Verfassungsrechtliche Begründung für eine Beschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen - aktualisierte Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 – 471/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Verfassungsrechtliche Begründung für eine Beschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen – aktualisierte Fassung von 212/06 Ausarbeitung WD 3 – 471/08 Abschluss der Arbeit: 06.01.2009 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Die Ausarbeitung wurde am 6. Januar 2009 von aktualisiert. Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Patientenverfügungen sind ein Mittel zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit. Der Einzelne entscheidet im Voraus über das Ob und Wie einer möglichen späteren Behandlung. Das Selbstbestimmungsrecht schließt das Recht zur Selbstgefährdung und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen ein. Das Selbstbestimmungsrecht wird aber nicht schrankenlos gewährleistet. Es kann insbesondere mit der staatlichen Schutzpflicht für das Rechtsgut Leben in Widerstreit treten. Dabei sind die kollidierenden Verfassungsgüter einem möglichst schonendem Ausgleich zuzuführen. Wie dieser zu erreichen ist, hängt maßgeblich von der Auslegung der Grundrechte ab und ist im Einzelnen umstritten. Einigkeit besteht insoweit, als das Selbstbestimmungsrecht kein Recht zum Verlangen rechtswidriger Handlungen beinhaltet. Deshalb bleibt die aktive Sterbehilfe auch bei ausdrücklich dahin gehend geäußertem Wunsch des Patienten in einer Patientenverfügung verboten. Als zulässig wird die indirekte Sterbehilfe erachtet, die den Patienten Schmerzlinderung gewährleisten soll, eine auf Wiederherstellung der Gesundheit gerichtete Behandlung jedoch unterlässt. Besonders problematisch sind die Fälle des Verlangens nach passiver Sterbehilfe. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Inhalt und Begrenzungen des Selbstbestimmungsrechts 5 2.1. Sachlicher Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts 5 2.2. Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts 6 2.3. Begrenzungen durch die Grundrechte Dritter 9 3. Zusammenfassende Bewertung und weiterführende Hinweise 9 Literaturverzeichnis 11 - 4 - 1. Einleitung Patientenverfügungen sind derzeit nicht gesetzlich geregelt. Den rechtlichen Rahmen bilden Verfassung und höchstrichterliche Rechtsprechung. Viele Rechtsfragen sind seit Jahrzehnten umstritten. Um der steigenden praktischen Bedeutung gerecht zu werden und um Rechtsunsicherheiten zu beseitigen, wurde am 6. März 2008 ein Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen in den Bundestag eingebracht1. Der Entwurf sieht eine Verankerung des Rechtsinstituts Patientenverfügung im Betreuungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor. Entsprechend der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs2 aus dem Jahre 2003 sollen Patientenverfügungen grundsätzlich verbindlich sein. Der Gesetzentwurf wird gegenwärtig in den Ausschüssen beraten. Am 16. und 18. Dezember 2008 wurde je ein weiterer Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen in den Bundestag eingebracht3. Die Erste Beratung der Entwürfe soll am 21. Januar 2009 erfolgen. Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung der zulässigen Reichweite von Patientenverfügungen4, sind das Selbstbestimmungsrecht5, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit und die Menschenwürdegarantie (vgl. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG)). Das Selbstbestimmungsrecht endet nicht mit dem Verlust der Entscheidungsfähigkeit. In diesem Fall ist die Feststellung des tatsächlichen Willens des Patienten problematisch. Patientenverfügungen sollen hierbei den Willen des Patienten zur Geltung bringen und somit dem Selbstbestimmungsrecht zum Durchbruch verhelfen6. 1 Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts, BT-Drs. 16/8442. 2 BGH, Beschluss v. 17.3.2003 - XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205. 3 Gesetz zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz - PatVerfG) BT-Drs. 16/11360; Gesetz zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen (Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz - PVVG) BT-Drs. 16/11493. 4 Patientenverfügungen werden hier als Willensbekundung eines entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen medizinischen und/oder begleitmedizinischen Behandlung für den Fall der Äußerungsund Einwilligungsunfähigkeit verstanden. Vgl. zur Definition: Zwischenbericht Enquete-Kommission, S. 5 m.w.N. 5 Ob die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Selbstbestimmungsrechts in erster Linie aus Art. 2 Abs. 2 GG, aus der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG oder aber vielmehr ausschließlich oder zusätzlich aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abzuleiten sind, ist zwar umstritten , jedoch lediglich von nachrangiger Bedeutung (vgl. dazu Vossler, S. 295; Hufen (2001), S. 851). 6 Einen allgemeinen Überblick über Rechtslage und Praxis im Hinblick auf Patientenverfügungen geben . Vgl. außerdem als kurze Zusammenfassung zur Thematik Patientenverfügung: Wissmann . - 5 - 2. Inhalt und Begrenzungen des Selbstbestimmungsrechts Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gehört zum Kernbereich der verfassungsrechtlich geschützten Würde und Freiheit des Menschen. Die Beurteilung verfassungsrechtlich begründeter Begrenzungen des Inhalts von Patientenverfügungen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Bestimmung von Inhalt und Reichweite, also des sachlichen Schutzbereichs, des Selbstbestimmungsrechts. Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts zulässig sind. 2.1. Sachlicher Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts Das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit, grundsätzlich selbst über Art und Reichweite einer ärztlichen Behandlung zu entscheiden. Obwohl eine ärztliche Behandlung auf Heilung gerichtet ist, bedarf sie einer Rechtfertigung, sofern sie Eingriffe in die körperliche Integrität des Patienten zur Folge hat7. Diese erfolgt beim äußerungsfähigen Patienten durch dessen Einwilligung nach entsprechender ärztlicher Aufklärung (Prinzip des informed consent)8. Ohne eine solche Aufklärung stellt sich der ärztliche Heileingriff straf- und zivilrechtlich als Körperverletzung dar, aus verfassungsrechtlicher Sicht als nicht gerechtfertigter Eingriff in die körperliche Unversehrtheit9. Dabei steht es dem Patienten grundsätzlich auch frei, eine lebenserhaltende medizinische Maßnahme abzulehnen. Das Selbstbestimmungsrecht enthält insoweit auch das Recht zur Selbstgefährdung10, also zur Ablehnung gesundheitserhaltender Maßnahmen. Der Arzt ist an den Willen des Patienten gebunden, mag er auch aus medizinischer Sicht unvernünftig erscheinen. Der ärztliche Heilauftrag ist kein hinreichender Rechtfertigungsgrund 11. Vor dem Hintergrund der durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde, die, wie dargestellt, ebenfalls zur Begründung des Selbstbestimmungsrechts herangezogen 7 Ein Eingriff in die körperliche Integrität soll nach allgemeiner Auffassung nicht bei Maßnahmen der medizinischen Basispflege (Körperpflege, Schmerzlinderung, Stillen von Hunger und Durst auf natürlichem Wege) vorliegen. Umstritten ist die Zuordnung der künstlichen Ernährung durch die Speiseröhre (enterale Ernährung): vgl. Hufen (2001), S. 853 (Anlage 1). 8 Vgl. dazu: Zwischenbericht Enquete-Kommission, S. 9. 9 Hufen (2001), S. 853 m.w.N. 10 Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) NJW 1989, S. 2960; weitergehend Hufen (2001), S. 851: auch „Recht zur Selbstaufgabe“ und „Verfügungsrecht über das eigene Leben“. 11 Vgl. Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Band VI, § 128 Rn. 64; Hufen, (2001) S. 853. - Ist der Patient zum Zeitpunkt des ärztlichen Heileingriffs nicht bei Bewusstsein, liegt jedoch eine die Behandlung ablehnende Patientenverfügung vor, ergibt sich in diesem Zusammenhang die Problematik des Übereinstimmens von Patientenverfügung und aktuellem Willen des Patienten in der konkreten Behandlungssituation (vgl. dazu unten: 3.). - 6 - wird12, ist das Recht des Einzelnen auf einen würdevollen Tod zu sehen. Die Menschenwürde des Einzelnen ist dann verletzt, wenn er zum willenlosen Objekt einer medizinischen Behandlung gemacht wird, ohne dass die Fortführung der lebenserhaltenden Behandlung noch einen durch Lebensschutz gerechtfertigten Zweck hat13. Daraus ergibt sich ein Recht des Einzelnen auf wirksame Schmerzlinderung, selbst wenn diese medizinische Risiken mit sich bringt14. Zudem schützt Art. 1 Abs. 1 GG den Patienten davor, bloßes Objekt fremder Entscheidungen oder „Gegenstand der Apparatmedizin“ zu werden 15. Deshalb wird die indirekte Sterbehilfe, bei der sich die Lebensverkürzung als unbeabsichtigte, jedoch als für möglich erkannte Nebenfolge einer Schmerzlinderung darstellt, allgemein für straflos gehalten16 und kann folglich auch in einer Patientenverfügung verlangt werden. Teilweise wird im Schrifttum aus dem Selbstbestimmungsrecht als Kern der Würde des selbstbestimmten Menschen ein Verfügungsrecht über das eigenen Leben abgeleitet17. Dagegen wird eingewendet, dass ein solches Recht nicht bestehen kann, da Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur die Freiheit von staatlicher Beeinträchtigung der dort genannten Schutzgüter, nicht aber eine inhaltliche Freiheit zur individuellen Entfaltung enthalte18. Als Konsequenz ergibt sich eine unterschiedliche Interpretation der Reichweite des Selbstbestimmungsrechts: Während die restriktive Auffassung den grundrechtlichen Schutzbereich erst gar nicht als eröffnet ansieht, wird nach weitem Verständnis des Selbstbestimmungsrechts auch die Selbstaufgabe und sogar die Selbsttötung vom grundrechtlichen Schutzbereich umfasst. Die Verhinderung der Selbsttötung bedarf nach letzterer Auffassung als Grundrechtseingriff einer besonderen Rechtfertigung. Letztlich kann eine Entscheidung des Streits jedoch zumindest für die Erörterung der Problematik von Patientenverfügungen dahinstehen, da Einigkeit besteht, dass in das Selbstbestimmungsrecht eingreifende Begrenzungen zulässig sein können. 2.2. Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Für die verfassungsrechtliche Begründung von Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts ist insbesondere die staatliche Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG zu berücksichtigen19. Die Grundrechte sind nämlich nicht nur Abwehrrechte 12 Vgl. oben, Fn. 2. 13 Hufen (2001), S. 851. 14 Hufen (2001), S. 854. 15 Hufen (2003), S. 249. 16 Bundesgerichtshof (BGH) NJW 1997, S. 807, 810; Hufen (2001), S. 854. 17 Hufen (2001), S. 851 m.w.N. 18 Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, Band VI, § 128 Rn. 62. 19 Vgl. zur aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Schutzpflicht: Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 24 ff. - 7 - gegenüber Eingriffen des Staates. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in langjähriger Rechtsprechungspraxis immer wieder betont, dass Grundrechte als objektive Wertentscheidungen den Staat auch dazu verpflichten, den Einzelnen vor Eingriffen Privater in die grundrechtlichen Schutzgüter zu schützen20. Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang die Fälle, in denen der Patient passive Sterbehilfe, also das Unterlassen lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen , verlangt. Hierbei kommt der staatlichen Schutzpflicht für das Leben eine besondere Bedeutung zu, da sich der nicht mehr äußerungsfähige Patient in einer besonderen Gefährdungslage befindet. Dabei kann die staatliche Schutzverpflichtung in einen Gegensatz zum Selbstbestimmungsrecht treten, wenn dieses Recht mit dem Risiko des (beschleunigten) Todeseintritts ausgeübt wird21. Zudem können sich aus dieser Schutzpflicht besondere Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung ergeben, die einen effektiven Schutz für das Leben unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts sicherstellen22. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Grundgesetz keine Werterangordnung enthält23. Die verfassungsrechtlichen Schutzgüter Leben und Recht auf freie Selbstbestimmung stehen also nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis. Vielmehr bedürfen in Konflikt stehende verfassungsrechtliche staatliche Schutzgüter stets eines für jedes Schutzgut möglichst schonenden Ausgleichs24. Für den Fall der Patientenverfügung bedeutet dies, dass inhaltliche Beschränkungen der Verfügungen zwar grundsätzlich zulässig sind, jedoch nur, soweit sie erforderlich sind, um einen Konflikt des Selbstbestimmungsrechts mit anderen verfassungsrechtlichen Schutzgütern möglichst schonend aufzulösen. Aus diesem Grunde ist z.B. auch die ärztliche Notfallbehandlung nach einem Selbsttötungsversuch verfassungsrechtlich gerechtfertigt25. Für die inhaltliche Begrenzung einer Patientenverfügung ist demzufolge der staatliche Schutzauftrag für das Leben in die Auflösung des Konflikts mit einzubeziehen. 20 Siehe dazu grundlegend: Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1975, S. 573 ff. (1. Abtreibungsentscheidung ); Vgl. auch Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 24 ff. m.w.N. auch zur Rechtsprechung des BVerfG. – Vgl. auch Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Hervorhebung v. Verf.). 21 Vgl. dazu auch BVerfG NJW 1989, S. 2960. 22 Zum Grundrechtsschutz durch Verfahren: BVerfG NJW 1985, S. 2395, 2397; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 192. 23 Landau, S. 51 m.w.N. (Anlage 2). 24 Man spricht dabei von verfassungsimmanenten Schranken. Konflikte verfassungsrechtlicher Schutzgüter sind demnach gemäß dem Grundsatz praktischer Konkordanz unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufzulösen (vgl. dazu z.B. Lerche, in: Isensee/Kirchhof, Band V, § 122 Rn. 6). 25 Vgl. Hufen (2001), S. 855. - 8 - Vor diesem Hintergrund ist auch die Auffassung des überwiegenden Schrifttums und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu sehen, die die passive Sterbehilfe unter besondere Voraussetzungen stellen, insbesondere erst für zulässig erachten, wenn die Krankheit irreversibel ist und schon einen tödlichen Verlauf genommen hat26. Andere kritisieren daran, dass Art. 2 Abs. 2 GG „nicht auf den Schutz des Lebens im biologischen Sinne“ reduziert werden dürfe, sondern dass daraus auch das Recht des Einzelnen abzuleiten sei, den reinen Lebensschutz zugunsten des ebenfalls gewährleisteten Rechts auf Leidensfreiheit zurückzustellen27. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es demnach umstritten, ob aus Art. 2 Abs. 2 GG ggf. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Verbot zur Wahl passiver Sterbehilfe in Patientenverfügungen abzuleiten ist oder ob zur Wirksamkeit einer solchen Verfügung zumindest das Erfordernis eines irreversibel tödlichen Krankheitsverlaufs aufgestellt werden muss. Dies hängt maßgeblich von der Auslegung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) ab und davon, in welches Verhältnis zueinander die sich in diesem Zusammenhang widersprechenden Schutzpositionen von Leben, Menschenwürde und Selbstbestimmungsrecht gesetzt werden. Nach geltendem Recht unzulässig ist die aktive Sterbehilfe, also die aktive Tötung, und zwar gem. § 216 Strafgesetzbuch (StGB) auch bei ausdrücklich dahingehend geäußertem Wunsch des Patienten. Ob das Verbot der aktiven Sterbehilfe allerdings verfassungsrechtlich zwingend geboten ist, ist heftig umstritten. Teilweise wird eine entsprechende Änderung der Rechtslage für zulässig erachtet28. Andere sehen dagegen in Art. 1 Abs. 1 GG ein absolutes Hindernis für die Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe, da die Norm insofern einen „moralischen Grundkonsens“ enthalte29. Einigkeit besteht jedenfalls darin , dass das derzeitige Verbot aktiver Sterbehilfe zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Tötungstabus, zur Vorbeugung gegen Missbrauchsgefahren und zur Verhinderung von sozialem Druck auf Patienten und Ärzte gerechtfertigt ist30. Das Verlangen nach aktiver Tötung kann demzufolge jedenfalls nach derzeitiger Rechtslage nicht wirksamer Inhalt einer Patientenverfügung sein, wobei die verfassungsrechtliche Notwendigkeit dieser Einschränkung umstritten ist. 26 BGH NJW 2003, S. 1588, 1590. Zustimmend Landau, S. 50. 27 Hufen (2003), S. 250 f. 28 So z.B. Hufen (2001), S. 854; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 212a. 29 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1 Rn. 36 Stichwort „Sterbehilfe“; Landau, S. 51 m.w.N. 30 Landau, S. 51. - 9 - 2.3. Begrenzungen durch die Grundrechte Dritter Zweifelhaft ist, ob auch die Grundrechte anderer Personen als die des Verfügenden selbst, bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer Patientenverfügung Berücksichtigung zu finden haben. So kann sich zwar der behandelnde Arzt auf seine in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Gewissens - oder ggf. auch Religionsfreiheit berufen, wenn er eine in der Patientenverfügung verlangte Unterlassung der Behandlung mit seinem ärztlichen Heilauftrag oder seinen religiösen Bindungen als nicht vereinbar ansieht. Allerdings kann die Gewissensfreiheit des Arztes diesem kein Recht verleihen, sich durch aktives Handeln über das Selbstbestimmungsrecht des Patienten hinwegzusetzen und seinerseits in dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen31. Insbesondere bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer Patientenverfügung, können auch Abwägungen mit den verfassungsrechtlichen Schutzgütern Ehe und Familie (vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) erforderlich sein32. Steht der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille des Patienten hingegen eindeutig fest, so verbietet dessen Selbstbestimmungsrecht die Abwägung mit verfassungsrechtlichen Schutzgütern etwaiger Familienangehöriger . Denn der Ehegatte entäußert sich bei Eingehung einer Ehe nicht seiner Selbstbestimmung 33. 3. Zusammenfassende Bewertung und weiterführende Hinweise Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine inhaltliche Beschränkung von Patientenverfügungen stets vor dem Hintergrund des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen zu sehen ist. Dieses Grundrecht gewährleistet, dass jeder grundsätzlich selbst über sich, und damit auch über das Ob und Wie einer medizinischen Behandlung, bestimmen kann. Gerade bei den elementaren Entscheidungen über Leben und Tod ist jedoch der besondere verfassungsrechtliche Rang des Lebens zu berücksichtigen. Dabei ist zum einen die Frage nach dem Inhalt des Selbstbestimmungsrechts zu beantworten, zum anderen die verfassungsrechtlich begründete staatliche Schutzpflicht für das Leben zu 31 BGH NJW 2005, S. 2385, 2386; Hufen (2001), S. 851. 32 Vgl. dazu BVerfG NJW 2002, S. 206. Dort ging es um eine Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die vor Durchführung einer Operation in einer Patientenverfügung eine etwaige Bluttransfusion abgelehnt hatte. Der vom Gericht als Betreuer eingesetzte Ehemann stimmte dennoch einer dringend erforderlichen Bluttransfusion zu. Das BVerfG hob jedoch hervor, dass es die Bestellung eines Betreuers trotz Vorliegen einer Patientenverfügung als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ansieht, weil das Vormundschaftsgericht berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der Patientenverfügung hegte (vgl. auch Ohler/Weiß, S. 194; kritisch zu dieser Einschätzung des BVerfG: Hessler, S. 15). Dies wird verkannt in dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission, wo allgemein die Begrenzung des Selbstbestimmungsrechts zugunsten der verfassungsrechtlichen Schutzgüter aus Art. 6 GG für gerechtfertigt angesehen wird (vgl. Zwischenbericht Enquete-Kommission, S. 15). 33 So auch Hessler, S. 17 f. - 10 - berücksichtigen. Daneben können unter besonderen Umständen auch Grundrechte Dritter auf die Bewertung einer Patientenverfügung Einfluss nehmen. Ob Patientenverfügungen überhaupt ein wirksames Mittel zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts sind, ist dagegen keine Frage der verfassungsrechtlich begründeten Begrenzung ihrer Reichweite. Vielmehr geht es dabei um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Regelung, insbesondere einer Anordnung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen . Abschließend sei deshalb auf die Problematik des Übereinstimmens von Patientenverfügung und tatsächlichem Willen des Patienten in der konkreten Behandlungssituation hingewiesen34. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern Patientenverfügungen ein geeignetes Mittel zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts sind, da eine antizipierte Entscheidung für den Fall einer späteren Behandlungssituation naturgemäß nicht vor dem gleichen Erfahrungshintergrund gefasst werden kann, wie die Entscheidung in einer konkreten Behandlungssituation. Auch wird auf die Möglichkeit verwiesen , dass es durch bestimmte Krankheitserlebnisse zu „Persönlichkeitsveränderungen“ kommen kann. Wäre die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung gesetzlich vorgesehen , so bestünde für den nicht mehr äußerungsfähigen Patienten kaum noch die Möglichkeit , seine vormals schriftlich fixierte Ablehnung einer Behandlung zu revidieren. Letztlich würde der endgültige Entschluss über einen Behandlungsabbruch in diesen Fällen von einem Fremden gefasst. Für eine verfassungsrechtlich begründete Begrenzung von Patientenverfügungen gelten dagegen die oben genanten Erwägungen. 34 Einen umfassenden Überblick über die Problematik geben Zieger/Holfelder/Bavastro/Dörner (Anlage 3). Vgl. auch die Darstellung im Zwischenbericht der Enquete-Kommission (insbesondere S. 10 ff.) und bei Landau, S. 52. - 11 - Literaturverzeichnis ohne Verfasser, Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der Moderne“ vom 13. September 2004, Deutscher Bundestag. Drucksache 15/3700 (zit.: Zwischenbericht Enquete-Kommission). Hessler, Gerhard, Das Ende des Selbstbestimmungsrechts?; in: Medizinrecht, 2003, Heft 1, S. 13 ff. Hufen, Friedhelm, In dubio pro dignitate - Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens, in: Neue Juristische Wochenschrift 2001, S. 849 ff. (zit.: Hufen 2001). Hufen, Friedhelm, Verfassungsrechtliche Grenzen des Richterrechts - Zum neuen Sterbehilfe-Beschluss des BGH, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, S. 248 ff. (zit.: Hufen 2003). Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl., Heidelberg 2007 / Band VI, 2. Aufl., Heidelberg 2001 (zit.: Bearbeiter, in: Isensee/Kirchhof, Band). Landau, Herbert, „Heiligkeit des Lebens und Selbstbestimmung im Sterben“, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2005, S. 50 ff. , Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Patiententestament: Rechtslage und Praxis, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Abschluss der Arbeit: 5. Februar 2004, WF VII G - 018/04. Münch, Ingo von / Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., München 2000 (zit. Bearbeiter, in: v. Münch/Kunig). Ohler, Christoph / Weiß, Wolfgang, Glaubensfreiheit versus Schutz von Ehe und Familie, in: Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 194 ff. Sachs, Michael (Hrsg.), Grundgesetz, 4. Aufl., München 2007 (zit.: Bearbeiter, in: Sachs). Vossler, Norbert, Bindungswirkung von Patientenverfügungen? - Gesetzgeberischer Handlungsbedarf?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, S. 295 ff. Wissmann, Olaf, Der Aktuelle Begriff – Patientenverfügung, Nr. 34/2004 vom 27. Oktober 2004. - 12 - Zieger, A. / Holfelder, H.H. / Bavastro, P. / Dörner, K., Sind „Patientenverfügungen “ ein geeignetes Mittel für ein „Sterben können in Würde“? Kritische Überlegungen aus beziehungsethischer Sicht, ohne Datumsangabe, abrufbar unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp?typ=PDF&id=910 (letzter Aufruf: 6. Januar 2009).