Deutscher Bundestag Bundeseinheitliche Regelung für eine Smiley-Kennzeichnung für Betriebe im Lebensmittelhandel und in der Gastronomie Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 446/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 2 Bundeseinheitliche Regelung für eine Smiley-Kennzeichnung für Betriebe im Lebensmittelhandel und in der Gastronomie Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 446/10 Abschluss der Arbeit: 17.11.2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Smiley-Kennzeichnung und Veröffentlichung von Negativlisten im Internet auf Grundlage des VIG? 5 2.1. Zugänglichmachen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG 5 2.2. Kein Ausschluss gemäß § 2 VIG 7 2.3. Grundrechtliche Anforderungen an eine Veröffentlichung im Internet und eine verpflichtende Smiley-Kennzeichnung 9 3. Zuständigkeit des Bundes für die gesetzliche Regelung offener Verfahrensfragen bei einer Kennzeichnung mit Smileys und der Veröffentlichung einer Negativliste 11 3.1. Gesetzgebungszuständigkeit aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG für die Kennzeichnung im Lebensmitteleinzelhandel 11 3.2. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Kennzeichnung der Gastronomiebetriebe aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG 11 3.3. Vereinbarkeit einer bundesgesetzlichen Reglung mit der Subsidiaritätsklausel gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG 12 3.4. Zwischenergebnis 14 4. Ergebnisse 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 4 1. Einleitung Im Jahr 2001 wurde in Dänemark im Rahmen einer grundlegenden Reorganisation der Lebensmittelpolitik ein „Smiley-System“ für den Lebensmitteleinzelhandel, Bäckereien, Restaurants, Gaststätten und En-Gros-Unternehmen eingeführt. Grundlage für die Bewertung der Einrichtungen mit positiven oder negativen Smileys sind die Ergebnisse der regelmäßigen Lebensmittelkontrollen . Der Kontrollbericht wird sofort durch Aushang im Geschäft oder im Restaurant sowie im Internet veröffentlicht, ohne den Ausgang einer eventuellen Klage abzuwarten. Bei negativen Kontrollergebnissen wird die Kontrolle gegen eine Gebühr zeitnah wiederholt. Grundsätzlich werden die Unternehmen zwei- bis dreimal jährlich überprüft.1 Seit 2009 führt der Bezirk Pankow in Berlin ein ähnliches „Smiley-Projekt“ für Gaststättenbetriebe durch.2 Gaststätten können das Ergebnis der Lebensmittelüberwachung freiwillig durch gut sichtbaren Aushang einer vom Bezirksamt ausgestellten amtlichen Bescheinigung, die mit einem Smiley versehen ist, veröffentlichen. Diese Möglichkeit besteht nur für Betriebe, die mit „gut“ oder „sehr gut“ abgeschlossen haben. Gleichzeitig veröffentlicht das Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt Pankow gestützt auf § 5 Abs. 1 Satz 2 des Gesetz zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation (Verbraucherinformationsgesetz - VIG) im Internet eine Liste mit Betrieben, die gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch oder andere Rechtsvorschriften verstoßen haben. Die teilweise mit Bild veröffentlichten Verstöße erfüllen mindestens den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Ab dem 1. Juli 2011 ist die Ausdehnung des Pankower „Smiley-Projekts“ auf alle Berliner Bezirke – allerdings ohne eine bebilderte Negativliste im Internet – vorgesehen.3 Hierfür ist die Änderung des Gaststättengesetzes vorgesehen. Seit 2007 werden auch in Nordrhein-Westfalen Gastronomiebetriebe und Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung wie Betriebskantinen oder Krankenhausküchen mit einem Smiley ausgezeichnet , wenn sie bei den regelmäßigen amtlichen Betriebskontrollen gut oder sehr gut abgeschnitten haben. Seit Herbst können auch Betriebe, die unverpackte, leicht verderbliche Ware verkaufen, teilnehmen.4 Die Teilnahme an diesem Projekt ist bisher freiwillig. Das saarländische Landesamt für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz veröffentlicht gestützt auf § 5 Abs. 1 1 Stellungnahme des Gesandten-Botschaftsrats der Dänischen Botschaft Poul Ottosen in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 7. Juli 2010, Protokoll der 19. Sitzung, S. 26 f. sowie seine Stellungnahme, veröffentlicht unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a10/anhoerungen/__A_7_7_2010_Verbraucherin formationsgesetz_/index.html 2 Bezirksamt Pankow, http://www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/ordnung/smiley.html (Stand 3. November 2010). 3 Pressemitteilung des Landes Berlin, http://www.berlin.de/pressemitteilungen/archiv/index/article/view/41847 (Stand 9.11.2010). 4 Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, http://www.umwelt.nrw.de/verbraucherschutz/lebensmittel/smiley/index.php (Stand 3. November 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 5 Satz 2 VIG schwerwiegende Verstöße gegen Hygienevorschriften, wenn rechtskräftig ein Bußgeld in Höhe von mindestens 350 Euro verhängt wurde.5 Untersucht werden soll, welche gesetzlichen Grundlagen auf Bundesebene für die Einführung eines entsprechenden verpflichtenden Systems der Kennzeichnung von Gaststätten und Lebensmittelgeschäften sowie der Veröffentlichung von Listen im Internet notwendig sind.6 Problematisch erscheint allein ein verpflichtende Kennzeichnung von Betrieben auch mit negativen Smileys sowie die Veröffentlichung negativer Ergebnisse im Internet. Hierdurch kann es bei den Gaststätten und Lebensmittelhändlern zu erheblichen Umsatzeinbußen bis hin zum Wegfall der wirtschaftlichen Grundlage ihres Geschäftes kommen. Die Kennzeichnung mit positiven Smileys aufgrund einer Vereinbarung zwischen Behörde und Gewerbetreibenden begegnet keinen größeren Bedenken, soweit in diesem Fall klargestellt ist, dass die Auszeichnung mit Smileys aufgrund der Systematik der risikobasierten Lebensmittelkontrolle nicht von Beginn an flächendeckend erfolgen kann. 2. Smiley-Kennzeichnung und Veröffentlichung von Negativlisten im Internet auf Grundlage des VIG? Zunächst stellt sich die Frage, ob es einer neuen einfachgesetzlichen Regelung bedarf oder ob bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts die Veröffentlichung von Negativlisten im Internet und die Einführung eines bundesweiten Smiley-Systems möglich ist. 2.1. Zugänglichmachen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG In Betracht kommt ein Vorgehen der Behörden aufgrund § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG. § 5 Abs. 1 VIG lautet: „Die informationspflichtige Stelle kann den Informationszugang durch Auskunftserteilung, Gewährung von Akteneinsicht oder in sonstiger Weise eröffnen. Die informationspflichtige Stelle kann Informationen, zu denen Zugang zu gewähren ist, auch unabhängig von einem Antrag nach § 3 Abs. 1 über das Internet oder in sonstiger öffentlich zugänglicher Weise zugänglich machen; § 4 Abs. 1 gilt entsprechend. Die Informationen sollen für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich dargestellt werden.“ 5 Landesamt für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Saarlandes http://www.lsgv.saarland.de/13738.htm, Stand 10. November 2010. 6 Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages befasste sich in seiner Sitzung am 10. November 2010 mit der Frage der Einführung eines Smiley- Systems und lehnte entsprechende Anträge der Fraktionen DIE LINKE (BT-Drs. 17/3434) und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 17/3220) ab. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 6 Bei der Kennzeichnung mit Smileys und der Veröffentlichung einer Negativliste im Internet müsste es sich um ein Zugänglichmachen von Informationen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG handeln, das nicht durch § 2 VIG ausgeschlossen ist. § 5 Abs.1 Satz 2 VIG berechtigt Behörden, Informationen über Verstöße gegen das Lebensmittelund Futtermittelgesetzbuch (LFGB) und andere Vorschriften, zu denen Zugang zu gewähren ist, unabhängig von einem Antrag über das Internet oder auf anderem Wege zu veröffentlichen. Fraglich ist, ob auch eine „aktive Verbraucherinformation“ durch eine Veröffentlichung im Internet durch die Verwaltung von § 5 Abs. 1 VIG erfasst ist. Einige Stimmen in der Literatur sehen hierin nur eine Pflicht der Verwaltung zu einer passiven Transparenz, nicht jedoch zur aktiven Informationspolitik.7 Diese Auslegung entspräche dem Zweck des Verbraucherinformationsgesetzes , den Zugang zu behördlichen Informationen zu erleichtern. Nach dem Willen des Gesetzgebers verfolge die Vorschrift lediglich Verfahrens- und finanzökonomische Ziele, um den Behörden in Fällen, in denen eine Vielzahl von Anträgen eingingen, zu ermöglichen, von Einzelantworten abzusehen.8 Für Warnungen biete § 40 LFGB eine Rechtsgrundlage, dessen Voraussetzungen allerdings erheblich restriktiver gefasst seien. Diese Verengung des Rechts der Behörde nach § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG lehnen die Rechtsprechung in ersten Entscheidungen und andere Stimmen in der Literatur aber zu Recht ab und ziehen § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG als Ermächtigungsgrundlage heran.9 Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG ist eindeutig und erlaubt es den Behörden, Verbraucher aktiv, ohne Antrag, über das Internet oder in sonstiger öffentlich zugänglicher Weise zu informieren. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers , der als Antwort auf damals aktuelle Lebensmittelskandale die Information der Öffentlichkeit – in Fällen, in denen sich das Erzeugnis noch auf dem Markt befindet auch mit Namensnennung – ausweiten wollte; neben dem Internet werden ausdrücklich auch Informationsblätter genannt.10 Vor diesem Hintergrund besteht für eine teleologische Reduktion kein Anlass.11 7 Holzner, Die „Pankower Ekelliste“ – Zukunftsweisendes Modell des Verbraucherschutzes oder rechtswidriger Pranger?, NVwZ 2010, S. 489, 491; Werner, Verbraucherinformation ohne Prüfung der inhaltlichen Richtigkeit? Verfassungs- und systemwidrige Vorschriften im neuen Verbraucherinformationsgesetz , ZLR 2008, 115, 123.Insgesamt jedenfalls kritisch zu den Negativlisten Wiemers, Quo vadis, Verbraucherinformationsgesetz?, ZLR 2009, 413, 422. 8 So Holzner (Fn 7), S. 491. 9 VG Saarland, Az. 3 K 228/10, Urteil vom 24. 8. 2010 mit zustimmender Anmerkung Höhne, JurisPR- ITR 20/2010 vom 8.10.2010; VG Stuttgart, Az. 4 K 4605/08, Beschluss vom 21. 1. 2009; Schoch, Neuere Entwicklungen im Verbraucherinformationsrecht, NJW 2010, S. 2241, 2246; Schink, Rechtsgutachten zur Zulässigkeit des Berliner Smiley-Modells, September 2010, S. 36f. Zustimmend wohl Beck, Verbraucherinformationsgesetz, Kommentar und Vorschriftensammlung, Stuttgart 2009, § 5 VIG Nr. 1.3; Borchert in Beyerlein/Borchert, VIG-Kommentar, München 2010, § 5 Rn. 8 ff. 10 BT-Drs. 16/5404, S. 8, 13. 11 So auch Schoch (Fn 9), NJW 2010, S. 2246. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 7 Anders als in § 40 LFGB ist dieses Vorgehen auch außerhalb der Gefahrenabwehr gestattet.12 § 40 LFGB ist eine Spezialvorschrift zur Verbraucherinformation zum Zwecke der Gefahrenabwehr und des Gesundheitsschutzes. Daneben ist § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG auf andere nicht fachgesetzlich geregelte Sachverhalte jenseits von Gefahrenabwehr und Gesundheitsschutz anwendbar.13 Die Veröffentlichung einer Negativliste im Internet könnte damit auf § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG gestützt werden, wenn kein Ausschlussgrund nach § 2 VIG einschlägig ist. Auch die Einführung einer verpflichtenden Smiley-Kennzeichnung könnte grundsätzlich auf diese Gesetzesgrundlage gestellt werden. Die Veröffentlichung von Ergebnissen der Lebensmittelkontrolle durch Aushang am kontrollierten Ort ist bereits nach dem Wortlaut eine zulässige aktive Information. Eine Kennzeichnung durch Smileys, die nach nachvollziehbaren Kriterien auf der Grundlage der Kontrollberichte erfolgt, ist eine Art vereinfachende Zusammenfassung der Ergebnisse der Lebensmittelkontrolle . Auch sie kann grundsätzlich auf § 5 Abs. 1 VIG gestützt werden, ist sie doch letztlich vergleichbar der Veröffentlichung in Faltblättern. 2.2. Kein Ausschluss gemäß § 2 VIG Weitere Voraussetzung für die Veröffentlichung der Negativliste sowie für die verpflichtende Kennzeichnung mit Smileys gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG ist, dass der Zugang zu den zu veröffentlichenden Informationen zu gewähren ist. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG hat jeder Anspruch auf freien Zugang zu allen Daten über Verstöße gegen das LFGB und andere Vorschriften, soweit dieser nicht wegen entgegenstehender öffentlicher oder privater Belange gemäß § 2 VIG ausgeschlossen ist. Verstöße gegen das LFGB, die während Hygienekontrollen in Betrieben entdeckt werden, sind Informationen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG, zu denen grundsätzlich der Zugang zu gewähren ist, soweit kein Ausschlusstatbestand nach § 2 VIG vorliegt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 VIG besteht dieser Anspruch auch für die Ergebnisse von Überwachungsmaßnahmen. In Betracht kommt zunächst ein Ausschluss wegen eines noch laufenden Verwaltungsverfahrens , § 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b VIG. Soweit man davon ausgeht, dass es sich bei der der Veröffentlichung vorhergehenden Kontrolle der Lebensmittelüberwachungsämter um ein Verfahren zur Aufklärung von Verstößen gegen das LFGB gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 VIG handelt, ist eine Veröffentlichung bereits nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VIG vor rechtskräftigem Abschluss eines Verwaltungsverfahrens möglich. Gerade bei Daten über Rechtsverstöße und über Risiken und Gefahren wollte der Gesetzgeber die Behörde nicht verpflichten, auf den Abschluss eines Verwaltungsverfahrens zu warten.14 Allerdings ist die Veröffentlichung ausgeschlossen in Fällen, in denen es aufgrund der gravierenden Verstöße zu einem Straf- oder Bußgeldverfahren kommt. Eine Stimme in der Literatur 12 So zu Recht Schink (Fn 9), S. 37 13 So Schoch (Fn 9), NJW 2010, S. 2246. 14 BT-Drs. 16/5404, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 8 will diese Verbotsschranke auch auf das Vorfeld der Einleitung solcher Verfahren ausdehnen, da die Verwaltung durch eine erst nachträgliche Einleitung des Verfahrens die Verbotsnorm umgehen könnte.15 Ähnlich begründen andere16 ihre Ablehnung: Der Behörde dürfe kein Ermessen eingeräumt werden, zwischen der Einleitung eines Bußgeldverfahrens oder einer Veröffentlichung im Internet zu wählen, um die Lebensmittelunternehmen zu mehr Sauberkeit anzuhalten. Ein Bußgeldverfahren sei jedenfalls vorrangig. Einer gleichzeitigen Veröffentlichung stünden auch die grundrechtlich fundierten Sicherungen im Ordnungswidrigkeitenrecht entgegen. Ferner regele § 475 StPO das Recht der Akteneinsichtnahme in Verfahrensakten für nicht verfahrensbeteiligte Dritte gemäß § 49 b OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht abschließend. Für eine darüberhinausgehende Veröffentlichung sei daher kein Platz.17 Gegen eine Ausdehnung der Beschränkung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b VIG auf die Zeit vor Einleitung eines Bußgeldverfahrens spricht bereits der Wortlaut des Gesetzes, der eine Beschränkung nur für die Dauer des Bußgeldverfahrens vorsieht. Aber auch der Sinn des Gesetzes, die gesundheitliche Verbraucherinformation zu verbessern, spricht dafür, die aktive Verbraucherinformation von der Einleitung eines Verwaltungs- oder Bußgeldverfahrens unabhängig zu gestalten.18 Die Vorschriften des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts zum Schutz des Beschuldigten bleiben dennoch gewahrt, da mit der Einleitung eines Bußgeld- oder Strafverfahrens die weitere Veröffentlichung bis zum Abschluss des Verfahrens gesperrt ist. Ein Smiley müsste – soweit er überhaupt bereits erteilt wurde – mit Einleitung des Bußgeldverfahrens abgenommen werden. Auch der Hinweis auf § 475 StPO überzeugt nicht. § 475 Abs. 4 StPO erlaubt die Auskunftserteilung an Behörden und Privatpersonen sowohl aus laufenden als auch aus abgeschlossenen Verfahren , soweit diese ein berechtigtes Interesse nachweisen können. Behörden können ein berechtigtes Interesse an Informationen über Verstöße gegen das LFGB und andere Hygienevorschriften haben, wenn diese Verstöße so erheblich sind, dass sie Gegenstand eines Straf- oder Bußgeldverfahrens sind.19 Unter diesen Voraussetzungen können die Informationen, die Gegenstand des Verfahrens waren, somit mindestens nach Abschluss des Straf- oder Bußgeldverfahrens auch veröffentlicht werden. Diese Lösung beseitigt den Wertungswiderspruch, dass eine Warnung der Verbraucher wegen so erheblicher Verstöße, die Gegenstand eines Straf- oder Bußgeldverfahrens geworden sind, unterbleiben müsste, eine aktive Information über geringere Verstöße aber zulässig wäre.20 15 Wallau, Die Negativ-Liste von Pankow – Ein Kommentar, ZLR 2010, S. 382, 384. 16 Tsambikakis/Wallau, Strafo 2010, S. 177, 178. 17 Mit Hinweis auf BGH 5 StR 589/05 vom 5.4.2006; allerdings stellt § 1 Abs. 3 IFG, auf den sich der BGH bezieht, den Vorrang spezialgesetzlicher Vorschriften zur Akteneinsicht bereits explizit fest. So auch Erklärung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) vom August 2009, ZLR 2009, 767, 771. 18 So auch VG Halle, Urteil vom 18. 8. 2010, Az. 1 A 152/08 HAL 19 So auch Grube/Weyland, Verbraucherinformationsgesetz, Kommentar, 2007, § 2 Rn. 4. 20 Zum Ganzen ausführlich und überzeugend Schink (Fn. 9), S. 44 – 51 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 9 Die Verfahrensgarantien wie Unschuldsvermutung, Beweisverwertungsverbote bleiben während des Straf- und Bußgeldverfahrens gewahrt, da eine Veröffentlichung der umstrittenen Ergebnisse während des Verfahrens bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes ausgeschlossen ist; dies hindert die Behörde aber nicht, nach dem Ende des Verfahrens die beanstandeten Umstände zu veröffentlichen , soweit die Verhängung des Bußgeldes gerichtlich rechtskräftig bestätigt wurde. Eine Veröffentlichung könnte durch entgegenstehende private Belange gemäß § 2 Satz 1 Nr. 2 lit. c VIG ausgeschlossen sein. Hierunter fallen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder gleichwertige wettbewerbsrelevante Informationen. Soweit Verstöße gegen das LFGB veröffentlicht werden sollen, stellt bereits § 2 Satz 3 VIG klar, dass es sich hierbei um keine schützenswerten Geheimnisse handelt. Damit verstößt eine Veröffentlichung auch nicht gegen schützenswerte Belange Dritter im Sinne des VIG.21 Wie der VGH München ausführt, ist „diese Regelung (..) mit Blick auf das mit dem Verbraucherinformationsgesetz verfolgte Ziel folgerichtig, denn eine Offenlegung begangener Verstöße dient dem Verbraucherschutz und ist geeignet, weiteren Verstößen gegen lebens- und futtermittelrechtliche Vorschriften vorzubeugen .“ Auch der Ausschlusstatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 2 lit. a VIG greift nicht, da die Veröffentlichung der durch diese Vorschrift geschützten personenbezogenen Daten (Name und Anschrift des Restaurants bzw. des Lebensmittelgeschäfts) bereits dann zulässig ist, wenn das Informationsinteresse der Verbraucher überwiegt. Da die Verbraucher aber nur in Kenntnis dieser Daten ihr Verhalten entsprechend ändern und das belastete Restaurant oder Geschäft meiden können, überwiegt in diesem Fall deren Interesse.22 2.3. Grundrechtliche Anforderungen an eine Veröffentlichung im Internet und eine verpflichtende Smiley-Kennzeichnung Die Veröffentlichung von Ergebnissen der Lebensmittelkontrolle in Form einer Negativ-Liste oder einer Kennzeichnung mit Smileys kann grundsätzlich auf § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG gestützt werden. Allerdings kann die negative Auszeichnung zu erheblichen Umsatzeinbußen bis hin zum Entzug der wirtschaftlichen Grundlage des Betriebes führen. Eine entsprechende Veröffentlichung könnte damit in die Grundrechte aus Artikel 12 GG – Freiheit des Berufs – und Artikel 2 Abs. 1 GG – unternehmensbezogener Datenschutz eingreifen. Im einzelnen ist umstritten, ob behördliche Warnungen generell und im konkreten Fall die Veröffentlichung von Negativlisten in Grundrechte eingreifen können.23 Jedenfalls wäre die Verpflichtung der Betriebe zu einer Kennzeichnung 21 Vgl. VGH München, Beschluss vom 22.12.2009 – G 09.1, Rn. 22f. 22 So auch VG Saarland (Fn. 9), Rn. 23 f., VG Stuttgart (Fn. 9), Rn. 10 f. 23 Hierzu ausführlich Schink (Fn. 9) S. 16 – 24, die Eingriffsqualität im konkreten Fall ablehnt sowie andererseits Holzner (Fn. 7), S. 490 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 10 auch mit negativen Smileys ein Eingriff in das Grundrecht der Betreiber aus Artikel 12 GG.24 Dieser könnte allerdings auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG gerechtfertigt werden, der eine verhältnismäßige Einschränkung des Grundrechts enthält, soweit bestimmte Verfahrensanforderungen erfüllt werden.25 Ebenso wie aus dem Eingriff in die Berufsfreiheit können sich aus dem möglichen Eingriff in das Recht auf den unternehmerbezogenen Datenschutz besondere Anforderungen an das Verfahren zur Veröffentlichung der Bewertungen im Internet ergeben.26 In der Literatur27 werden insbesondere folgende Regelungen durch Gesetz gefordert: - Festlegung der Verstöße (Art und Bedeutung), die in die Bewertung aufgenommen werden sollen; - Festlegung des Ablaufs der Kontrollen und des Kontrollzyklus; - Festlegung der Auswahl sowie der Maßstäbe der Bewertung; - eventuell Möglichkeit (freiwilliger) Nachkontrolle innerhalb eines bestimmten Zeitraums bei einem negativen Kontrollergebnis; - Festlegung der Art der Veröffentlichung der Ergebnisse (mit oder ohne Fotos, im Internet oder nur durch Aushang im kontrollierten Betrieb); - Voraussetzungen und Zeitpunkt für Löschen oder Korrektur entsprechender Ergebnisse (diese Frage wird auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung im Internet stoßen ); - Verfahrensrechte für Betreiber der Gaststätte oder des Geschäftes, insb. Anhörung der Betroffenen , Bekanntgabe des Ergebnisses und der Absicht der Veröffentlichung an Betroffene , um (vorläufigen) Rechtsschutz zu ermöglichen; - 2-wöchige Frist vor Veröffentlichung negativer Prüfergebnisse; - Vorbehalt der sofortigen Vollziehbarkeit; - Abwägungsvorbehalt zugunsten der nachteilig Betroffenen. 24 So auch Schink (Fn. 9), S. 30. 25 Im einzelnen hierzu Schink (Fn. 9), S. 30 f. mit Verweis auf S. 24-28. 26 Hierzu Schink (Fn. 9), S. 29. 27 Jürgen Maier, Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz Baden- Württemberg, Beantwortung des Fragenkatalogs zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung , Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, A-Drs. 17(19)207-F, S. 4; Schink (Fn. 9), S. 31, 51, 64; Holzner (Fn. 8), S. 494; DIHK – Stellungnahme zur Evaluation des Verbraucherinformationsgesetzes vom 10. August 2010, S. 9 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 11 3. Zuständigkeit des Bundes für die gesetzliche Regelung offener Verfahrensfragen bei einer Kennzeichnung mit Smileys und der Veröffentlichung einer Negativliste Die genannten Verfahrensregeln könnten durch den Bundesgesetzgeber im VIG oder LFGB oder in den Gaststätten- und Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder geregelt werden.28 Fraglich ist, ob der Bund für eine Regelung dieser Frage im VIG zuständig ist. Die Zuständigkeit des Bundes könnte sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 in Verbindung mit Artikel 72 Abs. 2 GG ergeben. Ziel der Einführung einer Kennzeichnung von Betrieben im Bereich des Lebensmittelhandels oder von Gaststätten ist die umfassende Information möglicher Kunden über Verstöße gegen Hygienevorschriften. 3.1. Gesetzgebungszuständigkeit aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG für die Kennzeichnung im Lebensmitteleinzelhandel Gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 in Verbindung mit Artikel 72 Abs. 2 GG liegt die konkurrierende Gesetzgebung für das Recht der Lebensmittel beim Bund. Der Begriff „das Recht der Lebensmittel “ umfasst den gesamten Bereich der Lebensmittelsicherheit29; die Begründung oder Erweiterung von Rechten auf Zugang zur Information über die Lebensmittelsicherheit sind von Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG umfasst.30 3.2. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Kennzeichnung der Gastronomiebetriebe aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG Einschlägige Kompetenznorm für die Regelung der Kennzeichnungspflicht im Bereich der Bäckereien , Restaurants und Gaststätten könnte wiederum Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG sein. Fraglich ist, ob der durch die Föderalismusreform 2006 geänderte Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 GG eine Sperrwirkung entfaltet, da das Recht der Gaststätten ausdrücklich aus der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes im Bereich des Rechts der Wirtschaft ausgenommen wurde. Der Begriff „Gaststätte“ ist als neu in die Verfassung eingeführter Begriff eigenständig und nicht in Rückgriff auf das Gaststättengesetz auszulegen.31 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Rückverlagerung der Gesetzgebungszuständigkeit auf die Länder dem „besonderen Regionalbezug“ der Materie Rechnung 28 Schink (Fn. 9), S. 65, schlägt einen § 5a VIG vor, erwähnt aber auch die Möglichkeit der Regelung im Gaststättengesetz, S. 60-64. 29 So auch Seiler in Epping/Hillgruber, BeckOK GG Art. 74 Rn. 76, Edition 7, Stand 1. 6. 2010. 30 Vgl. Seiler (Fn. 29), Art. 74 Rn. 76. Auch der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Verbraucherinformationsgesetz (VIG) zieht diese Kompetenznorm heran, s. BT-Drs. 16/5404, S. 8. 31 Rengeling/Szcekalla in Bonner Kommentar zum GG (BK) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Rn. 146 sowie Seiler (Fn. 29), GG, Art. 74 Rn. 44.2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 12 tragen soll.32 Die Kompetenz im Bereich des Gaststättenrechts sollte allerdings nur insoweit auf die Länder übertragen werden, wie sie das „Recht der Wirtschaft“ betrifft. Andersartige Kompetenzen sollten nicht berührt werden.33 Die Einführung einer Kennzeichnung mit Smileys betrifft zwar auch den Betrieb einer Gaststätte. Der Schwerpunkt der Regelung liegt allerdings im Bereich der Information und des Schutzes der Verbraucher sowie der Lebensmittelsicherheit. Damit ist als Kompetenzgrundlage weiterhin Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 GG einschlägig, der nicht durch Nr. 11 gesperrt wird.34 3.3. Vereinbarkeit einer bundesgesetzlichen Reglung mit der Subsidiaritätsklausel gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG Zusätzliche Voraussetzung für die Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung ist gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts, dass die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich macht. Diese allgemeine Subsidiaritätsklausel wird vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Schutz der Landeskompetenz restriktiv gehandhabt; es gesteht dem Bundesgesetzgeber nur einen sehr eng umgrenzten Prognose-, aber keinen generellen Beurteilungsspielraum zu.35 Eine bundesgesetzliche Regelung zur Wahrung der Wirtschaftseinheit ist laut BVerfG erforderlich , „wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtsetzung geht“36. Die Rechtseinheit ist nach der Rechtsprechung des BVerfG erst dann bedroht, wenn die Gesetzvielfalt auf der Länderebene eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die nicht hinnehmbar ist. Erforderlich würde eine einheitliche Regelung dann werden, wenn die unterschiedliche rechtliche Behand- 32 BT-Drs. 16/813, S. 9. Wie tief dieser Regionalbezug sein muss, ist im einzelnen umstritten, vgl. Seiler (Fn. 29) GG, Art. 74 Rn. 44 m.w.N. sowie Rengeling/Szcekalla (Fn. 31) GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Rn. 146 ff. 33 Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, Kommentar, 11. Aufl. 2008, GG, Art. 74, Rn 128; so auch Schink (Fn 9), S. 62. 34 So auch für die Regelung arbeitsrechtlicher Fragen im Bereich der Gaststätten Rengelin/Szcekalla, (Fn.31), GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Rn. 152 sowie Seiler, (Fn.29), GG, Art. 74 Rn. 45.1 für den Bereich der Lebensmittelsicherheit. Schink (Fn.9), S. 62 f. kommt zu dem Ergebnis, dass die aktive Verbraucherinformation nicht ausschließlich zur Materie „Lebensmittelrecht“ gehöre und damit eine Kompetenz für Länder bestehen bleibe; er geht allerdings nicht von einer ausschließlichen Kompetenz der Länder aus. 35 Ausführlich auch zur Entstehungsgeschichte BVerfGE 106, 62, S. 142 f. („Altenpflege“); bestätigend BVerfGE 111, 226, 246 ff. („Juniorprofessur“); 112, 226, 243ff.(„Studiengebühren“). S. a. Seiler (Fn. 29) GG, Art. 72, Rn. 11; Stettner, Rupert in Dreier, GG-Kommentar, 2. Auflage, 2006, Art. 72 Rn. 19. 36 BVerfGE 106, 62, 146. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 13 lung desselben Lebenssachverhalts unter Umständen erhebliche Rechtsunsicherheit und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr erzeugen würde.37 Die bundeseinheitliche Regelung der aktiven Information von Kunden im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels sowie anderer lebensmittelverarbeitender Betriebe könnte erforderlich sein, um insbesondere Unternehmen, die Filialen in verschiedenen Bundesländern betreiben, einheitliche Standards für die Veröffentlichung von Informationen im Bereich der Lebensmittelüberwachung anzubieten. Zugleich würde eine Vergleichbarkeit überregional auftretender Lebensmittelhändler („Lebensmitteldiscounter“) mit örtlich ansässigen Lebensmittelhändlern („Tanta-Emma-Läden“) ermöglicht. Eine länderspezifische Regelung könnte den Vertrieb von Lebensmitteln über bundesweit agierende Lebensmittelgroß- und -einzelhändler stark behindern und könnte damit wohl die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraumes beeinträchtigen. Für den Lebensmitteleinzelhandel dürfte danach die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gemäß Artikel 74 Abs. 1 Nr. 20 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 GG gegeben sein.38 Problematischer ist die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung im Bereich der Gastronomiebetriebe. Die Regelung könnte zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich sein. Dies ist sicherlich nicht der Fall, wenn man lediglich auf den einzelnen Besucher der Gaststätte abstellt , dessen Informationsbedürfnis vor Ort gestillt werden soll. Für ihn ist bei der Restaurantsuche die Regelung der Information über Hygienestandards in anderen Bundesländern nicht von Bedeutung. Eine bundesweit einheitlich geregelte aktive Verbraucherinformation sowohl für den Lebensmitteleinzelhandel wie für gastronomische und lebensmittelverarbeitende Betriebe könnte aber möglicherweise mit den gleichen Argumenten gerechtfertigt werden wie die bereits bestehenden Regelungen des VIG. Das VIG regelt allgemein den Zugang von Verbrauchern zu gesundheitsbezogenen Informationen. Anlass waren diverse Lebensmittelskandale, in denen unter anderem verdorbenes Fleisch umetikettiert wurde und in den Lebensmittelhandel gelangte.39 Insbesondere der Lebensmittelgroßhandel ist über die Grenzen der Länder hinaus organisiert. Ein unterschiedlicher Zugang zu Informationen in den einzelnen Bundesländern und damit eine unterschiedliche Informationssituation der Verbraucher könnte sich damit auf die Vermarktungschancen der Produkte auswirken und somit die Wirtschaftseinheit der Bundesrepublik gefährden.40 Diese Argumentation scheint aber wenig überzeugend. Es ist fraglich, ob der unterschiedliche Stand der Verbraucherinformation in den verschiedenen Bundesländern sich derart auf das Verhalten der Kunden auswirken könnte, dass sie wegen der Verunsicherung über die Hygienezu- 37 BVerfGE 106, 62, 145 f. 38 So wohl auch Schink (FN 9), S. 63. Kritisch hingegen, ob hinsichtlich des VIG die Voraussetzungen des Artikel 72 Abs. 2 GG insgesamt erfüllt sind Borchert in Beyerlein/Borchert (Fn. 9), Einführung Rn. 9; untentschieden Beck (Fn. 9), Vorbemerkung 3. 39 S. „Problem“ des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VIG, BT-Drs. 16/5404, S. 1. 40 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 16/5404, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 14 stände in den gastronomischen Betrieben diese generell in den Ländern eher meiden, in denen keine Smileys oder ähnliches verwandt werden. Dies scheint wenig überzeugend, da sich Besucher von Gaststätten nur lokal und nicht überregional orientieren. Einige Autoren nehmen wohl die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auch für Gastronomiebetriebe an. Entweder werden die Voraussetzungen des Artikel 72 Abs. 2 GG nicht geprüft41 oder es wird lediglich eine „bundeseinheitliche Regelung“ gefordert42. Diese könnte allerdings durchaus durch eine koordinierte Ländergesetzgebung erreicht werden. Ein weiterer Autor sieht zwar eine Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für den Bereich des Gaststättenrechts , hält aber eine bundeseinheitliche Regelung der aktiven Information für Gaststätten und andere Betriebe „zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit (für) sinnvoll“.43 Dass eine bundeseinheitliche Regelung wünschenswert wäre, genügt aber nicht den strengen Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Regelung gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG. Eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für ein einheitliches Kennzeichnungssystem von Gaststätten mit Smileys ist damit wohl nicht gegeben. Jedenfalls müsste begründet werden, warum von einer unterschiedlichen Regelung in den Ländern die Rechts- oder Wirtschaftseinheit Deutschlands gefährdet wäre. Zu berücksichtigen in diesem Zusammenhang ist ferner die Möglichkeit der Abstimmung der Ländergesetzgebung im Rahmen der Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK).44 3.4. Zwischenergebnis Eine Zuständigkeit des Bundes für eine spezielle bundesgesetzliche Vorschrift zur konkreten Ausgestaltung einer Kennzeichnungspflicht durch Smileys lässt sich wohl für den Bereich des Lebensmitteleinzelhandels, nicht aber für den Bereich gastronomischer Betriebe annehmen. Eine bundesweite einheitliche Regelung wäre damit nur im Rahmen einer Abstimmung der Ländergesetzgebung möglich, die sowohl Regelungen für den Lebensmitteleinzel- oder -großhandel wie auch für die Gaststätten vorsehen könnte. 4. Ergebnisse Die Veröffentlichung einer Negativliste im Internet sowie eine Kennzeichnungspflicht von Betrieben im Bereich des Lebensmittelhandels und der Gastronomie kann grundsätzlich auf § 5 Abs. 1 Satz 2 VIG gestützt werden. Um die Grundrechte der betroffenen Unternehmer zu schüt- 41 Michael Günther, Gutachten für foodwatch „Ist das dänische Symiley-System auf die deutsche Rechtsordnung übertragbar?“ vom 17.9.2010, S. 9. 42 Maier (Fn. 27), S. 4. 43 Schink (Fn 9), S. 63. 44 S. den Beschluss der 6. VSMK am 17. September 2010 in Potsdam unter TOP 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 446/10 Seite 15 zen, werden in der Literatur allerdings gesetzliche Regelungen zur Ausgestaltung des Verfahrens für die Vergabe von Smileys sowie Kriterien für die Veröffentlichung im Internet gefordert. Auch stellen sich Fragen des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Zuständigkeit des Bundes für die Regelung dieser Fragen ließe sich wohl für den Bereich des Lebensmittelgroß- und –einzelhandels, nicht jedoch für die Gastronomie begründen. In Frage käme aber eine bundeseinheitliche Regelung durch abgestimmte Ländergesetzgebung, die für den Lebensmittelhandel ebenso wie für die Gastronomie gelten könnte.