© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 439/18 Durchsetzung von Frauenquoten Deutsche und europäische Rechtsprechung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 439/18 Seite 2 Durchsetzung von Frauenquoten Deutsche und europäische Rechtsprechung Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 439/18 Abschluss der Arbeit: 25. Februar 2019 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 439/18 Seite 3 1. Fragestellung Gefragt wird nach deutscher oder europäischer Rechtsprechung zur Durchsetzung von Frauenquoten . 2. Deutschland 2.1. Bundesebene Nach Auffassung des AG Frankfurt/Oder folgt „aus dem Verfassungsrecht und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz […], dass es den Insolvenzgerichten obliegen kann, auf eine stärkere Beteiligung von Frauen bei der verantwortlichen Leitung von Insolvenzverfahren hinzuwirken. Die Einführung einer sogenannten ‚Frauenquote‘ bei der Vergabe derartiger Aufgaben kann nach derzeitiger Rechtslage mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung nicht durch die Insolvenzgerichte erfolgen, sondern erforderlich ist eine entsprechende Entscheidung des Gesetzgebers zur ausdrücklichen Einführung einer Quote. Rechtlich zulässig ist es bereits nach derzeitiger Rechtslage , unter abgeschwächter Heranziehung der Maßgaben einer sogenannten ‚weichen‘ Frauenquote eine im Vergleich zur bisherigen Praxis höhere Anzahl der Aufträge an Frauen zu vergeben.“1 Vorgaben zur Förderung von Frauen wurden auf Bundesebene im Jahr 2015 durch das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst insbesondere im Aktiengesetz, Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), Bundesgremienbesetzungsgesetz, GmbH-Gesetz und im Gesetz über die Ausführung der EG-Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-Ausführungsgesetz) geregelt. Zu den meisten Regelungen ist bislang keine Rechtsprechung ergangen. Zu § 7 und 8 BGleiG existieren zwar einige wenige Entscheidungen. Allerdings wirkte sich der dort niedergelegte Grundsatz der bevorzugten Berücksichtigung von Frauen bei gleicher Eignung von Bewerbenden und Unterrepräsentation von Frauen im betreffenden Bereich letztlich mangels Vorliegen der formellen oder materiellen Voraussetzungen in keinem der Verfahren auf die Entscheidung aus. Zu § 17 SE-Ausführungsgesetz hat das LG München I entschieden, dass auch in einer Europäischen Gesellschaft („Societas Europaea“, kurz: SE) kein paritätisch mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet werden muss, wenn vor der Umwandlung einer nationalen Gesellschaft in eine SE kein mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzter Aufsichtsrat vorhanden war.2 1 Vgl. AG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 23.10.2013, Az.: 3 IN 385/13, juris, Leitsätze 1. 2 Vgl. LG München I, Beschluss vom 26. Juni 2018 – 38 O 15760/17 –, juris, Leitsatz 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 439/18 Seite 4 2.2. Landesebene Der Bayerische Verfassungsgerichtshof lehnte 2018 in seiner Entscheidung über eine Popularklage eine Pflicht des Landesgesetzgebers zur Schaffung von Frauenquoten im Landeswahlrecht ab.3 Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein sollen Frauen und Männer bei Benennungen und Entsendungen von Vertreterinnen und Vertretern einer Gemeinde in den Aufsichtsrat einer GmbH hälftig berücksichtigt werden.4 § 9 Abs. 2 Landesgleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen (LGG NW) enthält nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm5 eine zwingende Vorgabe zur hälftigen Besetzung von Auswahlkommissionen mit Frauen. Wird eine Bewerberin für ein öffentliches Amt unter Verstoß gegen § 9 Abs. 2 LGG NRW abgelehnt, könne sie gemäß Art. 33 Abs. 2 GG beanspruchen, dass über ihre Bewerbung unter Vermeidung des Verfahrensfehlers neu entschieden wird. 3. EU Derzeit gelten weder für die Wahl zum Europäischen Parlament noch für EU-Institutionen verbindliche geschlechterbezogene Quoten. Im Jahr 2012 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften und über damit zusammenhängende Maßnahmen vor. Eine entsprechende Richtlinie wurde aber bislang nicht durch das Parlament und den Rat der Europäischen Union erlassen.6 Zur Richtlinie 76/207 des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen7 ergingen in Bezug auf Regelungen zur Bevorzugung von Frauen folgende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von grundsätzlicher Bedeutung: Nach der Entscheidung des EuGH in Sachen Kalanke8 aus dem Jahr 1995 stand Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207 einer nationalen Regelung entgegen, nach der bei gleicher Qualifikation von Bewerbern unterschiedlichen Geschlechts um eine Beförderung in Bereichen, in denen die 3 Vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 26. März 2018, Az.: Vf. 15-VII-16, juris. 4 Vgl. Oberverwaltungsgerichts Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Dezember 2017, Az.: 3 LB 11/17, juris, Rz. 35. 5 Vgl. Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), Urteil vom 1. Juni 2017, Az.: 11 Sa 1023/16, juris. 6 Vgl. die Übersicht des Standes des Gesetzgebungsverfahrens (2012/0299/COD) unter https://eur-lex.europa .eu/procedure/DE/2012_299 (zuletzt abgerufen am 20. Februar 2019). 7 Abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A31976L0207 (zuletzt abgerufen am 20. Februar 2019). 8 Vgl. EuGH, Urteil vom 17. Oktober 1995, Az.: C-450/93, juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 439/18 Seite 5 Frauen unterrepräsentiert sind, den weiblichen Bewerberinnen automatisch der Vorrang eingeräumt wird, wobei eine Unterrepräsentation dann vorliegen soll, wenn in den einzelnen Vergütungsgruppen der jeweiligen Personalgruppe einer Dienststelle nicht mindestens zur Hälfte Frauen vertreten sind, und dies auch für die nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Funktionsebenen gelten soll. 1997 hielt der EuGH in Sachen Marschall9 eine nationale Regelung für mit Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207 vereinbar, nach welcher unterrepräsentierte weibliche Bewerberinnen bei gleicher Qualifikation bevorzugt zu befördern sind, sofern nicht in der Person eines männlichen Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Den gleich qualifizierten männlichen Bewerbern müsse durch eine Öffnungsregelung in jedem Einzelfall garantiert werden, dass die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person der Bewerber betreffenden Kriterien berücksichtigt werden und der den weiblichen Bewerbern eingeräumte Vorrang entfällt, wenn eines oder mehrere dieser Kriterien zugunsten des männlichen Bewerbers überwiegen, und die Kriterien wiederum nicht die weiblichen Bewerberinnen diskriminieren. In seinem Urteil aus dem Jahr 2000 in Sachen Badeck10 hielt der EUGH auch Zielvorgaben eines Frauenförderplans für mit Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207 vereinbar, die gewährleisten, dass die Bewerbungen dennoch Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der die besondere persönliche Lage aller Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt werden. Im selben Jahr stellte der EuGH in Sachen Abrahamsson und Anderson11 aufgrund der automatischen Bevorzugung von Frauen und mangels einer Öffnungsklausel, die eine objektive Beurteilung jeder einzelnen Bewerbung gewährleiste, einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207 fest. Laut der Entscheidung des EuGH in Sachen Lommers12 aus dem Jahr 2002 sei auch eine nationale Regelung, nach der die begrenzte Zahl subventionierter Kindertagesstättenplätze dem erheblich unterrepräsentierten weiblichen Personal eines Ministeriums vorbehalten wird, während die männlichen Beamten nur in Notfällen Zugang zu diesen Plätzen haben, mit Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207 vereinbar, wenn und soweit diese eine Ausnahme vorsehe, die alleinerziehenden männlichen Beamten den Zugang zu diesem Kinderbetreuungssystem zu den gleichen Bedingungen eröffne wie den weiblichen Beamten. Art. 3 Abs. 1 und 2, Abs. 4 der Richtlinie 76/207 stehen nach dem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2004 in Sachen Briheche13 einer nationalen Regelung entgegen, die für die Zulassung zu externen Auswahlverfahren für die Einstellung von Beamten vorsieht, dass nicht wiederverheiratete Witwen, 9 Vgl. EuGH, Urteil vom 11. November 1997, Az.: C-409/95, juris. 10 Vgl. EuGH, Urteil vom 28. März 2000, Az.: C-158/97, juris. 11 Vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juli 2000, Az.: C-407/98, juris. 12 Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2002, Az.: C-476/99, juris. 13 Vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 2004, Az.: C-319/03, juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 439/18 Seite 6 die darauf angewiesen sind zu arbeiten, von der Altersgrenze befreit sind, und die nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation befinden, ausschließt. Die Richtlinie 76/207 wurde im Jahr 2006 durch die neugefasste Richtlinie 2006/54 abgelöst.14 *** 14 Vgl. Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), abrufbar unter http://publications.europa.eu/resource/cellar/bed4fa3f-d7f2- 480b-b244-75d98e4efe14.0003.03/DOC_1 (zuletzt abgerufen am 20. Februar 2019).