© 2019 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 433/18 Der Begriff der „drohenden Gefahr“ im Polizeirecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Demnach liegt eine „drohende Gefahr“ vor, wenn „im Einzelfall […] in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind.“ Gebeten wird um eine Zusammenstellung von Materialien/Quellen, die sich mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ im Polizeirecht befassen. Zudem sollte der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern dieser Begriff auch in den Polizeigesetzen anderer Staaten verwendet wird. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass zum einen in anderen Staaten die Polizei anders aufgebaut bzw. strukturiert sein kann als in Deutschland und zum anderen je nach Rechtstradition ein anderes Begriffsverständnis der „drohenden Gefahr“ bestehen kann. Außerdem kann es durch die Bezugnahme auf nichtdeutschsprachige Polizeigesetze zu übersetzungsbedingten Ungenauigkeiten kommen. 2. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ nach dem BayPAG Die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Einzelfragen zu einem bundesweiten Musterpolizeigesetz, (WD 3 - 3000 - 202/18) Anlage 1 befasst sich mit der Frage, ob die Regelung der „drohenden Gefahr“ in Art. 11 Abs. 3 BayPAG auch in ein bundesweites Musterpolizeigesetz Eingang finden könnte. Dabei wird insbesondere auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)2 eingegangen, auf das der bayerische Gesetzgeber seine Regelung stützt.3 Der Kommentar von Holzner, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 8. Edition Stand 1. April 2018, Art. 11 PAG Rn. 150 - 157 Anlage 2 befasst sich mit der Norm des Art. 11 Abs. 3 PAG. Der Autor geht dabei auf die Begriffe „Einzelfall“ und „Angriff von erheblicher Intensität und Auswirkung“ ein und erläutert deren Voraussetzungen. 1 Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Auflage 2014, Art. 11 PAG Rn. 54. 2 Urteil vom 20. April 2016 – 1 BvR 966, 1140/09 –. juris (sog. BKA-Urteil). 3 Begründung des Gesetzentwurfs, Bayerischer Landtag Drs. 17/16299, S. 9. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 4 Der Aufsatz von Weinrich, Die Novellierung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes - Drohende Gefahr für die Verfassung in Bayern?, NVwZ 2018, S. 1680 - 1685 Anlage 3 beschreibt zunächst die Änderungen, die das BayPAG durch die beiden Reformen aus den Jahren 2017 und 2018 erfahren hat und geht auf einige der Neuerungen ein. Der Autor setzt sich auch mit der Kritik an den Gesetzesänderungen auseinander und bewertet die Vorverlagerung der Eingriffsschwelle durch die Verwendung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ aus verfassungsrechtlicher Sicht. Der Aufsatz von Holzner, Die drohende Gefahr, DÖV 2018, S. 946 - 951 Anlage 4 befasst sich ebenfalls mit dem Begriff der „drohenden Gefahr“ nach dem BayPAG. Außerdem grenzt der Autor den Begriff der „drohenden Gefahr“ von denen der abstrakten und konkreten Gefahr sowie des Gefahrenverdachts ab. Zudem erörtert er die Verfassungsmäßigkeit der Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen, die durch die Zugrundelegung der „drohenden Gefahr“ hervorgerufen werden würden. Der Aufsatz von Möstl, Polizeibefugnisse bei drohender Gefahr - Überlegungen zu Reichweite und Verfassungsmäßigkeit des neuen Art. 11 Abs. 3 PAG -, BayVBl. 2018, S. 156 - 163 Anlage 5 hat ebenfalls die Neufassung des Art. 11 Abs. 3 BayPAG zum Gegenstand. Zunächst beleuchtet der Autor die Hintergründe, die zu der Gesetzesneufassung geführt haben. Anschließend betrachtet er die vom Bundesverfassungsgericht im BKA-Urteil in Bezug auf polizeiliche Vorfeldbefugnisse getätigten Aussagen. Danach beschäftigt sich der Autor mit der Frage, inwiefern der Begriff der „drohenden Gefahr“, auch in dogmatischer Hinsicht, überzeugt. Außerdem wird die Verfassungsmäßigkeit des Art. 11 Abs. 3 BayPAG erörtert. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 5 Einen anderen Ansatz verfolgt der Aufsatz von Leisner-Egensperger, Polizeirecht im Umbruch: Die drohende Gefahr, DÖV 2018, S. 677 - 688. Anlage 6 Die Veränderungen, denen die Dogmatik im Polizeirecht unterworfen ist, werden anhand einer Reihe von Beispielen erörtert, u.a. wie sich das Verständnis des Gefahrenbegriffs durch den Rückgriff auf die „drohende Gefahr“ verändert. Die Autorin setzt sich damit auseinander, wie das Bundesverfassungsgericht die „drohende Gefahr“ umschrieben hat und wie diese Erwägungen Eingang in die Definition der „drohenden Gefahr“ nach dem BayPAG gefunden haben. Des Weiteren wird der Begriff der „drohenden Gefahr“ ins Verhältnis zu den anderen polizeirechtlichen Gefahrbegriffen gesetzt. Abschließend werden Entwicklungsperspektiven für den Begriff der drohenden Gefahr aufgezeigt. Der Aufsatz von Shirvani, Paradigmenwechsel im Polizeirecht? - Die neue Rechtsfigur der „drohenden Gefahr“, DVBl. 2018, S. 1393 - 1398 Anlage 7 befasst sich auch mit der Entwicklung, die das Polizeirecht in den letzten Jahren genommen hat. Der Autor geht auf die vom Bundesverfassungsgericht im BKA-Urteil gemachten Vorgaben ein und führt aus, wie der Gesetzgeber in Bayern diese aufgenommen und umgesetzt hat. Dabei wird insbesondere die Vorschrift des Art. 11 Abs. 3 BayPAG in verfassungsrechtlicher Hinsicht bewertet. Außerdem wird darauf eingegangen, wie der Bundesgesetzgeber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Vergleich zum bayerischen Gesetzgeber unterschiedlich berücksichtigt hat. 3. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ nach dem Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen Nach einem Gesetzentwurf4 war vorgesehen, dass die Rechtsfigur der „drohenden Gefahr“ auch Eingang in das Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) finden würde. Eine drohende Gefahr hätte nach § 8 Abs. 4 PolG NRW-E dann vorgelegen, „wenn im Einzelfall hinsichtlich einer Person bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person innerhalb eines absehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird.“ Von der Einfügung dieser Vorschrift wurde allerdings Abstand genommen5. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde vom Innenausschuss des Landtags eine Sachverständigenanhörung durchgeführt.6 4 Gesetzentwurf der Landesregierung, Landtag Nordrhein-Westfalen Drs. 17/2351. 5 Änderungsantrag der Fraktionen CDU und FDP, Landtag Nordrhein-Westfalen Drs. 17/3865, S. 7. 6 Ausschussprotokoll des Innenausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 2018, APr 17/299. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 6 In der hierzu von Schwarz, Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/632, S. 4 ff., abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-632.pdf abgegebenen Stellungnahme wird davon ausgegangen, dass der Landesgesetzgeber in Nordrhein- Westfalen mit der im Entwurf vorgesehenen Kategorie der „drohenden Gefahr“ unter Berücksichtigung des BKA-Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine zulässige Vorverlagerung ins Vorfeldgeschehen vorgenommen hat. Auch wenn die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts teilweise unscharf formuliert seien, könnten diese so verstanden werden, dass es nicht um eine Absenkung der Wahrscheinlichkeitsschwelle, sondern um eine Reduzierung der Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs gehen solle. Mit dem Gesetzentwurf solle in zulässiger Weise die Möglichkeit der Polizei verbessert werden, Gefahrenaufklärung zu betreiben und in den Fällen, in denen solche Maßnahmen nicht ausreichend sein würden, auch vorbeugend in Kausalverläufe einzugreifen, um die Entstehung von Gefahren zu verhindern. Auch in der Stellungnahme von Thiel, Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/651, S. 4 ff., abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-651.pdf wird die Verwendung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ für zulässig gehalten. Zwar sei dieser ungünstig gewählt, weil so suggeriert werden würde, dass noch keine Gefahr bestehe. Er sei allerdings in ausreichender Weise an den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts orientiert, das insofern im BKA-Urteil die Anforderungen an eine „hinreichend konkretisierte Gefahr“ genauer beschrieben und konturiert habe. Bei der „drohenden Gefahr“ handele es sich zudem nicht um eine reine Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen, sondern um eine Verringerung der Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs. Darüber hinaus seien die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur „drohenden Gefahr“ im BKA-Urteil nicht nur auf die Bekämpfung terroristischer Bedrohungslagen beschränkt, sondern hinreichend allgemein gehalten, um auch auf andere Bereiche bezogen werden zu können. Ähnlich wird auch in dessen Stellungnahme von v. Coelln, Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/663, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-663.pdf argumentiert. Die Ansicht, dass die Erweiterung der Gefahrenbegriffe um die „drohende Gefahr“ verfassungsmäßig ist, lasse sich, wie auch in der Gesetzesbegründung geschehen, auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im BKA-Urteil stützen. Nach diesen könne der Gesetzgeber Eingriffstatbestände für bestimmte Bereiche auch weiter in die Straftatenverhütung ziehen, indem er die „Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs“ reduziere. Diese Aussagen seien nicht auf die Abwehr terroristischer Gefahren beschränkt. Erst im Anschluss daran treffe das Bundesverfassungsgericht Aussagen, die sich auf die besonderen Eigenheiten terroristischer Gefahren beziehen. Im Gegensatz zur Regelung des Art. 11 Abs. 3 BayPAG werde die Generalklausel auch nicht um die „drohende Gefahr“ erweitert, sondern es würden lediglich bestimmte Standardmaßnahmen auch bei Bestehen einer drohenden Gefahr gestattet werden können. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 7 Zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt die Stellungnahme von Arzt, Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/652, S. 3 ff., abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-652.pdf. Nach Ansicht des Sachverständigen sei es problematisch, dass sich der Landesgesetzgeber für die Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKAG (BKA-Urteil) stütze. Denn es müsse „kritisch hinterfragt“ werden, ob die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts hinreichend beachtet wird, wenn das Bundesverfassungsgericht einerseits von der Verhütung von Straftaten spreche und dabei den Begriff der Gefahr als sinnvolle Tatbestandsvoraussetzung heranziehe. Darüber hinaus stelle es ein Bestimmtheitsproblem dar, dass es nicht hinreichend klar sei, ob Maßnahmen zur Abwehr von „drohenden Gefahren“ noch der Verhütung von Straftaten bzw. deren vorbeugender Bekämpfung oder schon der Abwehr von (konkreten) Gefahren dienen sollen. Daneben sei der Begriff der „drohenden Gefahr“ für die polizeiliche Arbeit nicht notwendig. Ebenso wird die Kategorie der drohenden Gefahr in der Stellungnahme von Gazeas, Landtag Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme 17/662, S. 8 ff., abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-662.pdf als nicht notwendig erachtet. Der Sachverständige begründet seine Auffassung damit, dass bereits die bestehenden Regelungen bzw. die bestehende Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr es ermöglichen würden, ausreichend früh einzuschreiten und so eine drohende Rechtsgutsverletzung zu verhindern. Darüber hinaus kritisiert er, dass der Begriff der „drohenden Gefahr“ in der Fassung des § 8 Abs. 4 PolG NRW-E seinerseits auf den Begriff der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ abstelle. Bei welchen Straftaten es sich um solche „von erheblicher Bedeutung“ handele, sei im § 8 Abs. 3 PolG NRW geregelt. Dieser sei jedoch nicht abschließend und in hohem Maße inhomogen. Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht seien in diesem Zusammenhang nicht nur im BKA- Urteil, sondern auch in den Entscheidungen zu Online-Durchsuchungen7 und zur Vorratsdatenspeicherung 8 enthalten. Nach dieser Rechtsprechung sei ein Eingriff im Gefahrenvorfeld nur zum Schutz von „überragend wichtigen Rechtsgütern“ erlaubt. Der Katalog der „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ in § 8 Abs. 3 PolG NRW gehe jedoch in einem Maße über diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus, dass die Vorschrift des § 8 Abs. 4 PolG NRW-E verfassungswidrig sei. 4. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ im Grundgesetz Auch im Grundgesetz (GG) wird der Begriff der „drohenden Gefahr“ verwendet. Art. 11 Abs. 2 GG erlaubt die Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. Zur Abwehr der gleichen Gefahr kann die Bundesregierung gemäß Art. 87a Abs. 4 GG die Streitkräfte einsetzen, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind. Art. 91 Abs. 1 GG 7 Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370, 595/07 –, juris. 8 Urteil vom 2. März 2010 – 1 BvR 256, 263, 586/08 –, juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 8 erlaubt einem Land außerdem die Anforderung von Polizeikräften anderer Länder sowie von Einrichtungen und Kräften anderer Verwaltungen und der Bundespolizei, um eine drohende Gefahr für die genannten Schutzgüter abzuwehren. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ wird dabei im Grundgesetz wie der Begriff der „konkreten Gefahr “ im Polizeirecht verstanden.9 Eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes droht also dann, wenn tatsächlich eine gravierende und nachhaltige Beeinträchtigung eines der Schutzgüter zu befürchten ist.10 5. Die Benutzung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ in den Polizeigesetzen anderer Staaten In Österreich werden verschiedene Gefahrenbegriffe (z. B. allgemeine Gefahr, gefährlicher Angriff11) verwendet, der Begriff der „drohenden Gefahr“ ist jedoch nicht darunter. In der Schweiz ist die Wahrung der inneren Sicherheit Aufgabe der 26 Kantone, die jeweils eigene Polizeigesetze erlassen haben. U.a. findet sich der Begriff der „drohenden Gefahr“ in den Polizeigesetzen der Kantone Bern12 und Zürich13. Polizeiliche Generalklausel Art. 22 PolG Bern „Die Polizeiorgane des Kantons und der Gemeinden treffen auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um eingetretene, ernste Störungen oder unmittelbar drohende, ernste Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu beseitigen oder abzuwehren.“ Sicherheit und Ordnung § 3 lit. c PolG Zürich „Die Polizei trägt durch Information, Beratung, sichtbare Präsenz und andere geeignete Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei. Sie trifft insbesondere Massnahmen zur […] c. Abwehr von unmittelbar drohenden Gefahren für Menschen, Tiere, Umwelt und Gegenstände sowie zur Beseitigung entsprechender Störungen.“ Polizeiliche Generalklausel § 9 PolG Zürich „Die Polizei trifft im Einzelfall auch ohne besondere gesetzliche Grundlage unaufschiebbare Massnahmen, um unmittelbar drohende oder eingetretene schwere Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder zu beseitigen.“ 9 Vgl. Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 11 BPolG Rn. 24. 10 Vgl. Volkmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Band 3, 7. Auflage 2018, Art. 91 GG Rn. 20; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 84. EL August 2018, Art. 91 GG Rn. 9. 11 Vgl. § 16 Sicherheitspolizeigesetz Österreich, abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung .wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10005792. 12 Polizeigesetz des Kantons Bern (Hervorhebungen durch den Autor), abrufbar unter: https://www.belex.sites .be.ch/frontend/versions/1278?locale=de. 13 Polizeigesetz des Kantons Zürich (Hervorhebungen durch den Autor), abrufbar unter: http://www2.zhlex.zh.ch/appl/zhlex_r.nsf/0/167BDE965CA92519C12575D800431484/$file/550.1_23.4.07_65.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 433/18 Seite 9 Schusswaffengebrauch § 17 lit. c PolG Zürich „Wenn andere verfügbare Mittel nicht ausreichen, darf die Polizei in einer den Umständen angemessenen Weise von der Schusswaffe Gebrauch machen. Der Gebrauch der Schusswaffe kann insbesondere gerechtfertigt sein, […] c. wenn Personen für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen und sich der Festnahme zu entziehen versuchen, […]“ Andere Staaten benutzen den Begriff der „drohenden Gefahr“ in dieser Form offenbar nicht. ***