Deutscher Bundestag Verwendung von Fraktionsgeldern zur Finanzierung von Parteiaufgaben Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 455/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 455/10 Seite 2 Verwendung von Fraktionsgeldern zur Finanzierung von Parteiaufgaben Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 455/10 Abschluss der Arbeit: 19. November 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 455/10 Seite 3 1. Fragestellung Zur Finanzierung ihrer Arbeit erhalten die Fraktionen im Bundestag sowie in den Landtagen öffentliche Mittel aus dem Bundes- bzw. jeweiligen Landeshaushalt. Diese Gelder dürfen sie nur für ihre Fraktionsaufgaben verwenden. Eine Finanzierung von Parteiaufgaben aus Fraktionsmitteln ist unzulässig. Auf Bundesebene folgt dies aus § 50 Abs. 4 Abgeordnetengesetz (AbgG).1 Vergleichbare Regelungen finden sich in den Fraktionsgesetzen der Länder.2 Ergänzend regelt § 25 Abs. 2 Nr. 1 Parteiengesetz (PartG)3, dass Parteien keine Spenden von Parlamentsfraktionen oder -gruppen annehmen dürfen. Der Begriff Spende erfasst nach § 27 Abs. 1 S. 4 ParteiG u.a. geldwerte Zuwendungen aller Art. Hierunter kann bspw. die Bereitstellung von sächlichen Mitteln, Personal oder Organisationsstrukturen durch Fraktionen fallen.4 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob aus den Landtagen in den letzten zwei Jahren Verfahren bezüglich einer verbotenen Nutzung von Fraktionsgeldern im Sinne der Parteiarbeit bekannt sind. 2. Aufgaben der Fraktionen – Parteiarbeit Parteien und Fraktionen haben aus verfassungsrechtlicher Sicht verschiedene Aufgaben und einen unterschiedlichen rechtlichen Status. Aufgrund der inhaltlichen und personellen Nähe zwischen einer Fraktion und der entsprechenden Partei kann es jedoch zu Überschneidungs- und Abgrenzungsfragen kommen. Zwischen der Finanzierung von Fraktionsaufgaben einerseits und unzulässiger Parteiarbeit andererseits zu unterscheiden, kann daher im Einzelfall schwierig sein. Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit, Art. 21 Abs. 1 GG. Sie sind Vereinigungen von Bürgern und ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 1 Abs. 1 ParteiG). Demgegenüber sind Fraktionen Zusammenschlüsse von Abgeordneten in einem Parlament. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind sie ein politisches Gliederungsprinzip für die Arbeit des Bundestages und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung .5 Ihre Bildung beruht auf der in Ausübung des freien Mandats getroffenen Entscheidung der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG).6 Seit langem ist dabei anerkannt, dass Fraktionen als 1 Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 3. April 2009 (BGBl. I S. 700) geändert worden ist. 2 Bspw. in Rheinland-Pfalz: § 2 Abs. 1 Landesgesetz zur Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen v. 21. Dezember 1993 (GVBl. 642). 3 Parteiengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 (BGBl. I S. 149), das zuletzt durch Artikel 5a des Gesetzes vom 24. September 2009 (BGBl. I S. 3145) geändert worden ist. 4 Vgl. BVerfGE 85, 264 (320 f.). 5 BVerfGE 80, 188 (219). 6 Braun, Werner/Jantsch, Monika/Klante, Elisabeth, Abgeordnetengesetz, 2002, § 45 Rn. 6; Klein, Hans H., in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Band IV, Art. 38 Rn. 254. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 455/10 Seite 4 notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens Teil der organisierten Staatlichkeit sind.7 Sie steuern und erleichtern den technischen Ablauf der Parlamentsarbeit. Die Aufgaben der Fraktionen sind im Grundgesetz, dem einfachen Recht und der Geschäftsordnung des Bundestages näher geregelt. Die Finanzierung dieser Aufgaben wird – in Abgrenzung zur Parteienfinanzierung8 – als Teil der Parlamentsfinanzierung angesehen.9 Der Höhe nach wird die Fraktionsfinanzierung durch die Kosten der parlamentarischen Aufgabenerfüllung begrenzt.10 Die Abgrenzung zwischen Fraktionsaufgaben einerseits und Parteiarbeit andererseits spielt insbesondere bei Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit eine Rolle. Dies zeigt auch die Auswertung der Berichte der Landesrechnungshöfe (s.u. 2.1). Aufgrund der Nähe zwischen Fraktion und Partei werden Äußerungen einer Fraktion häufig auch der jeweiligen Partei zugerechnet. Fraktionen dürfen nach § 47 Abs. 3 AbgG die Öffentlichkeit über ihre Aktivitäten informieren. Vergleichbare Regelungen finden sich in den Fraktionsgesetzen der Länder.11 Soweit Fraktionen über ihre parlamentarische Arbeit (z.B. Gesetzesinitiativen, Anträge, Anfragen) informieren, entspricht dies den gesetzlichen Vorschriften. Nicht zur Information über die parlamentarische Arbeit dürften hingegen Broschüren mit reiner Sympathiewerbung für einzelne Personen oder gezielter Werbung für die Partei ohne Bezug zur Fraktionsarbeit zählen.12 Zwischen diesen eindeutigen Beispielen sind – auch durch den Einsatz neuer Medien – zahlreiche Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit denkbar, die eine genaue Betrachtung des Einzelfalls erforderlich machen, um beurteilen zu können, ob es sich noch um zulässige Information über die parlamentarische Arbeit oder bereits um Werbung für die Partei handelt. Anhaltspunkte für diese Prüfung können sich auch aus dem Zeitpunkt von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit ergeben. Zunehmende Aktivitäten der Fraktionen im Vorfeld von Wahlen ohne spezifischen Anlass aus der parlamentarischen Arbeit können die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung überschreiten .13 7 BVerfGE 2, 143 (160); 20, 56 (104); 43, 142 (147); 70, 324 (362); 112, 118 (135). 8 Siehe dazu: Heintzen, Markus, Die Trennung von staatlicher Fraktions- und staatlicher Parteienfinanzierung, DVBl. 2003, 706 ff. 9 Hölscheidt, Sven, Die Finanzen der Bundestagsfraktionen, DÖV 2000, 712 (714). 10 BVerfGE 20, 56 (105). 11 Z.B. Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. 2 Nr. 5 Fraktionsgesetz (s. Fn 2). 12 Vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, NVwZ 2003, 75 ff; zu weiteren Beispielen unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit, Cancik, Pascale, Entgrenzungen: Der Streit um die Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen, ZG 2007, 349 (360 f.). 13 Vgl. zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vor Bundestagswahlen BVerfGE 44, 125 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 455/10 Seite 5 2.1. Berichte der Landesrechnungshöfe Nach den jeweiligen Fraktionsgesetzen der Länder sind die Landesrechnungshöfe für die Prüfung der Verwendung der Fraktionsmittel zuständig.14 Eine Pflicht zur Veröffentlichung der Prüfberichte besteht allerdings nicht. Eine Auswertung der Veröffentlichungen der Landesrechnungshöfe sowie der Parlamentsmaterialen der Landtage seit dem Jahr 2008 ergab die nachfolgend zusammengestellten Hinweise zur Verwendung von Fraktionsmitteln. Baden-Württemberg15: Der Landesrechnungshof Baden-Württemberg hat in einer beratenden Äußerung über die Zuschüsse und sonstigen Leistungen an die Fraktionen des Landtags in der 13. Wahlperiode mehrere Einzelfälle aufgeführt, in denen nach seiner Auffassung Fraktionsmittel für Parteizwecke eingesetzt wurden. Inhaltlich geht es vor allem um Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit , die als unzulässige Parteiwerbung bzw. Wahlkampfunterstützung gewertet wurden. Allerdings werden die betroffenen Fraktionen nicht benannt. Berlin16: Aus dem Jahresbericht des Landesrechnungshofs geht hervor, dass dieser einen „Prüfbericht gemäß § 9 Abs. 4 FraktG über die Verwendung der den Fraktionen des Abgeordnetenhauses für das Haushaltsjahr 2006 zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel aus dem Landeshaushalt“ erstellt hat. Der Prüfbericht selbst wurde nicht veröffentlicht. Aus dem Jahresbericht geht hervor, dass insbesondere Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit im Umfeld der Wahlen zum Abgeordnetenhaus , die Teilnahme an Parteitagen sowie die Repräsentation beanstandet wurden. Die betroffenen Fraktionen werden jedoch nicht benannt. Hamburg17: Der Rechnungshof hat in seinem Bericht über die Prüfung der Leistungen an die Fraktionen der Bürgerschaft in den Jahren 2004 und 2005 beanstandet, dass eine Publikation einer Fraktion Aussagen enthielt, die keinen Fraktionsbezug aufwiesen sondern der Bundestagswahl zuzurechnen waren. Die betroffene Fraktion wird nicht benannt. Rheinland-Pfalz18: Der abschließende Bericht des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz über die Prüfung von Geld- und Sachleistungen an die Fraktionen des Landtags Rheinland-Pfalz – Haushaltsjahre 2003, 2004, 2005 und 2006 (bis zum Ende der 14. Wahlperiode) wurde als Landtagsdrucksache veröffentlicht. Der Bericht enthält diverse Beanstandungen des Finanzgebarens der Fraktionen . Beispielhaft zu nennen sind Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen sowie die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen, bei denen der Landesrechnungshof keinen Bezug zur Fraktionsarbeit festgestellt hat. Die jeweils betroffenen Fraktionen werden namentlich ge- 14 Zur Reichweite des Prüfungsrechts: Schröder, Jürgen, Das Prüfungs- und Einsichtsrecht des Rechnungshofs in Unterlagen der Fraktionen, LKV 2006, S. 112 ff. 15 LT-Drs. 14/3531; S. 38 ff. 16 Rechnungshof von Berlin, Jahresbericht 2010, S. 14; abrufbar unter http://www.berlin.de/imperia/md/content/rechnungshof2/jahresbericht_2010.pdf?start&ts=1283151750&file=jahr esbericht_2010.pdf 17 Drs. 18/5926, S. 5. 18 LT-Drs. 15/4476. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 455/10 Seite 6 nannt. Die Beanstandungen des Landesrechnungshofs führten dazu, dass die CDU-Fraktion erklärt hat, alle offen gebliebenen Punkte aus dem Bericht des Rechnungshofs gegenüber dem Landtag zu bezahlen.19 Außerdem haben alle betroffenen Fraktionen Forderungen gegenüber den Landesverbänden der jeweiligen Partei geltend gemacht. Mit der Finanzierung von Beratungsleistungen wird sich ein Untersuchungsausschuss des Landtages befassen.20 Sachsen21: In einer beratenden Äußerung erläutert der Landesrechnungshof seine Auffassung zur Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen. Anlass hierfür waren Erkenntnisse aus der letzten Prüfung der Verwendung der Fraktionsmittel durch den Landesrechnungshof. Es werden keine konkreten Fälle oder betroffene Fraktionen benannt. Schleswig-Holstein22: Der Landesrechnungshof stellt in seinen „Bemerkungen 2010“ mehrere Einzelfälle aus den Jahren 2005 bis 2007 dar, in denen Fraktionsgelder für Zwecke der Parteiarbeit verwendet wurden. Beispielsweise wurden Meinungsumfragen zur sog. Sonntagsfrage finanziert oder Briefporto für Schreiben an alle Parteimitglieder aus Fraktionsmitteln bezahlt. Allerdings wurden die nach Ansicht des Landesrechnungshofes zweckwidrig verwendeten Beträge inzwischen erstattet. 2.2. Presseauswertung Eine Presseauswertung der Jahre 2008 bis 2010 ergab darüber hinaus drei weitere Fälle, in denen Fraktionsgelder für Zwecke der Parteiarbeit verwendet worden sein sollen. In Mecklenburg-Vorpommern soll der Vorsitzende der FDP-Fraktion Gelder für die Parteiarbeit zweckentfremdet haben. Nachdem dies aufgefallen war, sei der Fehler korrigiert worden. Dies habe auch der Landesrechnungshof bestätigt.23 Ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern soll die NPD Fraktionsmittel u.a. zur allgmeinen Öffentlichkeitsarbeit der Partei verwendet haben.24 In Sachsen soll die NPD-Fraktion Gelder für Werbeschreiben an Schülerräte eingesetzt haben, die als Parteiwerbung für die NPD gedient haben sollen.25 19 Aufstellung der Forderungshöhe LT-Drs. 15/4476, S. 5. 20 Einsetzungsbeschluss LT-Drs 15/4762. 21 LT-Drs. 4/15930, S. 15 ff. 22 Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, Bemerkungen 2010, S. 65 ff. 23 „FDP hält trotz Gegenwind an Fraktionschef Roolf fest“, Ostsee-Zeitung vom 22. Juni 2010. 24 „Faule Tricks – NPD-Fraktion unter Druck“, Ostsee-Zeitung vom 8. Juli 2009. 25 „Die aggressiven Propaganda-Methoden der NPD“, Die Welt vom 5. Februar 2010.