Deutscher Bundestag Verfassungsrechtliche Grenzen einer An- oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Einführung einer Bürgerversicherung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 429/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 2 Verfassungsrechtliche Grenzen einer An- oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen der Einführung einer Bürgerversicherung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 429/10 Abschluss der Arbeit: 18. November 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung 5 3. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes 5 3.1. Verfassungsrechtlicher Begriff der Sozialversicherung 5 3.2. Verletzung des Äquivalenzprinzips? 6 3.3. Vereinbarkeit mit der Finanzverfassung des GG? 7 3.4. Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG? 8 4. Grundrechte der Versicherungspflichtigen 8 4.1. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG 8 4.2. Art. 2 Abs. 1 GG 9 4.3. Art. 3 Abs. 1 GG 10 5. Grundrechte der privaten Versicherungsunternehmen 12 6. Zusammenfassung 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 4 1. Einleitung Seit längerer Zeit gibt es Überlegungen, das bestehende Sozialversicherungssystem umzugestalten , um Gerechtigkeitslücken in der Krankenversicherung zu beheben. Hierfür sollen gesetzliche und private Krankenversicherungen zu einer sogenannten Bürgerversicherung weiterentwickelt werden. Modelle für eine Bürgerversicherung gibt es unter anderem von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN,1 der SPD,2 der LINKEN3 und der „Rürup-Kommission“4. Ein Kernelement aller Modelle ist die Erweiterung des Versichertenkreises durch Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen unter Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze in die Bürgerversicherung. Desweiteren soll die Beitragsbemessungsgrundlage durch Einbeziehung weiterer Einkunftsarten ausgeweitet werden. Die Bürgerversicherung könnte unter einheitlichen Bedingungen von den gesetzlichen Krankenversicherungen und privaten Versicherungsunternehmen angeboten werden. Private Krankenversicherungen sollen auf Zusatzversicherungen beschränkt werden. Unterschiedliche Konzepte gibt es zur Beitragsbemessungsgrenze, hier reichen die Vorschläge von der Beibehaltung über eine Erhöhung bis zur ihrer vollständigen Abschaffung. Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung sind verfassungsrechtliche Fragen zur Erhöhung bzw. Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen der Einführung einer Bürgerversicherung . Nicht geprüft wird die – sehr umstrittene – Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer Bürgerversicherung im Allgemeinen sowie die Einbeziehung aller Einkommen der Versicherten (Erweiterung der Beitragsbemessungsgrenze).5 Zur Umgestaltung des Sozialversicherungssystems sind bis hin zur Einführung einer Bürgerversicherung sehr unterschiedliche Varianten denkbar. Je nach gewählter Gestaltungsoption sind die Auswirkungen auf die beteiligten Grundrechtsträger – insbesondere die Pflichtversicherten und die privaten Krankenversicherungsträgers – aber von unterschiedlichem Gewicht. Das macht konkrete Aussagen zum verfassungsrechtlichen Spielraum des Gesetzgebers schwierig. Gegenstand der folgenden Überlegungen kann deshalb nur eine Zusammenstellung des Meinungsstands in der Literatur und Rechtsprechung sein. 1 BT-Drs. 17/258. 2 Beschluss des SPD-Präsidiums vom 8. November 2010, http://www.spd.de/aktuelles/Pressemitteilungen/5782/20101108_beschluss_praesidium_buergerversicherung.html (Stand: 16.11.2010). 3 BT-Drs. 17/1238. 4 Bericht der Rürup-Kommission: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“, 2003, S. 149 ff. 5 Siehe verfassungsrechtliche Prüfungen in: Brall/Voges, Modell Bürgerversicherung - Verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragen, 2005; Schräder, Bürgerversicherung und Grundgesetz, Verfassungsrechtliche Grenzen der Ausweitung von Versicherungspflicht und Beitragsbemessungsgrundlage in der gesetzlichen Krankenversicherung , 2008; Füsser, Ausweitung der Sozialversicherungspflicht auf Selbständige in der gesetzlichen Rentenund Krankenversicherung unter verfassungsrechtlichem und europarechtlichem Blickwinkel, 2005; Kirchhof, Verfassungsrechtliche Probleme einer umfassenden Kranken- und Renten-„Bürgerversicherung“, NZS 2004, 1 ff.; Isensee, „Bürgerversicherung“ im Koordinatensystem der Verfassung, NZS 2004, 393; Sodan, Die „Bürgerversicherung “ als Bürgerzwangsversicherung, ZRP 2004, 217; Schenke, Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen Verfassungs- und Europarecht, Die Verwaltung 2004, 457. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 5 2. Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es traditionell eine Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der beitragspflichtiges Einkommen mit Beiträgen belegt wird. Die Beitragsbemessungsgrenze unterscheidet sich von der Jahresarbeitsentgeltgrenze (Versicherungspflichtgrenze), die das jährliche Bruttoeinkommen eines Arbeitnehmers bestimmt, bis zu dem Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht. Die Versicherungspflichtgrenze beträgt im Jahr 2010 49.950 Euro, die Beitragsbemessungsgrenze 45.000 Euro. Wird die Beitragsbemessungsgrenze erhöht, erhöht sich auch der Beitrag des Versicherten zur gesetzlichen Krankenversicherung. Wird die Beitragsbemessungsgrenze gänzlich aufgehoben, gibt es keine „Deckelung“ nach oben und der Beitrag würde sich prozentual aus dem gesamten Einkommen berechnen. Die Belastung würde insbesondere bei Spitzenverdienern erheblich zunehmen. Im Gegensatz zu der von solidarischen Elementen bestimmten gesetzlichen Krankenkasse bestimmt sich der Beitrag in der privaten Krankenversicherung nicht nach dem jährlichen Bruttoeinkommen, sondern nach dem individuellen Gesundheitsrisiko des Versicherten. 3. Kompetenzrechtliche Vorgaben des Grundgesetzes Das gegenwärtige Recht der gesetzlichen Krankenversicherung stützt sich auf die Kompetenzzuweisung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz (GG). Danach steht dem Bund auf dem Gebiet der Sozialversicherung die konkurrierende Gesetzgebung zu. 3.1. Verfassungsrechtlicher Begriff der Sozialversicherung Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) versteht den Begriff „Sozialversicherung“ als weit gefassten Gattungsbegriff, der dem Wandel sozialer Verhältnisse angepasst werden könne.6 In ständiger Rechtsprechung hat das BVerfG klargestellt, dass sich dem Grundgesetz keine Garantie des bestehenden Sozialversicherungssystems entnehmen lässt.7 Der Gesetzgeber könne einen Krankenversicherungsschutz auf eine andere Weise gewährleisten und diesen auch auf andere Weise als bisher finanzieren. Neue Lebenssachverhalte können demnach in das Gesamtsystem „Sozialversicherung “ einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen dem Bild entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist.8 Damit sind gewisse Mindestanforderungen an die organisatorische Durchführung der sozialen Sicherung und an die abzudeckenden Risiken zu beachten. Prägende Elemente der Sozialversicherung sind jedenfalls „die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzba- 6 BVerfGE 75, 108 (146). 7 Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 18. Juli 2005 - 2 BvF 2/01 -, Rn. 136, abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20050718_2bvf000201.html. 8 BVerfGE 11, 105 (112); Schnapp/Kaltenborn, Verfassungsrechtliche Fragen der „Friedensgrenze“ zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung, 2001, S. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 6 ren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit“9, Aufbringung der Mittel durch Beiträge 10 – und damit Verknüpfung von Beiträgen und Leistungen bei grundsätzlicher Beitragsäquivalenz 11 – und Durchführung durch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts.12 In Abgrenzung zur privaten Krankenversicherung ist die gesetzliche Krankenversicherung durch ein Moment des sozialen Ausgleichs geprägt.13 3.2. Verletzung des Äquivalenzprinzips? Den kompetenzrechtlichen Begriff der Sozialversicherung zeichnen u.a. das Versicherungs- und das Solidarprinzip aus. In der gesetzlichen Krankenversicherung wird aus dem Beitragsaufkommen der Beteiligten ein umfassender und unbegrenzter Versicherungsschutz ab dem ersten Tag der Mitgliedschaft finanziert. Damit wird das Versicherungsprinzip verwirklicht. Deutlichstes Merkmal zur Umsetzung dieses Prinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Beitragsbemessungsgrenze . Diese zieht eine Höchstgrenze für die Belastung des Einkommens mit Versicherungsbeiträgen. Das Solidarprinzip begrenzt das Versicherungsprinzip. Der Gesetzgeber ist aus dem Bekenntnis zum Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1 GG) gehalten, einen sozialen Ausgleich zwischen Begünstigten und weniger Begünstigten durchzuführen.14 Neben dem Solidarprinzip spielt auch das Äquivalenzprinzip , wonach sich der Versicherungsbeitrag nach dem Gegenwert der Leistung zu bemessen hat, eine wichtige Rolle.15 Je höher die Beitragsbemessungsgrenze und hierdurch der einzelne Versicherungsbeitrag steigt, desto weniger kann man von einer Individualäquivalenz sprechen, da die Leistungen der Krankenversicherungen nicht mit ansteigen. Einige Autoren sehen hierin einen Verstoß gegen die kompetenzrechtlichen Vorgaben des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Unter Berufung auf das klassische Bild der Sozialversicherung lehnen sie eine Erhöhung oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze ohne entsprechende Leistungsverbesserungen ab, da sie gegen den Grundsatz der Beitrags- und Leistungsäquivalenz verstoße.16 Nach anderer Auffassung verbietet der kompetenzrechtliche Sozialversicherungsbegriff die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze nicht. Eine individuelle Äquivalenz zwischen Beitrag und 9 BVerfGE 75, 108, 146. 10 BVerfGE 75, 108, 146 f. 11 Degenhardt, in: Sachs, GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 74 Rn. 57; Kirchhof, HStR IV, § 93 Rn. 16 f. 12 BVerfGE 75, 108, (146). 13 BVerfGE 17, 1 (9). 14 Schräder, Bürgerversicherung und Grundgesetz, Verfassungsrechtliche Grenzen der Ausweitung von Versicherungspflicht und Beitragsbemessungsgrundlage in der gesetzlichen Krankenversicherung, 2008, S. 65. 15 Schenke, Reform der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen Verfassungs- und Europarecht, Die Verwaltung 2004, 475 (480) 16 Merten, Die Ausweitung der Sozialversicherungspflicht und die Grenzen der Verfassung, NZS 1998, 545 (551). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 7 Leistung sei nicht notwendiges Merkmal des Sozialversicherungsbegriffs.17 Das Versicherungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung sei bereits dann verwirklicht, wenn insgesamt ein beitragsfinanzierter Risikoausgleich durch die Risikogemeinschaft durchgeführt werde.18 Auch das BVerfG treffe zur Beitragspflicht von Einmalzahlungen keine Aussage über die Notwendigkeit einer Individualäquivalenz, sondern verlange lediglich, falls das System tatsächlich einen Konnex zwischen Beitragsbelastung und Leistung vorsehe, hiervon nicht ohne sachlichen Grund abzuweichen.19 Auch eine Bestandsgarantie des bipolaren Sozialversicherungssystems lasse sich nicht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG ableiten.20 3.3. Vereinbarkeit mit der Finanzverfassung des GG? Eine erhebliche Ausweitung bzw. ein Verzicht der Beitragsbemessungsgrundlage würde nach der Auffassung einiger Autoren dazu führen, dass der Beitrag für die Bürgerversicherung und der Einkommenssteuer identisch wären.21 Eine Zuwendung zum Versorgungsprinzip der Bürgerversicherung durch Stärkung der solidarisch-umverteilenden Elemente stelle eher eine Steuer – die dem Zweck der Absicherung im Krankheitsfall diene –, als einen Sozialversicherungsbeitrag dar. Eine zweite „Einkommensteuer“ wäre aber nicht mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes kompatibel und könne insbesondere nicht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gestützt werden. Eine Sozialversicherung im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG könne immer nur Teile der Bevölkerung , nicht aber alle Einwohner – wie von der Bürgerversicherung geplant –, erfassen. Die Schwelle des verfassungsrechtlich Zulässigen wird wohl aber dann überschritten, wenn eine allgemeine Volksversicherung eingeführt würde, in der die Versicherungsgemeinschaft mit der Volksgemeinschaft identisch und der Beitrag nicht mehr von der Steuer unterscheidbar wäre. In diesem Falle könnte man nicht mehr von einer „Sozialversicherung“ sprechen. Denn ein wesentliches Merkmal der Sozialversicherung ist – wie bereits dargestellt – die Bedarfsdeckung durch eine organisierte Vielheit. Dies bedeutet, dass lediglich ein Ausschnitt aus der Bevölkerung zur Deckung des Bedarfs herangezogen wird. An diesem Merkmal fehlt es aber im Falle einer Volksoder Bürgerversicherung.22 17 Schräder (Fn. 14), S. 120; Bieback, Sozial- und verfassungsrechtliche Aspekte der Bürgerversicherung, S. 131. 18 Füsser, Ausweitung der Sozialversicherungspflicht auf Selbstständige in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung unter verfassungsrechtlichem und europarechtlichen Blickwinkel, 2005, S.60. 19 BVerfGE 92, 53 (68 ff.); 102, 127 (143 f.); Schräder (Fn. 14), S. 119. 20 Schräder (Fn. 14), S. 124. 21 Schenke (Fn. 15), 475 (488); Isensee, Bürgerversicherung im Koordinatensystem der Verfassung, NZS 2004, 393 (397); Brall/Voges, Modell Bürgerversicherung – Verfassungsrechtliche und europarechtliche Fragen, S. 52; Kirchhof, Verfassungsrechtliche Probleme einer umfassenden Kranken- und Renten-„Bürgerversicherung“, NZS 2004, 1 (6); Sodan, Die „Bürgerversicherung“ als Bürgerzwangsversicherung, ZRP 2004, 217 (219). 22 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Stand: April 2010, Art. 74 Rn. 172; Schnapp/Kaltenborn (Fn. 8), S. 23 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 8 Darüber hinaus gehende Aussagen zu den materiellen Grenzen einer Regelung im Bereich der Sozialversicherung lassen sich der Vorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht entnehmen. Diese Grenzen ergeben sich vielmehr aus den Grundrechten der Versicherungspflichtigen. 3.4. Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG? Lehnt man mit der Mehrheit der Autoren die Einführung einer Bürgerversicherung und die Anhebung bzw. Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf der Kompetenzgrundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ab, so bleibt zu prüfen, ob nicht das Recht der öffentlichen Fürsorge gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG als Kompetenzgrundlage dienen könnte. Nach Auffassung von Schräder23 könnte der Bundesgesetzgeber die Bürgerversicherung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG stützen. Die öffentliche Fürsorge werde vom Bundesverfassungsgericht24 ebenso wie der Sozialversicherungsbegriff als weiter Gattungsbegriff aufgefasst, so dass er als Auffangkompetenz für soziale Belange dienen könne. Die Autorin bejaht auch die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung, da unterschiedliche Länderregelungen zu einer Zersplitterung des komplizierten Systems und zur Gefährdung seiner Funktionsfähigkeit führen würden.25 4. Grundrechte der Versicherungspflichtigen In Rechtsprechung und Literatur sind bislang keine eindeutigen Kriterien entwickelt worden, anhand derer sich die Verfassungsmäßigkeit einzelner Gestaltungsvarianten der Beitragsbemessungsgrenze abschließend bestimmen ließe. Grenzen des gesetzgeberischen Spielraums könnten sich aber aus Art. 14 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, und der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, ergeben. 4.1. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Nicht einschlägig im Hinblick auf die Versicherungspflichtigen ist die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Art. 14 GG schützt nur konkrete Rechtspositionen und nicht das Vermögen als solches.26 Öffentlich-rechtliche Geldleistungspflichten unterfallen nur dann dem Schutzbereich des Art. 14 GG, wenn ihnen eine erdrosselnde Wirkung zukommt.27 Zu prüfen ist daher, ob der durch die Erhöhung der Beitrittsbemessungsgrenze eventuell ansteigende Sozialversicherungsbeitrag eine erdrosselnde Wirkung haben könnte. Eine Abgabe wirkt nur dann erdrosselnd, wenn durch ihre Existenz das abgabenbegründende Verhalten praktisch 23 Schräder (Fn. 14), S. 126 ff. 24 Vgl. BVerfGE 106, 62 (133). 25 Schräder (Fn. 14), S. 130. 26 BVerfG 81, 108 (122); 95 267 (300); Wendt, in: Sachs, GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 14 Rn. 38 m.w.N. 27 Std. Rspr. des BVerfG, z.B. BVerfGE 82, 159 (190); 95, 267 (300); Wendt, in: Sachs, GG Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 14 Rn. 39. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 9 unmöglich gemacht wird.28 Mit einem höheren Krankenversicherungsbeitrag soll vor allem eine bessere soziale Absicherung, somit genau das Gegenteil einer Erdrosselungswirkung, erreicht werden. Soweit der Beitragssatz auf dem bisherigen Niveau bleibt, werden Personen, deren Einkommen bisher schon unter der Beitragsbemessungsgrenze lag, nicht weiter belastet. Diejenigen Personen, die nach einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze nun mit einem zusätzlichen Teil ihres Vermögens herangezogen werden, haben eine finanzielle Mehrbelastung hinzunehmen, der aber keine erdrosselnde Wirkung zukommt. Art. 14 GG bietet somit keinen Schutz gegen eine Erhöhung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze.29 Gleiches dürfte für den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze gelten. 4.2. Art. 2 Abs. 1 GG Eine Anhebung oder Aufhebung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze im Rahmen einer Bürgerversicherung könnte die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG der Versicherten beeinträchtigen. In den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, der auch die Vertragsfreiheit umfasst, wird eingegriffen , wenn Personen zum Abschluss eines Versicherungsvertrags verpflichtet werden.30 Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist allerdings nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 2. HS GG gewährleistet. Die Grundrechtsgarantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit steht im Gegensatz zu den meisten Grundrechten nicht ausdrücklich unter einem Gesetzesvorbehalt , sondern unter dem Vorbehalt der in Art. 2 Abs. 1 2. HS GG genannten Schranken. Dieses sind die verfassungsmäßige Ordnung, das Sittengesetz und die Rechte anderer. Durch den Zwang der Mitgliedschaft in einer Bürgerversicherung wird die Vertragsfreiheit begrenzt. Die Vertragsfreiheit selbst wird durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zählen die Regelungen über die Gründung öffentlich rechtlicher Vereinigungen mit Pflichtmitgliedschaft zur verfassungsmäßigen Ordnung.31 Auch Regelungen, die das öffentlichrechtliche Sozialversicherungsverhältnis, vor allem in Bezug auf die Beiträge der Versicherten und die Leistungen des Versicherungsträgers, näher ausgestalten, sind am Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen.32 Da in einem System der Sozialversicherung Pflichtversicherte keinen unmittelbaren Einfluss auf die Höhe ihres Beitrags und Art und Ausmaß der Leistungen haben, schützt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG den beitragspflichtigen Versicherten vor einer Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung.33 28 BVerfGE 75, 108 (154). 29 Schräder (Fn. 14), S. 285, Brall/Voges (Fn. 21), S. 53; Füsser (Fn. 18), S. 35. 30 BVerfGE 10, 89 (102); 32, 54 (63 f.). 31 BVerfGE 10, 89 (102 f.); 38, 281 (297 ff.). 32 BVerfGE 75, 108 (154); 97 271 (286 f.); 106 275 (304 f.). 33 BVerfGE 115 25 (42 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 10 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt somit in materiell-rechtlicher Hinsicht eine gewisse Relation zwischen Beitrag und Leistung.34 Das Maß der den Einzelnen durch seine Pflichtzugehörigkeit treffenden Belastung muss „noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem ihm und der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen“ stehen. Daraus lässt sich zwar keine konkrete Grenze für eine Beitragsdeckelung ableiten. Ohne Grenze könnte jedoch die Beitragsbelastung von Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdienern im Einzelfall die privaten Versicherungsprämien um ein Vielfaches übertreffen. Daher wäre wohl die vollständige Aufhebung der Beitragsbemessungs - und Pflichtversicherungsgrenze unverhältnismäßig und insoweit ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG.35 Da eine genaue Grenze für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze vom BVerfG nicht vorgegeben wird, muss in der Praxis eine Abwägung zwischen der Belastung des Versicherten und den Gegenleistungen der Bürgerversicherung getroffen werden. Andernfalls lässt sich eine Zwangsmitgliedschaft in einem Sozialversicherungssystem durch die Schutzbedürftigkeit der Versicherten nicht mehr rechtfertigen.36 Primäres Ziel der Sozialversicherung ist der soziale Schutz der Versicherten, es sind nicht die zu erzielenden Einnahmen.37 In der Literatur wird vorgeschlagen , als Anhaltspunkt für eine Obergrenze die Durchschnittsprämie der privaten Krankenversicherung zu nehmen und hierauf einen Aufschlag zu erheben, der die solidarischen Momente berücksichtigt. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrundlage auf das Niveau der in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze wird noch für verfassungskonform erachtet.38 4.3. Art. 3 Abs. 1 GG Eine Anhebung oder Aufhebung der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze im Rahmen einer Bürgerversicherung könnte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung setzt voraus, dass vergleichbare Personengruppen oder auch Sachverhalte betroffen sind. Die Feststellung, ob die übereinstimmenden oder die verschiedenen Einzelmerkmale zweier Personengruppen den Ausschlag geben sollen, ist nur möglich, wenn man ein Differenzierungsmerkmal auswählt, anhand dessen der Vergleich angestellt wird.39 Abgestellt werden kann auf die Gruppe der höher verdienenden Beschäftigten, die höhere Beiträge für die Bürgerversicherung bezahlen muss sowie die Gruppe der niedrig verdiendenden Be- 34 BVerfGE 14, 312 (317); 1 (9f.); 30, 292 (316f.); 35, 382 (401); 58, 81 (114). 35 Schräder (Fn. 14), S. 286. 36 Brall/Voges (Fn. 21), S. 54. 37 Merten (Fn. 16), 545 (550). 38 Schräder (Fn. 14), S. 285 f. Im Ergebnis auch Merten (Fn. 16) 545 (550); Brall/Voges (Fn. 21), S. 54. Soweit ersichtlich haben andere Autoren wie Kirchhof (Fn. 21), Isensee (Fn. 21) die Anhebung bzw. Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze nicht separat geprüft, sondern nur die allgemeine Einführung einer Bürgerversicherung. 39 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2004, Art. 3, Rn. 18 und 23, m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 11 schäftigten, die niedrigere Beiträge zahlt, aber die gleichen Leistungen wie die erstgenannte Gruppe erhält. Nicht jede Ungleichbehandlung von vergleichbaren Personengruppen ist verfassungswidrig; vielmehr kann die Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Nach früherer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war die Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich, und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandelt wird.40 Danach rechtfertigte das Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Ungleichbehandlung. Nach der so genannten „neuen Formel“ müssen in bestimmten Fällen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist.41 Einzelheiten und Folgen dieser Rechtsprechung sind umstritten42, ganz allgemein lässt sich aber festhalten , dass der Rechtfertigungsgrund „in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung “ stehen muss.43 Es kommt demnach auf die Intensität der Ungleichbehandlung an. Das Bundesverfassungsgericht fordert, eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Beurteilung der hier zu prüfenden Ungleichbehandlung. Sachlicher Grund für die diskutierte Differenzierung könnte das Ziel sein, Strukturdefizite und Gerechtigkeitslücken in der Krankenversicherung zu beheben. Zusätzlich zum Vorliegen eines sachlichen Grundes fordert das Bundesverfassungsgericht: „Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen“44. Dabei ist allerdings nicht entscheidend, „ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat“.45.Im Hinblick auf die Angemessenheit einer zukünftigen Regelung ist der Gedanke der Beitrags- und Leistungsäquivalenz in der Sozialversicherung entscheidend. Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, das Äquivalenzprinzip und den sozialen Ausgleich in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, wobei ihm ein erheblicher Gestaltungsspielraum zusteht.46 Da mit wachsenden Einkommen das Äquivalenzprinzip immer mehr an Bedeutung zugunsten des sozialen Ausgleichs verliert, dürfte eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze gegen den Gleich- 40 BVerfGE 4, 144 (155); BVerfGE 27, 364, (371f.). 41 BVerfGE 55, 72 (88); BVerfGE 71, 146 (154 f.); BVerfGE 82, 126 (146). 42 Heun (Fn. 39), Art. 3 Rn. 21 f. 43 Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 5. Aufl. 2005, Art. 3 Abs. 1 Rn. 189, m. w. N. 44 BVerfGE 82, 126 (146). 45 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1 5. Auflage 2005, Art. 3 Rn. 18, m. w. N. 46 Schenke (Fn. 15), 475 (492). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 12 heitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.47 Anhaltspunkt für eine noch verfassungsgemäße Obergrenze könnte die in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Bemessungsgrenze sein.48 5. Grundrechte der privaten Versicherungsunternehmen Die An- bzw. Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze und die gleichzeitige Pflichtversicherung für bisher versicherungsfreie Personen hat weitreichende Folgen für das private Krankenversicherungswesen . Je nach Ausgestaltung der Bürgerversicherung würde den privaten Anbietern ihr Kerngeschäft vollständig entzogen, es verbliebe lediglich die Sparte der Zusatzversicherungen . In der Literatur wird daher in der Einführung einer Bürgerversicherung ein Eingriff in die Grundrechte der Versicherungsunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG gesehen.49 Teilweise wird eine Rechtfertigung angenommen, wenn im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG Übergangsregelungen zur Abmilderung der Eingriffsintensität geschaffen werden,50 und im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG den privaten Versicherungsunternehmen ausreichend Raum für eine wirtschaftlich lohnende Tätigkeit im Bereich des Zusatzversicherungsgeschäfts verbleibt.51 Die An- bzw. Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze hat für sich betrachtet keine unmittelbare oder mittelbare Auswirkung für die Versicherungsunternehmen, sondern wirkt sich soweit ersichtlich nur auf die Versicherten aus. 6. Zusammenfassung Die Erhöhung bzw. Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen einer neu zu schaffenden Bürgerversicherung ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur sehr umstritten. Insgesamt betrachtet, wird eine „maßvolle“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze von den meisten Autoren bejaht, hingegen eine erhebliche Anhebung oder der Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze als verfassungswidrig eingestuft. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher nicht zur Bürgerversicherung geäußert, aber in ständiger Rechtsprechung verdeutlicht, dass sich dem Grundgesetz keine Garantie des bestehenden Sozialversicherungssystems entnehmen lasse. Der Gesetzgeber könne einen Krankenversicherungsschutz auf eine andere Weise gewährleisten und diesen auf andere Weise als bisher finanzieren . 47 Schräder (Fn. 14 ), S. 296; Schenke (Fn. 15), 475 (492). 48 Schräder (Fn. 14), S. 289. Andere Ansicht Biebak (Fn. 17), S.148, 157, der eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für unproblematisch hält, da die die Sozialversicherung nicht an das Prinzip der Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung gebunden sei. 49 Bieback (Fn. 17), S. 108, 113; Brall/Voges (Fn. 21), S. 17 ff., 33 ff.; Schenke (Fn. 15), 475 (495 f.); Kirchhof (Fn. 21), 1 (4 f.); Isensee (Fn. 21), 393 (400). 50 Schräder (Fn. 14), S. 308, 311. 51 Schräder (Fn. 14), S. 308. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 429/10 Seite 13 Einige Autoren stufen die Erhöhung bzw. die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze als Verstoß gegen die kompetenzrechtlichen Vorgaben des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG ein. Je höher die Beitragsbemessungsgrenze steige, desto mehr steige der Versicherungsbeitrag insbesondere der Spitzenverdiener an, nicht jedoch die von der Krankenversicherung gewährten Leistungen. Dies stelle eine Verletzung des Grundsatzes der Beitrags- und Leistungsäquivalenz dar. Die die Gegenauffassung vertretenden Autoren halten eine individuelle Äquivalenz zwischen Beitrag und Leistung nicht für ein notwendiges Merkmal des Sozialversicherungsbegriffs. Die Kompetenzgrundlage des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG wird jedoch noch aus anderen Gründen abgelehnt: Zum einen würde eine erhebliche Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze bzw. ihre Aufhebung, dazu führen, dass der Beitrag für die Bürgerversicherung und die Einkommensteuer identisch wären. Eine zweite „Einkommensteuer“ wäre aber nicht mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes kompatibel. Zum anderen dürfe eine Sozialversicherung immer nur Teile der Bevölkerung, nicht aber alle Einwohner, erfassen. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Versicherten steht nach Auffassung einiger Autoren einer Anhebung der Beitragsbemessungs- und Pflichtversicherungsgrenze grundsätzlich dann nicht entgegen, wenn sich die Anhebung in einem verhältnismäßigen Rahmen bewegt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange in materiell-rechtlicher Hinsicht eine gewisse Relation zwischen Beitrag und Leistung. Eine vollständige Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze wäre aber wohl unverhältnismäßig. Auch im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gedanke der Beitrags- und Leistungsäquivalenz zu beachten. Da mit wachsendem Einkommen das Äquivalenzprinzip immer mehr an Bedeutung zugunsten des sozialen Ausgleich verliert, dürfte eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.