© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 05/15 Zustimmungspflicht des Bundesrats zum „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen “ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 2 Zustimmungspflicht des Bundesrats zum „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen“ Verfasser: Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 05/15 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2015 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen 4 2.1. Zustimmungstatbestände 4 3. Zustimmungspflicht des Bundesrats zum Infrastrukturabgabengesetz 5 3.1. Zustimmungspflicht aus Art. 84 I GG 5 3.1.1. Einschätzung des Verkehrsausschusses des Bundesrats 6 3.1.2. Bedenken gegen eine Zustimmungspflicht des Bundesrats 6 3.2. Zustimmungspflicht aufgrund der Senkung der Kfz-Steuer 8 4. Zusammenfassung 8 4.1. Übertragung neuer Aufgaben 8 4.2. Senkung der Kfz-Steuer 8 5. Ergebnis 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 4 1. Fragestellung Untersuchungsgegenstand der nachfolgenden Ausarbeitung ist die Frage, ob der mit Kabinettsbeschluss vom 17.12.2014 (Bundesratsdrucksache 648/14) vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen einen durch den Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetzentwurf darstellt. Zu prüfen ist somit, ob der vorgelegte Gesetzentwurf der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Die Bundesregierung betrachtet das Gesetz als zustimmungsfrei, jedoch ohne darauf näher einzugehen .1 2. Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen Gemäß Artikel 50 des Grundgesetzes wirken die Länder durch den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit. Hierzu verleiht das Grundgesetz dem Bundesrat eine Reihe unterschiedlicher Befugnisse,2 die sich für die einfache Gesetzgebung aus den Artikeln 76, 77 GG ergeben. Der Bundesrat hat das Recht, eigene Gesetzvorlagen beim Bundestag einzubringen (Art. 76 I GG) und zu Gesetzvorlagen der Bundesregierung Stellung zu nehmen (Art. 76 II GG). Er kann, wenn der Bundestag ein Gesetz beschlossen hat, den Vermittlungsausschuss anrufen (Art. 77 II S. 2 GG). Nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens kann er gegen Gesetze, zu denen seine Zustimmung nicht erforderlich ist, Einspruch einlegen (Art. 77 III S. 1 GG). Den Einspruch des Bundesrats kann der Bundestag mit qualifizierter Mehrheit (Art. 77 IV GG) zurückweisen und sich damit über den Willen des Bundesrats hinwegsetzen. Besonders weitreichend sind die Einflussmöglichkeiten des Bundesrats bei Gesetzen, die seiner Zustimmung bedürfen: Verweigert der Bundesrat in diesem Fall, ggf. nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens nach Art. 77 II GG, die nötige Zustimmung, so kommt das Gesetz nicht zustande. 2.1. Zustimmungstatbestände Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrats zu einem Gesetz ist nach der Konzeption des Grundgesetzes die Ausnahme.3 Der Zustimmung des Bundesrats bedürfen Gesetze, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorschreibt (Enumerationsprinzip).4 1 Vgl. Gesetzbegründung; BR-Drucksache 648/14, 2 Vgl. auch BVerfGE 37, 363 [380 f.]. 3 BVerfGE 31, 363 [381]; 105, 313 [339]. 4 BVerfGE 1, 76 [79]; 48, 127 [129]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 5 Ungeschriebene Zustimmungserfordernisse gibt es hingegen nicht.5 Eine Zustimmungsbedürftigkeit wird auch nicht dadurch begründet, dass in Länderinteressen eingegriffen wird.6 Wird ein Gesetz von keinem der vorgeschriebenen Fälle erfasst, handelt es sich lediglich um ein Einspruchsgesetz. Seit der Föderalismusreform I sieht Art. 84 I GG grundsätzlich ein Abweichungsrecht statt des Zustimmungserfordernisses des Bundesrates vor. Auf diese Weise soll die Zahl zustimmungspflichtiger Gesetze reduziert werden. 3. Zustimmungspflicht des Bundesrats zum Infrastrukturabgabengesetz Fraglich ist, ob der Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Enthält ein Gesetz auch nur eine einzige zustimmungsbedürftige Regelung, so bedarf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz als Ganzes, also einschließlich seiner zustimmungsfreien Bestandteile, der Zustimmung des Bundesrats.7 Bei verweigerter Zustimmung könnten dann auch die nicht zustimmungsbedürftigen Teile des Gesetzes nicht in Kraft treten. 3.1. Zustimmungspflicht aus Art. 84 I GG Die Länder haben das Recht, von bundesgesetzlichen Regelungen über die Einrichtung der Behörden und über das Verwaltungsverfahren durch Landesgesetz abweichen zu dürfen. Die Zustimmung des Bundesrates ist insoweit nur erforderlich, wenn im Bundesgesetz wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ausnahmsweise ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder geregelt wird. Der Gesetzentwurf überträgt den nach Landesrecht für die Kfz-Zulassung zuständigen Behörden neue Aufgaben, beispielsweise die gesamte Ausnahmeprüfung nach § 2 I Infrastrukturabgabengesetz für neu zuzulassende Kraftfahrzeuge. Diese Prüfung stellt sich als umfangreich dar und verursacht durch erhöhte Verwaltungsaufgaben zusätzliche Kosten für die jeweiligen Länder. Im Punkt E. Erfüllungsaufwand des Gesetzentwurfs8 heißt es auf Seite 4 ff.: „Bei Neuzulassung eines abgabepflichtigen Fahrzeugs muss bei der nach Landesrecht für die Kraftfahrzeugzulassung zuständigen Behörde – analog zum Verfahren bei der Kraftfahrzeugsteuer - eine Ermächtigung zum Einzug der Infrastrukturabgabe erteilt werden. 5 Schmidt, Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen, JuS 1999, S. 862 [862]. 6 Bryde in: Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage, 2003, Bd. 3, Artikel 77, Rn. 77; Schmidt ebenda. 7 BVerfGE 1, 76 [79]; 8, 274 [294]; 24, 184 [195]; 37, 363 [381]; 55, 274 [318]; 105, 313 [339]. 8 BR-Drucksache 648/14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 6 E. 3 Erfüllungsaufwand für die Verwaltung Erfüllungsaufwand für die Verwaltung entsteht beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG), beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sowie in geringem Umfang bei den nach Landesrecht für die Zulassung zuständigen Behörden. (…) Für Länder und Gemeinden entstehen geringe Kosten bei den nach Landesrecht für die Kraftfahrzeugzulassung zuständigen Behörden, da künftig bei Neuzulassungen SEPA-Mandate nicht nur wie bisher für den Zoll (Kraftfahrzeugsteuer), sondern auch für das KBA (Infrastrukturabgabe) eingeholt werden müssen.“ Durch diese zusätzliche Aufgabenübertragung an die nach dem Landesrecht zuständigen Behörden wird die landesinterne Verwaltungszuständigkeit durch den Bund festgesetzt. Aufgrund dessen könnte das Infrastrukturabgabengesetz als ein Gesetz qualifiziert werden, für dessen Umsetzung in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird. 3.1.1. Einschätzung des Verkehrsausschusses des Bundesrats Dieser Einschätzung schließt sich auch der Verkehrsausschuss des Bundesrats in seiner Empfehlung vom 23.01.2015 an.9 Dort heißt es unter Punkt 14: „Der Bundesrat stellt fest, dass es sich bei dem Gesetzentwurf um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt. Der Gesetzentwurf überträgt den nach Landesrecht für die Kfz-Zulassung zuständigen Behörden neue Aufgaben, beispielsweise die gesamte Ausnahmeprüfung nach § 2 Absatz 1 Infrastrukturabgabengesetz für neu zuzulassende Kraftfahrzeuge, welche umfangreich ist und zusätzlich Kosten verursacht. Eine Zustimmung des Bundesrates sowie eine Quantifizierung des Erfüllungsaufwandes zu diesem Verfahren ist insoweit unerlässlich. Dies schließt auch die Zustimmungspflicht des Bundesrates zur Festlegung des Zeitpunkts des Beginns der Erhebung einer Infrastrukturabgabe für Bundesfernstraßen ein.“ Folgt man dieser Ansicht, so wäre das Gesetz als Ganzes durch den Bundesrat zustimmungspflichtig . Zwar betrifft der angesprochene Punkt nur einen kleinen Teil des Gesetzes, jedoch ist nach der Einheitsthese10 des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz als Ganzes zustimmungspflichtig , wenn auch nur ein kleiner Teil die Zustimmungspflicht auslöst. 3.1.2. Bedenken gegen eine Zustimmungspflicht des Bundesrats Diese weite Auslegung des Bundesrats zur Zustimmungspflicht aufgrund einer Veränderung der Vollzugsbeanspruchung der Länderbehörden durch den Bund ist allerdings umstritten. 9 BR-Drucksache 648/1/14, S. 5. 10 BVerfGE 8, 274 Rn. 89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 7 Art. 84 I GG ermächtigt den Bund, die „Einrichtung der Behörden“ zu regeln. Dies umfasst neben dem Begriff des „Einrichtens“ (Ausgestaltung) auch den Begriff des Errichtens (Gründen).11 Der Gesetzentwurf des Infrastrukturabgabengesetzes sieht vor, den bereits eingerichteten Landesbehörden für die Kraftfahrzeugzulassung (lediglich) eine weitere Aufgabe zukommen zu lassen. Für die reine Verwaltungsorganisation der Behörden hat dies wohl keine Auswirkungen. Es scheint sich dabei allenfalls um eine quantitative Veränderung der Vollzugsbeanspruchung und damit eine rein quantitative Mehrbelastung zu handeln. Eine solche rein quantitative Veränderung der Vollzugsbeanspruchung bedeutet hingegen keine Regelung der Behördeneinrichtung im Sinne des Art. 84 I GG.12 Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich in einer vergleichbaren Konstellation bestätigt, indem es darauf hingewiesen hat, dass eine Zustimmungsbedürftigkeit für Gesetzesänderungen im Bereich der Luftverkehrsverwaltung gemäß Art. 87d II GG nur dann erforderlich sei, wenn es sich um eine qualitativ neue Aufgabe und nicht nur um eine quantitative Mehrbelastung handele.13 Der Gesetzentwurf sieht in den betreffenden Passagen vor, dass die nach Landesrecht zuständigen Behörden für die Kfz-Zulassung die Übermittlung der SEPA-Lastschriftmandate an das Kraftfahrzeugbundesamt übermitteln soll. Ebenfalls sollen sie im Rahmen der Zulassung von Neufahrzeugen eine Prüfung der neuen Ausnahmetatbestände für die Entrichtung der Abgabe vornehmen . Dies stellt unstreitig eine Mehrbelastung dar. Es wird hierbei in eine bereits bestehende Zuständigkeit eine weitere, inhaltlich jedoch vergleichbare Aufgabe übertragen, sodass durch diese neue Aufgabe zwar eine quantitative, jedoch keine qualitative Mehrbelastung vorliegt. Dieser Ansicht folgend, ergibt sich aufgrund der geplanten Übertragung weiterer Aufgaben auf die nach Landesrecht für die Kfz-Zulassung zuständigen Behörden keine Zustimmungspflicht des Bundesrats zum Infrastrukturabgabengesetz. Darüber hinaus könnte die Zustimmung des Bundesrates nur erforderlich sein, wenn im Infrastrukturabgabengesetz das Verwaltungsverfahren ausnahmsweise ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder geregelt würde. Eine entsprechende Bestimmung ist in dem Gesetzentwurf indes nicht enthalten, so dass die Länder das Recht haben, von der bundesgesetzlichen Regelungen über das Verwaltungsverfahren durch Landesgesetz abzuweichen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist damit eine Zustimmung des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf einer Infrastrukturabgabe nicht erforderlich. 11 BeckOK GG/Suerbaum GG Art. 84 Rn. 24. 12 BeckOK GG/Suerbaum GG Art. 84 Rn. 25; BVerfGE 75, 108, 150 f = NJW 1987, 3115, 3116; zust v.Münch/Kunig /Broß/Mayer GG Art. 84 Rn. 9; Sachs/Dittmann GG Art. 84 Rn. 7; Kluth/Germann Föderalismusreformgesetz 2007 Art. 84, 85 Rn. 31; krit Sauter FS Franz Klein 1994, 561, 564; Britz DÖV 1998, 636, 637 ff. 13 BVerfGE 126, 77, 99 = NVwZ 2010, 1146, 1147. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 05/15 Seite 8 3.2. Zustimmungspflicht aufgrund der Senkung der Kfz-Steuer In Betracht käme weiter eine Zustimmungspflicht des Bundesrats aufgrund der neben der Einführung der Infrastrukturabgabe parallel geplanten Senkung der Kfz-Steuer. Allerdings weist Art. 106 I Nr. 3 GG dem Bund das Aufkommen aus der Kfz-Steuer zu, womit dem Bund gemäß Art. 105 II GG auch die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Kraftfahrzeugsteuer zufällt. Da den Ländern kein Anteil an der Kfz-Steuer verbleibt, handelt es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz im Sinne von Art. 105 III GG. 4. Zusammenfassung 4.1. Übertragung neuer Aufgaben Die geplante Regelung, dass den „nach Landesrecht zuständigen Behörden“ durch den Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen zusätzliche Aufgaben übertragen werden, stellt nach Ansicht der Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur lediglich eine quantitative Mehrbelastung dar, die keine Zustimmungspflicht des Bundesrats nach Art. 84 I GG auslöst. 4.2. Senkung der Kfz-Steuer Die geplante Senkung der Kfz-Steuer löst keine Zustimmungspflicht nach Art. 105 III GG aus, da den Ländern kein Anteil an dieser Steuer zusteht. 5. Ergebnis Der Gesetzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen bedarf aufgrund der vorgenannten Abwägungen wohl nicht der Zustimmung des Bundesrats .