© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 441/18 Aktuelle Fragen zum Ausschluss von Kandidaten und Parteien von Wahlen Folgen von Verstößen gegen Wahlkampffinanzierungsregelungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 441/18 Seite 2 Aktuelle Fragen zum Ausschluss von Kandidaten und Parteien von Wahlen Folgen von Verstößen gegen Wahlkampffinanzierungsregelungen Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 441/18 Abschluss der Arbeit: 29. Januar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 441/18 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach Informationen zum Wahlausschluss von Kandidaten oder Parteien aufgrund von Verstößen gegen Wahlkampffinanzierungsregelungen in Deutschland und Europa. 2. Bundesrepublik Deutschland Die Zulassung von Wahlvorschlägen von Parteien zur Bundestagswahl ist in § 18 Bundeswahlgesetz (BWG) geregelt. Weder das BWG noch das Parteiengesetz (PartG) enthalten konkrete Bestimmungen, nach denen Parteien im Falle von Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung von der Beteiligung an einer Bundestagswahl ausgeschlossen werden könnten. Allein ein Verbot einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht führt zum Verlust des Status als Partei und damit auch des Wahlvorschlagsrechts nach § 18 BWG. Sofern nicht das Bundesverfassungsgericht nach § 39 Bundesverfassungsgerichtsgesetz den Verlust der Wählbarkeit in Folge der Verwirkung von Grundrechten (Art. 18 GG) feststellt, richtet sich das passive Wahlrecht von Kandidaten für die Wahl zum Deutschen Bundestag nach § 15 BWG. Nicht wählbar ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 BWG insbesondere derjenige, der infolge eines Richterspruchs die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzt. Nach § 45 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) führt die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zum Verlust dieser Fähigkeiten für einen Zeitraum von fünf Jahren. Besondere Strafvorschriften im Zusammenhang mit der Parteien- bzw. Wahlkampffinanzierung enthält § 31d Parteiengesetz (PartG). Die dort beschriebenen Straftatbestände sind jedoch lediglich als Vergehen ausgestaltet, da sie nicht im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr bedroht sind (§ 12 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 StGB). Eine entsprechende Verurteilung kann daher erst dann zum Verlust der Wählbarkeit nach § 45 Abs. 1 StGB führen, wenn gleichsam Verbrechenstatbestände verwirklicht werden. Die Rechtsfolge des § 45 Abs. 1 StGB tritt automatisch ein und muss nicht gesondert in den Urteilstenor aufgenommen werden. Dies erschwert die Auswertbarkeit etwaiger Verurteilungen. Die Recherche in Rechtsprechungsdatenbanken sowie die Auswertung medialer Berichterstattung ergab keine einschlägigen Fälle in der Bundesrepublik Deutschland. Auch im Bundeszentralregister werden Verurteilungen, die zu einem Verlust der Wählbarkeit führen, nicht gesondert gespeichert. Die im früheren § 70 Bundeszentralregistergesetz (i. d. F. v. 19. April 1994)1 enthaltene Regelung zur Speicherung von Ausschlüssen der Wählbarkeit von Kandidaten aus den neuen Bundesländern bezog sich lediglich auf die Bundestagswahl im Jahr 1994 und wurde im Jahr 20022 gänzlich aufgehoben. 1 Vgl. BGBl. I 1994 S. 822. 2 Vgl. Gesetz vom 23. April 2002, BGBl. I 2002 S. 1406. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 441/18 Seite 4 Die Auswertung aller strafrechtlichen Verurteilungen durch das statistische Bundesamt enthält ebenfalls keine Angaben darüber, ob Verbrechen ggf. in Verbindung mit Taten nach § 31d PartG begangen und abgeurteilt wurden. Sie weist lediglich gemeinsame Zahlen für die fakultative Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter und der Wählbarkeit (§ 45 Abs. 2 StGB) bzw. des aktiven Wahlrechts (§ 45 Abs. 5 StGB) für die Dauer von zwei bis fünf Jahren als Nebenfolge zur Verurteilung auf Grundlage entsprechender Ermessensentscheidungen der verurteilenden Gerichte aus.3 Diese Nebenfolgen können nach dem Wortlaut der § 45 Abs. 2 und Abs. 5 StGB jedoch nur verhängt werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. § 358 StGB eröffnet diese Möglichkeit beispielsweise bei bestimmten Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen wie Wahlbehinderung, Wahlfälschung und Wahltäuschung (§§ 107, 107a, 108, 108b StGB i. V. m. § 108c und § 45 Abs. 5 StGB) sowie bei Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e Abs. 1 und 2 StGB i. V. m. § 45 Abs. 5 StGB). Für § 31d PartG besteht keine solche Regelung. Die Kriminalstatistik enthält bezüglich der gemeinsamen Zahlen zu § 45 Abs. 2 und Abs. 5 StGB keine Angaben, ob § 31d StGB gleichsam als weiterer Tatbestand mitverwirklicht wurde oder ob ggf. ein sonstiger Zusammenhang zur Wahlkampffinanzierung bestand. Mithin kann keine Aussage über die Häufigkeit und Anzahl der Aberkennungen der Wählbarkeit aufgrund von Taten in Zusammenhang mit Wahlkampffinanzierungsregelungen getroffen werden. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass Personen, die infolge Richterspruchs die Wählbarkeit oder das Wahlrecht nicht besitzen, gemäß § 10 Abs. 1 S. 4 PartG nicht Mitglieder einer Partei sein können. Dieser Umstand steht bereits der Aufstellung betreffender Personen als Kandidaten für eine Partei für die Bundestagswahl entgegen. 3. Sonstige Mitgliedstaaten der Europäischen Union Die Rechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich des Verlustes des passiven Wahlrechts ist uneinheitlich. Eine Anfrage aus dem Jahr 2016 insbesondere an die Parlamente von Belgien, Bosnien-Herzegowina, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und des Vereinigten Königreichs befasste sich mit der Frage, ob Strafverurteilungen Hindernisse für die Wählbarkeit von Kandidaten für nationale Parlamente begründen können. Der beigefügten Übersicht Anlage können zusammenfassende Informationen zur Rechtslage in den genannten Mitgliedstaaten der Europäischen Union und weiteren Staaten entnommen werden. Die Rechtslage im Vereinigten Königreich hat sich zwischenzeitlich vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR in 3 Vgl. Statistisches Bundesamt (StBA), Fachserie 10 Reihe 3, 2017, S. 374 (1 Fall); 2016, S. 368 (4 Fälle); 2015, S. 366 (Kein Fall); 2014, S. 362 (Kein Fall); 2013, S. 364 (Kein Fall); 2012, S. 362 (1 Fall); 2011, S. 346 (2 Fälle); 2010, S. 354 (3 Fälle); 2009, S. 358 (Kein Fall); 2008, S. 360 (1 Fall); 2007, S. 356 (Kein Fall); 2006, S. 334 (4 Fälle); 2005, S. 334 (Kein Fall); 2004, S. 330 (Kein Fall); 2003, S. 326 (2 Fälle); 2002, S. 314 (Kein Fall). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 441/18 Seite 5 Sachen Hirst (Nr. 2) vs. United Kingdom4 geändert. Der zuvor vollständige Ausschluss aller Strafgefangenen vom aktiven Wahlrecht wurde nunmehr gelockert. Ein im Januar 2019 veröffentlichtes „Briefing Paper“ des Parlaments des Vereinigten Königreichs enthält eine Übersicht über die bereits geltenden Änderungen und die in Wales und Schottland noch erforderlichen weiteren Schritte.5 Spezifische Rechtsprechung zum Ausschluss von Kandidaten oder Parteien von Wahlen in anderen Mitgliedstaaten der EU aufgrund von Verstößen gegen Vorschriften zur Wahlkampffinanzierung ist nicht ersichtlich. *** 4 Urteil vom 6. Oktober 2005, Nr. 74025/01, abrufbar unter: https://hudoc.echr.coe.int/engpress #{%22itemid%22:[%22003-1463854-1529848%22]}; vgl. auch Urteil des EGMR vom 10. Februar 2015, Nr. 51987/08 u. a., abrufbar unter: https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-151005%22]}. 5 Vgl. die aktuelle Übersicht über die Entwicklungen zur Änderung des Wahlrechts von Strafgefangenen seit 2005 im Briefing Paper, Nr. 07461 vom 11. Januar 2019; abrufbar unter: http://researchbriefings.files.parliament .uk/documents/CBP-7461/CBP-7461.pdf.