© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 003/19 Einzelfragen zum parlamentarischen Budgetrecht in ausgewählten Staaten Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 003/19 Seite 2 Einzelfragen zum parlamentarischen Budgetrecht in ausgewählten Staaten Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 003/19 Abschluss der Arbeit: 21. Januar 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 003/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verfassungsregelungen in ausgewählten Staaten 4 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 003/19 Seite 4 1. Fragestellung Vorliegende Fragestellung zielt darauf ab, ob es in ausgewählten demokratischen Staaten im Hinblick auf die Ausgabeermächtigung der Regierung in Form des Haushalts eines Haushaltsgesetzes bedarf und ob ein „Notbewilligungsrecht“1 bei nicht rechtzeitiger Haushaltsverabschiedung besteht . 2. Verfassungsregelungen in ausgewählten Staaten Nachfolgende Darstellung enthält die Verfassungsregelungen zum Erfordernis des Haushaltsgesetzes und – soweit verfassungsrechtlich geregelt – zum Nothaushaltsrecht in ausgewählten demokratisch verfassten Staaten: - USA: Nach Art. 1 Abschnitt 9 Satz 7 der Verfassung der Vereinigten Staaten bedarf die Geldentnahme aus der Staatskasse einer gesetzlichen Bewilligung. Der Kongress muss den jährlichen Bundeshaushalt rechtzeitig zu Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober in Gestalt eines Bewilligungsgesetzes beschließen oder übergangsweise die bestehende Bewilligung auf niedrigerem, gleichem oder höherem Niveau verlängern. Der Präsident hat ein aufschiebendes Vetorecht gegen Gesetze des Kongresses, das mit einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses überstimmt werden kann. Wird weder ein neues Bewilligungsgesetz beschlossen noch die bisherige Bewilligung übergangsweise verlängert, kommt es zum sog. shutdown (Stilllegung der Bundesverwaltung). Rechtsgrundlage für den shutdown ist der antideficiency act von 1884. Hiernach ist nur die Wahrnehmung unerlässlicher Aufgaben (essential services) durch die Verwaltung zulässig . Dazu zählen beispielsweise die Polizei, FBI, die Rettungsdienste, Grenzschutz, Fluglotsendienst , Justizvollzug.2 - Frankreich: Gemäß Art. 47 der französischen Verfassung vom 04.10.1958 beschließt das Parlament die Haushaltsgesetzentwürfe. Hat das Parlament innerhalb einer Frist von 70 Tagen keinen Beschluss gefasst, können die Bestimmungen des Entwurfs durch eine gesetzesvertretende Verordnung in Kraft gesetzt werden. Wurde das Haushaltsgesetz über die Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltsjahres nicht rechtzeitig eingebracht, um vor Beginn dieses Haushaltsjahres verkündet zu werden, so fordert die Regierung in einem Dringlichkeitsverfahren vom Parlament die Ermächtigung zur Steuererhebung und bewilligt durch Dekret die Mittel für die gesetzlich festgelegten Teile des Haushalts (Art. 47 Abs. 3). - Polen: Nach Art. 219 der polnischen Verfassung vom 02.04.1997 beschließt der Sejm den Staatshaushalt für das Haushaltsjahr in Form eines Haushaltsgesetzes. Ausnahmsweise können durch ein Gesetz zur provisorischen Ausgabeermächtigung die Einnahmen und Ausgaben des Staates für einen Zeitraum kürzer als ein Jahr beschlossen werden (Art. 219 Abs. 3). Tritt das Haushaltsgesetz oder das Gesetz zur provisorischen Ausgabeermächtigung nicht am Eröffnungstag des Haushaltsjahres in Kraft, führt der Ministerrat die öffentlichen Finanzen aufgrund der eingebrachten Gesetzesvorlage (Art. 219 Abs. 4). 1 Notbewilligungsrecht (Nothaushaltsrecht) im Sinne der Regelung zur vorläufigen Haushaltsführung in Art. 111 GG. 2 Einzelheiten dazu vgl. Ch. M. Haas, Budget und Haushaltsverfahren, in: W. Jäger/Ch. M. Haas/W. Welz (Hrsg.), Regierungssystem der USA: Lehr- und Handbuch, 3. Auflage, München/Wien 2007, S. 205 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 003/19 Seite 5 - Italien: Nach Art. 81 der italienischen Verfassung vom 27.12.1947 genehmigt das Parlament jedes Jahr die von der Regierung vorgelegten Haushaltspläne in Form eines Gesetzes. Die vorläufige Haushaltsführung darf nur mittels Gesetz und für Zeiträume von insgesamt nicht mehr als 4 Monaten bewilligt werden (Art. 81 Abs. 2). - Großbritannien: Nach der ungeschriebenen3 britischen Verfassung liegt die rechtliche und politische Souveränität (sog. Kompetenz-Kompetenz) allein beim britischen Parlament . Nach dem Grundsatz der Herrschaft des Rechts (rule of law) bedarf die Haushaltsverabschiedung einer gesetzlichen Ermächtigung. - Kanada: Gemäß der Kompetenzzuweisung der Art. 91 ff. des Verfassungsgesetzes von 1952 besteht das Erfordernis eines Haushaltsgesetzes.4 - Japan: Nach Art. 85 der Verfassung des Kaiserreiches Japan vom 3. November 1946 darf der Staat ohne Ermächtigung durch den Reichstag kein Geld ausgeben oder finanzielle Verpflichtung eingehen. Das Kabinett bereitet für jedes Rechnungsjahr einen Haushaltsentwurf vor und legt ihn dem Reichstag zwecks Überprüfung und Beschlussfassung vor (Art. 86). Um unvorhergesehene Fehlbeträge im Haushalt decken zu können, kann der Reichstag die Befugnis zur Errichtung eines Reservefonds erteilen, der unter eigener Verantwortlichkeit des Kabinetts verwendet werden darf. Das Kabinett muss nachträglich die Genehmigung des Reichstags für alle Zahlungen aus dem Reservefonds einholen (Art. 87). Gemäß Art. 88 der japanischen Verfassung müssen auch alle Ausgaben des kaiserlichen Haushalts vom Reichstag bewilligt werden. - Südkorea: Gemäß Kapitel III der Verfassung der Republik Korea (Südkorea) ist der Haushalt der Nationalversammlung mindestens 90 Tage vor Beginn des Haushaltsjahres zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. *** 3 Die als Grundnorm zu bezeichnenden Verfassungsprinzipien sind in Großbritannien nicht in einem zusammenhängenden Dokument feststellbar. Sie ergeben sich vielmehr aus dem Gewohnheitsrecht (common law) und den historischen Verfassungsdokumenten. Ausführlich zur britischen Verfassung vgl. G. Doeker, M. Wirth, Das politische System Großbritanniens, Wissenschaftlicher Autoren-Verlag Berlin, 1982, S. 63 ff. 4 Die Verfassung von Kanada ist die Gesamtheit des in Gesetzen kodifizierten sowie des nicht kodifizierten kanadischen Verfassungsrechts. Die kodifizierten Bestandteile der Verfassung sind im Verfassungsgesetz von 1982 aufgezählt. Einzelheiten dazu vgl. S. Handschug, Einführung in das kanadische Recht, Verlag C.H. Beck München 2003, S. 35 ff.