Deutscher Bundestag Burka-Verbot in öffentlichen Gebäuden Lassen sich Burkas in öffentlichen Gebäuden verbieten? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 444/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 2 Burka-Verbot in öffentlichen Gebäuden Lassen sich Burkas in öffentlichen Gebäuden verbieten? Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 444/10 Abschluss der Arbeit: 10. Dezember 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verbot von Burkas in öffentlichen Gebäuden durch Gesetz 4 2.1. Unausweichliche Gebäude 5 2.1.1. Schutz des Tragens einer Burka durch die Religionsfreiheit 5 2.1.1.1. Schutzbereich der Religionsfreiheit 5 2.1.1.2. Tragen einer Burka als Religionsausübung 7 2.1.2. Eingriff in den Schutzbereich 8 2.1.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs 8 2.1.3.1. Kollidierende Grundrechte oder andere Verfassungsgüter 9 2.1.3.2. Würde und Gleichberechtigung von Frauen 10 2.1.3.3. Negative Religionsfreiheit 12 2.1.3.4. Keine Einschränkung speziell der islamischen Bekenntnis- und Verkündungsfreiheit 13 2.1.3.5. Sicherheitsgründe 14 2.1.4. Ergebnis 14 2.2. Gebäudezugang zur Verwirklichung von Grundrechten 14 2.2.1. Berufsfreiheit 15 2.2.2. Meinungs- und Pressefreiheit 15 2.3. Übrige Gebäude 16 2.3.1. Allgemeine Handlungsfreiheit 16 2.3.2. Gleichheitsgebot 17 2.4. Ergebnis 18 3. Burka-Verbot durch das Hausrecht 19 3.1. Hausrecht als Rechtsgrundlage für die Zugangsbeschränkung 19 3.2. Rechtsgrundlage für Zugangsregelungen 20 3.3. Materielle Anforderungen an ein Hausverbot 21 3.4. Störung der Aufgabenwahrnehmung durch eine Burka 22 4. Zusammenfassung 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 4 1. Einleitung Das Tragen einer Burka stößt in Teilen der Öffentlichkeit auf Ablehnung: Bei der Vollverschleierung handele es sich um einen Ausdruck der Unterdrückung der Frauen durch eine extrem patriarchalisch geprägte Form des Islam.1 Die Burka greife in die Menschenwürde ihrer Trägerin ein.2 Manche bezeichnen die Burka gar als „mobiles Gefängnis“.3 Wenn die Burka als eine öffentliche Demonstration der Ungleichheit von Mann und Frau getragen werde, sei sie nach unserem Verfassungsverständnis nicht zu rechtfertigen.4 Vereinzelte Stimmen verlangen, dass zum Schutz der Frauen ein Verbot der Vollverschleierung ausgesprochen wird.5 Teilweise wird gefordert, Burkas wenigstens in Schulen und Universitäten oder Gerichten zu verbieten.6 Von einigen wird darauf hingewiesen, bei dem Tragen einer Burka könne es sich – jedenfalls auch – um das Befolgen einer aus dem Koran abgeleiteten Kleidungsvorschrift handeln.7 2. Verbot von Burkas in öffentlichen Gebäuden durch Gesetz Denkbar wäre ein Gesetz der zuständigen Körperschaft8, das das Tragen von Burkas in öffentlichen Gebäuden verbietet. Als Vorbild könnte das Nichtraucherschutzgesetz des Bundes9 oder eines Landes10 dienen. Danach wird das Rauchen in im Einzelnen näher bestimmten Bereichen verboten und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Bußgeld androht. Ein auf öffentliche Gebäude beschränktes Burka-Verbot verwehrt nicht schlechthin das Tragen einer Burka. Die Burka-Trägerin hat zwei alternative Handlungsoptionen: Sie nimmt die Burka ab 1) Tören, Die Burka überschreitet eine Grenze, in: Frankfurter Rundschau vom 16. Februar 2010. 2) Gerhardt, Zwischenruf – Verschleierte Menschenwürde?, ZRP 2010, S. 232; Hufen, Die Menschenwürde, Art. 1 I GG, JuS 2010, S. 1 [6]; Spuler-Stegemann, Stellungnahme zur Anhörung des BT-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema „Religionsfreiheit und europäische Identität“, A-Drs. 17(17)0068, S. 5; Tören, „Die Burka ist ein mobiles Frauengefängnis“, in: Leipziger Volkszeitung vom 20. August 2010. 3) Koch-Mehrin, Die Burka gehört in Europa verboten, in: Bild am Sonntag vom 2. Mai 2010; Tören (Fn. 2); Akgün, Burka ächten, aber nicht verbieten, Frankfurter Rundschau vom 28. Januar 2010. 4) Schockenhoff, Fünf Fragen zur Burka in Frankreich, in: Das Parlament vom 15. Februar 2010. 5) Schwarzer, Die große Verschleierung, Köln 2010; Tören (Fn. 2); Spuler-Stegemann (Fn. 2), S. 5. 6) Geis und Wolff, Burka ächten, aber nicht verbieten, Frankfurter Rundschau vom 28. Januar 2010. 7) Finke, Warum das „Burka-Verbot“ gegen die EMRK verstößt, NVwZ 2010, S. 1127; Harenbergs Lexikon der Religionen, Dortmund 2002, S. 542; Oxford-Lexikon der Weltreligionen, Düsseldorf 1999, S. 415; Kinziger- Büchel, Der Kopftuchstreit in der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung, Deutsche Anwalt Verlag 2009, S. 23 ff. Kritisch hierzu: Mazyek, in: Burka ächten, aber nicht verbieten, Frankfurter Rundschau vom 28. Januar 2010: Der Islam kenne „keine theologischen Schriften, die Ganzkörperverschleierung vorschreiben.“ 8) Für Bundesbehörden und Bundesgebäude wohl der Bundesgesetzgeber, für Landesbehörden und Landesgebäude der jeweilige Landesgesetzgeber. 9) Gesetz zur Einführung eines Rauchverbotes in Einrichtungen des Bundes und öffentlichen Verkehrsmitteln (Bundesnichtraucherschutzgesetz - BNichtrSchG) vom 20. Juli 2007 (BGBl. I S. 1595). 10) Z.B. Gesetz zum Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern in Nordrhein-Westfalen (Nichtraucherschutzgesetz NRW - NiSchG NRW) vom 20. Dezember 2007 (GV. NRW. S. 742), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2009 (GV. NRW. S. 390). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 5 oder sie unterlässt es, das öffentliche Gebäude zu betreten. In einigen Fällen ist der betroffenen Person die Handlungsalternative „Nichtbetreten“ verwehrt, z.B. wenn sie zum Betreten des öffentlichen Gebäudes verpflichtet ist. In anderen Fällen könnte sie eine öffentliche Leistung, auf die sie möglicherweise einen Anspruch hat, nur um den Preis in Anspruch nehmen, die Burka abzusetzen. Da ein Burka-Verbot für die betroffene Person je nach Art der Nutzung des Gebäudes oder der Einrichtung unterschiedlich hart ist, soll nach der jeweiligen Beziehung der betroffenen Person zu der öffentlichen Einrichtung differenziert geprüft werden. 2.1. Unausweichliche Gebäude Unausweichlich ist ein öffentliches Gebäude, bei dem es die Betroffene nicht selbst in der Hand hat, ob sie das Gebäude betritt. So liegt es, wenn die Person zum Betreten des Gebäudes verpflichtet ist, z.B. weil sie einer gerichtlichen Ladung zu folgen hat, als Schülerin aufgrund der allgemeinen Schulpflicht zur Anwesenheit im Schulgebäude verpflichtet ist oder bei sonst einer öffentlichen Stelle wie etwa der Meldebehörde oder dem Ausländeramt vorsprechen muss. Eine solche Pflicht kann sich auch für Eltern im Zusammenhang mit der Schulpflicht ihrer Kinder ergeben. Unausweichlich dürfte ein öffentliches Gebäude auch sein, wenn es eine existenzielle Notwendigkeit zum Betreten des Gebäudes gibt, z.B. ein Krankenhaus. In diesen Fällen kommt die Option „Nichtbetreten“ nicht in Betracht. Das Burka-Verbot für das Gebäude stellt ein Gebot zum Absetzen der Burka dar. Dies könnte in die Religionsfreiheit eingreifen . 2.1.1. Schutz des Tragens einer Burka durch die Religionsfreiheit Nach Artikel 4 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)11 sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Artikel 4 Abs. 2 GG gewährleistet die ungestörte Religionsausübung.12 2.1.1.1. Schutzbereich der Religionsfreiheit Der Islam fällt sowohl unter den Begriff eines „Glaubens“ nach Artikel 4 Abs. 1 GG als auch einer „Religion“ im Sinne des Artikel 4 Abs. 2 GG.13 11) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im BGBl. III Nr. 100-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Juli 2010 (BGBl. I S. 944). 12) Die Freiheit des Glaubens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses bilden mit dem Recht der ungestörten Religionsausübung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (BVerfGE 12, 1 [3 f.]; 24, 236 [245 f.]; 32, 98 [106]; 44, 37 [49]; 83, 341 [354]; 108, 282 [297]). 13) Sarcevic, Religionsfreiheit und der Streit um den Ruf des Muezzin, DVBl. 2000, S. 519 [523]. Zum Religionsbegriff siehe: Kokott, in: Sachs, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage, Art. 4, Rn. 19 ff. m.w.Nw. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 6 Unter den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit fällt nicht nur das private Glauben, sondern auch das öffentliche Bekenntnis zu der eigenen Religion. Ausprägungen davon sind die Verkündung des Glaubens und seine Verbreitung sowie die Pflege und Förderung des Bekenntnisses .14 Hierzu zählt auch das Werben für die eigene Überzeugung15 bzw. die „Propaganda“16. Dazu kommt die in Artikel 4 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnte Religionsausübung, also die religiöse Betätigung.17 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts hat der Einzelne das Recht, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln.18 Dies gelte auch für Bekleidungsregeln, die als für verbindlich von den Regeln der Religion vorgegeben betrachtet werden19, soweit diese Tätigkeiten aus religiösen Motiven vorgenommen werden.20 Maßstäblich sei, was nach dem Selbstverständnis der jeweiligen Religion oder religiösen Vereinigung von ihrer Religionsausübung umfasst ist.21 Da die Rechtsordnung das religiöse oder weltanschauliche Selbstverständnis voraussetze – so das Bundesverfassungsgericht –, würde der Staat die den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit verletzen, wenn er bei der Bestimmung der Religionsausübung deren Selbstverständnis nicht berücksichtigte.22 Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliege – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Ge- 14) BVerfGE 19, 129 [132]; 24, 236 [246 f.]; 53, 266 [387]; 105, 279 [293 f.]; 108, 282 [297]. 15) BVerfGE 105, 279 [294]; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band I, 2. Auflage, Tübingen 2004, Art. 4, Rn. 60. 16) BVerfGE 24, 236 [245]. 17) Darunter fallen alle kultischen Handlungen wie Gottesdienst, Gebet, Feier von Sakramenten und ähnliches (Muckel, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2009, Art. 4, Rn. 32; Kloepfer, Staatsrecht Band II, Grundrechte, München 2010, § 60, Rn. 39). Als grundrechtlich geschütztes Handeln anerkannt hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Durchführung religiös-karitativer Sammlungen, Prozessionen, das Zeigen von Kirchenfahnen, Glockengeläute (BVerfGE 24, 236 [247]), die kirchlich getragene Krankenpflege als Ausdruck der christlichen Nächstenliebe (BVerfGE 53, 366, [392 f.]; 57, 220 [243 f.]; 70, 138 [163]) oder das Betreiben eines Jugendwohnheims. BVerfGE 70, 138 [161]. Weitere Beispiele: Glockengeläut einer Kirche (BVerw- GE 68, 62 [67 f.]); muslimischer Gebetsruf (Kloepfer, a.a.O., § 60, Rn. 39; Kokott (Fn. 13), Art. 4, Rn. 57; Muckel, a.a.O., Art. 4 Rn. 26 und 36; Sarcevic, Fn. 13, DVBl. 2000, S. 519 [522 f.]; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, Art. 4, Rn. 61, 104); Bau von Minaretten ( , Minarettverbot in der Schweiz, Hier: Verletzte ein Verbot, Minarette zu errichten, die Religionsfreiheit nach Artikel 4 GG?, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 3 – 444/09); zahlreiche weitere Beispiele bei: Germann, in: Epping/Hillgruber, Grundgesetz Kommentar 2009, Art. 4, Rn. 24.4). Von Artikel 4 GG nicht geschützt sind dagegen reine Hilfstätigkeiten, mit denen religiöse oder weltanschauliche Aufgaben nur mittelbar verfolgt werden (Kloepfer, a.a.O., § 60, Rn. 41). Der Verkauf von Speisen und Getränken sowie die Vermietung von Unterkünften sind nicht selbst Gegenstand der Religionsausübung, mögen sie ihr auch mittelbar dienen (BVerfGE 19, 129 [133]). Das gleiche gilt für die Beschaffung von Gütern (BVerfG-K, NJW 1995, 1607). 18) BVerfGE 108, 282 [297]. 19) BVerfGE 108, 282 [298]; Germann (Fn. 17), Art. 4, Rn. 24.4; Starck (Fn. 17), Art. 4, Rn. 38. 20) BVerfGE 24, 236 [249]. Zustimmend: Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Lfg. 27, 1988, Art. 4, Rn. 105. 21) BVerfGE 53, 366 [392 f.]; 57, 220 [243]; 70, 138 [163]; Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 102 f.; Muckel (Fn. 17), Art. 4, Rn. 32. Bedenken an dieser weiten Auslegung äußert Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 104 f., der bei einem zu weit gehenden Zurückgreifen auf das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft das Zugestehen einer „Kompetenz-Kompetenz“ sieht. 22) BVerfGE 24, 236 [248]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 7 richten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen haben.23 2.1.1.2. Tragen einer Burka als Religionsausübung Ob das Tragen einer Burka zu der geschützten Religionsausübung zählt, hängt damit von der Bedeutung der Burka für den Islamischen Glauben bzw. für die jeweilige islamische Gemeinde sowie von den Motiven ihrer Trägerin ab. Die Burka ist ein Ganzkörperschleier, der als einziges Sichtfenster ein mit Stoff vergittertes Feld vor den Augen frei lässt. Sie wird vor allem von muslimischen Frauen in Pakistan, Indien und Afghanistan getragen.24 Die Verhüllung des Körpers hat seine Ursprünge zwar in vorislamischer Zeit.25 Dennoch gilt die Verschleierung muslimischer Frauen bei jedenfalls einigen gläubigen Muslimen als direkt aus dem Koran ableitbar.26 Die religiöse Pflicht zur Verschleierung wird in den einzelnen islamischen Rechtschulen sowie islamischen Organisationen unterschiedlich bewertet . Verbreitet ist die Ansicht, dass eine gläubige Muslima die aus dem Koran ableitbaren Kleidungsvorschriften einhalten muss.27 Es existieren sehr unterschiedliche Arten der Verschleierung in der islamischen Welt. Überwiegend wird ein bloßes Kopftuch getragen, welches das Haar ganz oder teilweise bedeckt.28 Wie weit die Verschleierung reicht, steht in starker Abhängigkeit zu den regionalen Traditionen und der Frömmigkeit der Frau.29 In seiner Entscheidung zu der Frage, ob die Berufung einer Muslima als Lehrerin abgelehnt werden könne, weil sie beabsichtige, auch im Unterricht ein Kopftuch zu tragen, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, auch das Tragen eines Kopftuches könne unter den Schutz der Glaubensfreiheit fallen. Entscheidend sei, ob das Befolgen dieser Bekleidungsregel für sie Ausdruck ihres religiösen Bekenntnisses sei und ob sie das Tragen eines Kopftuchs als für sich verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgegeben betrachte. Dabei komme es nicht darauf an, ob und inwieweit die Verschleierung für Frauen von Regeln des islamischen Glaubens vorgeschrieben sei. Zwar könne nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden. Bei der Würdigung eines vom Einzelnen als Ausdruck seiner Glaubensfreiheit reklamierten Verhaltens könne das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben. Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit lasse sich nach Gehalt 23) BVerfGE 83, 341 [353]. 24) Harenberg, Lexikon der Religionen, Dortmund 2002, S. 479; Der Brockhaus Religionen, 2. Auflage, Leipzig (u. a.) 2007, S. 111, Brockhaus der Religionen, 2. Aufl., S. 111. 25) Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 542. 26) Oxford-Lexikon der Weltreligionen, 1999, S. 415. 27) Ausführlich in: Kinziger-Büchel, Der Kopftuchstreit in der deutschen Rechtsprechung und Gesetzgebung, Deutscher Anwalt Verlag 2009, S. 23-33. 28) Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 542. 29) Harenberg, Lexikon der Religionen, S. 543. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 8 und Erscheinung als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen.30 Empfindet die Trägerin die Burka als verbindlich von den Regeln ihrer Religion vorgeschrieben, fällt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Fall auch das Tragen der Burka in den Schutzbereich des Artikel 4 GG. Soweit die Burka aus anderen Motiven – etwa aufgrund äußeren Zwangs zur öffentlichen Demonstration der Ungleichheit von Mann und Frau31 – getragen wird, unterfällt dies nicht dem Schutz der Religionsfreiheit. Das Tragen einer Burka kann in den Schutzbereich des Artikel 4 GG fallen.32 2.1.2. Eingriff in den Schutzbereich Ein Grundrechtseingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht,33 z.B. wenn dem Grundrechtsträger ein Verhalten, das vom Schutzbereich eines Grundrechts umfasst ist, durch den Staat verwehrt wird. Ein Eingriff liegt insbesondere vor, wenn dem Grundrechtsträger das grundrechtlich geschützte Verhalten verboten wird. Auch wenn ein auf öffentliche Gebäude beschränktes Burka- Verbot nicht schlechthin das Tragen einer Burka verbietet, so wird in die Freiheit der Religionsausübung eingegriffen, wenn der betroffenen Person die Handlungsalternative „Nichtbetreten“ nicht offen steht. 2.1.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Die Grundrechte, also auch die Religionsfreiheit, binden die Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht (Artikel 1 Abs. 3 GG). Gebunden werden nicht nur die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung, sondern auch der Gesetzgeber (Artikel 20 Abs. 3 GG).34 Um nicht verfassungswidrig zu sein, bedürfte eine Beschränkung oder ein Eingriff in die Religionsfreiheit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. 30) BVerfGE 108, 282 [298 f.]. 31) So zu Recht: Schockenhoff, Fünf Fragen zur Burka in Frankreich, in: Das Parlament vom 15. Februar 2010. 32) So auch: Kloepfer (Fn. 17), § 60, Rn. 69, Fn. 147. Zum Eingriff in den Schutzbereich von Art. 9 EMRK: Finke, Warum das „Burka-Verbot“ gegen die EMRK verstößt, NVwZ 2010, S. 1127 [1128 f.]; Will, Stellungnahme der Humanistischen Union zur Anhörung des BT-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema „Religionsfreiheit und europäische Identität“, A-Drs. 17(17)0070, S. 8. 33) Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Auflage, Heidelberg 2009, Rn. 240; Kloepfer (Fn. 17), § 51, Rn. 31. 34) Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 9 2.1.3.1. Kollidierende Grundrechte oder andere Verfassungsgüter Anders als bei vielen anderen Grundrechten sieht das Grundgesetz für die Religionsfreiheit keinen Gesetzesvorbehalt vor.35 Sie wird vorbehaltlos gewährleistet. Daher lehnt das Bundesverfassungsgericht eine Beschränkung der Glaubensfreiheit durch allgemeines Gesetz oder durch eine unbestimmte Güterabwägung ab.36 Steht ein Grundrecht nicht unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung, stellt sich die Frage, was geschieht, wenn die Ausübung eines solchen Grundrechts in Widerspruch zu anderen Grundrechten oder erheblichen Gemeinschaftsgütern gerät. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Grenzen der vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte nur von der Verfassung selbst bestimmt werden.37 Verfassungsimmanente Grenzen der Religionsfreiheit sind die Grundrechte anderer Grundrechtsträger38 und die sonstigen in der Verfassung selbst verankerten Rechtsgüter, deren Beachtung dem Staat aufgegeben ist39. Die Einschränkung eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts darf nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen, wie etwa dem „Schutz der Verfassung“ oder der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ gerechtfertigt werden, sondern anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen , wobei die im konkreten Fall maßgeblichen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter herausgearbeitet werden müssen.40 Im Kollisionsfall ist zwischen den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten und den entgegenstehenden Grundrechten oder Verfassungsgütern im Wege der Abwägung und mit dem Ziel der Herstellung der „praktischen Konkordanz“ ein angemessener Ausgleich herbeizuführen.41 Dabei darf nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werden, sondern alle sollen einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.42 Die Religionsfreiheit gewährt dem einzelnen Bürger nicht das Recht, dass „seine Überzeugung zum Maßstabe der Gültigkeit genereller Rechtsnormen oder ihrer Anwendung gemacht wird“.43 Die Freiheitsverbürgung des Artikel 4 Abs. 1 GG geht von der Würde und Selbstbestimmtheit des Menschen aus, also „vom Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb 35) Vgl. z.B. Artikel 2 Abs. 1 GG: „[…] soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“; Artikel 5 Abs. 2 GG: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“; Artikel 8 Abs. 2 GG: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“; Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“ 36) BVerfGE 32, 98 [107 f.]; 33, 23 [29, 30 f.]; 52, 223 [246]; 93, 1 [21]; Kloepfer (Fn. 17), § 60, Rn. 57. Kritisch hierzu : Starck (Fn. 17), Art. 4, Rn. 91. 37) BVerfGE 30, 173 [193]; 32, 98 [108]. BVerwGE 127, 302, Rz. 304. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. August 1999, Az. 1 BvR 2181/98, Rz. 88. 38) BVerfGE 28, 243 [260 f.]; 32, 98 [108]; 41, 29 [50]; 52, 223 [247]; Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 115. 39) BVerfGE 28, 243 [261]; Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 112. 40) BVerfGE 81, 278 [293]. 41) BVerfGE 28, 243 [260 f.]; 41, 29 [50]; 52, 223 [246 f., 251]; 93, 1 [21]. 42) BVerfGE 93, 1 [21]. 43) BVerfGE 67, 26 [37]; vgl. aber Kokott (Fn. 13), Art. 4, Rn. 64. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 10 der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet“.44 Körperverletzung, körperlich wirkender Zwang, die gewaltsame Beseitigung der staatlichen Ordnung oder die gewaltsame Mission können nicht auf Artikel 4 GG gestützt werden.45 Da laute Kirchenglocken oder der Ruf des Muezzin die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum eines Nachbarn beeinträchtigen können, kann über das Bundesimmissionsschutzgesetz deren Lautstärke beschränkt werden.46 Die Einschränkung der Religionsausübung wäre dann als Ergebnis einer Abwägung kollidierender Rechtsgüter im Einzelfall gerechtfertigt.47 Fehlt es an einem kollidierenden Rechtsgut mit Verfassungsrang, kommt eine Einschränkung der Religionsfreiheit nicht in Betracht. 2.1.3.2. Würde und Gleichberechtigung von Frauen Soweit Frauen davor geschützt werden sollen, gegen ihren Willen zum Tragen einer Burka gezwungen zu werden, besteht kein Konflikt mit der Religionsfreiheit. Maßnahmen gegen das aufgenötigte Tragen einer Burka ließen sich jedenfalls auf den Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 Abs. 1 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Artikel 2 Abs. 1 GG stützen. Nach § 240 des Strafgesetzbuches (StGB)48 macht sich strafbar, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt.49 Fraglich ist, ob die Verfassung eine Grundlage bietet, Frauen zu ihrem eigenen Schutz auch das freiwillige Tragen einer Burka zu untersagen. Nach Artikel 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Diese soll nach einer Auffassung auch beim freiwilligen Tragen einer Burka verletzt sein, weil sie „Frauen quasi unsichtbar“ mache. Auf die Freiwilligkeit komme es nicht an, da die Würde des Menschen unverfügbar sei.50 Dem ist entgegenzuhalten , dass in dem Verbergen des Gesichts als solchem keine Würdeverletzung liegt. Im Gegenteil: Es ist ein Ausdruck der Freiheit und Autonomie des Menschen, bestimmen zu dürfen, wem das Gesicht oder die eigene Persönlichkeit gezeigt wird. Zum Begriff der Menschenwürde 44) BVerfGE 32, 98 [108]; Kammerbeschluss vom 11. August 1999, Az. 1 BvR 2181/98, Rz. 88. 45) So wären z.B. religiöse Riten der Tempelunzucht, der Menschenopfer, der Witwenverbrennung oder Polygamie wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 bzw. Art. 6 Abs. 1 GG nicht von der Gewissens-, Glaubens-, Bekenntnis- oder Religionsfreiheit gedeckt (BVerwGE 127, 302, Rz. 303). 46) Sarcevic (Fn. 13), DVBl. 2000, S. 519 [523]; Muckel (Fn. 17), Art. 4, Rn. 53. 47) Kokott (Fn. 13), Art. 4, Rn. 57; Starck (Fn. 17), Art. 4, Rn. 104. Zu der Frage, ob ein gesetzliches Kopftuchverbot an Schulen ohne Einzelfallprüfung zulässig wäre: Kokott (Fn. 13), Art. 4, Rn. 61 m.w.Nw. Bei der Errichtung einer Kirche oder einer Moschee kann wegen der erwarteten Beeinträchtigung der Nachbarschaft durch An- und Abfahrtsverkehr die Religionsausübung hinsichtlich der Wahl des Standorts und der geplanten Größe des Gotteshauses beschränkt werden (VG München v. 12. 2. 2007, Az. M 8 K 06.3625). 48) Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 2. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3214). 49) Skeptisch zu der Frage, ob die strafrechtlich bewehrte Verbotsnorm hier geeignet ist, Abhilfe zu schaffen: Bielefeldt , Stellungnahme zur Anhörung des BT-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema „Religionsfreiheit und europäische Identität“, A-Drs. 17(17)0067, S. 5. 50) Tören (Fn. 2); Gerhardt (Fn. 2). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 11 gehört, dass jeder Mensch befähigt ist, sich selbst zu bestimmen.51 Ist die Fähigkeit zur individuellen Selbstbestimmung Teil der Menschenwürde, so gebietet die Achtung der Menschenwürde des Einzelnen, seine ohne Zwang aufgrund freier Entschließung getroffenen Entscheidungen zu respektieren,52 jedenfalls soweit dies innerhalb der Gemeinschaft von Menschen, in der der einzelne lebt, erträglich ist.53 Gerät die Entscheidung des Einzelnen, sein Leben in bestimmter Weise zu führen und sich gegenüber anderen Personen und in der Öffentlichkeit in bestimmter Weise darzustellen, mit den Anschauungen in Kollision, die sich aus der Wertordnung des Grundgesetzes ableiten lassen, kann es geboten sein, den Raum individueller Selbstbestimmung zu begrenzen .54 Dies dürfte jedoch nur insoweit zulässig sein, wie es Gebote der Gemeinschaft absolut und unumgänglich erfordern. Andernfalls würde das grundgesetzliche Gebot zur Achtung der Menschenwürde sich gegen das Schutzobjekt wenden.55 Der Würdeverstoß durch eine Burka liegt allenfalls in der dadurch zum Ausdruck gebrachten Gesinnung. Das mit der Burka verbundene Männer- und Frauenbild ist zwar fragwürdig und verträgt sich nicht mit dem europäischen Konsens im Umgang der Menschen miteinander. Nicht alles, was unerwünscht ist, kann sogleich verboten werden.56 Das freiwillige Tragen einer Burka ist keine Verletzung der Menschenwürde. Nach Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Staat verpflichtet, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Diese Vorschrift normiert ein Staatsziel57, welches zu Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auffordert.58 Sie zielt nicht nur auf die Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern. Enthalten ist auch ein Gleichstellungsgebot, das sich auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit erstreckt.59 Durch das Gebot, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zu fördern“ (1. Halbsatz ), werden die zuständigen staatlichen Organe angehalten, Maßnahmen zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung zu ergreifen, d.h. die Lebensverhältnisse von Männern und Frauen auch real anzugleichen. Mittel soll eine „Förderungspolitik“ sein, Ziel die „faktische Gleichberechtigung“.60 Mit dem Gebot, „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken 51) BVerfGE 49, 286 [298]. 52) Kunig, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 5. Auflage 2000, Art. 1, Rn. 34: Der im Achtungsgebot wurzelnde Autonomieanspruch hat gegenüber der Schutzpflicht des Staates vor sich selbst regelmäßig Vorrang . 53) OVG HH, Beschluss vom 20. Februar 1985, Az. Bs. VI 2/85. Zustimmend: Starck (Fn. 17), Art. 1, Rn. 114. 54) Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1981, Az. 1 C 232/79 (Peep-Show); VG Neustadt, Beschluss vom 21. Mai 1992, Az. 7 L 1271/92 (Zwergenweitwurf). 55) OVG HH, Beschluss vom 20. Februar 1985, Az. Bs. VI 2/85. 56) Rohe, Stellungnahme zur Anhörung des BT-Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum Thema „Religionsfreiheit und europäische Identität“, A-Drs. 17(17)0069, S. 5. 57) Gesetzesbegründung, in: Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 20. Januar 1994, Drs. 12/6633, S. 5, und die Bezugnahme in: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 28. Juni 1994, Drs. 12/8165, S. 28. 58) Starck (Fn. 17), Art. 3 Abs.2, Rn. 311. 59) Gesetzesbegründung (Fn. 57), Drs. 12/6633, Allgemeiner Teil, S. 5; BVerfGE 92, 91 [109]; 109, 64 [89]. Zur früheren Fassung des Artikel 3 Abs. 2 GG bereits: BVerfGE 85, 191 [207]. 60) Gesetzesbegründung (Fn. 57), Drs. 12/6633, Zu Artikel 1, Nummer 1 (Art. 3 Abs. 2 Satz 2), S. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 12 (2. Halbsatz), wird zunächst darauf hingewiesen, dass Benachteiligungssituationen vorhanden sind; in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt werden berufliche Nachteile. Frauen müssen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer.61 Diese Nachteile selbst sollen unmittelbar beseitigt werden.62 Diese von der Gemeinsamen Verfassungskommission von Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates vorgeschlagene Formulierung des Artikel 3 Abs. 2 GG ging davon aus, dass eine Benachteiligung von Frauen festzustellen sei, die sich in einer Unterrepräsentanz von Frauen in verantwortungsvollen und einflussreichen Positionen im privatwirtschaftlichen wie im öffentlichen Bereich zeige. Es sollte ermöglicht werden, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen. Gedacht wurde insbesondere an eine staatliche Förderungspolitik zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung . Umstritten war, ob damit auch eine bevorzugende Ungleichbehandlung zugelassen werde . Abgelehnt worden ist eine Formulierung, die sich auf die Ungleichbehandlung in allen gesellschaftlichen Bereichen bezogen hätte. „Es könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass der Staat in alle Bereiche einwirken dürfe oder gar müsse.“63 Ein Erziehungsauftrag des Staates für seine Bürger, der ihn legitimiert, ein Verbot der Vollverschleierung auch gegen den Willen der betroffenen Frauen durchzusetzen, lässt sich nach alledem aus Artikel 3 Abs. 2 GG nicht ableiten. 2.1.3.3. Negative Religionsfreiheit Das Tragen einer Burka ist ein starkes Bekenntnis zu den Kleidungsvorschriften des Islam. Zu der durch Artikel 4 GG geschützten Religionsfreiheit gehört auch das Recht, keinem religiösen Bekenntnis anzuhängen und nicht zur Teilnahme an einer religiösen Handlung gezwungen zu werden .64 Die Gewährleistung der negativen Religionsfreiheit gebietet jedoch nicht, besonders intensive Formen der Religionsausübung in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Anderes gilt nur, wenn eine Person ohne Ausweichmöglichkeit mit religiösen Symbolen konfrontiert wird. Dies hat das Bundesverfassungsgericht angenommen, wenn Schüler wegen der allgemeinen Schulpflicht von Staats wegen gezwungen werden, „unter dem Kreuz“ zu lernen. Dies unterscheide sich von der im Alltagsleben häufig auftretenden Konfrontation mit religiösen Symbolen der verschiedensten Glaubensrichtungen. Wenn es der Einzelne auch nicht in der Hand habe, ob er im Straßenbild, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Betreten von Gebäuden religiösen Symbolen begegne, so handele es sich in der Regel jedoch um ein flüchtiges Zusammentreffen; selbst bei längerer Konfrontation beruhe diese jedenfalls nicht auf einem staatlich durchsetzbaren Zwang.65 61) BVerfGE 109, 64 [89]. 62) Gesetzesbegründung (Fn. 57), Drs. 12/6633, Zu Artikel 1, Nummer 1 (Art. 3 Abs. 2 Satz 2), S. 6. 63) Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission 1992 vom 5. November 1993, Drs. 12/6000, S. 49 f. 64) Starck (Fn. 17), Art. 4, Rn. 23. 65) BVerfGE 93, 1 [18]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 13 In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, hat der einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben.66 Insofern gewährt die negative Religionsfreiheit weder das Recht, die Bekenntnisäußerungen anderer zu verhindern , noch durch den Staat vor Konfrontationen mit religiösen Fakten geschützt zu werden.67 Auch dass in der überwiegend nicht-muslimischen Bevölkerung ein islamisches Symbol als „fremd“ empfunden wird, weil es der islamischen Welt zugeordnet wird, hat nach der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls nicht das Gewicht, den Belang der Religionsfreiheit zurückzustellen.68 Es existiert kein Anspruch im öffentlichen Raum, vor den religiösen Einflüssen der Umwelt abgeschirmt zu werden.69 Die negative Religionsfreiheit kommt als Rechtfertigung für das Verbot des Tragens der Burka in der Öffentlichkeit nicht in Betracht. 2.1.3.4. Keine Einschränkung speziell der islamischen Bekenntnis- und Verkündungsfreiheit Nicht zulässig ist eine Beschränkung der Religionsfreiheit durch ein direkt gegen den Glauben oder die Religionsausübung gerichtetes Gesetz70, insbesondere dann nicht, wenn sich die Beschränkung gegen einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte Religion richtet. Das Bundesverfassungsgericht leitet dies aus dem weltanschaulichen Toleranzgebot der Verfassung ab. „Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 folgt […] der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie […] untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger.“71 In der Literatur wird dies aus dem Vergleich der vorbehaltlos gewährten Religionsfreiheit mit der unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehenden Meinungsfreiheit (Artikel 5 Abs. 2 GG) geschlossen: Einschränkungen der Bekenntnis- und Verkündungsfreiheit, die schon nach Artikel 5 Abs. 2 GG nicht zulässig sind, können unter der Geltung des Artikel 4 GG erst recht nicht vorgenommen werden.72 66) BVerfGE 93, 1 [16]; 108, 282 [302]. 67) v. Campenhausen, Staatskirchenrecht 4. Auflage 2006, S. 65 f.; Germann (Fn. 17), Art. 4, Rn. 21.5. 68) BayVGH, Urteil vom 29. August 1996, Az. 26 N 95.2983. 69) v. Campenhausen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 2. Aufl. 2001, § 136, Rn. 95. 70) Sarcevic (Fn. 13), DVBl. 2000, S. 519 [523 f.]. 71) BVerfGE 93, 1 [16 f.]. 72) Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 90. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 14 2.1.3.5. Sicherheitsgründe Ein Verbot könnte ausnahmsweise zulässig sein, wenn zwingende Belange der Sicherheit des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Besucher dies gebieten.73 Zu prüfen wäre dann, ob die Pflicht, die Burka abzunehmen, z.B. auf den Bereich der Einlasskontrolle begrenzt werden kann. 2.1.4. Ergebnis Ein Burka-Verbot für öffentliche Gebäude, deren Betreten nicht im Belieben der Burka-Trägerin steht, zwänge eine Muslima, die das Tragen der Burka für von den Regeln ihrer Religion vorgeschrieben hält, zum Verstoß gegen ihre Glaubensregeln. Prüfungsmaßstab wäre die vorbehaltslos gewährleistete Religionsfreiheit. Ein gesetzliches Burka-Verbot dürfte verfassungsrechtlich nur unter ganz gravierenden Umständen zu rechtfertigen sein. 2.2. Gebäudezugang zur Verwirklichung von Grundrechten In anderen Fällen hat die Burka-Trägerin die Handlungsalternative Burka abnehmen oder Gebäude nicht betreten. Auch hier werden ihre Handlungsoptionen beschränkt; es stellt sich aber die Frage, in welche Freiheit eingegriffen wird: in die auf Zugang zu den öffentlichen Gebäuden oder in die auf Religionsausübung. Der Zutritt zu einem öffentlichen Gebäude wird erst durch eine Leistung des Staates gewährt. Es wird nicht eine bestehende Handlungsoption bzw. Freiheit genommen oder vermindert, sondern nicht oder nur eingeschränkt gewährt. Auch die Beschränkung des Zugangs zu einer öffentlichen Leistung kann ein Grundrechtseingriff sein. So kann etwa beim Hochschulzugang erst durch die Zulassung zum Studienplatz das Freiheitsrecht aus Artikel 12 GG überhaupt verwirklicht werden kann.74 Im Falle der verweigerten Einstellung einer Lehrerin in den Schuldienst, die beabsichtigte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, sah das Bundesverfassungsgericht primär die Zugangsgleichheit zu öffentlichen Ämtern aus Artikel 33 Abs. 2 GG, mittelbar aber auch die Religionsfreiheit verletzt.75 Es fehle an einer hinreichenden gesetzlichen Bestimmung der Dienstpflichten und der eine Berufung hindernder Mängel der Eignung.76 Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht eindeutig festgelegt, welches Grundrecht es nun als verletzt ansah. Aus der Feststellung der Notwendigkeit, die Eignungsmängel gesetzlich zu bestimmen, ergibt sich aber, dass es primär um eine Verletzung des Artikel 33 Abs. 2 GG geht. Wesentlich klarer haben sich hierzu die Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghof in ihrer abweichenden Meinung erklärt: „Die Senatsmehrheit nimmt zu Unrecht einen schwerwiegenden Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Beschwerde- 73) Rohe (Fn. 51), S. 4 f. 74) BVerfGE 33, 303 [330 ff.] (numerus clausus I). 75) BVerfGE 108, 282 [294]. 76) BVerfGE 108, 282 [297, 303]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 15 führerin an, um einen Gesetzesvorbehalt zu rechtfertigen. Damit verkennt sie die funktionelle Begrenzung des Grundrechtsschutzes für Beamte. Im Fall des Zugangs zu einem öffentlichen Amt gibt es keine offene Abwägungssituation gleichwertiger Rechtsgüter […] Die Eignungsbeurteilung im Rahmen des speziellen Gleichheitsrechts aus Art. 33 Abs. 2 G darf nicht mit einem Eingriff in die Freiheitssphäre des Art. 4 Abs. 1 GG verwechselt werden. […] Nicht die öffentliche Gewalt dringt hier in die Gesellschaft ein, sondern Grundrechtsträger suchen die Nähe zur staatlichen Organisation, erstreben deren Handeln, suchen eine Rechtsbeziehung […]“.77 Im seiner Entscheidung zu einem muslimischen Metzger, der wegen des Tierschutzes am Schächten gehindert wurde, legte es als Prüfungsmaßstab Artikel 2 Abs. 1 GG an (Artikel 12 Abs. 1 GG kam mangels deutscher Staatsangehörigkeit des Metzgers nicht in Betracht).78 Die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs misst sich an den speziell durch eine Zugangsverwehrung betroffenen Grundrechten, wobei die Religionsfreiheit angemessen zu würdigen ist. 2.2.1. Berufsfreiheit Ein Zugangsverbot zu einem Gebäude, das eine Burka-Trägerin betreten müsste, um ihr Recht aus Artikel 12 Abs. 1 GG auf Berufsfreiheit zu verwirklichen – z.B. eine Hochschule – wirkt sich für die Betroffene wie eine objektive Berufswahlregelung aus. Bei Wahrung ihrer freien Religionsausübung ist das Burka-Verbot eine Zugangsbedingung, deren Erfüllung ihr schlechthin entzogen ist.79 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf die Rechtfertigung einer objektiven Berufswahlregelung eine nachweisbare oder höchstwahrscheinliche schwere Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut.80 Eine solche Gefährdungslage dürfte durch Tragen von Burkas in Hochschulen nicht herbeigeführt werden. Zu beachten ist, dass die Berufsfreiheit nur für deutsche Staatsangehörige gilt. 2.2.2. Meinungs- und Pressefreiheit Die Beschränkung des Zugangs zu einem Gebäude kann in die durch Artikel 5 Abs. 1 GG geschützte Pressefreiheit eingreifen, z.B. wenn erst der Zugang zum Reichstag, die Freiheit der Berichterstattung ermöglicht.81 Die Pressefreiheit findet nach Artikel 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Als Rechtfertigung wäre daher ein Gesetz ausreichend, das aus Sicherheitsgründen das Tragen von Kleidungsstücken, die eine Identifikation verhindern oder erschweren, nicht zulässig sind. 77) BVerfGE 108, 282 [315 ff.]. 78) BVerfGE 104, 337 [345 f.]. 79) Vgl. BVerfGE 7, 377 [407]. 80) BVerfGE 7, 377 [408]; 25, 1 [11]; 40, 196 [218]; 84, 133 [151 f.]. 81) VG Berlin, Beschluss vom 1. April 2004, Az. 27 A 81.04 (Akkreditierung zum Bundestag). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 16 2.3. Übrige Gebäude Bei dem Zugang zu bestimmten öffentlichen Leistungen setzt deren Inanspruchnahme kein staatliches Handeln voraus. Vielmehr wird die Nutzung durch bloßes Tätigwerden des Bürgers ermöglicht und die öffentliche Gewalt beschränkt sich auf die Duldung. So verhält es sich bei öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch wie Straßen und Gewässer, kann im Einzelfall aber auch für öffentliche Einrichtungen und Anstalten gelten. In derartigen Fällen kann die Berechtigung zur eigenständigen Nutzung eine abwehrrechtlich geschützte Rechtsposition sein.82 Diese ist in der Regel allerdings nur durch den durch Artikel 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit)83 vermittelten Minimalschutz und das Gleichheitsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG geschützt.84 Für den Zugang zu öffentlichen Sachen oder Einrichtungen, die von einer Zulassung abhängig sind, kommt es darauf an, ob ein Anspruch auf Zugang besteht. Besteht ein Anspruch, so ergibt sich der Umfang der geschützten Rechtsposition aus der anspruchsbegründenden Norm.85 Andernfalls verbleibt es – sofern die Einrichtung dem ihrer Widmung entsprechenden Zweck genutzt werden soll86 – beim Schutz aus Artikel 3 Abs. 1 GG87. 2.3.1. Allgemeine Handlungsfreiheit Mit der in Artikel 2 Abs. 1 GG normierten freien Entfaltung der Persönlichkeit wird die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet, die – soweit sie nicht Rechte anderer verletzt oder gegen das Sittengesetz verstößt – nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist.88 Zu dieser Ordnung zählen alle Rechtsnomen, die formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sind.89 Dazu gehört aber auch die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und in diesem Rahmen die Beachtung der Religionsfreiheit.90 Ein Gesetz, das das Tragen einer Burka in öffentlichen Gebäuden untersagt, greift in die allgemeine Handlungsfreiheit ein. Um hinreichend verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein, müsste das Burka-Verbot zunächst ein legitimes Regelungsziel verfolgen. Bezweckt werden könnte mit dem Burka-Verbot z.B., die „bürgerliche Lebenskultur“ zu erhalten, zu der es gehöre, das „Gesicht zu zeigen“ und „sich in 82) Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, München 1988, § 67 II 1 c (S. 701 ff.). 83) Vgl. BVerfGE 6, 32. 84) BVerwGE 30, 235 [238 f.]; 32, 222 [225] – für die Anlieger sieht das BVerwG darüberhinaus einen Schutz aus Art. 14 GG; BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1987, Az. 7 C 60/85. Vgl. auch: Stern (Fn. 82), § 67 II 1 c, Fn. 39. 85) BVerwGE 39, 235. 86) BVerwGE 39, 235 [238 f.]. 87) BVerwGE 44, 72 [74 f.]. 88) BVerfGE 6, 32 [37]. 89) BVerfGE 6, 32 [36 ff.]; 96, 375 [397 f.]; 104, 337 [346]. 90) BVerfGE 104, 337 [346 f.]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 17 die Augen zu sehen“.91 Hinter diesem Ziel steht offenbar auch die überwiegende öffentliche Meinung .92 Zur Erreichung dieses Regelungszieles wäre das Burka-Verbot auch geeignet und mangels gleich wirksamer Alternative erforderlich. Die Verfassung billigt dem Gesetzgeber für die Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit der von ihm für die Durchsetzung der gesetzgeberischen Regelungsziele gewählten Mittel einen Einschätzungsspielraum zu.93 Die gesetzliche Regelung müsste jedoch auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Dafür bedarf es einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des mit dem Burka-Verbot verbundenen Grundrechtseingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe .94 Je mehr der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, umso sorgfältiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden.95 Zu beachten ist, dass ein solches Verbot strenggläubige Burka-tragende Frauen von allen öffentlichen kulturellen und gesellschaftlichen Einrichtungen ausschlösse. Wollten sie – was ihnen im Hinblick auf Artikel 4 GG zuzubilligen ist – ihren religiösen Vorstellungen und gegebenenfalls verbindlichen Regeln gehorchen, wäre ihnen die Teilnahme am sozialen Leben weitgehend verwehrt. Das Verbot träfe nicht nur die Burka-tragenden Frauen selbst. Sie könnten auch ihre Kinder nicht mehr in entsprechende Einrichtungen bringen oder gar begleiten. Diesen Konsequenzen steht das Interesse der gleichzeitig Anwesenden entgegen, der Muslima ins Gesicht sehen zu können. Angesichts der verschwindend geringen Zahl von Frauen in Deutschland, die eine Burka tragen, dürfte ein Burka-Verbot für öffentliche Gebäude nicht verhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein. Wenigstens müsste ein solches Verbotsgesetz Ausnahmen zulassen, die es ermöglichten, im Wege einer die Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Abwägung sowohl der Religionsfreiheit der Burka-Trägerin, als auch dem mit dem Gesetz verfolgten Ziel Rechnung zu tragen. Ohne derartige Ausnahmen würden die Grundrechte derjenigen, die aus ihren religiösen Vorstellungen heraus eine Burka tragen müssen, unzumutbar beschränkt.96 2.3.2. Gleichheitsgebot Nach Artikel 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Niemand darf wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt werden (Artikel 3 Abs. 3 GG). Dieses Gebot bindet auch den Gesetzgeber.97 Das Gleichheitsgebot setzt dem Gesetzgeber sowohl 91) Vgl. de Maizière, „Alte Gewissheiten kommen nicht wieder“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. September 2010; Bouffier, Hessens Ministerpräsident Bouffier ist gegen ein gesetzliches Burka-Verbot, in: Wiesbadener Kurier vom 23. September 2010. 92) Nach einer Umfrage sind 52 Prozent der Bevölkerung für ein Verbot des Ganzkörperschleiers in öffentlichen Verkehrsmitteln und anderen öffentlichen Einrichtungen, weil er die Menschenrechte verletze, Leipziger Volkszeitung vom 20. August 2010. 93) BVerfGE 104, 337 [348]. 94) BVerfGE 104, 337 [349]. 95) BVerfGE 17, 306 [314]; 20, 150 [159]; 89, 69 [82 f.]; 97, 228 [269]; 99, 185 [195]. 96) Vgl. BVerfGE 104, 337 [352] (Schächten). 97) Kloepfer (Fn. 17), § 59 (Gleichheit), Rn. 33 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 18 Grenzen bei der Auswahl der gesetzlichen Tatbestände, die er gesetzlich regelt, als auch insofern, dass die vom Gesetz erfassten, in sich gleichartigen Tatbestände gleichartig zu behandeln sind.98 Aus dem Diskriminierungsverbot nach Artikel 3 Abs. 3 GG in Verbindung mit der von Artikel 4 GG vorgegebenen weltanschaulichen Neutralitätspflicht des Staates verbietet es sich, bei einem Verbot bestimmter Kleidungen an die Religion als solche anzuknüpfen. Dem weltanschaulich neutralen Staates ist es verboten, einzelne religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen zu verbieten, zu bekämpfen oder auch nur abzulehnen.99 Unzulässig wäre es daher, die Burka als typisch islamische Kleidung in einem Verbotsgesetz zu benennen. Erforderlich wäre vielmehr, abstrakte Merkmale oder Eigenschaften von Kleidung zu bestimmen, die nicht erlaubt sein sollen. Geht es dem Normgeber um die Identifizierbarkeit einer Person, insbesondere darum, das Gesicht bzw. die Augen sehen zu können, müsste das Verbot auch für Vermummungen anderer Art gelten, etwa Motorradhelme oder Hochzeitsschleier, gegebenenfalls auch dunkle Sonnenbrillen. Bezweckt der Gesetzgeber die Abwesenheit religiöser Symbolik an bestimmten Orten, müssten auch Kleidungsstücke, durch welche die Zugehörigkeit zu anderen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften demonstriert werden, gleichermaßen verboten werden.100 2.4. Ergebnis Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Burka-Verbotes in öffentlichen Gebäuden kommt es auf die jeweilige Beziehung der Trägerin zu der betreffenden Einrichtung bzw. zu dem Gebäude an: Hat die betreffende Person keine Handlungsoptionen, weil sie das öffentliche Gebäude betreten muss oder hierzu sonst gezwungen ist, wäre ein Burka-Verbot an dem vorbehaltslos gewährleisteten Freiheitsrecht aus Artikel 4 GG zu messen. Dient der Zugang zu einem Gebäude der Verwirklichung eines grundrechtlich geschützten Freiheitsrechts, bedarf das Burka-Verbot einer diesem Freiheitsrecht genügenden verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.101 Besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Zugang zu dem Gebäude oder ist das Betreten die faktische Voraussetzung für die Geltendmachung eines gesetzlichen Anspruchs (z.B. Vorspra- 98) BVerfGE 11, 64 [71]. 99) Herzog (Fn. 20), Art. 4, Rn. 19 f. Zum Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates: BVerfGE 18, 385 [386]; 19, 206 [216]; 24, 236 [246]; 32, 98 [106]. 100) Vgl. z.B. § 1 des Berliner Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin, Artikel I des Gesetzes vom 27. Januar 2005 (GVBl. Nr. 4, S. 92): „Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind, dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen.“ 101) Vgl. wegen der einzelnen Vorbehalte siehe oben: Fn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 19 che beim Job-Center für das Stellen eines Antrags auf Arbeitslosengeld), kann das Burka- Verbot nur gelten, soweit es von der den Anspruch begründenden Norm gedeckt ist. In jedem Fall würde in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Abs. 1 GG eingegriffen , was nur unter den dort genannten Schranken zulässig wäre. Zu beachten wäre das Gleichheitsgebot aus Artikel 1 Abs. 3 und das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Abs. 3 GG. 3. Burka-Verbot durch das Hausrecht Gefragt wird, ob das Tragen einer Burka in einem öffentlichen Gebäude unter Berufung auf das Hausrecht des Einrichtungsträgers unterbunden werden kann. 3.1. Hausrecht als Rechtsgrundlage für die Zugangsbeschränkung Nach § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)102 kann der Eigentümer mit seinem Eigentum nach seinem Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Er kann nach seinem Belieben über den Zutritt zu seinen Gebäuden und Anlagen entscheiden.103 Diese Ausschließungsbefugnis bildet zusammen mit den Besitzstörungsrechten der §§ 859 ff. BGB und dem Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB die Grundlage des privatrechtlichen Hausrechts.104 Das Hausrecht ermöglicht seinem Inhaber, grundsätzlich frei darüber zu entscheiden , wem er den Zutritt zu der Örtlichkeit gestattet und wem er ihn verweigert.105 Das schließt das Recht ein, den Zutritt nur zu bestimmten Zwecken zu erlauben oder rechtswirksam von Bedingungen abhängig zu machen.106 Dies gilt grundsätzlich auch für öffentliche Gebäude. Das Recht, andere von jeder Einwirkung auszuschließen, kann jedoch aus der öffentlichrechtlichen Zweckbestimmung und dem Gleichheitsgrundsatz beschränkt sein.107 Differenziert wird danach, ob sich die Zutrittsregelung auf ein privatrechtliches oder ein öffentlich-rechtliches Hausrecht stützen kann.108 102) Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977). 103) BGH, Urteil vom 6. Juni 1967, Az. VI ZR 214/65. 104) BGHZ 165, 62 [69 f.]; Fritzsche, in: Bamberger/Roth, Beck'scher Online-Kommentar, BGB § 903, Rn. 20. 105) BGHZ 36, 171 [177]; 124, 39 [42 f.]; BGH, Urteil vom 20. Januar 2006, Az. V ZR 134/05. 106) BGHZ 110, 371 [383 f.]; BGH, Urteil vom 20. Januar 2006, Az. V ZR 134/05. 107) BGHZ 33, 230; BGH, Urteil vom 20. Januar 2006, Az. V ZR 134/05 (Frankfurter Flughafen). 108) Ein Teil der Rechtsprechung unterscheidet bei der Einordnung der Ausübung des Hausrechts nach der Beziehung zwischen dem Verwaltungsträger und dem Bürger. Maßgeblich soll der Zweck des Besuchs des öffentlichen Gebäudes bzw. der Einrichtung sein. Sucht die Person das Gebäude im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Zweckwidmung des Gebäudes auf, so unterstehe sie dem öffentlich-rechtlichen Hausrecht (OVG NW, Beschluss vom 11. Februar 1998, Az. 25 E 960/97). So verhalte es sich etwa bei einer Person, die ein öffentliches Gebäude aufsuche, um Arbeitslosengeld zu beantragen. Daran fehle es etwa, wenn eine Behörde weitere Geschäftsverhandlungen mit einem privaten Unternehmen ablehne und diesem fortan den Zutritt zu dem Dienstgebäude verwehre (BVerwGE 35, 103, Urteil vom 13. März 1970, Az. VII C 80.67). Andernfalls unterstehe der Besucher Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 20 3.2. Rechtsgrundlage für Zugangsregelungen Zu unterscheiden ist, ob ein Gebäude dem öffentlichen Verkehr, also dem Zutritt für jedermann, gewidmet ist oder lediglich der Verwaltung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen soll.109 Die mit der Wahrnehmung des Eigentums an einem öffentlichen Gebäude betraute Behörde ist in der Ausübung ihrer dem Eigentum entspringenden Ausschlussrechte durch die öffentliche Zweckbestimmung beschränkt und sie darf nicht durch die Ausübung dieser Rechte den öffentlichen Zweck behindern.110 Sie darf grundsätzlich niemanden bei einer Inanspruchnahme behindern , die der öffentlichen Zweckbestimmung entspricht.111 Soll der Zugang im Rahmen der öffentlichen Zweckbestimmung reglementiert werden, ist eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Besteht eine spezielle gesetzliche Regelung über den Zugang , richtet sich die Zulässigkeit der Zugangsbeschränkung nach dieser spezialgesetzlichen Norm. Wird mit der Zugangsbeschränkung ein Grundrecht betroffen, muss diese Rechtsgrundlage dem einschlägigen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen.112 Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Befugnis, wird die Ausübung des Hausrechts auf die Befugnis zur Aufgabenwahrnehmung der Verwaltung bzw. die Anstalts- oder Einrichtungsgewalt gestützt.113 Die Ausübung des Hausrechts kann dann nicht weiter gehen, als es zur Sicherung der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben unbedingt erforderlich ist.114 dem privaten Hausrecht (§§ 859 ff., 903, 1004 BGB). Wer eine Baubehörde aufsucht, um einen Bauantrag zu stellen, oder die Räume der Arbeitsagentur zur Stellung eines Antrages auf Arbeitslosengeld betritt, bewege sich innerhalb des öffentlich-rechtlichen Hausrechts. Die Gegenauffassung leitet das Hausrecht als Annex aus den Sachaufgaben der Verwaltung her (OVG NW, Urteil vom 14. Oktober 1988, Az. 15 A 188/86). Das öffentlichrechtlich Hausrecht sei dann einschlägig, wenn das Hausrecht der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung der Behörde diene. Es komme nicht auf den Zweck des Besuchs des Bürgers, sondern auf den Zweck z.B. des Hausverbots an. Ordnungsmaßnahmen, die zur Sicherung der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben dienen, seien Teil der Aufgabenwahrnehmung (Vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006, Az. V ZR 134/05; BayOLG, Urteil vom 14. September 1976 - RReg. 3 St 99/76). Diese beiden Herangehensweise führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn z.B. jemand ein öffentliches Gebäude betritt ausschließlich, um eine Sitzgelegenheit zu nutzen oder sich die Hände aufzuwärmen. Nur nach der zweitgenannten Auffassung findet öffentliches Recht Anwendung. 109) BGHZ 33, 230. 110) BayOLG, Urteil vom 14. September 1976, Az. RReg 3 St 99/76, Rz. 8; OVG NW, Urteil vom 10. Januar 1975, Az. IV A 295/73; OVG SH vom 16. März 2000, Az. 2 M 1/00. 111) BGHZ 33, 230; BayOLG, Urteil vom 14. September 1976, Az. RReg 3 St 99/76. 112) VGH BW, Beschluss vom 12. Februar 1993, Az. 10 S 101/93; VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010, Az. 4 L 103/10.NW, das aber in den entsprechend angewandten §§ 858 ff., 903, 1004 BGB eine ausreichende Rechtsgrundlage auch für das öffentlich-rechtliche Hausrecht sieht. Vgl. auch OVG RP, Urteil vom 7. Januar 2010, Az. 1 A 10831/09. 113) OVG NW, Urteil vom 14. Oktober 1988, Az. 15 A 188/86; Urteil vom 28. November 1994, Az. 22 A 2478/93; BayVGH, Beschluss vom 23. Juni 2003, Az. 7 CE 03.1294; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16. Januar 2003, Az. 15 L 3076/02; BSG, Beschluss vom 1. April 2009, Az. B 14 SF 1/08 R. 114) Vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2006, Az. V ZR 134/05; BayOLG, Urteil vom 14. September 1976 - RReg. 3 St 99/76. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 21 3.3. Materielle Anforderungen an ein Hausverbot Unabhängig von der konkreten Rechtsgrundlage können Zugangsbeschränkungen durch Hausrecht nicht weiter gehen als durch Gesetz. Die Maßgaben und Einschränkungen für die Zulässigkeit eines Gesetzes (siehe oben: 2, S. 4 ff.) gelten für das Hausrecht entsprechend. Aus dem Zweck des Hausrechts – der Sicherstellung der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben – ergibt sich, dass ein Hausverbot nur gegenüber Personen ausgesprochen werden darf, die durch ihr Verhalten derart stören, dass die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Einrichtung konkret beeinträchtigt wird.115 Für die Beurteilung des Vorliegens einer Beeinträchtigung kommt es damit auf die Art der in dem Gebäude vorgesehenen Aufgabenwahrnehmung an. Hiernach bestimmt sich, ob das Verhalten der Person, gegen die vorgegangen werden soll, geeignet ist, die bestimmungsgemäße Nutzung des Gebäudes zu beeinträchtigen. Dabei soll zu berücksichtigen sein, dass eine Behörde – anders als ein Privater – verpflichtet sei, auch mit aus ihrer Sicht schwierigen Besuchern zurechtzukommen.116 Soll ein Hausverbot erteilt werden, setzt dies eine Verhaltensweise des Betroffenen voraus, die es als für die Behörde unerträglich erscheinen lässt, den Betroffenen weiterhin zur bestimmungsgemäßen Nutzung des öffentlichen Zwecken dienenden Gebäudes zuzulassen.117 Unter Berücksichtigung möglicherweise bereits geschehener Vorfälle und der sonstigen Umstände des Einzelfalles muss die hinreichend konkrete Gefahr bestehen, dass entsprechende Störungen bevorstehen bzw. sich wiederholen. Dies ergibt sich aus dem präventiven Charakter des Hausverbots.118 Das Hausrecht dient anders als das auf vergangenes Verhalten zielende Ordnungsrecht der Wahrung und Erhaltung des Hausfriedens als Voraussetzung eines geordneten Betriebs.119 Die Verhängung eines Hausverbots liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Hausrechtsinhabers,120 wobei der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG, das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Abs. 3 GG und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.121 Die Verhängung eines Hausverbots muss geeignet sein, die bestimmungsgemäße Nutzung des öffentlichen Gebäudes zu sichern. Eine weniger einschneidende Maßnahme darf nicht gleichermaßen erfolgversprechend sein. Das kann im Einzelfall – je nach Einrichtung – verlangen, vorher Anstrengun- 115) Vgl. für den Fall eines Hausverbots in einer Schule: VG Braunschweig, Urteil vom 10. März 2005, Az. 6 A 159/03. 116) VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010, Az. 4 L 103/10.NW (Hausverbot für die Räume einer ARGE). 117) OVG NW, Beschluss vom 18. Oktober 1997, Az. 25 B 2208/97, NJW 1998, S. 1425. 118) BayVGH, Beschluss vom 23. Juni 2003, Az. 7 CE 03.1294; VG Braunschweig, Urteil vom 10. März 2005, Az. 6 A 159/03; VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010, Az. 4 L 103/10.NW. 119) BayVGH, Beschluss vom 23. Juni 2003, Az. 7 CE 03.1294. 120) OVG SH, Beschluss vom 16. März 2000, Az. 2 M 1/00; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16. Januar 2003, Az. 15 L 3076/02. 121) OVG SH, Beschluss vom 16. März 2000, Az. 2 M 1/00; VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010, Az. 4 L 103/10.NW. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 22 gen zu unternehmen, um sich anbahnende oder bereits entstandene Konflikte zu überwinden.122 Der Hausrechtsinhaber hat bei der Ermessensausübung die widerstreitenden Interessen in Ausgleich zu bringen.123 3.4. Störung der Aufgabenwahrnehmung durch eine Burka Das Tragen einer Burka ließe sich in einem öffentlichen Gebäude mittels Hausrechts nur verbieten , wenn durch das Tragen der Burka die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Einrichtung konkret beeinträchtigt würde. Maßgeblich hierfür ist die Art der in dem Gebäude vorgesehenen Aufgabenwahrnehmung. Sollte in einem besonderen Einzelfall das Tragen einer Burka die Aufgabenwahrnehmung der öffentlichen Einrichtung tatsächlich beeinträchtigen, müsste vor einer Verweigerung des Zugangs oder der Erteilung eines Hausverbots zunächst eine Lösung gesucht werden, die die widerstreitenden Interessen – einschließlich der Religionsfreiheit – in Ausgleich bringt. Hierbei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. 4. Zusammenfassung Ein Burka-Verbot für Gebäude, zu deren Betreten eine Burka-Trägerin verpflichtet oder sonst gezwungen sein kann, verstieße gegen die Religionsfreiheit aus Artikel 4 GG. Der Zugang mit einer Burka zu Gebäuden, deren Betreten Voraussetzung für die freie Berufswahl ist, kann nur bei einer nachweisbaren oder höchstwahrscheinlichen schweren Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut verboten werden. Eine solche Gefahr ist nicht ersichtlich . Bei Gebäuden, deren Betreten für die Verwirklichung der Meinungs- oder Pressefreiheit notwendig ist, kann der Zugang nur durch allgemeine Gesetze reglementiert werden und dürfte sich nicht speziell gegen Burkas richten. Auch für die übrigen öffentlichen Gebäude dürfte ein Burka-Verbot – vorbehaltlich besonderer, hier nicht ersichtlicher Verbotszwecke – unverhältnismäßig in die Religionsfreiheit der Burka- Trägerin eingreifen und daher verfassungswidrig sein. Mindestens aber müssten Ausnahmemöglichkeiten bestehen, die eine Abwägung der Interessen im Einzelfall ermöglichten. Ein speziell gegen die Burka gerichtetes Verbot wäre gleichheitswidrig. In Betracht käme allenfalls ein Verbot, das an bestimmte Eigenschaften von Kleidungsstücken (Verdeckung der Augen, auffallend religiöse oder weltanschauliche Symbolik) anknüpft. 122) Für den Fall eines Leistungsbeziehers nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Bezug auf ein Gebäude , in dem die für die SGB II-Leistungen zuständige Dienststelle untergebracht ist: LSG SN, Beschluss vom 12. November 2010, Az. L 7 AS 593/10 B. 123) LSG SN, Beschluss vom 12. November 2010, Az. L 7 AS 593/10 B; VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010, Az. 4 L 103/10.NW. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 444/10 Seite 23