Deutsches und europäisches Staatskirchenrecht - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 491/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Deutsches und europäisches Staatskirchenrecht Ausarbeitung WD 3 - 491/06 Abschluss der Arbeit: 22.01.2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung 4 1. Grundzüge des deutschen Staatskirchenrechts 4 1.1. Inhalt und Umfang des Kooperationsmodells 4 1.2. Grundlagen des Kooperationsmodells 5 1.3. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten 6 2. Inhalt der jüngsten Konkordate 6 3. Europäisches Staatskirchenrecht 10 3.1. Von Maastricht bis Nizza 11 3.2. Art. 13 EGV und Charta der Grundrechte 13 4. Literaturverzeichnis 15 - 4 - Einleitung Diese Ausarbeitung gliedert sich entsprechend dem Auftrag in drei Teile. Im ersten Teil werden die Grundzüge des deutschen Staatskirchenrechts dargestellt, der zweite Teil fasst den Inhalt der jüngsten Verträge (Hamburg und Bremen) zusammen und der dritte Teil informiert über die Grundzüge des europäischen Staatskirchenrechts. 1. Grundzüge des deutschen Staatskirchenrechts Art. 4 Abs. 1 GG gewährleistet (ohne Gesetzesvorbehalt) die Religionsfreiheit in Form der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Art. 4 Abs. 2 GG schützt die ungestörte Religionsausübung1. Dieses Individualgrundrecht wird ergänzt und näher ausgestaltet durch Art. 140 GG, der die Artikel 136 bis 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV)2 in das Grundgesetz inkorporiert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die sog. "Weimarer Kirchenartikel" nicht etwa Verfassungsrecht minderen Ranges, sondern voll gültiges Verfassungsrecht3. 1.1. Inhalt und Umfang des Kooperationsmodells Art. 140 GG/137 Abs. 1 WRV bezwecken im Unterschied etwa zu Frankreich kein "laizistisches " Trennungssystem4, sie richten sich - historisch betrachtet - vielmehr gegen eine organisatorische Verbindung von Staat und Kirche, wie sie im Summepiskopat (=Personalunion zwischen den Ämtern des Landesherrn und des Leiters der ehemaligen Landeskirche) im deutschen Protestantismus bis 1918 bestand 5. Die genannten verfassungsrechtlichen Bestimmungen schreiben somit eine Ämter- und organisatorische Trennung von Staat und Kirche fest, sie verbieten aber nicht die Kooperation bzw. besondere vertragliche Beziehungen, wie sie etwa in Konkordaten zwischen der Bundesrepublik Deutschland bzw. den Bundesländern mit dem Heiligen Stuhl und in Gestalt von Kirchenverträgen mit den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland bestehen. Dass die Verfassung eine Kooperation zwischen Staat und Kirche aus- 1 von Münch, in: von Münch/Kunig, Rn. 1 ff.; 54 ff. zu Art. 4; eingehend zur Religionsfreiheit von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat, S. 58 ff. 2 Vom 11. August 1919, RGBl S. 1383. 3 BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1965, BVerfGE 19, 206 [219]; von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat, S. 47 ff. 4 von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat, S. 71 ff.; Listl/Hollerbach, S. 1272 f. - 5 - drücklich vorsieht und eine strikte Trennung sogar verbietet, ergibt sich aus folgenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die hier allerdings nur aufgezählt werden können : - Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG: Der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen mit Ausnahme der Bekenntnis freien Schulen ist ordentliches Lehrfach, der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird.6 - Zu den Merkmalen der Kooperation zwischen Staat und Kirche zählen ferner die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der die Kirchen /Religionsgemeinschaften von anderen Organisationsformen abhebt (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 5 WRV). - Die Berechtigung der Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Steuern aufgrund der bürgerlichen Steuerlisten zu erheben (Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 6 WRV)7, - der gesetzliche Schutz der Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage (Art. 140 GG/139 WRV)8 - die Militär- und Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG/141 WRV).9 Weitere verfassungsrechtliche Normen garantieren implizit die besondere Stellung der Kirchen, etwa Art. 5 Abs. 3 GG bezüglich Theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten 10 sowie das Recht, Schulen in kirchlicher Trägerschaft nach näherer Maßgabe der Länder einzurichten (Art. 7 Abs. 4 GG)11. 1.2. Grundlagen des Kooperationsmodells Grundlagen des Kooperationsmodells in der Bundesrepublik Deutschland sind religiösweltanschauliche Neutralität, Toleranz und Parität. 5 von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat, S. 63 ff. 6 Mehr: Listl/Hollerbach, S. 1283 f. 7 Dazu Listl/Hollerbach, S. 1279 f.; 1287 f.; Hemmerich, Art. 140 Rn. 25 ff. 8 Dazu Hemmerich, Art. 41 Rn. 41 ff., 9 Hemmerich, Art. 140 Rn. 43 ff.; Listl/Hollerbach, S. 1286 f. 10 Listl/Hollerbach, S. 1284 ff. 11 Hemmerich, Art.7, Rn. 35 ff. - 6 - Neutralität besagt Nichtidentifikation mit einer Kirche, denn, wie erwähnt, verbietet die Verfassung eine Staatskirche. Der Staat darf auch keine Neigung zu einer bestimmten Konfession haben und hat deren Wert oder Wahrheit nicht zu beurteilen. Weltanschauungsgesellschaften sind Religionsgemeinschaften gleichgestellt (Art. 140 GG/137 Abs. 7 WRV). Der Begriff der Toleranz gebietet, religiösen Bedürfnissen aktiven Raum zu verschaffen und verlangt gegenüber allen unterschiedlichen religiösen Anschauungen eine indifferente Einstellung.12 Parität beinhaltet die Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften wobei eine Art abgestufter Parität im Hinblick auf einen unterschiedlichen Status verfassungsrechtlich unbedenklich ist.13 1.3. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet "ihre Angelegenheiten" selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Was zu den "eigenen", innerkirchlichen Angelegenheiten zählt (Lehre, Gottesdienst, Ämterverleihung, karitative Tätigkeit etc.), lässt sich nicht annähernd oder gar erschöpfend aufzählen. 14 Nicht eindeutig geklärt ist, wann ein Gesetz eine Schranke des Selbstbestimmungsrechts einer Religionsgemeinschaft darstellt.15 Teilweise ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann der Fall, wenn ein Gesetz die Religionsgemeinschaften wie jedermann anspreche.16 2. Inhalt der jüngsten Konkordate Nach heute vorherrschender Meinung sind Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Staaten (Konkordate) als völkerrechtliche 17, zumindest aber als quasivölkerrechtliche 12 Listl/Hollerbach, S. 1277; von Campenhausen, S. 62. 13 Im Einzelnen dazu: Listl/Hollerbach, S. 1277 f.; von Campenhausen, S. 75 ff. 14 Vgl. die Einzelfälle bei Hemmerich, Art. 140 Rn. 19 ff. 15 Hemmerich, Art. 140 Rn. 16. 16 Listl/Hollerbach, S. 1274. 17 Nach dem „Konkordatsurteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 1957 (BVerGE 6, 309 [334, 336, 340 passim]) ist das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 als völkerrechtlicher Vertrag zu bewerten; gleichwohl wird der Heilige Stuhl als Vertragspartner jedoch nicht als auswärtiger Staat im Sinn von Art. 32 Abs. 3 GG angesehen. - 7 - Verträge anzusehen. 18 Die mit den Landeskirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands geschlossenen Verträge sind mangels Völkerrechtsubjektivität nach überwiegender Meinung Staatsverträge. Ein Wesens- oder Rangunterschied gegenüber Konkordaten soll – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie nicht den internationalen Verträgen zugeordnet werden – nicht bestehen. Grundlage aller vertraglichen Vereinbarungen sind die Gewähr von Rechtsicherheit und Kontinuität vor allem bei der Förderung von Religionsgemeinschaften und kirchlicher Betätigung. Zugleich stellen vertragliche Vereinbarungen Grundlage und Voraussetzung staatlich-kirchlichen Zusammenwirkens dar, etwa beim schulischen Religionsunterricht, bei der Besetzung von Lehrstühlen an den Theologischen Fakultäten der staatlichen Universitäten u. ä.; außerdem regeln sie organisatorische Rechte und Pflichten, z. B. Mitwirkungsrechte des Staates bei der Verleihung kirchlicher Ämter, bei der Festlegung kirchlicher Territorien oder Gliederungen (Bistümer, Kirchenprovinzen, Landeskirchen etc. Die Staatskirchenverträge, also die Konkordate mit der katholischen und die Verträge mit der evangelischen Kirche, dienen, wie erwähnt, insbesondere dazu, die Beziehung zwischen Staat und Kirche zu regeln sowie den im Interesse des Staates unverzichtbaren konfessionellen Frieden zu wahren und auf eine dauerhafte rechtliche Grundlage zu stellen. Was Inhalt von in Staatskirchenverträgen geregelten Gegenständen sein kann, lässt sich beispielhaft aus dem Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch/Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. Januar 1994 („Güstrower Vertrag“)19 ersehen. Der Güstrower Vertrag20 stellt eine Art „Mischform“ zwischen den beiden heute üblichen staatskirchenrechtlichen Vertragstypen dar. Einerseits ist er als Gesamtregelung konzipiert, d. h. er stellt den Typus des oben erwähnten Haupt- oder Statusvertrages dar, andererseits enthält er eine Vielzahl von Vereinbarungen oder künftig noch zu treffenden Abmachungen, sodass er insoweit als Spezialabkommen zu charakterisieren ist. Als Statusvertrag wird hier im Vergleich zu früheren Verträgen eine stärkere Betonung 18 Korioth, Art. 140 Rn. 23; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 156. 19 GVOBl-MV 1994, S. 559; http://www.uni-greifswald.de~theol/Guestrowervertrag.pdf (Stand: 1. Februar 2005). 20 Siehe Anlage 1. - 8 - der Trennung und gegenseitigen Unabhängigkeit von Staat und Kirche deutlich. Zugleich verpflichtet er jedoch die Vertragspartner u.a. zu einer freundschaftlichen, die gegenseitige Achtung voraussetzenden Anerkennung der jeweiligen Aufgabenbereiche der Vertragspartner.21 In den Konkordaten mit der katholischen und Kirchenverträgen mit der evangelischen Kirche werden gegenwärtig und so auch in den jüngsten Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl mit Bremen vom 21.11.200322 sowie mit der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22.09.199423 und zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 29.11.200524 im Wesentlichen die folgenden Materien geregelt: 1. Garantie des Grundrechts der individuellen und korporativen Religionsfreiheit, d.h. der Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlicher Ausübung der Religion in allen ihren Formen; 2. Schutz der Sonn- und (kirchlichen) Feiertage; 3. Regelung der Festlegung kirchlicher Verwaltungsbezirke ([Erz] Bistümer, Kirchenprovinzen , Landeskirchen etc.); 4. das Verfahren bei der Besetzung kirchlicher Ämter, d.h. vor allem der Bischofsstühle , z. B. nach Maßgabe der Bestimmungen des Reichskonkordats des preuß ischen Konkordats und der entsprechenden Länderkonkordate; 5. Unterrichtung der Landesregierung bei Personalveränderungen in der Leitung eines Bistums/Landeskirche; 6. Anerkennung der Rechtsfähigkeit kirchlicher Rechtsträger als Körperschaften des öffentlichen Rechts, d. h. der Kirche, der Kirchengemeinden und ihrer Gliederungen (auf evangelischer Seite) bzw. der Diözesen, Bischöflichen Stühle, Domkapitel, Kirchengemeinden und der aus diesen Gemeinden gebildeten Gesamtverbände (auf katholischer Seite); 7. Mitteilung an die Landesregierung über Beschlüsse zur Errichtung und Veränderung von kirchlichen Körperschaften öffentlichen Rechts; 21 von Campenhausen, LKV 1995, S. 234. 22 Siehe Anlage 2. 23 Siehe Anlage 3. 24 Siehe Anlage 4. - 9 - 8. das Verfahren bei der der Errichtung, Änderung und Zusammenlegung kirchlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Tätigkeit kirchlicher Stiftungen; 9. Möglichkeit der Errichtung kirchlicher Seminare zur wissenschaftlichen Vorbildung der Geistlichen und die staatliche Anerkennung und Förderung dieser Bildungseinrichtungen ; 10. das Verfahren bei der Berufung/Abberufung von Theologieprofessoren an Katholisch - bzw. Evangelisch- Theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten und vergleichbaren Einrichtungen; 11. Kooperation bei Entscheidungen über Studien– und Prüfungsordnungen; 12. Ausbildung von Religionslehrern und deren Anstellung im öffentlichen Dienst; 13. Gewährleistung der Erteilung des Religionsunterrichts, Festlegung von dessen Voraussetzungen für Lehrer und die Regelung der übrigen damit im Zusammenhang stehenden Fragen einschließlich der Finanzierung; 14. Gründung freier Schulen in kirchlicher Trägerschaft und deren Finanzierung; 15. kirchliche Erwachsenenbildung; 16. Rechtstellung bzw. Tätigkeit und Förderung kirchlicher karitativer/diakonischer Einrichtungen; 17. Wahrnehmung von Aufgaben als anerkannte Träger der freien Jugendhilfe im Rahmen der Gesetze; 18. Seelsorge in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Einrichtungen ; 19. Denkmalschutz und Denkmalpflege an kirchlichen Gebäuden und sonstigen kirchlichen Kulturdenkmälern; 20. Schutz kirchlicher Friedhöfe und das Recht zur Errichtung neuer Friedhöfe; 21. durch landesrechtliche Bestimmung zu regelnde Steuer– und Gebührenbefreiung der Kirchen; 22. Dotationen und Staatsleistungen und deren mögliche Ablösung; 23. Garantie des kirchlichen Eigentums; 24. Baulastverpflichtung des Staates bei Kirchengebäuden; - 10 - 25. Freiheit der Kirche bei der Verwaltung ihres Vermögens und die Regelung der auch im staatlichen Rechtsbereich anerkannten vermögensrechtlichen Vertretung der kirchlichen Körperschaften, selbstständigen Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts; 26. Übermittlung der für kirchliche Zwecke erforderlichen Daten durch die staatlichen Meldebehörden an die von den kirchlichen Behörden benannten Stellen mit Einschluss des kirchlichen Datenschutzes; 27. Gewährleistung des kirchlichen Besteuerungsrechts und des Rechts der Kirchen zur Festlegung des Steuersatzes für die Einziehung der Kirchensteuern; 28. Übertragung der Verwaltung der Kirchensteuer auf die staatlichen Finanzämter und die Mitwirkung der Arbeitgeber bei Erhebung der Kirchensteuern; 29. Festlegung der Einzelheiten des nach Art. 16 des Reichskonkordats zu leistenden bischöflichen Treueids; 30. Pflege der Beziehungen zwischen Landesregierung und den Kirchen durch rege lmäßige Begegnungen; 31. Vereinbarung einer Freundschaftsklausel, wonach die Vertragsparteien etwa in Zukunft auftretende Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Bestimmung des jeweiligen Vertrages auf freundschaftliche Weise beilegen werden. 3. Europäisches Staatskirchenrecht Die Religionsfreiheit ist in allen geschriebenen Verfassungen der Mitgliedsstaaten garantiert . Einige Verfassungen normieren die Religionsfreiheit ohne ausformulierte Schranken, einige Verfassungen sehen geschriebene Schranken vor (z.B. steht in Frankreich die Religionsfreiheit unter einem Gesetzesvorbehalt) und in einigen Ländern wird die Religionsfreiheit unter den Vorbehalt eines Einklangs mit der öffentlichen Ordnung und oder die guten Sitten gestellt. Mit Ausnahme der Verfassung der Niederlande setzen sich alle Verfassungen mit dem Verhältnis von Staat und Kirche auseinander. In den Gründungsverträgen der EG werden die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht erwähnt. Der Vertrag über die förmliche Gründung der Europäischen Union - 11 - (Maastricht-Vertrag)25 fasste die drei bereits bestehenden Europäischen Gemeinschaften (EG), Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), Europäische Atomgemeinschaft (EAG) zusammen und stellte ihnen als zweite und dritte Säule die Bereiche Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres an die Seite. 3.1. Von Maastricht bis Nizza Von besonderer Bedeutung ist Art. F des Unionsvertrages in der Fassung von Maastricht : "Die Union achtet die nationale Identität der Mitgliedstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen be- ruhen." Die Kirchen/Religionsgemeinschaften werden im Vertragstext zwar nicht ausdrücklich, sondern nur verklausuliert erwähnt, doch ist gerade die "nationale Identität" der einzelnen Mitgliedstaaten der EU, wie bereits ausgeführt26, entscheidend von Kirche und Religion geprägt. Diese Tatsache spiegelt sich in den Verfassungen der einzelnen Länder und ihren Bestimmungen über die Kirchen und Religionsgemeinschaften wider. Das Staatskirchenrecht ist jeweils von den geschichtlichen Erfahrungen eines Landes maßgebend beeinflusst und hat die jeweiligen unterschiedlichen nationalen Identitäten mit entstehen lassen. Am 2. Oktober 1997 unterzeichneten die 15 Außenminister der EU-Mitgliedstaaten den Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die "Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte". 27 Der Vertrag übernimmt in Art. 6 EUV weitgehend den Wortlaut des Art. F des Maastrichter-Vertrages u. a. die Achtung der Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der 25 Vom 7. Februar 1992, in Kraft getreten am 1. Novemb er 1993, BGBl. II S. 1253. 26 Siehe oben Abschnitt 1.3. 27 BGBl. II 1998, S. 387 ber. BGBl. II 1999, S. 416. - 12 - Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben (Art. 6 Abs. 2); Abs. 3 legt die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten fest. Ausdrücklich werden die Kirchen und deren Status in dem eigentlichen Vertragstext nicht erwähnt, obwohl hier eine Kirchenklausel angestrebt worden war. In der "Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam"28 heißt es sodann: "III. Erklärungen Die Konferenz hat die folgenden dieser Schlussakte beigefügten Erklärungen angenommen (...) XI. Erklärungen zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitglied- staaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeintäch- tigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise." Erstmals sind damit Kirchen, religiöse Vereinigung oder Gemeinschaften sowie Weltanschauungsgemeinschaften ausdrücklich im Gemeinschaftsrecht erwähnt, und zwar in Form einer Art "Neutralitätserklärung" gegenüber den EU-Mitgliedstaaten. 29 Geht man vom Wortlaut der Erklärung aus, soll die rechtliche Stellung, die die Kirchen und die sonst genannten Vereinigungen in den EU-Mitgliedstaaten haben, beibehalten werden. 30 Umstritten ist allerdings, ob und inwieweit die genannte "Erklärung" rechtlich verbindlich ist. Anders als bei Protokollen, die zum Primärrecht gehören, wird hinsichtlich der Rechtsqualität der "Erklärung" angenommen, es handle sich um eine rechtlich unverbindliche Verlautbarung, die eher eine politische Absichtserklärung darstelle.31 28 BGBl. 1998 II, S. 438. 29 Robbers, StdZ 1998, S. 151 f.; de Wall, ZevKR 2000, S. 157 ff.; Auf europäischer Ebene waren die jeweiligen Zusammenschlüsse der Kirchen EECCS [European Ecumenical Commission for Church and Society] und COMECE [Commisson des Épiskopats de la Communauté Européenne] beteiligt. 30 Streinz, EuZW 1998, S. 146. 31 Rhode, Vorlesung "Staatskirchenrecht", S. 124. - 13 - Nach Maßgabe des Art. 31 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, ist eine Erklärung insoweit verbindlich als sie bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu beachten ist. In Art I- 52 des Entwurfes einer Europäischen Verfassung (VVE) ist vorgesehen, dass die Neutralitätserklärung zum Primärrecht wird. Art I-52 VVE zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ist wortgleich mit Erklärung Nr. 11 zum Amsterdamer Vertrag. 3.2. Art. 13 EGV und Charta der Grundrechte Das Recht der Europäischen Gemeinschaft kennt bislang keinen rechtlich verbindlichen Grundrechtekatalog. Das Grundrecht der Religionsfreiheit wurde bislang vom EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz entwickelt. Die Religionsfreiheit wurde als individuelles Recht unter Gleichheitsgesichtspunkten vom EuGH garantiert. Am 7. Dezember 2000 hat der Europäische Rat in Nizza die Charta der Grundrechte der Europäischen Union feierlich unterzeichnet und proklamiert.32 Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtecharta gewährt jeder Person das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit . Dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit Anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Diese Gewährleistung ist wortgleich mit der Formulierung in Art. 9 Abs.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Insofern sind individuelle Glaubens, Gewissens -, und Religionsfreiheiten vom Schutzbereich her wie in der EMRK gewährleistet .33 Nicht ausdrücklich angesprochen ist die korporative Seite der Religionsfreiheit. Diese ist in den in Art. 10 Abs. 1 verbürgten Gewährleistungen angelegt.34 Dies ergibt sich aus dem Verweis in der Präambel der Grundrechtecharta auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hat in der Rechtssache Ka- 32 im Internet abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/charter/default_de.htm. 33 Hobe, S. 319. 34 Hobe, S. 319. - 14 - tholische Kirche von Canea gegen Griechenland 35 die Verneinung der Rechtsfähigkeit der Klägerin durch griechische Behörden als Verstoß gegen die Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention angesehen. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat Fragen die auch die Religionsfreiheit berühren, bislang über die Frage der Gleichbehandlung 36 oder Arbeitnehmerfreizügigkeit37 entschieden. Die Charta der Grundrechte hat bislang keine Rechtsverbindlichkeit erlangt.38 Sie soll nach der Empfehlung der Arbeitsgruppe „Grundrechtecharta“ des Europäischen Verfassungskonvents in die Europäische Verfassung integriert werden. Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden ist für die nächsten Jahre noch von dem unverbindlichen Charakter der Charta der Grundrechte auszugehen. Jedoch ist auch ohne eine solche Einbeziehung der Grundrechte in eine Europäische Verfassung von einer allmählichen Verbindlichwerdung der Gehalte der Grundrechtscharta auszugehen. 39 Sie ist in den Schlussanträgen der Generalanwälte präsent40 und der EuG hat bereits in mehreren Urteilen die Grundrechtscharta zitiert.41 . 35 EGMR, Urteil vom 16.12.1997, GH 1997-VIII, 2843 ff. 36 Rechtssache Vivian Prais, EuGH Rs 130/75, Slg. 1976, . 1589 (Verschiebung eines Prüfungstermines aus religiösen Gründen). 37 Rechtssache an Duyn, EuGH Rs. 41/74, Slg. 1974, S.1337 (Einreise zum Zwecke der Arbeitsaufnahme bei Scientology). 38 Siehe dazu auch Hobe, S. 324. 39 Hobe, S. 324. 40 Siehe: Generalanwalt Mischo in Rs. C-122/99 P und C-125/99 P; Generalanwalt Jakobs in der Rs C 377/98 Schlussantrag vom 14.6.2001 und in der Rs. C-50/00 P Schlussantrag vom 21.3.2002. Die Schlussanträge der Generalanwälte sind im Internet abrufbar unter www.curia.eu.int. Siehe auch Triebel, S. 233. 41 EuG, Urteil vom 30. Januar 2002, Rs. T-54/99, Slg. 2002-II, 313, 333; EuG, Urteil vom 15. Januar 2003, T-377/00 u.a. Slg.2003-II, 1, 40 Rdr. 122. - 15 - 4. Literaturverzeichnis - Bleckmann, Albert, Die Wahrung der "nationalen Identität" im Unionsvertrag, in: Juristenzeitung (JZ) 1997, S. 269 ff. - von Campenhausen, Axel, Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, in: Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. grundlegend neu bearbeitete Auflage, Berlin 1994, S. 47 ff. - von Campenhausen, Axel, Der Güstrower Vertrag – Ein Schritt zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, in: Landes- und Kommunalverwaltung (LKV) 1995, S. 233 ff. - von Campenhausen, Axel, Staatskirchenrecht, 3. Auflage, München 1996 - Hemmerich, Ulfried, Kommentierung zur Art. 140 Grundgesetz, in: Münch, Ingo /Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar, Band 3,5. neu bearbeitete Auflage, München 2003 - Hillgruber, Christian, Staat und Religion, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 1999, S. 1155 ff. - Hobe, Stefan, Die Verbürgung der Religionsfreiheit in der EU-Grundrechtecharta, in: Muckel, Stephan (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70.Geburtstag, Berlin 2003 - Hollerbach, Alexander, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat - Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext (Schriftreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 156), Berlin, New Yorck 1998 - Listl, Joseph/Hollerbach, Alexander, Das Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Listl, Joseph/Schmitz, Heribert u.a. (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Zweite, grundlegend neu bearbeitete Auflage, Regensburg 1999, S. 1268 ff. - Stefan Korioth, Art. 140, in: Theodor Maunz/Günther Dürig/Roman Herzog, GG - Kommentar, Bd. VI, München, (Stand: Lieferung 42, Februar 2003); - Theodor Maunz/Günther Dürig/Roman Herzog, GG - Kommentar, Bd. VI, Mün chen, (Stand: Lieferung 42, Februar 2003 - von Münch, Ingo/Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar, Band 1,5. neu bearbeitete Auflage, München 2000 - von Münch, Ingo/Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar, Band 3,5. neu bearbeitete Auflage, München 2003 - 16 - - Rhode , Ulrich, Vorlesung "Staatskirchenrecht", Stand Februar 2004, im Internet abrufbar unter: http://www.ulrichrhode.de/lehrv/religionsrecht.html (Stand Januar 2006) - Robbers , Gerhard, Europa und die Kirchen- Die Kirchenerklärung von Amsterdam, in: Stimmen der Zeit (StdZ) 1998, S. 151 f. - Streinz, Rudolf, Der Vertrag von Amsterdam - Einführung in die Reform des Unionsvertrages von Maastricht und erste Bewertung der Ergebnisse, in: Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht (EuZW) 1998, S. 137 ff. - Triebel, Matthias, Rechtswirkungen der Europäischen Grundrechtecharta, in: Neue Justiz 2002, S. 233-236. - de Wall, Heinrich, Europäisches Staatskirchenrecht, in: ZevKR 2000, S. 157 ff.