Deutscher Bundestag Auswirkungen der Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz auf die Rechtsstellung von Minderheiten Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 524/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 2 Auswirkungen der Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz auf die Rechtsstellung von Minderheiten Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 524/10 Abschluss der Arbeit: 14. Januar 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 3 1. Einleitung Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, nahm im November 2010 eine Liste mit insgesamt 46.317 Unterschriften von Bürgern entgegen, die sich dafür aussprechen, die deutsche Sprache in das Grundgesetz (GG) aufzunehmen. Initiatoren der Unterschriftenaktion sind der Verein Deutsche Sprache und der Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland. Seit Sommer 2008 werben sie für eine Änderung des Grundgesetzes. Die Aktion ist Ausdruck einer Diskussion, die seit einigen Jahren um die deutsche Sprache geführt wird. Man erhofft sich von der Festlegung des Deutschen als Sprache der Bundesrepublik eine Stärkung der Integration ausländischer Bewohner in die Gesellschaft und das Rechtssystem des Staates , in dem sie leben. Es soll davon sozusagen ein ideeller Appell ausgehen, die deutsche Sprache zu lernen.1 Die ausdrückliche Nennung im Grundgesetz könne außerdem dazu beitragen, die Einheit und Geschlossenheit der deutschen Sprache und damit auch der deutschen Kultur und Gesellschaft zu stärken.2 Im Folgenden soll untersucht werden, ob die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz die Rechtsstellung der in Deutschland lebenden autochthonen Minderheiten beeinträchtigen würde. 2. Bedeutung der verfassungsrechtlichen Verankerung der deutschen Sprache Im Grundgesetz wird die deutsche Sprache zwar bisher nicht ausdrücklich genannt, inzident liegt sie aber bereits dem Inhalt vieler Artikel zugrunde: So wenden sich die Präambel und Art. 1 Abs. 2 GG an das Deutsche Volk; die deutsche Staatsangehörigkeit wird in Art. 16 Abs. 1 GG geschützt; es gibt Grundrechte, die speziell Deutschen gewährt werden, wie die Versammlungs - (Art. 8 Abs. 1 GG) und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG). Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass das Grundgesetz selbst in der deutschen Sprache verfasst wurde. Daraus folgert die rechtswissenschaftliche Literatur, dass der deutschen Sprache bereits jetzt, wiewohl ungeschrieben, Verfassungsrang zukomme.3 Auch die Staatsziele des Art. 20 GG verlangten eine deutsche Staatssprache. Das Demokratieprinzip müsse den deutschen Bürgern die Möglichkeit der Teilhabe am Staat einräumen, was nur denkbar ist, wenn der Staat sich in einer allen verständlichen Sprache äußert.4 Aus ähnlichem Grund müsse im Rahmen des Sozialstaatsprinzips der Verfassungstext für alle, unabhängig vom jeweiligen Bildungsstand, zugänglich 1 Dietz, Andreas, Deutsche Sprache ins Grundgesetz, in: Bayerische Verwaltungsblätter 2007, S. 40. 2 Kirchhof, Paul, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage, Heidelberg 2004, § 20, Rn. 99; Hilf, Meinhard, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 2. Auflage, Heidelberg 1992, § 161, Rn. 9; Dietz, Andreas, Deutsche Sprache ins Grundgesetz, in: Bayerische Verwaltungsblätter 2007, S. 40. 3 Kirchhof, Paul, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage, § 20, Rn. 102; Dietz, Andreas, Deutsche Sprache ins Grundgesetz, in: Bayerische Verwaltungsblätter 2007, S. 40 (S. 41). 4 Hilf, Meinhard, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 2. Auflage, § 161, Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 4 sein.5 Das Republikprinzip übertrage dem Staat die Verantwortung für die deutsche Kultur, wozu auch die Sprache gehöre.6 Als Rechtsstaat müsse der Staat eine einheitliche, allen zugängliche Rechtssprache bereithalten.7 Die schriftliche Fixierung ändere an der bisher nur ungeschriebenen , aber anerkannten Bedeutung der deutschen Sprache in der Verfassung nichts.8 Die deutsche Sprache könnte entweder als Symbol oder als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen werden. Ein Symbol, wie beispielsweise die Bundesflagge, ermöglicht es zum einen dem Staat, sich selbst darzustellen; zum anderen erleichtert es dem Bürger die Identifikation mit seinem Staat.9 Staatszielbestimmungen hingegen sind Verfassungsnormen, die dem Staat die Realisierung eines bestimmten Zieles auferlegen,10 zum Beispiel die Verwirklichung des Sozialstaatsgebotes . 3. Folgen für die Rechtsstellung von autochthonen Minderheiten in Deutschland 3.1. Bestehender Schutz von Minderheiten Minderheiten genießen in Deutschland mehrfachen Schutz durch nationales und internationales Recht. Das Grundgesetz verbietet in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG eine Diskriminierung unter anderem aufgrund von Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft. Daneben haben auch einige Bundesländer die Rechte von Minderheiten in ihren Landesverfassungen garantiert. Zu nennen sind Art. 25 Abs. 3 der Verfassung von Brandenburg (Recht der Sorben (Wenden) auf Bewahrung und Förderung ihrer Sprache), Art. 5 Abs. 2 der Verfassung von Sachsen („Das Land gewährleistet und schützt das Recht nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion , Kultur und Überlieferung.“) und Art. 5 Abs. 2 der Verfassung von Schleswig-Holstein („Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung .“). Zu erwähnen sind auch Art. 37 Abs. 1 der Verfassung von Sachsen-Anhalt („Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten stehen unter dem Schutz des Landes und der Kommunen.“) und Art. 18 der Verfassung von Mecklenburg- Vorpommern („Die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen von Bürgern deutscher Staatsangehörigkeit steht unter dem besonderen Schutz des Landes.“). 5 Kirchhof, Paul, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage, § 20, Rn. 102; Hilf, Meinhard, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VII, 2. Auflage, § 161, Rn. 15. 6 Kirchhof, Paul, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage, § 20, Rn. 102. 7 Kirchhof, Paul, in: Kirchhof, Paul/Isensee, Josef, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Auflage, § 20, Rn. 102. 8 So Dietz, Andreas, Deutsche Sprache ins Grundgesetz, in: Bayerische Verwaltungsblätter 2007, S. 40 (S. 41). 9 Classen, Claus Dieter, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz , Art. 22 GG, Rn. 1. 10 Sommermann, Karl-Peter, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 GG, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 5 Das Europarecht gewährt in der Charta der Grundrechte der EU, die mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zum 1. Dezember 2009 verbindliches und mit den EU-Verträgen gleichrangiges Recht geworden ist (Art. 6 Abs. 1 Vertrag über die Europäische Union) einen europäischen Grundrechtsschutz. Art. 21 Abs. 1 Grundrechte-Charta verbietet die Diskriminierung unter anderem aufgrund der ethnischen Herkunft und der Sprache. Darüber hinaus verpflichtet sich die EU, die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen zu achten (Art. 22 Grundrechte-Charta). Diese Vorschrift soll insbesondere den Mitgliedstaaten die Sicherung ihrer jeweiligen Kulturen im großen europäischen Raum erleichtern.11 Sie stellt jedoch keine Schutzklausel für Minderheiten dar und enthält kein einklagbares subjektives Recht der Grundrechtsberechtigten, 12 sondern wendet sich ausschließlich an die EU, die alleiniger Normadressat ist.13 Art. 22 Grundrechte-Charta begründet die Rechtspflicht für die EU, Beeinträchtigungen der Vielfalt zu unterlassen, so dass ein Rechtsakt, der diesem Gebot der Vielfalt widerspricht, nichtig ist.14 Darüber hinaus existieren verschiedene völkerrechtliche Übereinkommen, die Minderheiten Schutz zusprechen. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 196615 ist in Deutschland am 23. März 1976 in Kraft getreten.16 Er erklärt es für unzulässig, wenn ein Staat, in dem ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten leben, diesen das Recht vorenthält, ihre eigene Kultur und Religion zu pflegen oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen (Art. 27 des Paktes). Daneben untersagt er Diskriminierungen, unter anderem aufgrund der Sprache, vor dem Gesetz (Art. 26 des Paktes) und bei der Ausübung des Wahl- und Teilhaberechts an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten (Art. 25 des Paktes). Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 198917 besitzt für Deutschland seit dem 5. April 1992 Geltung, ist aber innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, da Deutschland bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde einen entsprechenden Vorbehalt gemäß Art. 51 des Übereinkommens erklärt hat.18 In ihm verpflichten sich, ähnlich wie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die Mitgliedstaaten, einem Kind nicht das Recht vorzuenthalten, in Gemeinschaft mit Angehörigen seiner ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit seine eigene Kultur zu pflegen oder seine eigene Sprache zu verwenden (Art. 30 des Übereinkommens). Abkommen, die im Rahmen des Europarates geschlossen wurden, befassen sich ebenfalls mit dem Schutz von Minderheiten. Zu nennen ist Art. 14 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)19, der die Benachteiligung wegen der Sprache 11 Jarass, Hans, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, München 2010, Art. 22, Rn. 2. 12 Hölscheidt, Sven, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage, Baden- Baden 2010, Art. 22, Rn. 16; Jarass, Hans, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 22, Rn. 3. 13 Hölscheidt, Sven, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 22, Rn. 17a. 14 Hölscheidt, Sven, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 22, Rn. 17 f. 15 BGBl. 1973 II S. 1534. 16 BGBl. 1976 II S. 1068. 17 BGBl. 1992 II S. 122. 18 BGBl. 1992 II S. 990. 19 BGBl. 1952 II S. 686. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 6 oder der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit bei der Gewährung der in der EMRK beschriebenen Rechte verbietet. Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen vom 5. November 1992 wurde von Deutschland 1998 ratifiziert und ist am 1. Dezember 1999 in Deutschland in Kraft getreten .20 Sie enthält eine Reihe von Verpflichtungen der Vertragsstaaten, in verschiedenen Bereichen (Bildung, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur, Wirtschaft) bestimmte Grundsätze zum Schutz von Minderheitensprachen einzuhalten. Deutschland hat das Dänische, Ober- und Niedersorbische , Nord- und Saterfriesische, Romanes und das Niederdeutsche als Minderheitenbzw . Regionalsprachen im Sinne der Sprachencharta anerkannt.21 Im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten22 vom 1. Februar 199523, in Deutschland am 1. Februar 1998 in Kraft getreten,24 verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, die im Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze innerstaatlich zu verwirklichen. Es verbietet beispielsweise die Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit (Art. 4 Rahmenübereinkommen). Die Unterzeichnerstaaten sind verpflichtet, das Recht einer Person anzuerkennen, ihre Minderheitensprache privat und in der Öffentlichkeit mündlich und schriftlich frei und ungehindert zu gebrauchen (Art. 10 Rahmenübereinkommen) und sie überhaupt erst zu erlernen (Art. 14 Rahmenübereinkommen). Sie fördern die Bedingungen , damit Angehörige der nationalen Minderheiten ihre Kultur pflegen können (Art. 5 Abs. 1 Rahmenübereinkommen, für den Bereich Schule und Bildung Art. 12 Rahmenübereinkommen), und sehen von Zwangsassimilierungen ab (Art. 5 Abs. 2 Rahmenübereinkommen). Sie sollen Minderheiten das Recht zugestehen, ihren Namen in der Minderheitensprache zu führen (Art. 11 Abs. 1 Rahmenübereinkommen) und für die Öffentlichkeit sichtbar Schilder in dieser Sprache anzubringen (Art. 11 Abs. 2 Rahmenübereinkommen). 3.2. Bedeutung für den Schutz von Minderheitensprachen in Deutschland Zunächst ist anzumerken, dass, wie oben dargelegt, die Ansicht vertreten wird, dass die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz dieser keine höhere Bedeutung einräume, als ihr bereits jetzt zukomme. Dies würde bedeuten, dass, wenn der (geschriebene oder ungeschriebene) Verfassungsrang des Deutschen die Rechtsstellung von Minderheiten beeinträchtigte, diese Beeinträchtigung bereits jetzt vorliegen müsste. Dies ist nicht der Fall. Folgt man dieser Auffassung nicht, käme es also durch die Einführung ins Grundgesetz zu einer höheren Bedeutung, wären Beeinträchtigungen der Rechte autochthoner Minderheiten durch die schriftliche Fixierung des Deutschen im Grundgesetz dennoch aus folgenden Gründen nur schwer vorstellbar: 20 BGBl. 1998 II S. 1315, 1999 II S. 59. 21 Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zur Vorbereitung der Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen vom 23. Juni 1998 (BGBl. 1998 II S. 1334). 22 Das Übereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der nationalen Minderheit. Deutschland hat dazu eine Erklärung abgegeben, dass für Deutschland die Dänen, die Angehörigen des sorbischen Volkes und der friesischen Volksgruppe sowie der Sinti und Roma, jeweils mit deutscher Staatsangehörigkeit, Minderheiten im Sinne des Abkommens sind (Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Zeichnung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten am 11. Mai 1995). 23 BGBl. 1997 II S. 1408. 24 BGBl. 1998 II S. 57. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 7 Würde die deutsche Sprache als Staatssymbol verankert, käme ihr lediglich eine ideelle, keine rechtliche Wirkung zu.25 Dies hat zur Folge, dass eine Beeinträchtigung von Rechten bestimmter Personen mangels Rechtswirkung der Aussage „Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch“ nicht eintreten kann. Staatszielbestimmungen enthalten jedoch einen Programmauftrag an den Staat und stellen somit Richtlinien für das staatliche Handeln dar. Die Staatszielbestimmung „deutsche Sprache“ könnte den Auftrag beinhalten, Deutsch zu fördern, was in Widerstreit zu den Rechten der Minderheiten geraten könnte. Allerdings kommt dem Staat bei Ausfüllung der Staatszielbestimmung ein großer Gestaltungsspielraum zu, der es ermöglichen würde, eventuell widerstreitende Interessen im Sinne einer praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Insbesondere ist er bei jeglicher Tätigkeit an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). So schließt Art. 3 Abs. 3 GG von Verfassungs wegen aus, dass ein Angehöriger einer Minderheit deswegen benachteiligt wird, dass er (auch) eine andere Sprache als das Deutsche als seine Muttersprache spricht. Eine Aufnahme der deutschen Sprache in die Verfassung darf nicht zu einer rechtlichen Ungleichbehandlung der Minderheiten führen. Selbst wenn der Staat durch die Staatszielbestimmung einen Förderauftrag erhielte, dürfte dies nicht zu Diskriminierungen führen , da er selbstverständlich nicht von seinen sonstigen verfassungsrechtlichen Pflichten entbunden würde. Die in den Verfassungen der Bundesländer genannten Rechte binden die jeweilige Landesstaatsgewalt bei ihrem Handeln. Gleichzeitig unterliegt sie der Grundrechts- (Art. 1 Abs. 3 GG) und der allgemeinen Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG. Sie muss ihr Handeln mithin so ausrichten, dass es beiden Anforderungen gerecht wird, wenn ein Widerstreit aufzutreten droht. Der Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta der EU ist nur dann eröffnet, wenn Organe oder Einrichtungen der Europäischen Union (EU) oder die Mitgliedstaaten EU-Recht, also Primär - und Sekundärrecht der EU, durchführen (Art. 51 Grundrechte-Charta). Was darunter genau zu verstehen ist, ist umstritten. Der Grundrechtekonvent hat sich gegen die Formulierung „bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ entschieden und stattdessen den Ausdruck „bei der Durchführung des Rechts der Union“ bevorzugt.26 Mit dieser Formulierung sollte die vom EuGH vorgenommene bisherige weite Anwendung der Unionsgrundrechte auf alle unionsrelevanten Sachverhalte, insbesondere auf Bereiche, die die Grundfreiheiten betreffen, eingeschränkt werden .27 Die Grundrechte-Charta findet also Anwendung, wenn die Mitgliedstaaten durch Erlass eines Rechtsaktes EU-Vorgaben umsetzen oder aufgrund von EU-Recht Verwaltungstätigkeiten vornehmen .28 Damit aus der Charta Rechte abgeleitet werden können, genügt also nicht, dass Europarecht Anwendung findet, beispielsweise dadurch, dass von einer Grundfreiheit Gebrauch gemacht wird. Vielmehr ist erforderlich, dass der Mitgliedstaat selbst aufgrund von europarechtli- 25 Dietz, Andreas, Deutsche Sprache ins Grundgesetz, in: Bayerische Verwaltungsblätter 2007, S. 40 (S. 41). 26 Siehe hierzu die Zusammenfassung der Diskussion im Konvent bei Borowsky, Martin, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rn. 2 ff. 27 Borowsky, Martin, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rn. 24. 28 Jarass, Hans, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 524/10 Seite 8 chen Vorgaben handelt. Ist diese Voraussetzung gegeben, hat er beispielsweise das Diskriminierungsverbot des Art. 21 Grundrechte-Charta zu beachten, das sich gemäß dem Vorrang des Europarechts vor nationalem Recht auch gegenüber dem Grundgesetz durchsetzt.29 Völkerrechtliche Übereinkommen, denen Deutschland beigetreten ist, bedürfen für ihre innerstaatliche Geltung eines Rechtsanwendungsbefehls gemäß Art. 59 Abs. 2 GG.30 Ist der Rechtsanwendungsbefehl erteilt, ist der Staat bei der Ausübung der Staatsgewalt an das Völkerrecht gebunden.31 Die genannten völkerrechtlichen Übereinkommen wurden durch Zustimmungsgesetze für innerstaatlich anwendbar erklärt. Das Zustimmungsgesetz determiniert zugleich den Rang des so anwendbaren Völkerrechts, da dieses nur den Rang des Zustimmungsgesetzes, also den eines Bundesgesetzes , einnehmen kann.32 Sie würden der verfassungsrechtlichen Vorschrift also nicht vorgehen . Da der Staat gemäß Art. 20 Abs. 3 GG bei seinem Handeln die Gesetze, mithin auch das innerstaatlich anwendbare Völkerrecht, zu beachten hat, muss er sein Handeln aber stets in Einklang mit den von ihm eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen bringen. 29 Jarass, Hans, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Einleitung, Rn. 54 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH. 30 Koenig, Christian, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 25 GG, Rn. 18. 31 Stein, Torsten/von Buttlar, Christian, Völkerrecht, 11. Auflage, Köln 2005, Rn. 192. 32 Pernice, Ingolf, in: Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 59 GG, Rn. 47; Kempen, Bernhard, in: von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 59 GG, Rn. 92.