Maritime Sicherheitslage Deutschlands unter besonderer Berücksichtigung der Zuständigkeit von Bund und Ländern - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 – 447/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Maritime Sicherheitslage Deutschlands unter besonderer Berücksichtigung der Zuständigkeit von Bund und Ländern Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 447/08 Abschluss der Arbeit: 10. Dezember 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Die Ausarbeitung ist eine aktualisierte Überarbeitung der Ausarbeitung WD 3 – 428/07 Bei der Recherche war das BMVg (FüM III 2) behilflich. Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben sich auch auf den Bereich der Sicherheit der Seeschifffahrt ausgewirkt. Aufgrund der Tatsache, dass vorsätzliche Angriffe auf den Schiffsverkehr durchaus vorstellbar sind, hat die Internationale Maritime Organisation (IMO) auf die veränderte Sicherheitslage insbesondere durch ein neues SOLAS1-Kapitel XI-2 reagiert. Kern der Änderungen ist der internationale Code für die präventive Gefahrenabwehr2 (ISPS-Code). Der ISPS-Code regelt das praktische Verfahren der Gefahrenabwehr auf dem Schiff und in den Häfen und ist von den Vertragsstaaten durch die Einsetzung einer zuständigen Behörde sowie durch die Bestimmung einer anerkannten Organisation zur Gefahrenabwehr umzusetzen.3 In der Antwort auf eine Kleine Anfrage betont die Bundesregierung, dass alle Maßnahmen im Sinne des ISPS- Codes Eigensicherungsmaßnahmen der betroffenen Unternehmen gegen Übergriffe von außen durch unbefugte Dritte sind und somit die Unternehmen auch die Kosten dieser Maßnahmen zu übernehmen haben.4 Die vorliegende Ausarbeitung gibt einen Überblick über die nationale Verteilung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern im Hinblick auf die Abwehr von maritimem Terrorismus.5 Im Folgenden wird zwischen der Gesetzgebungs- und der Verwaltungsbzw . Vollzugskompetenz differenziert. Zum Abschluss wird die Fortentwicklung der maritimen Sicherheit Deutschlands – national wie international – skizziert. 2. Gesetzgebungskompetenz Aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG wird eine umfassende Bundeskompetenz für das Schifffahrtswesen abgeleitet.6 Mit Schifffahrt ist jeglicher Verkehr von Wasserfahrzeugen gemeint, unabhängig davon, ob es sich um „Schiffe“ im herkömmlichen Sinne handelt. Bestimmungen, die sich auf die Gefahrenabwehr auf dem Schiff beziehen, sind daher vom Bund durch bundesrechtliche Regelungen auszufüllen. Hinsichtlich der Gefahrenabwehr in den Hafenanlagen sind landesrechtliche Ausführungsregelun- 1 SOLAS (International Convention for the Safety of Life at Sea) ist ein Internationales Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See. 2 Der ISPS-Code (International Ship and Port Facility Security Code) wurde entwickelt um die Sicherheit in der Transportlieferkette zu erhöhen. 3 Herma, Michael, Die rechtliche Ausgestaltung maritimer Sicherheit in Deutschland, 2006, § 1 E, S. 31. 4 BT-Drs. 16/2911, S. 2. 5 Der Begriff „Küstenschutz“ wird in Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG verwendet und umfasst alle Maßnahmen zum Schutz der deutschen Nordsee- und Ostseeküste gegen Sturmfluten durch den Bau von Sperrwerken und Deichen. 6 Degenhart, Christoph, in: Sachs, Michael, Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 74 Rn. 93. - 4 - gen erforderlich, da sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nicht auf den Hafenbereich bezieht. So ergibt sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes weder aus dem Katalog der Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung nach Art. 73 GG noch aus dem Katalog der Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 GG und obliegt daher gemäß Art. 70 GG den Ländern.7 Andererseits ergibt sich aus der im Art. 73 Abs. 1 GG im Zuge der Föderalismusreform neu eingefügten Nr. 9a wiederum eine ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für drei eng umgrenzte Fälle der allgemeinen Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus: „Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über: […] die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.“ Sie bezieht sich jedoch nur auf die von der neuen Nummer 9a des Art. 73 Abs. 1 GG vorausgesetzte mögliche Aufgabenwahrnehmung durch das Bundeskriminalamt, wie sich aus dem Zusatz „durch das Bundeskriminalpolizeiamt“ ergibt. Entsprechend Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG ist mit der Formulierung „Bundeskriminalpolizeiamt“ das Bundeskriminalamt gemeint.8 Der Gesetzgeber sah die Notwendigkeit, dem Bundeskriminalamt präventive Kompetenzen für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus einzuräumen, weil oftmals Hinweise aus dem Ausland kommen, die zunächst noch nicht einer bestimmten Landespolizeibehörde zugeordnet werden können.9 Die Berufung des Bundeskriminalamtes zur präventiven Sachaufklärung in den Fällen des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG ist aber nicht als ausschließliche Befugnis aufzufassen, die traditionelle Länderzuständigkeit auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr bleibt daneben auch zukünftig bestehen.10 Die Einzelheiten des Zusammenwirkens zwischen dem Bundeskriminalamt und den Landespolizeibehörden sind einfachgesetzlich zu regeln. Der Begriff des internationalen Terrorismus ist nach nationalen und internationalen Vorgaben auszulegen. Zu beachten sind dabei insbesondere Art. 29 Abs. 2 und Art. 31 7 Eine detaillierte Auflistung der Aufteilung der einzelnen Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern findet sich bei Herma (Fn. 3.), § 4. 8 Stettner, Rupert, in: Dreier, Horst, Grundgesetz, Bd. II, 2. Aufl., Supplementum 2007, Art. 73 Rn. 51. 9 Stettner (Fn. 8), Rn. 51. 10 BT-Drs. 16/813, S. 12. - 5 - Abs. 1 e des Vertrages über die Europäische Union (EU) in Verbindung mit dem EU- Rahmenbeschluss vom 13.6. 200211. Demnach sind unter „terroristische Gewalt“ „Handlungen zu rechnen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land… ernsthaft schädigen können“, soweit sie mit dem Ziel begangen werden, „die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Landes ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören“.12 Zu beachten ist, dass die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG enthaltene ausschließliche Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 73 Abs. 2 GG als einzige der in Art. 73 Abs. 1 GG aufgeführten Materien der Zustimmung durch den Bundesrat bedarf.13 3. Vollzugs- und Verwaltungskompetenzen Die Länder sind zuständig für polizeiliche Aufgaben im Bereich der Territorialgewässer und Häfen sowie der schiffbaren Wasserstraßen, der sonstigen Binnengewässer samt den jeweils dazugehörigen Anlagen und Straßen. In den deutschen Territorialgewässern (Zwölf-Meilen-Zone)14 ist nicht die Bundeswehr zuständig, sondern die Polizei des jeweiligen Bundeslandes. Dies gilt auch im Hinblick auf die Gefahrenabwehr bezüglich der Abwehr terroristisch geprägter Aktionen. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist in den Ordnungsvorschriften §§ 2, 4, 6 und 80 des Gesetzes zur Organisation der Landespolizei in Mecklenburg-Vorpommern die Zuständigkeit der ansässigen Wasserschutzpolizeidirektion festgelegt. Seewärts der Zwölf-Meilen-Zone bis maximal 200 Seemeilen Entfernung zur Küste befindet sich die ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ), an die sich die Hohe See anschließt . Schiffe unterliegen hier dem Flaggenrechtsprinzip. Das bedeutet, dass, abgese- 11 ABl. EU Nr. L 164, S. 3. 12 Zitiert nach Stettner in Dreier (Fn. 8), Rn. 53. 13 Weitere Hinweise zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG: Tams, Christian, Die Zuständigkeit des Bundes für die Abwehr terroristischer Gefahren, DÖV 2007, S. 367 ff. 14 Erläuterung der Begriffe „Territorialgewässer“ und „Zwölf-Meilen-Zone“, Brockhaus (http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/be21_article.php?document_id=b24_5066707): die an die Stelle der Dreimeilenzone getretene, gemäß Artikel 3 der UN-Seerechtskonvention von 1982 (in Kraft seit 1994) zugelassene Ausdehnung der Territorialgewässer auf zwölf Seemeilen (22 224 m), in denen das nationale Recht der Uferstaaten gilt. Territorialgewässer sind die vor einer Küste liegenden Meeresteile, die nicht zur Hohen See, sondern zum Staatsgebiet des Uferstaates gehören. Vgl. zum Rechtsregime der Territorialgewässer auch Graf Vitzthum, Wolfgang, in: ders., Handbuch des Seerechts, 2006, Kapitel 2 Rn. 96 ff. - 6 - hen von einigen im Seevölkerrecht geregelten Tatbeständen, nur der Flaggenstaat polizeiliche Aufgaben in Bezug auf das Schiff durchführen darf. In diesem Bereich hat die Bundespolizei die Befugnis zur Gefahrenabwehr und zur Erfüllung der Vollzugspflichten aus internationalen Verträgen. 4. Fortentwicklung der maritimen Sicherheit Deutschlands Als Konsequenz aus der „Pallas“-Katastrophe im Herbst 1998 und zur Abwehr von Terrorangriffen wurde ein Maritimes Sicherheitszentrum (MSZ) in Cuxhaven geschaffen, um die Kooperation von Bund und Ländern zu verbessern. Allerdings hält sich die Kritik am derzeitigen maritimen Sicherheitssystem.15 Insbesondere werden in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Trennung von militärischen und polizeilichen Einsatzformen in Frage gestellt und parallel zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Vereinbarkeit des Luftsicherheitsgesetztes mit dem Grundgesetz 16 die Möglichkeiten des Einsatzes der Bundeswehr im Innern diskutiert.17 Von den Befürwortern wird auch eine Änderung der Verfassung in Erwägung gezogen, um den Einsatz der Marine zur Abwehr terroristischer Gefahren zu erreichen. So wird die Bildung einer zentralen Küstenwache gefordert, welche mit weitreichenden Durchgriffsrechten auf allen Ebenen ausgestattet werden soll.18 Hierdurch soll eine Entlastung der Wasserschutzpolizei erreicht werden, welche nach dieser Ansicht nicht über die Mittel zur effektiven Terrorabwehr verfügt. Am 28. Februar 2007 stellten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD einen Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, ein Seesicherheitsgesetz zu diskutieren .19 Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 21. Juni 2007 vom Bundestag angenommen .20 Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Auf internationaler Ebene wurde in den vergangenen Jahren (insb. seit 2001) eine Vielzahl von Initiativen zur maritimen Sicherheit entwickelt. Diese Entwicklung verläuft sehr dynamisch. Aktueller Trend auf europäischer Ebene ist die Konsolidierung der Initiativen verschiedener Akteure (EU, NATO, versch. Einzelstaaten). Absicht 15 Vgl. Hoffmann, Holger, Die maritimen Aspekte deutscher Sicherheitspolitik, Marineforum 10-2005, S. 14; Stehr, Michael, Die Befugnisse der Deutschen Marine, Marineforum 3-2004, S. 20. 16 BVerfG NJW 2006, 751 ff. 17 Vgl. hierzu insbesondere die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes als Anlage, sowie Wiefelspütz , Dieter, Vorschlag zur Neufassung des Art. 35 GG, in ZPR 2007, Heft 1, S. 17 ff. 18 Vgl. Hoffmann (Fn.15), S. 14; Stehr (Fn.15). 19 Vgl. Antrag: BT-Drs. 16/4423, S. 11; Beschlussempfehlung und Bericht: BT-Drs. 16/5437; Annahme der Vorlage (BT-Drs. 16/4423): BT-Plenarprotokoll 16/105, S. 10785B. 20 BT-Plenarprotokoll 16/105, S. 10785B. - 7 - Deutschlands ist zunächst die Etablierung eines Systems regionaler, unabhängiger, jedoch interoperabler Subsysteme zum Aufbau eines anforderungsgerechten maritimen Lagebildes für Deutschland und Europa. Die Subsysteme bestehen bereits teilweise. Die deutsche Marine verfolgt einen ressortübergreifenden und multinationalen Ansatz zur Kooperation in der maritimen Sicherheit. Hierzu ist sie einerseits mit einem Verbindungselement am Maritimen Sicherheitszentrum in Cuxhaven vertreten. Andererseits vertritt sie ressortabgestimmt die deutschen Interessen in internationalen militärischen Gremien, die von sicherheitspolitischer Bedeutung für Deutschland sind. Schwerpunktmäßig sind dies: - European Defense Agency (EDA): Das Common Staff Target zum Aufbau eines gesamteuropäischen Maritime Surveillance Network ist im Juni 2008 gebilligt worden . - Sea Surveillance Cooperation Finland-Sweden (SUCFIS): Die deutsche Beteiligung an dem skandinavischen Modell SUCFIS zur Seeraumüberwachung soll nach Billigung durch den Inspekteur der Marine und Zustimmung der Ressorts im Arbeitskreis Maritime Sicherheit eingeleitet. Deutschland hat im Februar 2008 informell Oberserverstatus bei SUCFIS erhalten. Die formelle Bestätigung durch das FIN- SWE Steering Board mit 6 mon. Frist zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen erfolgte Ende August 2008. Deutschland beteiligt sich an der Erweiterung von SUCFIS zu SUCBAS (Einschluss anderer Ostseeanrainer). - Chiefs of European Navies (CHENS): Deutschland entwickelt mit Spanien die operativen Leitlinien im Bereich Maritimer Sicherheit gemäß dem Strategiepapier für die CHENS Marinen weiter. Eine CHENS WG beteiligt sich an der Implementierung des Blaubuchs der Europäischen Union im Bereich Maritime Sicherheit. - North Atlantic Coast Guard Forum (NACGF): Das NACGF wurde am 23.10.2007 in Stockholm unter Beteiligung von 18 Staaten einschl. Russland, den USA und Kanada unter deutscher Beteiligung gegründet. Die deutsche Marine beteiligt sich im Bereich Maritime Sicherheit.