Verwaltungsrecht als Ordnungsidee - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 - 447/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Verwaltungsrecht als Ordnungsidee Ausarbeitung WD 3 - 447/06 Abschluss der Arbeit: 20.12.2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 3 2. Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee 3 3. Verfassungsentscheidungen als Struktur für das Verwaltungsrecht 4 3.1. Rechtsgebundenheit der Verwaltung 4 3.2. Wirkungen der Grundrechte 4 3.3. Rechtsstaatlichkeit als Struktur 5 3.4. Bedeutung des demokratischen Prinzips für die Verwaltung 5 3.5. Bestimmungsfaktoren eines demokratischen Verwaltungsrechts 6 4. Die Rolle des besonderen Verwaltungsrechts 7 5. Leitbegriffe der Systembildung 9 6. Eigenständigkeit und Kontrolle der Verwaltung 9 7. Verwaltungsorganisationsrecht 10 8. Administrative Handlungspraxis 12 9. Schlusswort 12 - 3 - 1. Einleitung Das Verwaltungsrecht hat nach Ansicht von Fritz Ossenbühl1 den Zustand erreicht, in dem die Rückbesinnung auf die Grundlagen mehr nottut als je zuvor. „Während liebevoll an Details von Beurteilungsspielräumen und Ermessensbereichen, an Abwägungsvorgängen und Planungsdefizitzen gefeilt wird, schwindet die Aufmerksamkeit für die übergeordneten Grundfragen. Die oft geforderte Entfeinerung des Verwaltungsrechts ist nicht nur ein Erfordernis der Praxis, sondern auch der Rekonstruktion des Verwaltungsrechtssystems .“ „Der Hypertrophie dogmatischer Ziselierarbeit … tut die Rückbesinnung auf Grundprinzipien und Grundkategorien des Verwaltungsrechts gut.2 Grundprinzipien und Grundkategorien des Verwaltungsrechts bestimmen und prägen die Arbeiten von Schmidt-Aßmann.3 2. Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee Das Verwaltungsrecht in Deutschland hat eine lange Tradition: schon im Jahr 1862 hat Friedrich Franz von Mayer „Grundsätze des Verwaltungsrechts“ aufgestellt.4 Die Bedeutung solcher Grundsätze ist nach wie vor aktuell. Die Akzeptanz des Staates oder z. B. der Europäischen Union hängen von einer „guten Verwaltung“ ab. Bürger haben ein Recht auf eine gute Verwaltung. Dazu gehören das Recht, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden, das Recht gehört zu werden, das Recht auf Zugang zu den sie betreffenden Akten, die Verpflichtung Entscheidungen zu begründen sowie der Anspruch auf Schadensersatz.5 Das Verwaltungsrecht hat einen doppelten Auftrag: Es soll dem Einzelnen Schutz gewähren und die Grundlagen dafür schaffen, dass die Verwaltung wirkungsvoll rechtlichen Aufgaben nachgehen kann. Das ist nicht unproblematisch. 1 F. Ossenbühl, Besprechung von Schmidt Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee , in: Die Verwaltung 1999, S. 97-102. 2 F. Ossenbühl, Besprechung von Schmidt Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee , in: Die Verwaltung 1999, S. 97-102 (98). 3 Schmidt-Aßmann, 2004, und Nachweise im Literaturverzeichnis. 4 F.F. von Mayer, Grundsätze des Verwaltungsrechts, 1862. - 4 - Die moderne Verwaltungsrechtswissenschaft durchmisst zurzeit enorme Veränderungen und steht vor fundamentalen Herausforderungen vor allem auch durch die zunehmende Europäisierung auch des nationalen Verwaltungsrechts. 3. Verfassungsentscheidungen als Struktur für das Verwaltungsrecht Das Verwaltungshandeln muss neben der Rechtsmäßigkeit auch sog. Richtigkeitskriterien erfüllen. 3.1. Rechtsgebundenheit der Verwaltung Das Verwaltungsrecht ist eng verknüpft mit den Trias der Bindungsnormen - die Bindung an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG, an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 2 GG, an das Gebot demokratischer Legitimation nach Art. 20 Abs. 2 GG - und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. 3.2. Wirkungen der Grundrechte In der Nachkriegszeit haben die rechtsstaatlichen Gewährleistungen die Verwaltungsrechtsentwicklung geprägt. Grundrechte zeigen die Grenzen von Eingriffsermächtigungen auf, lenken die Ermessensausübung und bilden Genehmigungstatbestände um.6 Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte. Sie sind auch Schutzaufträge7 und sie haben Bedeutung für staatliche Leistungen sowie das Verfahrens- und Organisationsrecht . Zu der leistungsrechtlichen Dimension der Grundrechte sei angemerkt, dass sie grundsätzlich keine originären Leistungsansprüche begründen, diese bedürfen einer gesetzlichen Normierung. Fehlt es an einer solchen, so bedarf es einer Tatbestandsverdichtung , das heißt den Rekurs auf den unabdingbaren Minimalstandard um ausnahmsweise zu grundrechtsunmittelbaren Ansprüchen zu gelangen. Im Verfahrensrecht haben verfassungsgerichtliche Leitentscheidungen verfahrensrechtliche Gestaltungselemente her- 5 Siehe Art 41 der Charta der Grundrechte und Artikel II - 101 der Europäischen Verfassung. 6 Schmidt-Aßmann 2004, S. 62. 7 Schmidt-Aßmann 2004, S. 64. - 5 - ausgearbeitet: die „Mühlheim-Kärlich“ - Entscheidung8 hat die Beteiligungsrechte erläutert , die “Sasbach“ - Entscheidung9 die Bedeutung der Mitwirkungslast herausgestellt und die „Prüfungsentscheidung“10 den Gedanken diskursiver Problembewältigung und vorbeugender Fehlervermeidung. 3.3. Rechtsstaatlichkeit als Struktur Rechtspraktisch soll das allgemeine Verwaltungsrecht die administrative und gerichtliche Entscheidungspraxis entlasten, indem es als Speicher wirkt.11 Die grundgesetzliche Durchdringung der administrativen Praxis wäre nicht so konsequent durchzusetzen gewesen , hätte nicht das allgemeine Verwaltungsrecht als Mittel der Rezeption und der Weitergabe zur Verfügung gestanden. Darüber hinaus ist das allgemeine Verwaltungsrecht auch ein Instrument der Rechtspolitik. Es ermöglicht den Vergleich der Rechtsregeln und Rechtsinstitute miteinander. 3.4. Bedeutung des demokratischen Prinzips für die Verwaltung Die in Art. 20 Abs. 2 GG vorgeschriebene Legitimation durch das Volk ist der Grundtatbestand aller Legitimation staatlicher Herrschaft. Wo immer staatliches Handeln wirksam werden soll, muss die Legitimation sichergestellt sein. Legitimationssubjekt ist das Volk als verfasste Personengesamtheit, die sich nicht nach gruppenspezifischen Kriterien oder Interessen bestimmt, sondern eine unbestimmte Allgemeinheit ist. Die Legitimation wird nach Art. 20 Abs. 2 GG durch Wahlen und Abstimmungen vermittelt . Die aus Wahlen hervorgegangenen Parlamente in Bund und Ländern vermitteln demokratische Legitimation in den Verwaltungsbereich durch den Zurechnungszusammenhang . „Die Akte der Verwaltung müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden.“12 Die Wirksamkeit der Legitimitätsvermittlung beruht auf: der Stringenz der Rückführbarkeit und auf der Verantwortbarkeit , die eine bestimmte Entscheidungsqualität anzeigt. 8 BVerfGE 53, 30 (62 ff.). 9 BVerfGE 61, 82 (109 ff.). 10 BVerfGE 84, 34 (54 f.) und 59 (73). 11 Schmidt-Aßmann, 2004 S. 4. 12 BVerfGE 83,60 (71 f.), BVerfGE 93, 37 (66). - 6 - Sachlich-inhaltliche Legitimation wird durch die Bindung der Exekutive an inhaltliche Vorgaben der parlamentarisch getroffenen Willensentscheidung vermittelt. Die Gesetzesbindung der Exekutive ist ein Eckpfeiler des demokratischen Verwaltungsrechts. Die sachlich inhaltliche Legitimation wird darüber hinaus durch das Haushaltsrecht vermittelt . Der Haushalt ermächtigt die Exekutive zu eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung . Neben der Ermächtigungsfunktion hat der Hauhalt auch eine Programm- und eine Kontrollfunktion. Für die sachliche Legitimation ist darüber hinaus das parlamentarische Kontroll- und Korrekturrecht wichtig. Hierzu zählen Weisungs- und Aufsichtsrechte und die Finanzkontrolle. Daneben gibt es die personell-organisatorische Legitimation, die durch die Rückbindungen zwischen der Person des die Staatsgewalt ausübenden Amtswalters und dem Träger der Staatsgewalt bestehen. Verlangt wird eine ununterbrochene Legitimitätskette . Ein Amtsträger ist personell legitimiert, wenn er sein Amt im Wege einer Wahl durch das Volk oder das Parlamente oder durch einen seinerseits personell legitimierten Amtsträger oder mit dessen Zustimmung erhalten hat.13 Neben der parlamentsvermittelten Legitimation sieht das Grundgesetz das Legitimationsmodell der kommunalen Selbstverwaltung vor. Die Legitimität der kommunalen Verwaltung folgt aus der grundgesetzlichen Staatlichkeit als Repräsentanten der Länder (siehe Art. 28 Abs. 2 GG). Das in Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich anerkannte, räumlich enger definierte Allgemeininteresse erhält einerseits eine eigene demokratische Legitimation und bleibt zugleicht eingebunden in die parlamentsvermittelte Legitimation , insbesondere durch seine Verpflichtung auf staatliche Gesetze. Die zweifache demokratische Legitimation ist das Spezifikum der kommunalen Verwaltung. Gesetzesbindung und Rechtsaufsicht sind stabilisierende Elemente. 3.5. Bestimmungsfaktoren eines demokratischen Verwaltungsrechts Geht man davon aus, dass das Verwaltungshandeln neben der Rechtmäßigkeit auch andere Richtigkeitskriterien zu erfüllen hat, so sind Akzeptanz, Partizipation und Öffentlichkeit von Bedeutung. Akzeptanz wird als Tatbestand der Hinnahme von Entscheidungen definiert. Akzeptanz umfasst die Spannbreite des Bewertens von Verwaltungsentscheidungen von rich- 13 BVerfG, NVwZ 2003, 974 (975). - 7 - tig bis noch anerkennenswürdig. Der Gedanke der Akzeptanz hilft bei der Analyse, welche Schwachstellen der Verfahrens zu Akzeptanzmängeln führen: z.B. die Undurchsichtigkeit des Entscheidungsgefüges, seine normativen Grundlagen, vermutete mangelnde administrative Neutralität oder ein grundlegender Wertedissens. Die Akzeptanz des Verfahrensergebnisses hängt davon ab, ob der Bürger die Entscheidung als rechtmäßig und richtig begreift. Information, Anhörung und Bemühen um Verständigung sind verwaltungspolitisch sinnvolle Handlungsweisen. Die Verwaltung ist hierzu in vielen Bereichen gesetzlich verpflichtet. Unter Partizipation versteht man die Beteiligung der in einer spezifischen Weise von einer bestimmten Entscheidung Betroffenen. Die Formen der Partizipation sind die klassisch rechtsstaatliche Individualbeteiligung, aber auch die Repräsentantenbeteiligung durch Verbände und Gruppen. Es geht hier inzwischen nicht mehr nur um die Information der Verwaltung, sondern auch darum zu diskursiver Rationalität staatlicher Entscheidungen beizutragen.14 Die Bedeutung der Öffentlichkeit hat in den vergangenen Jahren zugenommen: So gibt es inzwischen auf der Ebene der Europäischen Union ein umfassendes Recht auf Zugang zu Dokumenten. Dieses Recht geht inzwischen soweit, dass alles zugänglich ist, was nicht zuvor ausdrücklich für vertraulich erklärt wurde. In Deutschland hat das Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene den Bürgern einen größeren Informationszugriff erlaubt, jedoch ist das Recht auf Zugang zu Dokumenten restriktiv ausgestaltet, z.B. durch die Kostenpflichtigkeit bestimmter Auskünfte. 4. Die Rolle des besonderen Verwaltungsrechts Die verwaltungsrechtliche Systematik beruht auf der Trennung eines allgemeinen Teils von den besonderen Teilen der einzelnen Fachverwaltungsrechte. Diese Aufgliederung soll nicht nur den Überblick erleichtern. Sie bezweckt vielmehr eine bestimmte inhaltliche Gestaltung: die wechselseitige Bezogenheit beider Bereiche.15 14 Schmidt-Aßmann, 2004, S. 107. 15 Schmidt-Aßmann, 1994, S. 146. - 8 - Polizei-, Kommunal, Bau- und Beamtenrecht sind die klassischen Gebiete des Besonderen Verwaltungsrechts. Große Aufgaben der heutigen Zeit sind die Verantwortung des Staates für die Wirtschaft, für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, für soziale Sicherheit, die Daseinsvorsorge, die Wissenschaft und sicherlich auch im Bereich der Energiesicherung. Für die einzelnen Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts bedeutet die Ausrichtung an allgemeinen Lehren eine Disziplinierung jener Sonderinteressen, die von manchen Fachverwaltungen und den ihnen zugeordneten Klientelorganisationen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt werden.16 Da der Staat wegen seiner hohen Komplexität in Gefahr ist, von Sonderinteressen und „besonderen Betroffenheiten“ beherrscht zu werden, die sich eher zufällig und ohne vorhersehbar zu sein durchsetzen, ist es nach Schmidt–Aßmann besonders wichtig, dass sich allgemeine Regelungen auch für andere Fachgebiete eignen.17 „Abweichende Standards in einem einzelnen Fachgebiet , die in vergleichbaren Gebieten nicht anzutreffen sind, können legitimerweise nur dann verlangt werden, wenn sie sich entweder als allgemeine Regelungen auch für andere Fachgebiete eignen oder aus dauerhaft rechtlich anzuerkennenden Besonderheiten des betreffenden Bereichs ableitbar sind.“18 Die Auslagerung von administrativen Steuerungsaufgaben auf Gremien außerhalb des Verwaltungsapparates (vor allem in der Sozialverwaltung) und die Atomisierung sachspezifisch geprägter Sachbereiche sind weitere Problematiken im Bereich des besonderen Verwaltungsrechts und des Sozialrechts . Wie komplex Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts sind, sieht man am Sozialverwaltungsrecht . Nach § 1 Abs., 1 SGB I soll das Sozialverwaltungsrecht dazu beitragen , ein menschenwürdigen Daseins zu sichern, gleiche Voraussetzungen für die Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen, die Familie zu schützen und zu fördern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und besondere Belastungen des Lebens auch durch Hilfe zur Selbsthilfe abzuwenden oder auszugleichen . Kennzeichen des Sozialverwaltungsrechts ist die hohe personale Intensität .19 Das Sozialverwaltungsrecht ist durch die Prinzipien „Selbstverantwortung und Solidarität“ und „Kooperation und Subsidiarität“ gekennzeichnet. Die Aufgabenfelder sind soziale Einkommenssicherung, Sozialpflege und drittvermittelte Sozialleistungen. 16 Schmidt-Aßmann, 1994, S. 146. 17 Schmidt-Aßmann, 1994, S. 146. 18 Schmidt-Aßmann, 1994, S. 146. - 9 - Die Prinzipien der Solidarität und Kooperation führen zu vielfältig verschränkten Interessenlagen . Eine schlichte Gegenüberstellung eines öffentlichen und privaten Interesses , wie es das überkommene Sozialverfahrensrecht im SGB X bestimmt, reicht nicht mehr aus: verschränkt divergent und oft diffus sind die das Gebiete prägenden Einzelund Privatinteressen. Die Interessen der Sozialleistungsempfänger stehen den Interessen der Leistungserbringer oder der privaten Leistungsvermittler gegenüber. Vertreter der jungen und der alten Generation haben unterschiedliche Interessen. Es gibt Vorstellungen einer mehr restriktiven und einer mehr expansiven Sozialpolitik. 5. Leitbegriffe der Systembildung Schmidt-Aßmann widmet das erste Kapitel seines Buches „ Das Verwaltungsrecht als Ordnungsidee“ dem Thema System und Systembildung. Der Systembegriff wird letztlich vorausgesetzt. Als Systematik wird „eine besondere Qualität dogmatischen Denkens , also der Versuch für größere Regelungsbereiche Vergleichbarkeiten, Zusammenhänge und Strukturen aufzuzeigen“ bezeichnet. Wenn das allgemeine Verwaltungsrecht eine Abstraktion des besonderen Verwaltungsrechts ist, dann kommt es entscheidend darauf an, an welchen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts es sich orientiert. Bislang waren dies das Polizei- und Ordnungsrecht, also kleinräumig wirkendes Verwaltungsrecht . Diese haben das allgemeine Verwaltungsrecht geprägt. Das Verwaltungsrecht war bislang sehr gerichtszentriert. In Zeiten der Globalisierung, des Umbaus der sozialen Sicherungssysteme, der Privatisierung und vieler dynamischer Prozesse steht das Verwaltungsrecht vor neuen Herausforderungen. Für die Systembildung wichtig ist die Funktion des Rechts als Instrument der Steuerung.20 6. Eigenständigkeit und Kontrolle der Verwaltung Die Eigenständigkeit der Verwaltung führt vor allem zur Ermessenlehre. Schmidt- Aßmann wendet sich gegen die herrschende Lehre vom Ermessen als Rechtsfolgebestimmung . Er befürwortet eine Rückorientierung auf den Zustand, der bis Anfang der 19 Schmidt-Aßmann, Hoffmann-Riem 1998, S. 127 ( 129). - 10 - sechziger Jahre bestand. Damals wurde das Ermessen auch als Ermächtigung der Verwaltung zur Rechtskonkretisierung verstanden.21 Diese Rückorientierung wird sich nach seiner Ansicht durchsetzen müssen, weil dies dem Ermessensbegriff entspricht, der in anderen europäischen Verwaltungsrechtsordnungen wie in Frankreich und Großbritannien besteht22 und für ein europäisches Verwaltungsrecht leitend sein wird. Die Kontrolle der Verwaltung oblag bislang den Gerichten. Die Kontrolleffekte des gerichtlichen Tätigwerdens ergeben sich aus einer spezifischen Verbindung mit dem Rechtsschutzauftrag, der den Gerichten mit dem Grundgesetz erteilt worden ist. Er ist als Individualrecht ausgeprägt (Art. 19 Abs. 4 GG) und ist von der Existenz subjektiver Rechte abhängig. Neben der Gerichtskontrolle gibt es einen großen Bestand anderer Verwaltungskontrollen . Diese sind die Fach- und Dienstaufsicht und die Über- und Unterordnungsverhältnissse . Teilweise besteht die Kontrolle in kooperativen Kontrollbeziehungen. Für diese sind nach Auffassung von Schmidt-Aßmann entscheidend, dass eine kontrollspezifische Distanz gewahrt bleibt, die personell, organisatorisch oder prozedural sichergestellt sein kann. Kontrollinstrumente sind zum Beispiel Mittel der Informationsgewinnung , wie die Aktenanforderung, Anzeige- und Berichtspflichten, Zustimmungsvorbehalte , Rechnungslegung, Netzplantechniken und Kontrastorgane.23 Schmidt-Aßmann geht bei der Kontrolle nicht auf das Petitionswesen und die Bürgerbeschwerden ein, die in Deutschland zunehmend von den Bürgern als Kontrollinstrumente in Anspruch genommen werden und die sich als recht effizient erwiesen haben. 7. Verwaltungsorganisationsrecht 20 Schmidt-Aßmann, 2004.S.18. 21 Schmidt-Aßmann 2004, S. 176. 22 Schmidt-Aßmann 2004, S.177. 23 Schmidt-Aßmann 2004, S. 229. - 11 - Das Verwaltungsorganisationsrecht setzt sich aus drei Komponenten zusammen: aus Rechtsformen, systemprägenden Zäsuren und materiellen Rechtsformen. Die Organisationsformen bilden die Grundelemente: Amt, Behörde Körperschaft, Anstalt und Stiftung des öffentlichen Rechts und Formen des Gesellschaftsrechts wie AG und GmbH. Unter den systemprägenden Einstellungen hat die Unterscheidung von Verwaltungsträgern und Verwaltungsstellen Bedeutung. Der Trägerbegriff wird durch die Rechtsfähigkeit bestimmt. Rechten und Pflichten im Bürger-Staat Verhältnis wird ein einheitliches Zurechnungssubjekt verschafft. Daneben wird das Organisationsrecht durch das Außen- und Innenrecht bestimmt.24 Die Formen des Innenrechts (Weisungen und Organsiationserlasse) sind flexibel und mit geringeren rechtsstaatlichen Standards als das Außenrecht verbunden. Das zentrale Prinzip im Organisationsrecht ist die eingeschränkte Zulässigkeit des ministerialfreien Raumes, das heißt die Weisungshierarchie prägt das Organisationsrecht. Diese Merkmale der Verwaltungsorganisation lassen sich nur schlecht auf die neueren Entwicklungen in der Praxis übertragen. So gibt es neue Steuerungsmodelle, Organisationen der Marktordnung und Marktregulierung (man denke nur an das Medien- Eisenbahn-, Post- und Telekommunikationsrecht). Hier haben sich neue hochstufige fachliche Sonderbehörden ausgebildet, die faktisch und auch rechtlich weisungsfrei agieren . Daneben gibt es Organisationen staatlich-gesellschaftlichen Zusammenwirkens bei denen schon die Zuordnung zur Verwaltungsorganisation Schwierigkeiten bereiten: Beliehene, Beauftragte, Verwaltungshelfer oder intermediäre Einrichtungen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein Beispiel für eine funktionale Selbstverwaltung und eine Entwicklung, die die organisationsrechtlichen Zusammenhänge nicht hinreichend im Blick hat. 25 Im Wissenschaftsbereich gibt es Sachverständigenkommissionen, Ressortforschungseinrichtungen und die administrative Beteiligung an externen Sachverständigensystemen . 24 Schmidt-Aßmann 2004, S. 241. 25 Schmidt-Aßmann 2004, S. 243. - 12 - 8. Administrative Handlungspraxis Die verwaltungsrechtliche Handlungspraxis wird von dem Dualismus des öffentlichen und Privatrechts geprägt. Das Handeln der Verwaltung wird hier auch von seinen Aufgaben bestimmt. In gesellschaftlich-kooperativen Beziehungen ist das Privatrecht häufig anzutreffen, während in den klassischen Verwaltungsbereichen das öffentliche Recht dominiert. Die erwerbswirtschaftliche Verwaltung, der nicht-beamtete öffentliche Dienst, der Grundstücksverkehr der öffentlichen hand und das öffentliche Vergabewesen , aber auch weite Bereiche der leistenden und fördernden Verwaltung, des Subventionswesens und der Daseinsvorsorge sind in den Handlungs- und Organisationsformen des Privatrechts verfasst.26 Die Rechtsformenlehre ist Kernelement des administrativen Handlungssystems. Nach § 10 VwVfG muss sich die Verwaltung an diesen Maßstäben orientieren und sich zwischen Verwaltungsakt und Vertrag entscheiden. Keines der beiden Instrumente besitzt Vorrang. Beide Gestaltungsmittel sind situationsgerecht austauschbar. Dies gilt nicht nur für das nationale Recht sondern auch für das europäische Recht (Art. 249-252 EG). Die Ordnungsfunktion der Formenlehre wird herausgefordert durch informales Verwaltungshandeln , welches in neuerer Zeit zunimmt. Hier stoßen aufgabenbestimmte Praktikabilität und rechtsstaatliche Rationalität aufeinander. Maßstäbe des Verwaltungshandelns sind Effizienz (als Grundsatz der Ressourcenschonung ), Wirksamkeit und Fragen der Sanktion. 9. Schlusswort Das Verwaltungsrecht durchläuft einen Wandel: von der vollziehenden zu einer stärker gestaltenden und regulierenden Verwaltung. Das allgemeine Verwaltungsrecht muss zu den übergeordneten Grundfragen Stellung nehmen und Grundprinzipien und Grundkategorien aufstellen, die zu einer gestaltenden und regulierenden Verwaltung passen. 26 Schmidt-Aßmann 2004, S. 289. - 13 - Literaturverzeichnis J. von Burgen, Buchbesprechung von Schmidt Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, in: Verwaltungsblätter für Baden Württemberg, 21001, S. 37- 38. F.F. von Mayer, Grundsätze des Verwaltungsrechts, Berlin 1862. F. Ossenbühl, Buchbesprechung von Schmidt Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, in: Die Verwaltung 1999, S. 97-102. Eberhard Schmidt-Aßmann, Die Lehre von den Rechtsformen des Verwaltungshandelns , in: DVBl. 1989, S. 533-541. Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Auflage, Berlin , Heidelberg, New York 2004. Eberhard Schmidt-Aßmann, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, Methoden, Maßstäbe, Aufgaben, Organisation, München 2006. Eberhard Schmidt-Aßmann, Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.) Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft , Baden-Baden 2004. Eberhard Schmidt-Aßmann, Wolfgang Hoffmann-Riehm, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998 Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Die Verwaltung, Berlin 1994, S. 138-156. Der Europäische Bürgerbeauftragte, Der Europäische Kodex für gute Verwaltungspraxis , Straßburg 2005.