Reform der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 469/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Reform der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste Ausarbeitung WD 3 - 469/07 Abschluss der Arbeit: 5. Februar 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Um das Parlamentarische Kontrollgremium mit den Kompetenzen eines Untersuchungsausschusses auszustatten, dürfte eine Verfassungsänderung notwendig sein. Hintergrund ist der aus dem Rechtsstaatprinzip folgende Grundsatz der Gewaltenteilung. Zwingend ist eine verfassungsrechtliche Verankerung, wenn das Parlamentarische Kontrollgremium exklusiv für die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste zuständig und Untersuchungsausschüsse für diesen Bereich ausgeschlossen sein sollen. Um die bestehenden Kompetenzen des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu verbessern , können einfachgesetzliche Regelungen ausreichend sein. Verfassungsrechtliche Grenze ist jedoch, dass faktisch keine dem Untersuchungsausschussrecht gleichlaufenden Kompetenzen eingeräumt werden dürfen. Ein genereller Verweis auf das PUAG oder die StPO dürfte deshalb unzulässig sein. Inhalt 1. Einleitung 4 1.1. Rechtstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Kontrollgremiums 4 1.2. Bisherige Reformüberlegungen 5 1.3. Untersuchungsgegenstand 6 2. Das Kontrollgremium als Untersuchungsausschuss 6 2.1. Notwendigkeit einer Verankerung im Grundgesetz 7 2.1.1. Zuständigkeit neben anderen Gremien des Bundestages 7 2.1.2. Exklusive Zuständigkeit des Gremiums 9 2.2. Zwischenergebnis 9 2.3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Verankerung 9 2.4. Rechtsvergleich 10 3. Verbesserung der Befugnisse des Kontrollgremiums 11 4. Anlagenverzeichnis 13 5. Literaturverzeichnis 13 - 4 - 1. Einleitung 1.1. Rechtstellung und Aufgaben des Parlamentarischen Kontrollgremiums Die Bundesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit der Nachrichtendienste1 der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium, § 1 Abs. 1 PKGrG2. Zusätzlich erfolgt die parlamentarische Kontrolle durch die üblichen Instrumentarien, beispielsweise durch entsprechende Anfragen im Plenum oder in den Ausschüssen.3 Nach dem PKGrG stehen dem Parlamentarischen Kontrollgremium4 verschiedene Befugnisse zur Verfügung. So kann das Gremium - Mitarbeiter der Dienste anhören5 oder - im Rahmen der Unterrichtung nach § 2 PKGrG Einsicht in Akten und Dateien der Dienste verlangen6, vgl. § 2a PKGrG7. Dabei werden aber die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO)8 nicht sinngemäß angewandt. So bestehen beispielsweise keine Wahrheitspflichten bzw. Zeugnisverweigerungsrechte oder Aktenherausgabeansprüche. Das Gremium hat auch nicht die Rechte eines Untersuchungsausschusses; es kann sich nicht selbst als Untersuchungsausschuss konstituieren oder dem Bundestag vorschreiben , dass ein Untersuchungsausschuss nur mit Mitgliedern des Kontrollgremiums zu besetzen ist. 1 Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst. 2 Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) vom 11. April 1978, BGBl. I S. 453, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26. Juni 2001, BGBl. I S. 1254. 3 § 1 Abs. 2 PKGrG; ausführlich Roewer, PKKG, § 1 Rn. 41 ff.; zu Grenzen allgemeiner Kontrolle Arndt, in: Schneider/Zeh, § 50 Rn. 2 ff.; zu weiteren Kontrollinstanzen siehe Rose-Stahl, S. 163 ff. 4 Im Folgenden als „Gremium“ bezeichnet. 5 Beispiele in BT-Drs. 16/800, S. 8 (Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium [PKGr], Bewertung zum Bericht der Bundesregierung zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak-krieg und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus). 6 Beispiele in BT-Drs. 16/800, S. 9 (Fn. 5). 7 Vgl. BT-Drs. 16/7540, S. 5 (Unterrichtung durch das Parlamentarische Kontrollgremium [PKGr], Bericht über die Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes [Berichtszeitraum: Oktober 2005 bis Dezember 2007]); zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der bisherigen Ausgestaltung siehe Peitsch/Polzin, NVwZ 2000, 387 (390). 8 Strafprozessordnung (StPO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987, BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319, zuletzt geändert durch Art. 1 des Telekommunikationsüberwachungs- Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2007, BGBl. I S. 3198. - 5 - 1.2. Bisherige Reformüberlegungen Der Vorschlag, einem Ausschuss zur Kontrolle der Nachrichtendienste die Befugnisse eines Untersuchungsausschusses einzuräumen, ist in den 60er bzw. 70er Jahren im Deutschen Bundestag diskutiert, aber wieder verworfen worden. Ausgangspunkt war ein in der 5. Wahlperiode vom Deutschen Bundestag auf Antrag der Fraktion der SPD eingesetzter Untersuchungsausschuss, der sich im Kern mit Fragen der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste im Bereich der Spionageabwehr beschäftigte.9 Dabei hat der Ausschuss auch geprüft, wie die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste verbessert werden könnte. In seinem Abschlussbericht vom 16. Mai 1969 empfahl der Untersuchungsausschuss folgenden Artikel 45a GG in das Grundgesetz einzufügen10: „(1) Der Bundestag bestellt einen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten , einen Ausschuss für Verteidigung und einen aus fünf Abgeordneten bestehenden Ausschuss für Angelegenheiten der Nachrichtendienste. Diese Ausschüsse werden auch zwischen zwei Wahlperioden tätig. (2) […] (3) Der Ausschuss für Angelegenheiten der Nachrichtendienste übt die parlamentarische Kontrolle über die Nachrichtendienste aus und nimmt auf diesem Gebiete die Rechte eines Untersuchungsausschusses ausschließlich wahr. Auf Antrag von zweien seiner Mitglieder oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages hat er eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu machen.“ Der anschließend von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachte Gesetzentwurf 11 fand jedoch in der 246. Sitzung des Bundestages am 1. Juli 1969 nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit12. Der Gesetzesvorschlag wurde im Jahr 1973 erneut aufgegriffen. Die damalige Enquete- Kommission Verfassungsreform setzte sich auch mit der Frage der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste auseinander.13 9 BT-Drs. V/3442. 10 BT-Drs. V/4208. 11 BT-Drs. V/4445. 12 Vgl. Roewer, Einl. PKKG, Rn. 4, m.w.N. 13 Deutscher Bundestag, Zur Sache 3/76, Beratungen und Empfehlungen zur Verfassungsreform, Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, Teil I: Parlament und Regierung, S. 142 ff. - 6 - Im Ergebnis hielt die Kommission die grundgesetzliche Verankerung eines besonderen Ausschusses für Angelegenheiten der Nachrichtendienste trotz zahlreicher Argumente für eine derartige verfassungsrechtliche Ausgestaltung nicht für erforderlich.14 In der Folge war die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste immer wieder Gegenstand politischer Erörterungen. So hat der auf Grund des § 2c PKGrG im Jahr 2004 eingesetzte Sachverständige angeregt, gesetzliche Regelungen zu schaffen, um auf die Beweiserhebung des Gremiums sinngemäß die Normen der StPO anwenden zu können .15 1.3. Untersuchungsgegenstand Um die Befugnisse des Gremiums zu erweitern bzw. zu verbessern, sind Regelungen im Grundgesetz, im einfachen Gesetzesrecht oder in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages denkbar. Ausgehend von den genannten Reformüberlegungen stehen zwei Modelle im Mittelpunkt dieser Prüfung; untersucht werden folgende Fragen: - Ist es möglich, dem Gremium die Rechte eines Untersuchungsausschusses einzuräumen? - Ist es möglich, die Befugnisse des Gremiums zu erweitern bzw. zu verbessern, indem Vorschriften der StPO für anwendbar erklärt werden? Für beide Fragen ist zu klären, ob das Grundgesetz geändert werden müsste oder ob eine einfachgesetzliche16 Regelung ausreichen würde. 2. Das Kontrollgremium als Untersuchungsausschuss Dem Kontrollgremium könnten die Rechte eines Untersuchungsausschusses zugewiesen werden durch - eine Änderung der Verfassung oder - einfachgesetzliche Regelung, etwa durch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Untersuchungsausschussgesetzes17 (PUAG)18. 14 Deutscher Bundestag, Zur Sache 3/76 (Fn. 13), S. 143 ff. 15 Siehe BT-Drs. 15/5989, 7. 16 Zur Frage der richtigen Regelungsebene (Gesetz oder Geschäftsordnung) siehe BVerfGE 70, 324 ff.; speziell für das PKGrG vgl. Hansalek, S. 261, der davon ausgeht, dass das Gesetz als Regelungsform zulässig ist. 17 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1142, zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 1 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004, BGBl. I S. 718. 18 Für den Verteidigungsausschuss siehe § 34 PUAG. - 7 - Dabei ist weiter zu differenzieren, ob das Gremium dauerhaft mit den genannten Rechten ausgestattet sein soll oder aber nur für bestimmte Anlässe. Folgefrage ist, ob das Gremium – in beiden Fällen – exklusiv für die Kontrolle zuständig sein oder daneben Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 44 GG möglich sein sollen. 2.1. Notwendigkeit einer Verankerung im Grundgesetz 2.1.1. Zuständigkeit neben anderen Gremien des Bundestages Eine Verfassungsänderung ist notwendig, wenn die Ausweitung des PUAG auf das Gremium auf einfachgesetzlicher Ebene gegen verfassungsrechtliche Vorgaben verstößt . Hier kommt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung in Betracht, weil das PUAG dem Parlament umfangreiche Selbstinformationsrechte19 einräumt. Hierzu zählen etwa Zutritts-, Anhörungs- sowie Akteneinsichts- und Aktenvorlagerechte 20, durch die sich das Parlament Informationen selbst unmittelbar verschaffen kann, ohne Vorauswahl durch die Bundesregierung21. Selbstinformationsrechte des Parlaments sind grundsätzlich die Ausnahme22; Gremien der parlamentarischen Kontrolle, die solche Selbstinformationsrechte haben, stehen in der Verfassung23. Für Untersuchungsausschüsse existiert mit Art. 44 Abs. 1 GG eine ausdrückliche Regelung, die durch einfaches Recht ausgestaltet wird. Das parlamentarische Kontrollgremium ist hingegen nicht verfassungsrechtlich verankert.24 Dies soll zwar noch nicht generell dagegen sprechen, Selbstinformationsrechte einfachgesetzlich zu verankern.25 Denn wenn man das Grundgesetz nicht als abschließenden Regelungsstandort für Fragen des Verhältnisses von Parlament und Regierung, sondern bloß als Grund- und Rahmenordnung versteht, deren konkrete Ausgestaltung dem Gesetzgeber obliegt, bestünden prinzipiell keine durchgreifenden Bedenken gegen die Festschreibung von Selbstinformationsrechten. Dies soll umso mehr gelten, wenn damit eine Optimierung der Kontrolle der Nachrichtendienste erreicht werde.26 Allerdings müssen solche Gesetze die im Grundgesetz vorgeschriebenen Kompetenzen beachten. Und parlamentarische Selbstinformationsrechte stellen einen erheblichen Ein- 19 Zur Kategorisierung vgl. Teuber, S. 64, 123. 20 Vgl. z.B. § 18 PUAG (Vorlage von Beweismitteln); ausführlich Glauben/Brocker, S. 185 ff. 21 Teuber, S. 64, 123; Stefani, in: Schneider/Zeh, § 49 Rn. 29. 22 Teuber, S. 64; Magiera, in: Schneider/Zeh, § 52 Rn. 58. 23 Teuber, S. 123; Magiera, in: Schneider/Zeh, § 52 Rn. 59. 24 Hinzu kommt, dass Untersuchungen nur durch Parlamentsausschüsse erfolgen sollen (vgl. Stefani, in: Schneider/Zeh, § 49 Rn. 30), es aber umstritten ist, ob das Parlamentarische Kontrollgremium ein Ausschuss ist, siehe hierzu ausführlich m.w.N. Waechter, Jura 1991, 520 ff. 25 Magiera, in: Schneider/Zeh, § 52 Rn. 40. 26 In diesem Sinne und unter Bezug auf Magiera (Fn. 22), Peitsch/Polzin, NVwZ 2000, 387 (390). - 8 - griff in den Funktions- und Eigenverantwortlichkeitsbereich der Bundesregierung dar.27 Sie sind wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung rechtfertigungsbedürftig. Für den Bereich der Untersuchungsausschüsse folgt das besonders hohe Gewicht des parlamentarischen Informationsinteresses aus der Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb der Regierung.28 Dies bezieht sich jedoch nur auf situationsbezogene, nicht aber dauerhafte Kontrolle. Hinzu kommt, dass dem besonderen Status und der besonderen Aufgabe der Nachrichtendienste Rechnung zu tragen ist: Effektive Geheimdienstarbeit erfordert Geheimschutz; deshalb können an die Kontrolle nicht die gleichen Maßstäbe angesetzt werden wie bei anderen Behörden.29 Dementsprechend gab es vor der Novelle des PKGrG im Jahr 1999 kritische Stimmen in der Literatur hinsichtlich der damals schon bestehenden Kompetenzen: „Die rechtlichen Möglichkeiten zur Ausstattung der PKK dürften damit ausgereizt sein, denn sie kommen denen eines permanenten Untersuchungsausschusses nahe.“30 In diesem Sinne kann wohl auch die Begründung zu § 2a PKGrG verstanden werden: „Dabei ist klargestellt, dass diese Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums nicht neben der Unterrichtung, sondern nur in deren Rahmen bestehen . Das entspricht dem, was einfachrechtlich einem ständigen parlamentarischen Kontrollorgan an Befugnissen eingeräumt werden kann.“31 Im Ergebnis spricht daher viel dafür, dass dem Gremium durch einfaches Recht nicht die Rechte eines Untersuchungsausschusses eingeräumt werden können, sondern dass es hierfür einer Ergänzung der Verfassung bedarf.32 Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kontrollgremium als dauerhafte Einrichtung mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses konzipiert werden soll. 27 Teuber, S. 64. 28 BVerfGE 110, 199 (222) unter Bezug auf BVerfGE 67, 100 (130). 29 Borgs-Maciejewski, APuZ 1977, B 6, S. 12 (22 f.) unter Bezug auf BVerfGE 30, 1 (20). 30 Borgs-Maciejewski, ZRP 1997, 361 (362), (Hervorhebungen durch die Verfasserin); kritisch bezüglich einzelner Regelungen im PKGrG: Peitsch/Polzin, NVwZ 2000, 387 (391). 31 BT-Drs. 14/539, S. 7, (Hervorhebungen durch die Verfasserin); das Gremium wurde also bewusst nicht mit Befugnissen eines Untersuchungsausschusses ausgestattet, vgl. auch Waechter, Jura 1991, 520 (526). 32 Borgs-Maciejewski, APuZ 1977, B 42, S. 33 (35): „[…] verfassungsgesetzliche Statuierung von Aktenvorlage-, Auskunfts- und Zutrittgewährungspflichten […]“; bezüglich der früheren Regelungen (PKK-Gesetz vom 11. April 1978, BGBl. I S. 453) über die Parlamentarische Kontrollkommission , siehe Friesenhahn, S. 87 (107); Roewer, PKKG, § 1 Rn. 4 ff. - 9 - 2.1.2. Exklusive Zuständigkeit des Gremiums Hinsichtlich einer möglichen exklusiven Zuständigkeit des Gremiums lässt sich aus der Literatur und den Parlamentsmaterialien ableiten, dass eine Verfassungsänderung zwingend notwendig wäre.33 So konnte das PKGrG nur ohne Verfassungsänderung verabschiedet werden, weil die Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium neben das Parlament und seine Ausschüsse tritt34; eine exklusive Zuständigkeit für die Kontrolle der Nachrichtendienste qua einfachgesetzlicher Regelung wäre verfassungsrechtlich nicht haltbar35. In diesem Sinne sind auch Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste36 zu verstehen: „Da die Kontrollaufgabe der Kommission zu den Kontrollrechten des Parlaments hinzutritt, ohne diese zu schmälern, erschien der Mehrheit des Ausschusses eine Grundgesetzänderung entbehrlich.“37 2.2. Zwischenergebnis Um das Kontrollgremium mit allen Kompetenzen eines Untersuchungsausschusses dauerhaft auszustatten, dürfte eine Verfassungsänderung notwendig sein. Zwingend ist eine Verfassungsänderung jedenfalls, wenn die parlamentarische Kontrolle allein durch das Gremium wahrgenommen und Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 44 GG von der Kontrolle der Nachrichtendienste ausgeschlossen werden sollen. Eine solche exklusive Zuständigkeit muss im Grundgesetz verankert sein. 2.3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Verankerung Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit ist allein Art. 79 Abs. 3 GG.38 Hiernach sind unter anderem Änderungen unzulässig, welche die in Art. 20 GG niederlegten Grundsätze berühren. Dazu gehören auch Teilaspekte des Rechtsstaatsprinzips.39 33 Zu den verfassungspolitischen Argumenten für bzw. gegen eine solche Konstruktion vgl. ausführlich die Enquete-Kommission Verfassungsreform, Deutscher Bundestag, Zur Sache 3/76 (Fn. 13), S. 144 ff. 34 Arndt, in: Schneider/Zeh, § 50 Rn. 12. 35 Penner, S. 101 (109); Enquete-Kommission Verfassungsreform, Deutscher Bundestag, Zur Sache 3/76 (Fn. 13), S. 148. 36 BT-Drs. 8/1599. 37 BT-Drs. 8/1599, S. 6, (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 38 Hierzu äußert sich die Literatur – wenn überhaupt – nur knapp; ausführlichere Hinweise konkret für die Kontrolle der Geheimdienste finden sich bei Hömig, APuZ 1977, B 42, S. 15 (30 f.) und Borgs- Maciejewski, APuZ 1977, B 42, S. 33 (34 f.); aus jüngerer Zeit siehe Hansalek, S. 237 ff. 39 Statt vieler: Sannwald, GG, Art. 79 Rn. 62. - 10 - Bedenken könnten sich allenfalls wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung ergeben . Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist ein tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes.40 Seine Bedeutung liegt in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsherrschaft . Dieses Prinzip ist jedoch nirgends rein verwirklicht. Auch in den Staatsordnungen , die das Prinzip anerkennen, sind gewisse Überschneidungen der Funktionen und Einflussnahmen der einen Gewalt auf die andere gebräuchlich.41 Nur der Kernbereich der Zuständigkeit der jeweiligen Gewalt muss unangetastet bleiben. Die entsprechenden Grenzen hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen zum Recht der Untersuchungsausschüsse hinreichend klargestellt: „Die Verantwortung der Regierung gegenüber Parlament und Volk (…) setzt notwendigerweise einen ‚Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung’ voraus (…), der einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dazu gehört z.B. die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht. Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstreckt sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge. Sie enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist.“42 Daraus folgt, dass es verfassungsrechtlich zulässig ist, das Gremium verfassungsrechtlich zu verankern – im Einzelfall ist es geboten und möglich, die aufgezeigten Grenzen zu beachten. 2.4. Rechtsvergleich Das Ergebnis wird bestätigt durch die Rechtsvergleichung: Sehr weite Befugnisse sind dem Ausschuss für Verfassungsschutz durch § 35 des Berliner Verfassungsschutzgesetzes eingeräumt.43 40 BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 34, 52 (59). 41 BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 34, 52 (59). 42 BVerfGE 67, 100 (139). 43 Vgl. die beigefügte Anlage unter Punkt 4. - 11 - Diese weiten Befugnisse sind jedoch durch eine Regelung in der Verfassung von Berlin abgesichert44: „Das Abgeordnetenhaus wählt aus seiner Mitte einen Ausschuss für Verfassungsschutz. Für die Wahl der Mitglieder steht den Fraktionen das Vorschlagsrecht in entsprechender Anwendung des Artikels 44 Abs. 2 Satz 1 zu.“ In den übrigen Landesverfassungen fehlt eine vergleichbare Verankerung; hier sind den Kontrollgremien ganz ähnliche Rechte zugewiesen wie dem Kontrollgremium des Bundestages.45 3. Verbesserung der Befugnisse des Kontrollgremiums Ein genereller Verweis auf die StPO und die dort normierten Befugnisse sieht sich ähnlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wie eine generelle Einbeziehung in den Anwendungsbereich des PUAG. Verfassungsrechtlich zulässig dürfte es hingegen sein, die bereits vorhandenen Befugnisse aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu verbessern.46 Dazu gehört etwa, die Regelungen in § 2a PKGrG zur Anhörung von Mitarbeitern der Dienste zu konkretisieren. Bislang sind diese Anhörungsregeln nicht eindeutig47; insbesondere Fragen der Amtsverschwiegenheit, der Reichweite von Aussagegenehmigungen etc. könnten durch Verweis auf die StPO geklärt werden48. Denkbar wäre auch, dem Gremium eine größere Anzahl von Mitarbeitern zur Seite zu stellen.49 44 Hervorhebungen durch die Verfasserin. 45 Siehe im Einzelnen § 15 Abs. 2 VerfSchG Baden-Württemberg; Art. 3 Abs. 3 PKGG Bayern; § 25 Abs. 1 VerfSchG Brandenburg; § 28 VerfSchG Bremen; § 26 Abs. 2 VerfSchG Hamburg; § 22 Verf SchG Hessen; § 29 LVerfSchG Mecklenburg-Vorpommern; § 25 VerfSchG Niedersachsen; § 25 VSG Nordrhein-Westfalen; § 21 VerfSchG Rheinland-Pfalz; § 24 VerfSchG Saarland; § 17 Verf- SchG Sachsen; § 27 VerfSchG Sachsen-Anhalt; § 26 VerfSchG Schleswig-Holstein; § 19 VerfSchG Thüringen – alle Normen sind beigefügt als Anlage. 46 „Zwischenfunktion zwischen einem ‚normalen’ Ausschuss und einem Untersuchungsausschuss“, in diesem Sinne der Abgeordnete Clemens Binninger, BT-Plenarprotokoll 16/37, S. 3327 (A), siehe dazu auch Fn. 49. 47 Haedge, S. 327, zur gesetzlichen Regelung im Jahr 1992 und zu der damals weitergehenden freiwilligen Zusicherung der Bundesregierung zur Anhörung von Mitarbeitern der Dienste etc. siehe BT- Plenarprotokoll 12/82, S. 6807 (B); diese Zusicherung wurde mit der Änderung 1999 inhaltsgleich im Gesetz aufgegriffen, dazu Nachweise bei Hansalek, S. 137. 48 Für Untersuchungsausschüsse siehe insoweit § 23 PUAG, der auf § 54 StPO verweist, ausführlich Glauben/Brocker, S. 254 ff. 49 In diesem Sinne etwa der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP, BT-Drs. 16/1163, S. 4 und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/843, S. 2; erste Beratung mit weiteren Hinweisen (vgl. Fn. 46) am 1. Juni 2006, BT-Plenarprotokoll 16/37, S. 3321 (D) – 3332 (D); kritisch auch zur derzeitigen Ausstattung Busch, S. 53 (48). - 12 - Kontrolladressat muss jedoch die Bundesregierung bleiben.50 Eine Grenze ist zu ziehen , wo das Gremium faktisch dieselben Rechte wie ein Untersuchungsausschuss eingeräumt bekommt.51 50 In diesem Sinne Rose-Stahl, S. 174; Peitsch/Polzin, NVwZ 2000, 387 (391); BT-Drs. 8/1599, S. 6. 51 Ähnlich, aber ohne nähere Begründung Peitsch/Polzin, NVwZ 2000, 387 (391). - 13 - 4. Anlagenverzeichnis - Verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Befugnisnormen der parlamentarischen Kontrollgremien auf Landesebene - Anlage - 5. Literaturverzeichnis - Arndt, Claus, Parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste, in: Schneider , Hans-Peter; Zeh, Wolfgang (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis , 1989, § 50 (zit.: Arndt, in: Schneider/Zeh). - Borgs-Maciejewski, Hermann, Die Nachrichtendienste im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, Erwiderung auf den Beitrag von D. Hömig, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 1977 B 42, S. 33 ff. (zit.: Borgs-Maciejewski, APuZ 1977, B 42). - ders., Hermann, Parlament und Nachrichtendienste, Aus Politik und Zeitgeschichte , Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 1977 B 6, S. 12 ff. (zit.: Borgs-Maciejewski, APuZ 1977, B 6). - ders., Hermann, Zur parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste, ZRP 1997, 361 – 364 (zit.: Borgs-Maciejewski, ZRP 1997). - Busch, Heiner, „Dazu darf ich nichts sagen“. Das Versagen der parlamentarischen Kontrolle, in: Bürgerrechte & Polizei 2004, S. 48 ff. 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