Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen in zeitlicher Nähe zu Wahlterminen - Sachstand - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 453/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen in zeitlicher Nähe zu Wahlterminen Sachstand WD 3 - 453/07 Abschluss der Arbeit: 07. Dezember 2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Dieser Sachstand beschäftigt sich mit der Zulässigkeit regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit in zeitlicher Nähe zu Wahlterminen. Umfang und Grenzen werden nach den Grundsätzen der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 2. März 19771 dargestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil2 allgemeine Grundsätze entwickelt, um verfassungsrechtlich zulässige Öffentlichkeitsarbeit von verfassungswidrigem, parteiergreifendem Einwirken von Staatsorganen auf Wahlkämpfe abzugrenzen. 2. Überblick über die verfassungsrechtliche Rechtsprechung zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung 2.1. Anwendbarkeit der Rechtsprechung des BVerfG auf Landesregierungen Das Bundesverfassungsgericht hat die folgenden Grundsätze für das Bundesverfassungsrecht aus dem Demokratiegebot des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 38. Abs. 1 GG sowie aus dem passiven Wahlrecht aus Art. 3 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet.3 Diese Grundsätze gelten sowohl für die Bundestagswahlen als auch für Landtagswahlen.4 So ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts5 vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes 6, des Landes Nordrhein-Westfalen7 sowie vom Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen8 und des Landes Baden-Württemberg9 übernommen worden. Auch der Staatsgerichtshof des Landes Hessen (HessStGH) hat die Grundsätze und Maßstäbe, die das BVerfG entwickelt hat, übernommen.10 Der HessStGH verweist in dem Beschluss vom 11. Januar 199111 ausdrücklich auf die Leitenscheidung des BVerfG und stellt klar, dass die dort genannten Bestimmungen des Grundgesetzes ihre Entsprechung in den inhaltsgleichen Art. 1, 65, 73 Abs. 2 und 75 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen finden. Die Grundsätze, welche das BVerfG ausdrücklich im Hinblick auf die 1 BVerfGE 44, S. 125ff. = NJW 1977, S. 1054. 2 Siehe Fn. 1; bestätigt und fortgeführt durch BVerfGE 63, S. 230ff. = NJW 1983, S. 1105. 3 Vgl. BVerfGE 63, S. 230ff. (241) = NJW 1983, S. 1105. 4 Kretschmer, Gerald in Schmidt-Bleibtreu, Bruno/ Klein, Franz, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl. 2004, Art. 38 GG Rdn. 47; BVerfGE 63, S. 230ff. (243ff.). 5 Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen, vgl. Fn. 1. 6 NJW 1980, S. 2181. 7 NVwZ 1986, S. 463ff. 8 NVwZ 1985, S. 649ff. 9 ESVGH 31, S. 81ff. 10 NVwZ 1992, S. 465ff. 11 Siehe Fn. 10. - 4 - Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung aufgestellt hat, können demnach ebenso in Bezug auf Landesregierungen herangezogen werden. 2.2. Die wesentlichen Grundsätze und Maßstäbe des BVerfG im Hinblick auf die verfassungsrechtlich zulässige Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen Zunächst stellt das BVerfG in seiner Entscheidung12 fest, dass Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften in Grenzen notwendig ist, um den Bürgern die für die Wahrnehmung ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten erforderlichen Informationen zu vermitteln. So bleibt es Regierungen unbenommen, Vorhaben und die durchgeführten Maßnahmen gegenüber der Öffentlichkeit unter Einsatz staatlicher Mittel13 darzustellen, soweit es sich hierbei um „sachgerechte, objektiv gehaltene Information“ 14 handelt. Andererseits besagt Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Dementsprechend findet die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen statt. Hieraus folgt für die Staatsorgane, zu denen auch die Regierung gehört, die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität. Es ist der Regierung verwehrt, in amtlicher Funktion durch besondere Maßnahmen auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken . Die Öffentlichkeitsarbeit darf nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen oder die Oppositionsparteien bekämpfen. Die Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich im Wahlkampf neutral zu verhalten, um nicht durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen und hierdurch die Innehabung von Macht zu perpetuieren. Wenn der Staat zugunsten oder zu Lasten bestimmter politischer Parteien oder von Wahlbewerbern Partei ergreift, ist das verfassungsmäßige Recht der davon nachteilig Betroffenen auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt. Das Recht auf Chancengleichheit gegenüber der öffentlichen Gewalt gilt nicht nur beim Wahlvorgang selbst, sondern auch schon für die Wahlvorbereitung und die dazu gehörige Wahlwerbung. 12 Siehe Fn. 1. 13 Beispielsweise Geld oder personelle Ressourcen. 14 Klein, Hans, in: Maunz, Theodor/ Düring, Günter, Grundgesetz Kommentar, Band IV, (Stand: März 2001), Art. 21 GG Rdn. 302. - 5 - 2.3. Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von unzulässiger Wahlwerbung Für die Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von einer parteiergreifenden Einwirkung auf den Wahlkampf gilt zunächst, dass sich die Öffentlichkeitsarbeit im jeweiligen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich halten muss. Darüber hinaus muss sie sich stets der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten. All dies gilt besonders für Maßnahmen, die - gewollt oder ungewollt - geeignet sind, der Wahlwerbung zu dienen oder den Wahlkampf zu beeinflussen . Die zulässige Öffentlichkeitsarbeit findet dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt. Die Wahlwerbung ist der Regierung in jedem Fall untersagt.15 Anzeichen dafür, dass die Grenze von der erlaubten Öffentlichkeitsarbeit zur verfassungswidrigen, parteiergreifenden Einwirkung auf den Wahlkampf überschritten ist, können sich unter anderem aus dem Inhalt sowie aus der Form und Aufmachung von Anzeigen und Druckschriften ergeben, zum Beispiel dann, wenn der informative Gehalt einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurücktritt oder wenn sich im Vorfeld der Wahl regierungsamtliche Anzeigen und Druckschriften häufen , ohne einem von der Sache her gerechtfertigten Informationsbedürfnis des Bürgers zu dienen. 2.4. Das Gebot äußerster Zurückhaltung der Regierung in zeitlicher Nähe zum Wahltag Jedoch kann im nahen Vorfeld der Wahl auch eine weder ihrem Inhalt nach noch durch ihre Aufmachung sich als Werbemaßnahme darstellende regierungsamtliche sachliche Information über Leistungen und Erfolge dann unzulässig sein, wenn insbesondere Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichte mit beträchtlichem Aufwand und in erheblicher Menge veröffentlicht werden. Aus der Verpflichtung der Regierung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folgt das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher Öffentlichkeitsarbeit in der eigentlichen Vorwahlzeit . Maßgeblich für die rechtliche Betrachtung ist daher, zu welchem Zeitpunkt die Vorwahlzeit beginnt. Zwar lässt sich ein genauer Stichtag nicht eindeutig bestimmen , allerdings kann als Orientierungspunkt hierfür nach der Rechtsprechung des 15 BVerfGE 44, S. 125ff. (149); 63, S. 230ff. (243). - 6 - BVerfG die Wahlanordnung des Bundespräsidenten nach § 16 Bundeswahlgesetz16 (BWahlG) gelten.17 Von dieser Beschränkung der Öffentlichkeitsarbeit unberührt bleiben dagegen auch im Vorfeld der Wahl lediglich informierende, wettbewerbsneutrale Veröffentlichungen, die aus akutem Anlass gerade zu diesem Zeitpunkt geboten sind. 3. Ergebnis Es lässt sich nicht allgemeingültig festlegen, wann der voraussichtliche Einfluss von Veröffentlichungen auf die politische Meinungsbildung des Wählers verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies hängt insbesondere von der Zahl und dem Umfang der Maßnahmen, der Nähe des Wahlzeitpunktes und der Intensität des Wahlkampfes ab. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob die beanstandeten Maßnahmen geeignet sind, die Wahlentscheidung des Bürgers zugunsten der Regierung und der sie stützenden Parteien zu beeinflussen18 und Auswirkungen auf das Wahlergebnis nicht ausgeschlossen werden können19. 4. Anlagenverzeichnis: - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1977, BVerfGE 44, S. 125ff. - Anlage 1 - - Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 1983, BVerfGE 63, S. 230ff. - Anlage 2 - 16 Gesetzeswortlaut: „Der Bundespräsident bestimmt den Tag der Hauptwahl (Wahltag). Wahltag muß ein Sonntag oder gesetzlicher Feiertag sein.“ 17 BVerfGE 44, S. 125ff. (153). 18 BVerfGE 44, S. 125ff. (152). 19 BVerfGE 63, S. 230ff. (244).