vielmehr soll das Gewerbesteueraufkommen zwischen den Gemeinden mit wirtschaftlichen Aktivitäten im Bereich Windenergieerzeugung neu verteilt werden. Für die verfassungsrechtliche Überprüfung eines Eingriffs in die kommunale Finanzautonomie ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch weiterhin geeignet. Dies wird auch durch die o.g. Rechtsprechung des BVerfG bestätigt. Verhältnismäßigkeitsprüfung Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie einem legitimen Zweck dient, ein geeignetes Mittel zur Zweckerreichung darstellt, erforderlich ist und die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wahrt. Ein Zweck ist legitim, wenn er also solcher verfolgt werden darf. Der Zweck der zu prüfenden Gesetzesänderung besteht darin, die Nachteile, die von Windkraftanlagen für die Standortgemeinden bezüglich Lärm, Verschattung und Infrastruktur ausgehen, zu kompensieren. Zudem soll ein finanzieller Anreiz für die Gemeinden zur Zulassung von Windenergieanlagen auf ihrem Territorium gegeben werden. Diese Zwecke sind im Rahmen der weiten Einschätzungsprägorative , die das BVerfG dem Gesetzgeber hierfür zubilligt, als berechtigt anzusehen. „Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann.32“ Die Zerlegung des Gewerbesteueraufkommens zu 100% an die Standortgemeinde der Windkraftanlage ist ein geeignetes Mittel um die windkraftspezifischen Nachteile zu kompensieren und die Bereitschaft derartige Neubauten zuzulassen zu fördern. Es spielt bei der rechtlichen Beurteilung 30 BVerfG aaO., Rn. 91 unter Verweis auf die stRspr BVerfGE 79, 127 (143); 83, 363 (381); 91, 228 (238); 107, 1 (2) 31 beschrieben u.a. bei Maunz/Dürig, GG Art. 2 Abschnitt V C 1.) Rn. 98, abrufbar unter beck-online.de 32 BVerfG NJW 2008, 1137 (1138) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 10 keine Rolle, ob die Maßnahme effektiv ist. Die bloße Möglichkeit, dass der angestrebte Zweck durch die gewählte Maßnahme gefördert wird, genügt. Die gesetzliche Regelung wäre für die Zweckerreichung auch erforderlich. „Es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht (hier: die kommunale Selbstverwaltungsautonomie) nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.33“ Wenn es das erklärte Ziel des Gesetzgebers ist, das Gewerbesteueraufkommen für Windkraftanlagen vollständig der Standortgemeinde zuzuweisen, so kann er dies nur mit einer entsprechenden Änderung der Zerlegungsnorm in § 29 GewStG erreichen. Ein milderes, eingriffsärmeres Mittel steht für die Zweckerreichung nicht zur Verfügung. Fraglich ist, ob die Eingriffsintensität im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Dringlichkeit des gesetzgeberischen Ziels steht. Die Grenze der Zumutbarkeit muss gewahrt sein. Hierbei darf insbesondere nicht in den Kernbereich oder Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung eingegriffen werden.34 Im vorliegenden Fall sind regelmäßig die Selbstverwaltungsgarantien von zwei Gemeinden betroffen . Zum einen die Standortgemeinde der Windkraftanlage, die in der zu prüfenden Gesetzesänderung begünstigt würde. Zum anderen läge ein Eingriff in die Rechte der Betriebsstättengemeinde vor, die 30% des Gewerbesteueraufkommens der Windkraftanlage verlieren würde. Die Eingriffsintensität erreicht aber nicht ein so großes Ausmaß, dass man eine Gefährdung des Kernbereichs der kommunalen Finanzhoheit annehmen müsste. Zwar kann in kleineren Gemeinden ein einzelner Wirtschaftsbetrieb eine zentrale Bedeutung für das Gewerbesteueraufkommen spielen. Allerdings entspricht es den alltäglichen Entscheidungen im Wirtschaftsleben, dass Gewerbebetriebe ihren Firmensitz gelegentlich an andere Orte verlegen oder eine größere Zahl von Arbeitnehmern an einem anderen Firmenstandort eingesetzt werden, als bislang üblich. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie schützt insoweit nicht eine absolute Größe an Gewerbesteueraufkommen, sondern lediglich die Möglichkeit selbst über diese kommunale Ertragsteuer zu verfügen und autonom über den Hebesatz für die eigene Kommune entscheiden zu können. Das bisherige Zerlegungssystem nach Arbeitslohnanteilen ist ebenfalls volatilen Veränderungen des Steueraufkommens der einzelnen Gemeinden durch Verlagerung von Arbeitskräften zwischen einzelnen Firmenstandorten unterworfen. Eine 100%ige Begünstigung der Standortgemeinden von Windkraftanlagen verdrängt das Gewerbesteueraufkommen für die Betriebsstättengemeinden nicht so fundamental als das die Gewerbesteuer mit ihrer Funktion als autonome Finanzierungsquelle für die Gemeinde in Gänze verloren ginge. Insoweit gäbe es auch keinen verfassungsrechtlichen „Bestandsschutz“ für die hergebrachten Zerlegungsregelungen, da bei der Bestimmung des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung zwar der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Formen der Selbstverwaltung 33 BVerfGE 30, 292 (316); 63, 88 (115) 34 BVerfGE 79, 127 (143); 83, 363 (381); 91, 228 (238); 107, 1 (2) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 010/16 Seite 11 Rechnung zu tragen ist.35 „Änderungen, die in der Linie einer vernünftigen Fortentwicklung des überkommenden Systems liegen, sind aber zulässig, wenn sie nicht zur Aushöhlung des Selbstverwaltungsrechtes der Gemeinden führen.36“ Ende der Bearbeitung. 35 BVerfGE 22, 180 (205); 23, 353 (365f.); 91, 228 (238) 36 BVerfGE 52, 95 (117)