© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 009/19 Einzelfragen zur Kraftfahrzeugsteuer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 2 Einzelfragen zur Kraftfahrzeugsteuer Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 009/19 Abschluss der Arbeit: 14. Februar 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellungen 4 2. Bundesanteile am Steueraufkommen 5 3. Verwaltungskosten und Steueraufkommen der Kfz-Steuer 5 4. Auswirkungen des WLTP-Verfahrens auf die Kfz-Steuer 5 5. Übertragung der Ertragshoheit der Kfz-Steuern auf den Bund (Föderalismusreform II) 6 6. Integration der Kfz-Steuer in die Energiesteuer 6 6.1. Behandlung in der Föderalismuskommission II 6 6.2. Modellvorschläge in der Literatur 7 6.3. Entlastung durch Anhebung der Entfernungspauschale? 8 6.4. Argumente zur Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Energiesteuer 9 7. Gesetzliche Anpassungen für eine Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer 9 8. Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer 9 9. (Mindest-)Kraftfahrzeugbesteuerung in anderen EU- Staaten 10 10. Die Eurovignetten-Richtlinie und die Änderungsvorschläge der Kommission 10 10.1. Die aktuelle Richtlinie 10 10.2. Vorschläge der Kommission für eine überarbeitete Richtlinie 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 4 1. Fragestellungen - Die allgemeine Besteuerung eines Autos / des Autofahrens in Deutschland (Kfz-Steuer, Energiesteuer , Umsatzsteuer, Versicherungssteuer) mit Berechnungsbeispielen (Gesamtkosten) für die meistzugelassenen Pkw in Deutschland. Zu welchen Anteilen sind Steuern rund um Umsatz, Bestand und Bewegung von Fahrzeugen Bundessteuern? - Überblick über die Änderung bei der Ertragshoheit der Kfz-Steuer (von Ländern auf den Bund) während der Föderalismusreform II (2009) - Welche Kosten entstehen bei der Erhebung der Kfz-Steuer in Deutschland? (Personalausgaben, Zollverwaltung, usw.) - Wie sieht das Aufkommen der Kfz-Steuer geteilt in den verschiedenen Fahrzeugarten aus? (Nach Pkw, Lkw, Wohnmobilen, Kfz-Anhänger, usw.) - Wie sieht die Besteuerung im internationalen und europäischen Vergleich aus? Mindestbesteuerungssätze für Lkw in der EU? Ab wann sollen sie auf null gesenkt werden? Allgemeine Änderung der Kfz-Steuer bei schweren Lkw? - Die Einführung des WLTP-Bemessungsverfahrens und die Auswirkungen auf die Kfz-Steuer. Welche Mehr- oder Mindereinnahmen sind damit verbunden? - Die Einführung der Infrastrukturabgabe und die Auswirkungen auf die Kfz-Steuer. Welche Mehr- und Mindereinnahmen sind mit der Kfz-Steuer verbunden? - Die mögliche Umlegung der Kfz-Steuer auf die Energiesteuer. Was sind die Argumente dafür und dagegen? Wie sehen verschiedene Modelle/Vorschläge für eine Umlegung/Abschaffung der Kfz-Steuer aus? (Einbezogen werden soll auch eine mögliche Erhöhung der Entfernungspauschale bei entsprechenden Vorschlägen). Welche Gesetze müssten geändert werden, sollte eine "Umlage" der Kfz-Steuer auf die Energiesteuer stattfinden? - Wie müsste eine Umlegung der Kfz-Steuer auf die Energiesteuer aussehen, um das Ganze aufkommensneutral zu halten? Wie hoch müssten die Energiesteuersätze erhöht werden, um für den Wegfall der Kfz-Steuer zu kompensieren? Wie ist dies mit den neuesten Entwicklungen im Frankreich zu vergleichen? - Dem Vernehmen nach gab es schon bei der Föderalismusreform II 2009 einige Vorschläge zur Abschaffung der Kfz-Steuer. Warum wurden diese Vorschläge nicht angenommen? Was waren die Gründe dafür/dagegen, die Kfz-Steuer damals abzuschaffen? Die darüber hinaus gestellten Fragen zu den Auswirkungen des Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die deutsche Infrastrukturabgabe sowie mögliche europarechtliche Bedenken gegen eine Abschaffung der Kfz-Steuer werden in einem gesonderten Sachstand beantwortet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 5 2. Bundesanteile am Steueraufkommen Typenbezogene Angaben zur Steuerbelastung der am häufigsten zugelassenen Fahrzeugmodelle, sind weder beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) noch beim ADAC verfügbar. Die Energie- und die Kraftfahrzeugsteuer sind reine Bundessteuern. Die Umsatzsteuer steht zu 42,5% dem Bund zu. 3. Verwaltungskosten und Steueraufkommen der Kfz-Steuer Das BMF teilte auf Anfrage mit: „Die Festsetzung und Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer ist anknüpfend an die elektronischen Datenübermittlungen durch die Zulassungsbehörden durch einen hohen Automationsgrad geprägt (ca. 98 % der Fälle). Die Verwaltungsquote wurde für 2018 mit ca. 1,3 % erwartet. Aktuelle Angaben liegen nicht vor.“ „Die nachstehenden Fahrzeugarten haben 2018 wie folgt zum Kraftfahrzeugsteueraufkommen beigetragen: - Pkw 7,22 Mrd. € - Wohnmobile 0,12 Mrd. € - Nutzfahrzeuge 0,86 Mrd. € - Krafträder 0,15 Mrd. € - Anhänger 0,33 Mrd. € (Angaben gerundet).“ 4. Auswirkungen des WLTP-Verfahrens auf die Kfz-Steuer Die Frage nach den zu erwartenden Mehr- oder Mindereinnahmen durch die Einführung des WLTP-Bemessungsverfahrens bei der Kfz-Steuer beantwortete die Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag folgendermaßen: „Die Kraftfahrzeugsteuer wird ab 1. September 2018 nur für erstzugelassene Personenkraftwagen anhand der CO2-Prüfwerte nach WLTP bemessen. Diese CO2- Werte werden aufgrund verbesserter Prüfvorgaben mit größerer Praxisnähe von denen nach NEFZ abweichen. Das WLTP schränkt zum Beispiel bisherige gestaltungsanfällige Spielräume ein und liefert Prüfwerte zum einzelnen Personenkraftwagen, die den Einfluss der jeweiligen Fahrzeugversion und Zusatzausrüstung berücksichtigen . Die realitätsnäheren CO2-Prüfwerte nach WLTP werden mit großer Variationsbreite und tendenziell über den alten nach NEFZ erwartet. Nicht auszuschließen ist auch, dass Werte etwa gleich bleiben oder ggf. geringer ausfallen.“1 „Zu den neuen CO2-Prüfwerten liegt bislang keine belastbare repräsentative Datenbasis vor, die es erlauben würde, über bislang sporadisch bekannte Einzelfälle hinaus die durch das WLTP- 1 Antwort der Bundesregierung vom 29.08.2018 auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, BT-Drs. 19/4061, Seite 2 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 6 Verfahren bedingte Entwicklung des Kraftfahrzeugsteueraufkommens insgesamt sowie einzelne Fahrzeugsegmente und Modellreihen verlässlich berechnen zu können.“2 5. Übertragung der Ertragshoheit der Kfz-Steuern auf den Bund (Föderalismusreform II) Zu dem Themenkreis der Föderalismusreform II im Jahr 2009 zählte auch die Übertragung der Ertragskompetenz für die Kfz-Steuern von den Ländern auf den Bund. „Der Vorschlag, die Ertragskompetenz bei der Kraftfahrzeugsteuer von den Ländern auf den Bund zu übertragen, war schon im sogenannten „Eckpunkte-Papier“ der damaligen Vorsitzenden der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vom 23. Juni 2008 enthalten und bezog sich auf einen Vorschlag der Vorsitzenden an den Koalitionsausschuss vom 11. Juni 2008.“3 Die Entscheidung über die Kfz-Steuer wurde jedoch separat von den übrigen Themen der Föderalismusreform II vorab in einem Gesetzgebungsverfahren beschlossen. Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 106, 106b, 107, 108)4 wurde die Ertragshoheit und die Verwaltungszuständigkeit für die Kfz-Steuer von den Ländern auf den Bund übertragen . Zugleich wurde den Ländern in Art. 106b GG eine Kompensationszahlung zum Steueraufkommen der Kfz-Steuer garantiert. Die näheren Bestimmungen dieser Ausgleichszahlungen finden sich im „Gesetz zur Regelung der finanziellen Kompensation zugunsten der Länder infolge der Übertragung der Ertragshoheit der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund“5. Gemäß § 1 Satz 1 des Kompensationsgesetzes steht den Ländern wegen der Übertragung der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund ab dem 1. Juli 2009 aus dem Steueraufkommen des Bundes ab 2010 jährlich ein Betrag von 8.991.764.000 Euro zu. Der Verteilungsschlüssel auf die Länder ist in § 2 des Gesetzes festgelegt. 6. Integration der Kfz-Steuer in die Energiesteuer 6.1. Behandlung in der Föderalismuskommission II Der Vorschlag zur Abschaffung der Kfz-Steuer und der Integration dieses Steuersubstrats in die Energiesteuer wurde in einem Schreiben des brandenburgischen Finanzministers, Rainer Speer, vom 9. Juni 2008 an die Vorsitzenden der Föderalismuskommission II unterbreitet.6 2 Antwort der Bundesregierung vom 29.08.2018 auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, BT-Drs. 19/4061, Seite 2 3 Heinemann, André: „Dauerhafter vertikaler Finanzstreit zwischen Bund und Ländern“ in: Wirtschaftsdienst 3/2017, Seite 207; 4 BT-Drs. 16/11741 5 BT-Drs. 16/11742, Artikel 1 6 Kommissionsdrucksache 122; abrufbar unter http://webarchiv.bundestag.de/archive/2010/0325/bundestag/ausschuesse /gremien/foederalisreform/kommissionsdrucksachen/kdrs122.pdf [zuletzt abgerufen am 4.2.2019] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 7 „Im Rahmen einer „großen“ Lösung könnte der Bund die ihm im Rahmen des oben beschriebenen Steuertauschs übertragene Kraftfahrzeugsteuer abschaffen. Das Steuersubstrat könnte verbrauchssteuernd der Energiebesteuerung des Kraftstoffes zugeschlagen werden. Was an Kraftstoff in den Tank gelangt, kommt als CO² aus dem Auspuff heraus. Spritsparende Autos oder eine entsprechende Fahrweise werden direkt belohnt. Eine umweltpolitische Steuerungswirkung ergäbe sich automatisch. Angesichts der dann möglichen Verwaltungskosteneinsparungen der Länder könnte in diesem Fall der Ausgleich durch den genannten Festbetrag entsprechend verringert werden. Der Charme dieser Lösung bestünde in dem zusätzlichen Effekt, dass Fahrzeuge, die das bundesweite Straßennetz nutzen und nicht in Deutschland zugelassen sind, über die Energiesteuer zum Gesamtaufkommen beitragen.“7 Mit der Verabredung im Koalitionsausschuss der Großen Koalition am 12. Januar 2009 zur Übertragung der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund, waren die zuvor in der Föderalismuskommission hierzu diskutierten „größeren Steuermodelle“ nicht mehr entscheidungsrelevant. 6.2. Modellvorschläge in der Literatur Prof. Söllner8 unterbreitet ein durchgerechnetes Modell der Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer bei gleichzeitiger aufkommensneutraler Erhöhung der Energiesteuersätze. Er geht davon aus, dass die Energiesteuer für Diesel auf 0,7388 Euro/l erhöht werden müsste. „Die Energiesteuer würde dann durch eine gleichmäßige Belastung aller straßenverkehrsbedingten CO2-Emissionen als eine effektive und effiziente CO2-Steuer fungieren und damit ihre steuersystematische Rechtfertigung finden.“ Dabei käme es zu Steuermehreinahmen des Bundes. „Wenn davon ausgegangen wird, dass die höhere Energiesteuer zu 100% überwälzt wird, würde sich der Dieselpreis netto um 0,2684 Euro/l erhöhen – brutto, das heißt unter Einbeziehung der Mehrwertsteuer – betrüge der Preisanstieg 0,3194 Euro/l. Auf Grundlage der Absatzmenge von 2016 (44,321 Mrd. Liter) würde das Energiesteueraufkommen also um 11,896 Mrd. Euro steigen. Man kann davon ausgehen, dass der Dieselverbrauch zu ca. 75% gewerblicher Art ist; folglich kommt es zu um 0,565 Mrd. Euro höheren Mehrwertsteuereinnahmen. Angesichts der Mehreinnahmen von insgesamt 12,461 Mrd. Euro würde der Ausfall der Kraftfahrzeugsteuereinnahmen von 8,952 Mrd. Euro (2016) mehr als kompensiert werden; der Staat würde insgesamt sogar um 3,509 Mrd. Euro höhere Einnahmen erzielen .“9 „Allerdings ist zu erwarten, dass die deutlichen Preissteigerungen infolge der Steuererhöhung nicht ohne Auswirkungen auf die Dieselnachfrage bleiben. Die Preiselastizität der Kraftstoffnachfrage wird allgemein als eher niedrig eingeschätzt – zumindest kurzfristig. So nimmt etwa Boysen-Hogrefe Werte von -0,2 als Unter- und von -0,5 als Obergrenze für diese Preiselastizität 7 Siehe Fn. 5 8 Söllner, Fritz: „Die Dieselkrise und die Besteuerung des Kraftfahrzeugverkehrs“ in: Wirtschaftsdienst 6/2018, Seite 411-417; https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2018/6/die-dieselkrise-und-die-besteuerung-des-kraftfahrzeugverkehrs /search/Dieselkrise/0/ [zuletzt abgerufen am 5.2.2019] 9 ebenda, S. 416 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 8 an. Geht man von dem Mittelwert von -0,35 für die Dieselnachfrage aus, dann würden sich folgende Effekte ergeben: Durch die Steuererhöhung würde der Dieselpreis, der zurzeit bei ca. 1,26 Euro/l (brutto) liegt, um 25,3% steigen, sodass die Dieselnachfrage um 8,9% zurückgehen würde, also von 44,321 Mrd. l auf 40,377 Mrd. l. Dieser Nachfragerückgang von 3,944 Mrd. l würde die berechneten Mehreinnahmen von 11,896 Mrd. Euro aus der Energiesteuer auf Diesel und 0,565 Mrd. Euro aus der darauf entfallenden Mehrwertsteuer auf 8,982 Mrd. Euro bzw. 0,427 Mrd. Euro vermindern, sodass in der Summe noch 9,409 Mrd. Euro verbleiben, den Wegfall der Kraftfahrzeugsteuereinnahmen also noch um 0,457 Mrd. Euro übersteigen würden.“10 Das ifo-Institut ging 2009 bei einer aufkommensneutralen Umlegung der Kfz-Steuer auf die Energiesteuer von einer Erhöhung von rund 17 Cent pro Liter Benzin bzw. 12 Cent pro Liter Diesel aus. Diese Schätzung unterstellte allerdings eine vollkommen unelastische Kraftstoffnachfrage.11 Der Wegfall der Kraftfahrzeugsteuer würde auch zum Wegfall der Kompensationszahlungen des Art. 106b GG führen. Den Ländern würden somit insgesamt jährlich knapp 9 Mrd. Euro Kompensationszahlungen für die Kfz-Steuer verloren gehen. Frankreich plante bislang eine Anhebung der Ökosteuer auf Dieselkraftstoff um 0,17 Euro/l. Der von Prof. Söllner vorgeschlagene Steuersatz auf den Dieselpreis fiele somit fast doppelt so hoch aus, wie die von der französischen Regierung angedachte Erhöhung. Die Schätzung des ifo-Instituts bewegt sich in dem Belastungsbereich, den auch die französische Regierung vorgeschlagen hatte. 6.3. Entlastung durch Anhebung der Entfernungspauschale? Eine Teilkompensation der Belastungswirkungen aus der Erhöhung der Energiesteuer durch Anhebung der Entfernungspauschale sind in der aktuellen Literatur kaum thematisiert worden. Im Beitrag von Keßler aus dem Jahr 199212 wurde die Wiedereinführung der Entfernungspauschale kritisch diskutiert. Problematisch an einer weiteren Erhöhung der Entfernungspauschale wäre zudem die verkehrsmittelunabhängige Entlastungswirkung. Während die Mehrbelastung aus einer erhöhten Energiesteuer vor allem PKW-Fahrer beträfe, käme die erhöhte Entfernungspauschale allen Pendlern zu Gute. Eine Differenzierung der Entfernungspauschale nach genutztem Verkehrsmittel würde dagegen neue steuerliche Anreize zur PKW-Nutzung schaffen, die ja gerade mit der CO2-orientierten Besteuerung verringert werden sollen. Im föderalen Finanzgefüge würde eine Erhöhung der Entfernungspauschale zu Steuermindereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden führen, da die Einkommensteuer eine Gemeinschaftsteuer ist. 10 Söllner: ebenda 11 Ketterer, Janina und Wackerbauer, Johann: „Die Kraftfahrzeugsteuer als Instrument der Klimaschutzpolitik“ in ifo-Schnelldienst 4/2009, S. 15; https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifosd_2009_4_3.pdf [zuletzt abgerufen am 5.2.2019] 12 Keßler, Rainer E.: „Zur Umlegung der Kraftfahrzeugsteuert auf die Mineralölsteuer“ in: DStZ 1992, 749-753 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 9 6.4. Argumente zur Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Energiesteuer Für die Umlegung der Kfz-Steuer auf die Energiesteuer werden der beabsichtigte Lenkungseffekt beim einzelnen Pkw-Fahrer als auch die Anreizwirkung zur Entwicklung verbrauchsarmer Fahrzeuge genannt.13 Die Ersparnis von Personalkosten war vor der Verlagerung der Kfz-Steuer an den Bund ein wesentliches Argument für die Umlegung auf die Energiesteuer. Durch die Verringerung der Verwaltungskosten als reine Bundesteuer hat dieses Argument an Bedeutung verloren. Für die Beibehaltung der Kraftfahrzeugsteuer wird u.a. der angestrebte Finanzierungseffekt für die Straßeninfrastruktur auch durch die „Wenigfahrer“ angeführt.14 Zudem würden die Personengruppen benachteiligt, die gegenwärtig von einer Kfz-Steuerbefreiung profitieren. Durch die Integration der Kraftfahrzeugsteuer in die Energiesteuer würden diese Personengruppen effektiv mehrbelastet. Zudem würden grenznahe Tankstellen Wettbewerbsnachteile erleiden, da die erheblichen Preisunterschiede zu benachbarten EU-Ländern die Attraktivität einer Fahrt zum günstigeren ausländischen Treibstoff weiter erhöhen würde. 7. Gesetzliche Anpassungen für eine Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer Für eine Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer und eine Integration des Steueraufkommens in die Energiesteuer müssten das Kraftfahrzeugsteuergesetz aufgehoben werden. Im Energiesteuergesetz müssten die Steuertarife für Dieselkraftstoff und ggf. auch für Benzin erhöht werden. Ob die Kompensationszahlungen für die Länder zum Ausgleich der Übertragung der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund aufgehoben werden sollen, müsste politisch entschieden werden. Für eine Abschaffung der Kompensation wäre eine Grundgesetzänderung mit 2/3-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erforderlich. 8. Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer Das BMF ging im Entwurf des 2. Verkehrsteueränderungsgesetzes15 von jährlichen Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer in Höhe von drei Milliarden Euro in Folge der Einführung der Infrastrukturabgabe aus. Die möglichen Rechtsfolgen des Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH gegen die Infrastrukturabgabe werden – wie eingangs erwähnt - in einem gesonderten Sachstand dargestellt. 13 Überblicksartige Darstellung der Argumentationen finden sich bei Keßler (siehe Fn. 12), S. 750 f. 14 Siehe Fn. 12, S. 751 15 BT-Drs. 18/3991, S. 2 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 10 9. (Mindest-)Kraftfahrzeugbesteuerung in anderen EU-Staaten Eine Kraftfahrzeugsteuer existiert u.a. in Belgien, Finnland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien.16 Dänemark erhebt eine Abgabe auf Kraftfahrzeuge. Frankreich erhebt Steuern auf Pkw, die für Gesellschaften zugelassen wurden, sowie auf Kraftfahrzeuge , die von Mitarbeitern gehalten oder gemietet werden, die von der Gesellschaft Kilometergeld für über 15.000 km/Jahr erstattet bekommen. Zudem existiert eine französische Sondersteuer für Kraftfahrzeuge ab 12 t Gesamtgewicht.17 Statt einer allgemeinen Kraftfahrzeugsteuer sind privatisierte Autobahnabschnitten in Frankreich mautpflichtig. Polen erhebt eine gesonderte Kraftfahrzeugsteuer nur für Lastkraftwagen, Autobusse und größere Anhänger. „Personenkraftwagen sind nicht Gegenstand der Kraftfahrzeugsteuer. Die Kraftfahrzeugsteuer ist im Preis für Benzin und Diesel enthalten.“18 10. Die Eurovignetten-Richtlinie und die Änderungsvorschläge der Kommission 10.1. Die aktuelle Richtlinie In der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 17.6.1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (Eurovignetten-Richtlinie) findet sich die bis heute geltende Fassung einer Kraftfahrzeug -Mindestbesteuerung für schwere Nutzfahrzeuge. „Darüber hinaus wurden verschiedene Regelungen zur Festsetzung von Mautgebühren getroffen.“19 „Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung nutzungsadäquater Besteuerung ist aktuell durch die Richtlinie 2011/76/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27.9.2011 auf den Weg gebracht worden. Wesentliche Änderung gegenüber den Vorgänger-Richtlinien ist die Möglichkeit der Einbeziehung von Kosten verkehrsbedingter Luftverschmutzung und Lärmbelästigung in die Bemessung der Mautsätze.“20 „Für die von der Eurovignetten-Richtlinie erfassten Fahrzeuge ist eine Besteuerung sicherzustellen , die den Mindeststeuern nach Anhang I entspricht. Eine vollständige Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer ist damit ausgeschlossen. Gleichwohl will die Richtlinie nicht den status quo der 16 Allesamt aus Mennel/Förster: Steuern in Europa, Amerika und Asien, Bd. I-III 17 Mennel/Förster: aaO., Bd. I, Frankreich Rn. 476 ff. 18 Mennel/Förster: aaO., Bd. II, Polen Rn. 470 19 Hartman, Timo: „Die Mindestkraftfahrzeug-Besteuerung nach der Eurovignetten-Richtlinie. Unionsrechtliche Grenzen möglicher Reformbestrebungen für die deutsche Kraftfahrzeugsteuer“ in: EuZW 2012, S. 413-417 (415) 20 ebenda Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 11 mitgliedschaftlichen Kraftfahrzeugbesteuerung schlechthin festschreiben. Art. 6 I Unterabsatz 1 der Eurovignetten-Richtlinie stellt insoweit klar, dass die in Anhang I ausgeführten Mindeststeuersätze „ungeachtet der Struktur der Steuern nach Art. 3“ festzusetzen sind.“21 „Ziel der Richtlinie ist mithin zuvorderst, die Mindeststeuern sicherzustellen, nicht jedoch den Mitgliedstaaten eine bestimmte Art der Kraftfahrzeugsteuer vorzugeben. Daher ist auch eine Ersetzung einer der in Art. 3 I der Eurovignetten-Richtlinie aufgezählten Steuern durch eine andere nicht prinzipiell ausgeschlossen. Dies ergibt sich deklaratorisch aus Art. 3 II der Eurovignetten- Richtlinie, wo das Verfahren für eine Ersetzung der nationalen Kraftfahrzeugsteuern geregelt ist. Eine Ersetzung der bisherigen Kraftfahrzeugsteuer ist möglich, sofern die neue Steuer eine „gleichartige“ darstellt. Reformbestrebungen der Kraftfahrzeugbesteuerung haben sich somit maßgeblich daran zu messen, ob sie diese geforderte Gleichartigkeit gewährleisten.“22 10.2. Vorschläge der Kommission für eine überarbeitete Richtlinie Die Europäische Kommission (KOM) hat im Zuge des Gesamtpakets „Europa in Bewegung“23 weitreichende Legislativvorschläge mit dem Schwerpunkt „Straßenverkehr“ vorgelegt. Bestandteil dieser Pakete ist auch ein Vorschlag für eine überarbeitete Eurovignetten-Richtlinie.24 „Der Geltungsbereich der Richtlinie war bislang auf schwere Lkw von mehr als 3,5 Tonnen festgelegt und soll nach den Plänen der KOM nun auch auf Kraftomnibusse und Kleintransporter sowie PKW und leichte Nutzfahrzeuge ausgeweitet werden. Gründe dafür sind, dass diese ebenfalls die Straßeninfrastruktur abnutzen und zu CO2-Emissionen, Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und Staus beitragen. Staus und Emissionen hätten weiter zugenommen. Zwar gebe es eine Gebührendifferenzierung nach Umweltverträglichkeit, die Richtlinie enthalte bisher jedoch keine Mechanismen, die unmittelbar auf die Senkung verkehrsbedingter CO2- Emissionen zielen, was nun aber über entsprechende Preissignale erreicht werden soll. Mit diesem Vorschlag will die KOM das Verursacher- und Nutzerprinzip in den Vordergrund stellen. Die KOM vollzieht somit einen Paradigmenwechsel bei der Regulierung der Erhebung von Infrastrukturgebühren. Bislang diente die schrittweise Harmonisierung der Kfz-Steuer und die Vereinheitlichung der Erhebung von Infrastrukturgebühren bei schweren Lkw ab 3,5 Tonnen vor allem der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Verkehrsunternehmen im grenzüberschreitenden Güterverkehr .“25 21 ebenda, S. 416 22 Hartman: aaO., S. 416 23 COM(2017)283 24 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des rates zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge ; 2017/0114 (COD) 25 ADAC: Stellungnahme zum Mobilitätspakt der Europäischen Kommission „Europa in Bewegung“ vom 31. Mai 2017; unter https://www.adac.de/_mmm/pdf/fi_pkw_eurovignette_langfassung_310119.pdf [zuletzt abgerufen am 13.2.2019] Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 12 „Der aktuelle Änderungsvorschlag der KOM zielt nicht auf eine Erst-Verpflichtung zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren ab, aber es sollen umfassende Maßstäbe und Vorgaben für bestehende bzw. künftige mitgliedsstaatliche Maut- und Vignettensysteme festgeschrieben werden. Als Argumente nennt die EU KOM u.a. die Schaffung von Anreizen für einen sauberen und effizienteren Verkehrsbetrieb, eine nachhaltigere Finanzierung und Gewährleistung der Infrastruktur und den Ausschluss von Diskriminierungen von gebietsfremden Nutzern. Der Anwendungsbereich der Eurovignetten-RL soll künftig für alle gewerblich und privat genutzten schweren und leichten Nutzfahrzeuge gelten, wobei die RL (Art. 2) folgende Zuordnung vornimmt: · Schwere Nutzfahrzeuge (SNF) sind Lkw und Busse jeweils über 3,5 t. · Leichte Nutzfahrzeuge (LNF) sind Pkw, Kleinbusse und Transporter bis 3,5 t. Des Weiteren unterscheidet die RL (Art. 2) folgende Arten von Straßenbenutzungsgebühren: · Vignettengebühren (Benutzungsgebühren) sind zeitabhängige Straßennutzungsgebühren. · Mautgebühren sind streckenabhängige Straßennutzungsgebühren. Neben dem Verursacherprinzip ist die Vermeidung von Diskriminierung gebietsfremder Nutzer ein zentrales Anliegen der KOM und wird als wesentliches Argument gegen Vignettenlösungen und für entfernungsabhängige Mautgebühren vorgebracht. Der Änderungsvorschlag legt die Schlussfolgerung nahe, dass die KOM die Einigung mit der Bundesregierung über die deutsche Infrastrukturabgabe lediglich als Zwischenlösung betrachtet. Denn zeitabhängige Gebühren (Vignettenlösungen ) und eine Obergrenze für die Anrechnung externer Kosten sollen mittelfristig abgeschafft werden. Stattdessen soll eine zusätzliche Staugebühr und eine stärkere Differenzierung der Maut nach CO2- Emissionen eingeführt werden. Nach dem Willen der KOM soll zudem die bisherige Differenzierung nach Euro-Emissionsklassen bei SNF abgeschafft werden. Entscheidend für die Mautdifferenzierung sollen künftig CO2-Emissionen sein. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag zu den CO2-post-2020 Werten für leichte NFZ zu sehen, der im zweiten Mobilitätspaket veröffentlicht wurde. Die CO2-post-2020 Werte für schwere Nutzfahrzeuge sollen im dritten Mobilitätspaket geregelt werden. Neben Infrastrukturgebühren zur Anlastung von Bau-, Instandhaltungs- und Betriebskosten (Art. 2 neue Nr. 7) regelt die RL weitere Gebührenbestandteile für externe Kosten zur Internalisierung von Luftverschmutzung und Lärmbelästigung sowie eine optionale „Staugebühr“ zur Anlastung der in Anspruch genommenen Fläche.“26 Der ADAC27 hat sich zum Kommissionsvorschlag zur Änderung der Eurovignetten-Richtlinie kritisch positioniert. Es wird die Regelungskompetenz der EU für derartig weitgehende Regelungen bezweifelt. Ferner wird ein möglicher Verstoß gegen das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip diskutiert. Das Europäische Parlament (EP) hat in Erster Lesung mit Beschluss vom 25. Oktober 201828 umfangreiche Änderungswünsche zum Richtlinienvorschlag der Kommission in das Beratungsver- 26 ADAC: ebenda 27 siehe Fn. 20 28 http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=234707&latestVersion=true&type=5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 009/19 Seite 13 fahren eingebracht. Darin fordert das EP u.a. den Mitgliedsstaaten die Einführung von zeitabhängigen Nutzungsgebühren für leichte Nutzfahrzeuge lediglich als Option zur Verfügung zu stellen. Zudem soll die Definition des leichten Nutzfahrzeugs keine Personenkraftwagen umfassen. Die Kommission hatte dagegen die Pkw in die Definition der leichten Nutzfahrzeuge mit einbeziehen wollen, was zur Anwendung der Mindestbesteuerungsregelungen auch auf Pkw führen würde. Eine Stellungnahme des Rates zu den Änderungswünschen des EP steht bislang noch aus. ***