Kirchenbaulasten und Einigungsvertrag - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 467/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Kirchenbaulasten und Einigungsvertrag Ausarbeitung WD 3 - 3000 – 467/08 Abschluss der Arbeit: 13. Januar 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagesverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Ausgangssituation Anfang bis Mitte des 20ten Jahrhunderts hatten sich einige politische Gemeinden im gesamten Gebiet der heutigen BRD verpflichtet, die Kosten der Instandsetzung von Kirche und Pfarrgebäude der in das Gebiet der politischen Gemeinde fallenden kirchlichen Gemeinde zu tragen (Kirchenbaulasten). Der Status der Gemeinden in der DDR wurde mit dem „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“1 vom 18. Januar 1957 neu geregelt. Es stellen sich die folgenden beiden Fragen: - Bestehen die vor der Teilung Deutschlands begründeten Kirchenbaulasten der politischen Gemeinden im Gebiet der ehemaligen DDR auch nach der Wiedervereinigung (materiellrechtliche Ebene)? - Falls nein, ist dieses Ergebnis verfassungsrechtlich zulässig (verfassungsrechtliche Ebene)? 2. Materiellrechtliche Bewertung 2.1. Untergang der Forderung 1957 Die Gemeinden, wie sie vor der Teilung Deutschlands bestanden haben, dürften im Gebiet der ehemaligen DDR spätestens mit dem „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 18. Januar 1957 (Staatsmacht-Gesetzes) aufgehört haben, als rechtlich selbständige Gebietskörperschaft zu existieren. Hierfür sprechen insbesondere die folgenden Gründe: - § 4 des Staatsmacht-Gesetzes übertrug die ehemals von den selbständigen Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben dem jeweiligen Rat der Gemeinde als vollziehendem Organ der örtlichen Volksvertretung. Die Räte waren keine Organe der Gemeinde, sondern örtliche Organe der zentralen Staatsgewalt.2 Dies belegt bereits der Wortlaut des Gesetzestitels. Folglich waren sie – entgegen von nicht näher begründeten Stimmen in der Literatur3 – nach Inkrafttreten des Staatsmacht-Gesetzes wohl nicht mehr als selbständige Rechtssubjekte anzusehen .4 1 GBl. der DDR, Teil I Nr. 8, S. 65 ff. 2 BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005, XI ZR 353/04, SächsVBl. 2006, 209 ff. 3 Ohne substantiierte Begründung gegen einen Untergang der Gemeinden als Rechtsträger: Böhland, Kommunale Baulasten nach dem Einigungsvertrag, ZevKR 2001, 141 (152); Lindner, Baulasten an kirchlichen Gebäuden, 1995, 286. 4 Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 11. April 2007, 1 KO 491/05, DÖV 2007, 889. - 4 - - Die Räte der Gemeinden sollen seit 1957 keinen eigenständigen Haushalt mehr vorgelegt haben.5 - Durch § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung)6 vom 17. Mai 1990 sind die Gemeinden als Gebietskörperschaft originär neu errichtet worden.7 - Die Änderung des Staatshaftungsgesetzes der DDR durch den Einigungsvertrag 8 begründete erstmals in § 1 Abs. 1 eine Haftung der kommunalen Organe.9 Dies spricht dafür, dass die Gemeinden zuvor keine Rechtsfähigkeit hatten. - Das Kommunalvermögensgesetz10 der DDR vom 6. Juli 1990 leitet in § 2 Abs. 1 lit. e alle sonstigen Rechte und Forderungen von „den ehemaligen Gemeinden und Städten“ in das Vermögen der (neu gegründeten) Gemeinde über. Aus der Verwendung der Formulierung „den ehemaligen Gemeinden und Städten“ ergibt sich, dass die ehemalige Gemeinde gegenüber der neu gegründeten Gemeinde etwas rechtlich Anderes ist und mit ihr nicht im Sinne einer Gesamtrechtsnachfolge identisch ist.11 2.2. Rechtsnachfolge beim Beitritt der neuen Bundesländer? Ob die Forderungen der Kirchengemeinden mit Wegfall ihrer Vertragspartner, den politischen Gemeinden, endgültig untergegangen sind, kann dahingestellt bleiben. Die Forderungen sind jedenfalls nicht auf die 1990 neu gegründeten Gemeinden übergegangen. 2.2.1. Rechtsnachfolge durch ausdrückliche Anordnung Aus dem Einigungsvertrag ergibt sich kein genereller Übergang der Verbindlichkeiten auf neue Rechtsträger. Ein Übergang von Kirchenbaulastverpflichtungen der hier in Rede stehenden Art auf die neu gegründeten Gemeinden ist nicht vorgesehen. Soweit Schulden aufgrund des Einigungsvertrages von neuen Rechtsträgern zu übernehmen sind, sind dazu jeweils besondere Regelungen getroffen worden.12 5 Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 11. April 2007, 1 KO 491/05, DÖV 2007, 889. 6 GBl. der DDR, Teil I Nr. 28, S. 255 ff. 7 BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005, XI ZR 353/04, SächsVBl. 2006, 209 ff.; ThürOVG, Urteil vom 11. Juni 2001, 4 KO 52/97, LKV 2002, 285. 8 Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889), Anlage II Kap. III, Sachgebiet B, Abschnitt III, Nr. 1. 9 BGH, Urteil vom 6. Mai 2004, III ZR 248/03, SächsVBl. 2006, 211 ff. 10 GBl. der DDR 1990, Teil I S. 660. 11 BGH, Urteil vom 6. Mai 2004, III ZR 248/03, SächsVBl. 2006, 211, 212. 12 Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 11. April 2007, 1 KO 491/05, DÖV 2007, 889. - 5 - Der Vertrag des Freistaats Thüringen mit den Evangelischen Kirchen in Thüringen und dem entsprechenden Gesetz13 vom 17. Mai 1994 über Verträge der Evangelischen Kirche mit dem Land Preußen von 1931 bzw. mit dem Land Thüringen von 1925 bzw. 1929 betrifft nicht kommunale Kirchbaulasten.14 Dies übersieht die Literatur zum Teil.15 2.2.2. Rechtsnachfolge aus allgemeinen Grundsätzen Es gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, wonach für grundstücksbezogene Verbindlichkeiten nach allgemeinen Grundsätzen derjenige haftet, dem das Grundstück zuzuordnen ist. Die Verträge über Kirchenbaulasten sehen aber regelmäßig nur eine allgemeine Verpflichtung der politischen Gemeinde zur Erbringung bestimmter Leistungen vor und weisen keinen Grundstücksbezug auf.16 In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ferner anerkannt, dass ein staatlicher Funktionsträger, der die gleichen oder auch überwiegend gleichen Funktionen ausübt wie sein Vorgänger, z. B. für dessen Amtspflichtverletzungen zu haften hat. Die Haftung aus Funktionsnachfolge steht unter dem Vorbehalt, dass das Gesetz nichts abweichend regelt. Da der Gesetzgeber bei der Frage des Haftungsübergangs durch den Einigungsvertrag umfassend tätig geworden ist, dürfte kein Raum mehr für den Haftungsgrund der Funktionsnachfolge gegeben sein.17 2.3. Verfassungsrecht Mit dem Gesetz vom 18. Januar 1957 über die Organe der Staatsmacht dürften die damals bestehenden Gemeinden und Städte in der DDR aufgelöst worden sein. Folglich bestand mit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet keine Rechtsposition der kirchlichen Gemeinden, die Gegenstand des Eigentumsschutzes des Grundgesetzes z. B. über Art. 14 GG bzw. Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Weimarer Reichsverfassung hätte sein können. Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, die Bürger und Körperschaften, die im Gebiet der ehemaligen DDR gelebt /bestanden haben, nachträglich so zu stellen, als hätten sie unter dem Recht der Bundesrepublik Deutschland existiert.18 Erst mit dem Beitritt und der Anerkennung 13 GVBl. Thüringen 1994, Nr. 17 vom 25. Mai 1994, S. 509. 14 Thüringer Landtag, Erste Wahlperiode, 113. Sitzung, Plenarprotokoll vom 22. April 1994, S. 88725. 15 Ohne die notwendige Unterscheidung zwischen Landes- und Kommunalebene Knöppel/Köster, Kirchenbaulasten in Thüringen, ThürVBl. 2000, 8 (10). 16 Vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 11. April 2007, 1 KO 491/05, DÖV 2007, 889. 17 BGH, Urteil vom 8. Dezember 1994, III ZR 105/93, BGHZ 128, 140 ff. 18 Vgl. auch BVerfG, Urteil vom 9. Dezember 1997, 1 BvR 1611/94, BVerfGE 97, 89; BGH, Urteil vom 3. Juli 1998, V ZR 34/97, BGHZ 139, 152 (160). - 6 - durch den Einigungsvertrag konnten vermögenswerte Rechtspositionen in den Schutzbereich des Grundrechts des Art. 14 GG gelangen.19 Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dürfte nicht verletzt sein. Zwar stehen die vor der Teilung Deutschlands begründeten Kirchenbaulasten den Kirchengemeinden in den neuen Bundesländern im Unterschied zu den Kirchengemeinden in den alten Bundesländern als Mittel zur Finanzierung ihrer Bauaufwendungen flächendeckend nicht mehr zur Verfügung. Die Kirchengemeinden in den alten Bundesländern dürften aber mit den Kirchengemeinden in den neuen Bundesländern wohl keine Vergleichsgruppe bilden. Die Kirchengemeinden in den neuen Bundesländern waren in einer besonderen Umbruchsituation, in der geregelt werden musste, welche Rechte vor der Vereinigung tatsächlich bestanden haben und inwiefern sie übergeleitet werden sollen. Selbst wenn man eine Vergleichbarkeit der Gemeinden in den alten und neuen Bundesländern annähme, dürfte die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Der Fortbestand von Kirchenbaulasten dürfte zumindest zweifelhaft gewesen sein. Es erscheint sachlich gerechtfertigt, die neu gegründeten Gemeinden nicht mit diesen mindestens unsicheren Verbindlichkeiten zu belasten. Hinzu kommt folgender Aspekt: Kirchliche Baulasten dürften sich allgemein darin begründen, dass die Einwohner der Gemeinde vollständig oder weitgehend identisch mit den Mitgliedern der Kirchengemeinde sind. Der Anteil der Mitglieder einer Kirche an der Gesamtbevölkerung liegt jedoch deutlich unter dem Anteil in den alten Bundesländern.20 Im Übrigen ging auch die Rechtsprechung in den alten Bundesländern vor der Wiedervereinigung davon aus, dass Kirchenbaulasten zumindest anzupassen sind, wenn der Anteil nicht-konfessioneller Bewohner in einer Gemeinde von 10 % auf 25 % steigt.21 Die Literatur zu Kirchenbaulasten hat sich mit den vorstehenden verfassungsrechtlichen Fragen nicht auseinandergesetzt.22 Unmittelbar einschlägige Rechtsprechung des Bundes- oder eines Landesverfassungsgerichts besteht nicht. Daher lässt sich nicht vollständig ausschließen, dass ein Gericht im Einzelfall zu einem anderen Ergebnis gelangt. Wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. 19 BVerfG, Urteil vom 28. April 1999, 1 BvL 32/95, BVerfGE 100, 1 (33 ff). 20 Weber, Wegfall der Geschäftsgrundlage für die aus städtischen Patronaten resultierenden Baulastverpflichtungen an kirchlichen Gebäuden in den neuen Bundesländern - Dargestellt am Beispiel der Hansestadt Rostock, LKV 2001, 49 (53). 21 Verwaltungsgerichtshof Kassel, Urteil vom 7. Mai 1973, VI OE 49/71, Nachweis bei Weber (Fn. 20), Fn. 81. 22 Siehe oben Fn. 3 und 15. - 7 - 3. Ergebnis Die Kirchenbaulasten der politischen Gemeinden aus der Zeit vor der Teilung Deutschlands dürften nicht mehr bestehen, da die Gemeinden 1957 als Rechtsträger untergegangen sind und insbesondere im Einigungsvertrag Regelungen zu den kommunalen Kirchenbaulasten fehlen. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist diese materiellrechtliche Frage für die Praxis abschließend entschieden. Das Bundesverfassungsgericht könnte nur noch prüfen, ob dieses materiellrechtliche Ergebnis verfassungsrechtlich zulässig ist. Diese Frage dürfte zu bejahen sein. Als die DDR die politischen Gemeinden in der DDR abschaffte und damit die Kirchenbaulasten untergingen, galt der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht (im Gebiet der DDR). Hingegen galt zwar der Gleichheitssatz mit deren Beitritt auch in den neuen Bundesländern. Allerdings dürfte es nicht gleichheitswidrig sein, dass der Gesetzgeber den wahrscheinlichen Untergang von Kirchenbaulasten der Gemeinden in den neuen Bundesländern nicht durch eine besondere Klausel, z. B. im Einigungsvertrag, verhindert hat: Die Kirchengemeinden in den neuen Bundesländern befanden sich im Unterschied zu den Kirchengemeinden in den alten Bundesländern in einer besonderen Umbruchsituation.