Deutscher Bundestag Regelung der Akkreditierung von Studiengängen durch den Bund? Gesetzgebungskompetenz des Bundes und weitere verfassungsrechtliche Anforderungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 416/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 2 Regelung der Akkreditierung von Studiengängen durch den Bund? Gesetzgebungskompetenz des Bundes und weitere verfassungsrechtliche Anforderungen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 416/10 Abschluss der Arbeit: 26. Oktober 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 4 1. Einleitung 6 2. Verfassungskonformität einer bundesgesetzlichen Akkreditierungsregelung? 8 2.1. Gesetzgebungskompetenz für Fragen der Akkreditierung 8 2.1.1. Gesetzgebungsgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG 8 2.1.2. Meinungsstand zur Reichweite des Kompetenztitels „Hochschulabschlüsse“ 9 2.1.2.1. Meinung 1: Akkreditierung nicht erfasst 9 2.1.2.2. Meinung 2: Akkreditierung erfasst 9 2.1.2.3. Meinung 3: Differenzierende Betrachtungsweise 10 2.2. Vereinbarkeit des Akkreditierungssystems mit Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) 11 2.2.1. Eingriff in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) 11 2.2.2. Rechtfertigung 12 2.2.2.1. Verfassungsimmanente Schranken: Andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter 12 2.2.2.2. Vorbehalt des Gesetzes 13 2.2.2.2.1. Wesentlichkeitstheorie/Parlamentsvorbehalt 13 2.2.2.2.2. Institutioneller Gesetzesvorbehalt/Formmissbrauch 15 2.2.2.3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 4 Zusammenfassung Bezogen auf den Hochschulbereich ist mit Akkreditierung die Begutachtung der Qualität von Einrichtungen (Hochschulen insgesamt) oder Teilen von ihnen (Fakultäten, Fachbereiche) sowie von Studienangeboten bzw. Teilen von ihnen gemeint. Zur Frage, ob der Bund die derzeit landesrechtlich geregelte Akkreditierung von Studiengängen durch ein entsprechendes Gesetz regeln könnte, ist folgendes festzuhalten: Die Verfassungskonformität eines solchen Bundesgesetzes wird im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 Grundgesetz (GG):Hochschulabschlüsse) nicht einheitlich bewertet. Zudem würde eine bundesgesetzliche Regelung – überträgt man die Diskussion zu den geltenden landesrechtlichen Akkreditierungsregelungen – auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Wissenschaftsfreiheit in Gestalt der Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) streitig erörtert. - Gesetzgebungskompetenz Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Hochschulabschlüsse nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 33 GG gerade nicht die Bereiche Gestaltung, Qualitätssicherung und Akkreditierung von Studiengängen erfasse. Die Verantwortung für die genannten Bereiche liege vielmehr bei den Ländern und den Hochschulen. Nach anderer Ansicht deuteten die in der Gesetzesbegründung verwendeten Begriffe „Gleichwertigkeit , Studienleistungen, Abschlussniveaus“ darauf hin, dass sie auf Inhalt und Qualität von Studiengängen abstellten. Das lasse den Schluss zu, dass der Bund nicht nur formale Regelungen treffen, sondern auch auf die Qualitätssicherung und auf die Qualitätssicherungsverfahren (z. B. Akkreditierung) von Studiengängen Einfluss nehmen könne. Zum Teil wird die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz differenziert betrachtet: Da sich Akkreditierungsverfahren sowohl auf die organisatorische und fachliche Gestaltung von Studiengängen , ihre Ausrichtung und curriculare Strukturierung wie auf Studienleistungsniveaus, Abschlussbezeichnungen , Regelstudienzeiten und Abschlussniveaus beziehe, sei eine ausschließliche Zuweisung in den Raum der Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG nicht möglich (Lösung: staatsvertragliche Regelung Bund-Länder). - Weitere verfassungsrechtliche Anforderungen Folgt man der Ansicht, dass der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Akkreditierungswesen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG besitzt, so müsste dieses Gesetz weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Bereits die geltenden Regelungen auf Landesebene werden zum Teil für nicht vereinbar mit der Lehrfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG gehalten. Diese Aspekte wären auch bei einem Bundesgesetz zu erörtern. Im Vordergrund der Diskussion zur geltenden Akkreditierung steht die Frage, ob der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herzuleitende Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verletzt ist. Ein zulässiger Eingriff in die Lehrfreiheit , wie sie unstreitig die Akkreditierung darstellt, setzt nach dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes eine gesetzliche Ermächtigung voraus. Das Bundesverfassungsgericht fordert vom Parlamentsgesetzgeber darüber hinaus„in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 5 der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst (zu) treffen“ (Wesentlichkeitstheorie/Parlamentsvorbehalt). Diese Anforderungen werden zum Teil als nicht erfüllt angesehen, wenn gesetzliche Regelungen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Akkreditierung nicht festlegten. In der gesetzlichen Regelung müssten die Kriterien für eine erfolgreiche Akkreditierung festgelegt sein. Nicht ausreichend seien formelle und materielle Mindestanforderungen an die Akkreditierung in Beschlüssen des Akkreditierungsrates . Diese weitgehende Position einschränkend wird mitunter betont, dass nähere Beurteilungskriterien nicht durch Gesetz geregelt werden müssten. Allerdings seien darüber hinaus organisatorische und verfahrensmäßige Vorkehrungen erforderlich (z. B. Fachbeiräte). Nach anderer Auffassung sei der Wesentlichkeitsgrundsatz nicht verletzt, wenn der Gesetzgeber dem Akkreditierungsrat die Aufgabe zuweise, Kriterien für die Akkreditierung aufzustellen. Die nordrhein-westfälische Regelung des Akkreditierungsstiftungsgesetzes enthalte in diesem Sinne eine hinreichend detaillierte gesetzliche Regelung des Akkreditierungswesens. Allerdings sieht diese Ansicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verletzt an, denn der Rückzug des Staates aus der Akkreditierung begründe eine Gewährleistungsverantwortung für eine grundrechtsfreundliche Ausgestaltung des Verfahrens im Sinne einer Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht. Dies sei zweifelhaft, da im Akkreditierungsrat keine ausreichende Zahl Hochschullehrer vertreten sei, so dass sie keinen maßgeblichen Einfluss auf die Kriteriensetzung bei der Akkreditierung nehmen könnten. Außerdem seien bestimmte Kriterien im Hinblick auf das Ziel der Qualitätssicherung von Studiengängen systemfremd (z. B. Geschlechtergerechtigkeit , Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden), die Datenerhebungspflicht der Hochschulen übermäßig belastend sowie die Prüfungsintensität der Agenturen zu hoch. Gegen den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit der geltenden Regelungen wird eingewandt, dass nicht die Regelungen selbst gegen das Übermaßverbot verstießen, sondern dieser Eindruck durch eine mitunter missglückte Praxis entstehe. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 6 1. Einleitung Qualitätssicherung in Studium und Lehre an Hochschulen in Deutschland erfolgt im Wesentlichen durch die seit 1995 durchgeführten Verfahren der internen und externen Lehrevaluation und durch die 1998 eingeführte Akkreditierung von Studiengängen.1 Bezogen auf den Hochschulbereich ist mit Akkreditierung die Begutachtung der Qualität von Einrichtungen (Hochschulen insgesamt) oder Teilen von ihnen (Fakultäten, Fachbereiche) sowie von Studienangeboten bzw. Teilen von ihnen gemeint.2 Aufgabe der Akkreditierung ist die Sicherstellung fachlichinhaltlicher Standards, die mit der Überprüfung des Studiengangkonzeptes und der Studierbarkeit des Lehrangebots auch die Qualität der Lehre einschließt. Das Verfahren wird durch einen Antrag bei der Akkreditierungseinrichtung eingeleitet, der die zu akkreditierende Einrichtung oder das zu akkreditierende Studienprogramm nach in der Regel vorgegebenen Kriterien beschreibt. Akkreditierungsentscheidungen basieren auf einer Qualitätsprüfung . Das Verfahren wird durch eine positive oder negative Entscheidung abgeschlossen und kann mit Auflagen verbunden sein.3 Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat am 1. Januar 2000 mit der probeweisen Einführung eines Akkreditierungssystems Kompetenzen der fachlich-inhaltlichen Überprüfung neuer Studiengänge auf den Akkreditierungsrat und die (damals noch zu gründenden) Akkreditierungsagenturen übertragen.4 Der Rat übte die Aufsicht über die in der Mehrzahl privatrechtlich verfassten Akkreditierungsagenturen aus, welche wiederum aufgrund von Verträgen mit den Hochschulen die Akkreditierung durchführten. Mit Beschluss der KMK vom 16. Dezember 2004 haben die Länder die Vereinbarung über eine „Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland“5 geschlossen, mit der sie die Aufgaben des Akkreditierungsrates auf eine nach dem Recht des Landes Nordrhein-Westfalen zu errichtende Stiftung übertrugen.6 Der Akkreditierungsrat als zentrales Beschlussgremium der Stiftung definiert die Grundanforderungen an das Akkreditierungsverfahren und soll dafür Sorge 1 Vgl. Zweiter Bericht zur Realisierung der Ziele des Bologna-Prozesses von KMK und BMBF, S. 12, abrufbar unter: http://www.bmbf.de/pub/nationaler_bericht_bologna_2007.pdf (letzter Abruf: 25. Oktober 2010) ; Pautsch, Arne, Rechtsfragen der Akkreditierung, in: Wissenschaftsrecht (WissR) 2005, S. 200 ff., 201. 2 Grimm, Reinhold, Von der Programmakkreditierung zur Systemakkreditierung, Grundlagen und Zielsetzungen der Akkreditierung in Deutschland, in: Benz, Winfrid/Kohler, Jürgen/Landfried, Klaus (Hrsg.), Handbuch Qualität in Studium und Lehre (HQSL), Stuttgart 2009, F 1.1 S. 6. 3 Grimm, Reinhold, in: HQSL, F 1.1 S. 6. 4 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Weiterentwicklung des Akkreditierungssystems für Studiengänge – BT-Drs. 16/5217 vom 4. Mai 2007, S. 1. 5 Ländervereinbarung zur „Stiftung: Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland“ vom 16.12.2004, abrufbar unter: http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Dokumente/kmk/KMK_041216_Laender vereinbarung.pdf (letzter Abruf: 25. Oktober 2010). 6 BT-Drs. 16/5217, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 7 tragen, dass die Akkreditierung auf der Grundlage verlässlicher, transparenter und international anerkannter Kriterien erfolgt.7 Das rechtliche Fundament des Akkreditierungssystems bilden das nordrhein-westfälische Gesetz zur „Errichtung der Stiftung zur Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland" (Akkreditierungsstiftungsgesetz - AkkStiftG - )8 sowie die zwischen Stiftung und Agenturen abzuschließenden Verträge9, in denen die Rechte und Pflichten der Partner im Akkreditierungssystem definiert sind. Im Rahmen der Verträge verpflichten sich die Agenturen zur Anwendung der Beschlüsse des Akkreditierungsrates10 sowie zur Berücksichtigung der ländergemeinsamen Strukturvorgaben gemäß § 9 Abs. 2 Hochschulrahmengesetz (HRG) für die Akkreditierung von Bachelor - und Masterstudiengängen in ihrer jeweils gültigen Fassung.11 Als gesetzliche Verpflichtung wurde die Qualitätssicherung in Studium und Lehre mit der Änderung des Hochschulrahmengesetzes 1998 (§ 6 HRG i. d. F. vom 20. August 1998) eingeführt und in der Folge - wenn auch mit unterschiedlicher Regelungsdichte - in Regelungen12 vieler Landeshochschulgesetze konkretisiert.13 Das Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg hat in seinem Vorlagebeschluss vom 16. April 201014 die Auffassung vertreten, dass die Bestimmungen zur Akkreditierung im nordrhein-westfälischen Hochschulgesetz im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes verfassungswidrig seien. In der Akkreditierungspflicht liege ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG, der nicht hinreichend gesetzlich legitimiert sei. Im Gesetz würden weder Voraussetzungen noch Inhalt und Ziel der Überprüfungen näher umschrieben. Es gebe keine gesetzlichen Regelungen zu Verfahren, Kosten oder Rechtsschutz und es bleibe unklar, welche Stellung die Agenturen überhaupt hätten. Nachfolgend wird zunächst untersucht, ob auch der Bund aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Hochschulabschlüsse gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG den hiermit möglicherweise entstehenden gesetzlichen Handlungsbedarf erfüllen kann, d. h. konkret, ob er in einem Gesetz über Hochschulabschlüsse festlegen kann, nach welchen Kriterien die Qualität von Studiengängen beurteilt werden und welche Institutionen hierfür verantwortlich sein sollen (Gliede- 7 Vgl. Funktionsweise des Systems auf der Internetseite des Akkreditierungsrates unter: http://www.akkreditierungsrat.de/index.php?id=9 (letzer Abruf: 25. Oktober 2010). 8 Gesetz vom 15. Februar 2005 (GV. NRW. S. 45), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Kunsthochschulrechts vom 13. März 2008 (GV. NRW. S.195). 9 Siehe Mustervertrag vom 08. Dezember 2009 unter: http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Beschluesse_AR/Mustervertrag_08_12_0 9.pdf (letzer Abruf: 25. Oktober 2010). 10 Abrufbar unter: http://www.akkreditierungsrat.de/index.php?id=6 (letzer Abruf: 25. Oktober 2010). 11 Abrufbar unter: http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Dokumente/kmk/KMK_Laendergemeins ameStrukturvorgaben.pdf (letzter Abruf: 25. Oktober 2010). 12 Vgl. Art. 10 Abs. 4 BayHG, § 53 Abs. 4 BremHG, § 6 Abs. 2 Satz 2 NHG, § 7 Abs. 1 NRW§ 9 Abs. 3 Satz 4 HSG LSA, § 49 Abs. 6 SHHG, § 43 Satz 1 ThürHG. 13 Grimm, Reinhold R., in: HQSL, F 1.1 S. 11. 14 VG Arnsberg, Beschluss vom 16. April 2010, Az. 12 K 2689/08, abrufbar unter: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_arnsberg/j2010/12_K_2689_08beschluss20100416.html (letzter Abruf: 25. Oktober 2010), Rn. 59 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 8 rungspunkt 2.). Sodann wird dargestellt, welche weiteren verfassungsrechtlichen Anforderungen – vor allem mit Blick auf Art. 5 Absatz 3 Satz 1 GG - an ein derartiges Gesetz zu stellen sind (Gliederungspunkt 3.). 2. Verfassungskonformität einer bundesgesetzlichen Akkreditierungsregelung? 2.1. Gesetzgebungskompetenz für Fragen der Akkreditierung 2.1.1. Gesetzgebungsgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG Nach Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz (GG) haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis verleiht. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern bemisst sich gemäß Art. 70 Abs. 2 GG nach den Vorschriften des Grundgesetzes über die ausschließliche und die konkurrierende Gesetzgebung. Mit der Föderalismusreform 2006 wurde unter anderem die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a alt GG) in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder überführt.15 Gleichzeitig wurden dem Bund neue Kompetenzen der konkurrierenden Gesetzgebung zuteil (Art. 72 Abs. 3 Nr. 6 neu GG). Der Bund besitzt nunmehr eine nicht an die Erforderlichkeitsklausel gebundene konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die „Hochschulzulassung“ und die „Hochschulabschlüsse“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG neu). Die neue Kompetenz gibt ihm die Möglichkeit, detaillierte und unmittelbar geltende Regelungen für die genannten Bereiche treffen zu können, während er nach der bisherigen Rahmenkompetenz auch hierfür nur die allgemeinen Grundsätze festlegen konnte. Fraglich ist, ob der Bund aufgrund seiner Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG auch Regelungen im Bereich der Akkreditierung von Studiengängen treffen kann. Dann müsste es sich dabei um eine Materie handeln, die dem Bereich der Hochschulzulassung oder der Hochschulabschlüsse zuzuordnen sind. Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich der Hochschulzulassung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 Alternative 1 GG) heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes vom 7. März 2006:16 „Die Kompetenz für die Hochschulzulassung gibt dem Bund die Möglichkeit, insbesondere bei bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Vorgaben für die Ermittlung und vollständige Ausschöpfung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen sowie für die Vergabe der Studienplätze und Auswahlverfahren einheitlich zu regeln. Damit kann der Bund sicherstellen, dass entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen die Einheitlichkeit eines transparenten und fairen Vergabeverfahrens gewährleistet wird.“ 15 Seiler, Christian, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Grundgesetz, Beck‘scher Online- Kommentar, München 2010, Art. 74 Rn. 110. 16 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - BT-Drs. 16/813 vom 8. März 2006, S. 14. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 9 Nicht erfasst werden dagegen Regelungen über Studiengebühren oder Fragen des Hochschulzuganges die wegen ihres engen Bezugs zum Schulwesen in die Zuständigkeit der Länder fallen.17 Erfasst von der Kompetenz sind danach Fragen der Studienplatzvergabe, nicht aber der Qualitätssicherung von Studiengängen. Die Regelung der Akkreditierung könnte dagegen vom Kompetenztitel „Hochschulabschlüsse“ erfasst sein. In Bezug auf die Hochschulabschlüsse heißt es in der soeben zitierten Gesetzesbegründung:18 „Die Kompetenz für die Hochschulabschlüsse gibt dem Bund die Möglichkeit, im Interesse der Gleichwertigkeit einander entsprechender Studienleistungen und -abschlüsse die Abschlussniveaus und die Regelstudienzeiten zu regeln. Der Bund kann damit einen Beitrag zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Hochschulraums und zur internationalen Akzeptanz deutscher Hochschulabschlüsse leisten.“ 2.1.2. Meinungsstand zur Reichweite des Kompetenztitels „Hochschulabschlüsse“ Die Reichweite des Kompetenztitels „Hochschulabschlüsse“ in Bezug auf die Akkreditierung von Studiengängen wird streitig diskutiert: 2.1.2.1. Meinung 1: Akkreditierung nicht erfasst Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 33 GG gerade nicht die Bereiche Gestaltung, Qualitätssicherung und Akkreditierung von Studiengängen erfasse.19 Die Verantwortung für die genannten Bereiche liege vielmehr bei den Ländern und den Hochschulen. Dem Bund solle es nach der Gesetzesbegründung zwar möglich sein, zumindest die Abschlussniveaus und die Regelstudienzeiten festzulegen. Unproblematisch werde von Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG die Bestimmung der einzelnen Abschlüsse erfasst sein. Die Reichweite der Kompetenz des Bundes in Bezug auf das „Abschlussniveau“ werde vom Bundesgesetzgeber aber nicht näher bestimmt . Ob auch die Akkreditierung darunter falle, erscheine hingegen zweifelhaft.20 2.1.2.2. Meinung 2: Akkreditierung erfasst Die Tatsache, dass die Gesetzesbegründung gesondert den Aspekt des „Abschlussniveaus“ enthalte , lasse den Schluss zu, dass die Kompetenz nach der Intention des Gesetzgebers jedenfalls 17 BT-Drs. 16/813, S. 14. 18 BT-Drs. 16/813, S. 14. 19 BT-Drs. 16/5217, S. 3. 20 Stellungnahme von Frau Ministerin Dr. Eva-Maria Stange zu der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 12. November 2007 zum Thema „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes und weiterer Vorlagen“ , A-Drs. 16 (18) 273 j, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 10 weitergehen solle als die bloße Bestimmung der Abschlüsse und der Regelstudienzeiten.21 Andernfalls wäre der Hinweis auf die Abschlussniveaus überflüssig gewesen. In der Gesetzesbegründung heiße es zudem, dass der Bund die Kompetenz für die Hochschulabschlüsse „im Interesse der Gleichwertigkeit einander entsprechender Studienleistungen und – abschlüsse“ wahrnehmen solle.22 Die Begriffe „Gleichwertigkeit, Studienleistungen, Abschlussniveaus “ könnte man dahin gehend deuten, dass sie auf Inhalt und Qualität von Studiengängen abstellten. Das lasse den Schluss zu, dass der Bund nicht nur formale Regelungen treffen, sondern auch auf die Qualitätssicherung und auf die Qualitätssicherungsverfahren (z. B. Akkreditierung ) von Studiengängen Einfluss nehmen könne.23 Art. 84 Abs. 1 S. 4 und 5 GG böte zudem die Möglichkeit zur Einrichtung eines Instrumentariums zur Ermöglichung der Gleichwertigkeit und zur Regelung des Verwaltungsverfahrens durch den Bund, allerdings mit Zustimmung des Bundesrats.24 2.1.2.3. Meinung 3: Differenzierende Betrachtungsweise Von der Thematik der Hochschulabschlüsse sei die Gestaltung von Studiengängen zu trennen.25 Da sich das Akkreditierungsverfahren sowohl auf die organisatorische und fachliche Gestaltung von Studiengängen, ihre Ausrichtung und curriculare Strukturierung wie auf Studienleistungsniveaus , Abschlussbezeichnungen, Regelstudienzeiten und Abschlussniveaus beziehe, sei eine ausschließliche Zuweisung in den Raum der Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG nicht möglich. Akkreditierungsverfahrensfragen könnten daher weder vom Bund noch von den Ländern allein geregelt werden, hierzu bedürfe es des Zusammenwirkens, wobei sich die Form eines Staatsvertrages zwischen Bund und Ländern wiederum anbiete. 21 Vgl. Hansalek, Erik, Die neuen Kompetenzen des Bundes im Hochschulrecht, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2006, S. 668 ff, S. 668. 22 Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - BT-Dr. 16/813, S. 14.; so im Ergebnis auch (allerdings ohne ausdrückliche Erwähnung der Akkreditierung): Degenhart, Christoph, Die Neuordnung des Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform, in: NVwZ 2006, S. 1209 ff., S. 1214; Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 12. November 2007 zum Thema „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes und weiterer Vorlagen“, A-Drs. 16(18)273a, S. 8. 23 Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz zu der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 12. November 2007 zum Thema „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes und weiterer Vorlagen“, A-Drs. 16 (18) 2731, S. 3, vgl. auch Hansalek, in: NVwZ 2006, S. 668 (669). 24 Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), A-Drs. 16(18)273a, S. 8. 25 Stellungnahme von Prof. Dr. Frank Nullmeier zu der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 12. November 2007 zum Thema „Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes und weiterer Vorlagen“, Universität Bremen, A-Drs. 16(18) 273 k, S. 11: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 11 2.2. Vereinbarkeit des Akkreditierungssystems mit Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) Folgt man der Argumentation zugunsten einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelung der Modalitäten der Akkreditierung von Studiengängen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG, so ist im Sinne einer verfassungskonformen bundesgesetzlichen Regelung auch zu beachten, dass sie mit weiteren grundgesetzlichen Vorgaben im Einklang stehen muss. Streitig erörtert wird die Vereinbarkeit der geltenden gesetzlichen Akkreditierungsregelungen (z. B. § 72 Abs. „ S. 6 Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen) mit der Wissenschaftsfreiheit in der Ausprägung der Lehrfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und dem Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG). 2.2.1. Eingriff in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) Art. 5 Abs. 3 S.1 GG erklärt Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Das Freiheitsrecht enthält für jeden, der wissenschaftlich tätig ist oder tätig werden will - vorbehaltlich der Treuepflicht aus Art. 5 Abs. 3 S. 2 GG - ein Recht auf Abwehr gegen jede staatliche Einwirkung auf den Prozess der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse.26 Wissenschaftliche Betätigung ist jede Tätigkeit, „die nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist“. Ein gewisser Kenntnisstand und ein methodisch geordnetes Vorgehen werden vorausgesetzt. Geschützt werden insbesondere die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe. Wissenschaft gilt als gemeinsamer Oberbegriff von Forschung und Lehre, wobei Forschung als "die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen" bezeichnet wird.27 Die Freiheit der Lehre als Element der Wissenschaftsfreiheit ist durch ihre Verbindung mit der Forschung als Freiheit der wissenschaftlichen Lehre durch den Forscher qualifiziert.28 Lehre i. S. d. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist diejenige Vermittlung von eigenen und fremden Erkenntnissen und Fachwissen, die mit der Anleitung zum kritischen wissenschaftlichen Urteil, Denken und Arbeiten verbunden ist. Zum Inhalt der Lehrfreiheit gehört es auch, Lehrveranstaltungen abzuhalten und diese inhaltlich methodisch zu gestalten.29 Die Pflicht zur Akkreditierung von Studiengängen könnte ein Eingriff in die von Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Lehrfreiheit sein. Unter einem Eingriff ist jedes staatliche Handeln zu verstehen , welches dem Grundrechtsträger ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht oder zumindest wesentlich erschwert.30 26 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 35, 79 (113). 27 BVerfGE 35, 79 (113). 28 Vgl. Pernice, Ingolf in Dreier, Horst, Grundgesetz, Kommentar, 2. Auflage, Würzburg 2003, Art. 5 III, Rn. 32 m. w. N. 29 BVerfGE 55, 37 (68). 30 Vgl. BVerfGE 66, 39 (60). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 12 Nach wohl einhelliger Auffassung31 wird ein Eingriff bejaht. Zur Begründung wird angeführt, dass die Pflicht zur Akkreditierung Hochschulen, Fakultäten und die einzelnen Hochschullehrer daran hindere, ein berufsqualifizierendes Lehrangebot allein auf der Basis autonom getroffener Entscheidungen zu realisieren. Die Einrichtung und Durchführung von Studiengängen gehöre zum Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der Hochschulen.32 Demgegenüber zwinge das Akkreditierungsverfahren die Grundrechtsträger dazu, über Inhalt, Prüfungsumfang, Methode und Ablauf des geplanten Angebots einer hochschulexternen Institution Rechenschaft abzulegen. Schon diese bloße Rechenschaftspflicht habe zur Folge, dass die Lehre nicht mehr als „frei“ anzusehen sei, zumal diese Begründungslast mehr als nur marginaler Natur sei, d. h. den betroffenen Hochschulen, Fakultäten und Dozenten ein erheblicher organisatorischer, personeller, zeitlicher und finanzieller Aufwand abverlangt werde.33 2.2.2. Rechtfertigung 2.2.2.1. Verfassungsimmanente Schranken: Andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung . Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet einen vorbehaltlos geschützten Freiraum. Beschränkungen der Lehrfreiheit können nur verfassungsgemäß sein, wenn sie dem Schutz anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter dienen.34 Es werden unterschiedliche Ansichten zu der Frage vertreten, welche Rechtsgüter zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Lehrfreiheit überhaupt herangezogen werden können. Zum Teil wird nur auf die grundrechtlich fundierte Schutzpflicht des Staates gegenüber den Studierenden und ihrem durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützten Interesse an einer freien Wahl der Ausbildungsstätte sowie der späteren Berufsausübung rekurriert.35 Um die beruflichen Perspektiven der nachwachsenden Generationen zu sichern, sei der Staat verpflichtet , die Voraussetzungen für eine berufsbezogene Ausbildung der Studierenden zu sichern. Dem diene auch die Akkreditierung von Studiengängen. Nach anderer Ansicht lässt sich der Eingriff auch unter Berufung auf das Staatsziel der europäischen Integration (Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG) rechtfertigen. Hiergegen könne auch nicht die Unverbindlichkeit von Erklärungen im Rahmen des Bologna-Prozesses, zu denen auch die Akkreditierung zähle, angeführt werden,36 denn neben dem kulturellen Aspekt diene der Bologna-Prozess ganz wesentlich auch einer praktischen Verwirklichung der europäischen Grundfreiheiten (Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleitungs- und Niederlassungsfreiheit) und damit letztlich einer Vertiefung des Integrationsprozesses im Rah- 31 VG Arnsberg, Rn. 73; Heitsch, S. 772; Müller-Terpitz, S. 120; Pautsch, S. 213. 32 Müller-Terpitz, S. 120, Pautsch, S. 213. 33 Heitsch, Christian, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Fragen der Akkreditierung von Studiengängen, in: Die öffentliche Verwaltung (DÖV), S. 770 ff., S. 772; Müller-Terpitz, S. 129, Pautsch, in WissR 2005, S. 200 ff., S. 213 f. 34 BVerfG ( 1. Kammer des Ersten Senats ), Beschluss vom 15. September 1997 - 1 BvR 406/96 u.a., in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport (NVwZ-RR) 1998, S. 175. 35 Heitsch, in: DÖV 2007, S. 770 ff., S. 772. 36 So aber Heitsch, in: DÖV 2007, S. 770 ff., S. 772. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 13 men der Europäischen Union.37 Die Fortentwicklung der Europäischen Union könne sich auch durch politisch abgestimmtes, aber rechtlich unverbindliches Vorgehen vollziehen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass trotz der dargestellten unterschiedlichen Lösungsansätze unstreitig bestimmte verfassungsrechtliche Rechtsgüter prinzipiell geeignet sind, Eingriffe in die Lehrfreiheit durch Akkreditierung zu rechtfertigen. 2.2.2.2. Vorbehalt des Gesetzes Ein zulässiger Eingriff in die Lehrfreiheit mit dem Ziel, die genannten Verfassungsgüter zu schützen , setzt aber nach dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes eine gesetzliche Ermächtigung voraus . 38 Dies gilt auch für vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht fordert aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Demokratieprinzips (Art. 20 GG) vom Parlamentsgesetzgeber darüber hinaus„in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst (zu) treffen“ (Wesentlichkeitstheorie /Parlamentsvorbehalt).39 Die Wesentlichkeit einer Entscheidung bestimmt sich nach der Intensität , mit der die Grundrechtsausübung betroffen ist. Nach dieser Intensität richten sich grundsätzlich auch die Anforderungen an die Bestimmtheit, mit der Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Grundrechtseingriffen im Gesetz selbst geregelt werden müssen.40 Welche verfassungsrechtlichen Anforderungen vor diesem Hintergrund an ein die Akkreditierung regelndes Gesetz zu stellen sind, ist streitig. Der Diskussionstand zu den landesrechtlichen Regelungen wird nachfolgend skizziert. Die genannten Aspekte wären – je nachdem, welcher Ansicht man folgen will - ggf. auch für eine bundesgesetzliche Regelung zu beachten. 2.2.2.2.1. Wesentlichkeitstheorie/Parlamentsvorbehalt Nach Ansicht des VG Arnsberg41 und einer Meinung in der Literatur42 verstoßen gesetzliche Regelungen , die tatbestandliche Voraussetzungen der Akkreditierung nicht festlegen, gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes. Ein derartiger Eingriff verletze die Lehrfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG und sei verfassungswidrig. Denn in der gesetzlichen Regelung müssten die Kriterien für eine erfolgreiche Akkreditierung niedergelegt sein. Nicht ausreichend sei, dass formelle und materielle Mindestanforderungen an die Akkreditierung in Beschlüssen des Akkreditierungsrates geregelt seien.43 Voraussetzungen, Inhalt und Ziel von Studiengängen müsse der Gesetzgeber selbst näher beschreiben. Eine weitgehende Übertragung der Rechtssetzungsbefugnisse 37 Müller-Terpitz, Ralf, Verfassungsrechtliche Implikationen der Akkreditierungsverfahren, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 123. 38 BVerfGE 61, 260 (275); 88, 103 (116). 39 BVerfGE 61, 260 (275). 40 BVerfG 49, 168 (181). 41 VG Arnsberg, Rn. 74 ff. 42 Pautsch, in: WissR 2005, S. 200 ff., S. 214. 43 VG Arnsberg, Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 14 im Bereich des Akkreditierungswesens auf die Stiftung stelle einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt dar.44 Diese weitgehende Position einschränkend wird mitunter betont, dass das im Rahmen der Akkreditierung erforderliche Qualitätsurteil fachspezifische Bewertungen voraussetze und das Objekt der Akkreditierung ein vielschichtiger Sachverhalt sei. Den Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes genüge daher, wenn das Parlamentsgesetz lediglich bestimme, dass Akkreditierung gleichbedeutend sei mit der Beurteilung der Qualität eines Studiengangs.45 Nähere Beurteilungskriterien bräuchten dagegen nicht durch Gesetz geregelt zu werden. Allerdings seien darüber hinaus organisatorische und verfahrensmäßige Vorkehrungen erforderlich. So müssten Hochschullehrer bei Entscheidungen, die unmittelbar die Lehre beträfen, den ihrer Stellung entsprechenden maßgeblichen Einfluss haben. Daher sollten Hochschullehrer in derartigen Gremien über die Mehrheit der Stimmen verfügen. Zur Ausarbeitung der fachspezifischen Kriterien für die Qualitätsbeurteilung seien Fachbeiräte erforderlich. Die von diesen Gremien erarbeiteten fachspezifischen Bewertungskriterien dürften vom Akkreditierungsrat nur auf offensichtliche Fehlbeurteilungen überprüft werden. Unterhalb dieser Schwelle müsse der Rat an die Entscheidungen der Fachbeiräte gebunden sein. Nach anderer Auffassung sei der Wesentlichkeitsgrundsatz nicht verletzt, wenn der Gesetzgeber dem Akkreditierungsrat die Aufgabe zuweise, Kriterien für die Akkreditierung aufzustellen.46 Die nordrhein-westfälische Regelung des Akkreditierungsstiftungsgesetz enthalte in diesem Sinne eine hinreichend detaillierte gesetzliche Regelung des Akkreditierungswesens.47 Es liege im Wesen von Qualitätsbeurteilungen, dass die anzulegenden Kriterien wandelbar seien und sich daher einer statischen Gesetzgebung entzögen. Eine gesetzliche Regelung sei daher aus systematischen Gründen nicht möglich, aber auch nicht erforderlich.48 Es sei entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Evalutionsverfahren an Hochschulen zu verfahren, nach der den Gesetzgeber eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht treffe. Für die Akkreditierung gelte: Die Ziele lägen fest, nämlich die Qualität und Vergleichbarkeit von Studiengängen gemäß dem im Rahmen des Bologna-Prozesses entwickelten Akkreditierungsbegriffs. Auch ergäben sich die qualitativen Mindestanforderungen an Studiengänge bereits aus dem Hochschulrahmengesetz und den Hochschulgesetzen der Länder.49 Im Übrigen sei die Aufgabe bewusst auf die Akkreditierungsstiftung übertragen worden, die aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung über besondere Sachkunde für die Ausarbeitung von Qualitätsanforderungen an Studiengänge verfüge.50 44 VG Arnsberg, Rn. 85. 45 Heitsch, in: DÖV 2007, S. 770 ff., S. 773. 46 Meyer, Susanne, Akkreditierungssystem verfassungswidrig?, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1011. 47 Meyer, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1011. 48 Meyer, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1011. 49 Müller-Terpitz, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 129. 50 Müller-Terpitz, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 129. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 15 2.2.2.2.2. Institutioneller Gesetzesvorbehalt/Formmissbrauch Zum Teil wird darüber hinaus bemängelt, dass es sich bei der Tätigkeit der Akkreditierungsagenturen um öffentlich-rechtliches Verwaltungshandeln im materiellen Sinne handele. Da die Agenturen aber privatrechtlich organisiert seien, müsse ihnen zur Wahrnehmung dieser Verwaltungsaufgabe Hoheitsgewalt durch eine Beleihungsakt übertragen werden. Ein solcher liege aber nicht vor, da die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben nicht durch Gesetz, sondern in Gestalt einer Kultusministerkonferenz -Vereinbarung durch Verwaltungsabkommen übertragen worden sei.51 Dem wird entgegengehalten, dass von einer Verfahrensprivatisierung nur ausgegangen werden könne, sofern die Akkreditierung überhaupt nicht oder nur implizit gesetzlich geregelt sei.52 In diesem Falle hänge die Einrichtung und wesentliche Änderung des Studiengangs allein vom positiven Akkreditat der Akkreditierungsagentur ab; hier bedürfe es einer Beleihung. Für die geltende landesrechtliche Regelung der Akkreditierung sei in den landeshochschulrechtlichen Bestimmungen ein konkludenter Beleihungsakt zu sehen, auch wenn die Begriffe „anerkannte Einrichtung “ und „Akkreditierungsagentur“ dort nicht näher definiert sei.53 Für Nordrhein- Westfalen sei in jedem Fall das Akkreditierungsstiftungsgesetz hinreiche Grundlage. Für die hier zu prüfende bundesgesetzliche Regelung hieße dies, dass jedenfalls nach der engeren Auffassung aus dem Bundesgesetz die Beleihung der Akkreditierungsagenturen eindeutig hervorgehen müsste. Nach der anderen Ansicht wären Formulierungen, wie sie das nordrheinwestfälische Akkreditierungsstiftungsgesetz derzeit vorsieht, wohl ausreichend. Ein weiterer in diesem Zusammenhang vorgebrachter „formaler“ Einwand ist der des dem Rechtsstaatsprinzip widersprechenden Formenmissbrauchs.54 Die derzeitige Regelung der Akkreditierung entspreche unter Berücksichtigung organisationswissenschaftlicher Erkenntnisse nicht den Anforderungen an eine rationale Verwaltungsorganisation. Die Konstruktion der Akkreditierungsstiftung gebe nach gegenwärtigem Stand Anlass zu erheblichen Zweifeln, ob das Ziel des Akkreditierungssystems erreicht werden könne, eine hohe Qualität der Studiengänge zu gewährleisten. Insbesondere sei ein institutionelles Gegengewicht zu den Agenturen nach geltendem Recht nicht erkennbar. Außerdem würden die Mitglieder des Akkreditierungsrates einvernehmlich von Hochschulrektoren- und Kultusministerkonferenz benannt; Wissenschaftsfunktionäre bzw. Ministerialbeamte dürften aber wohl nicht mit den praktischen Problemen der fachspezifischen Qualitätsbeurteilung von Studiengängen hinreichend vertraut sein. 2.2.2.3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Gesetzliche Regelungen müssten im Übrigen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Mitunter wird dieser als von bestehenden landesrechtlichen Bestimmungen verletzt angesehen. Es 51 Lege, Joachim, Die Akkreditierung von Studiengängen, in: Juristenzeitung (JZ) 2005, S. 698 ff., S. 703 f. 52 Müller-Terpitz, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 125; zur Beleihung siehe auch: Heitsch, in: DÖV 2007, S. 770 ff., S. 775 ff. 53 Müller-Terpitz, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 126. 54 Heitsch, in: DÖV 2007, S. 770 ff., S. 775. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 416/10 Seite 16 werde zwar mit der Akkreditierung von Studiengängen ein verfassungsrechtlich zulässiges Ziel verfolgt, es gebe jedoch mildere, gleichsam wirksame Mittel.55 Das Ziel, internationale Vergleichbarkeit von Studiengängen herzustellen, sei ein zulässiges Ziel, das gelte auch für die Qualitätssicherung der Angebote durch Akkreditierung. Problematisch sei dagegen, ob es nicht ein milderes Mittel gebe, etwa durch kooperatives Verfahren mit den Hochschulen. Hier sei allerdings zu beachten, dass die Prüfintensität erhöht sei. Wenn man aber die Akkreditierung als milderes Mittel ansehe, sei darauf zu achten, dass die von Dritten – hier dem Akkreditierungsrat – aufgestellten Kriterien verhältnismäßig seien.56 Der Rückzug des Staates aus diesem Bereich begründe eine Gewährleistungsverantwortung für eine grundrechtsfreundliche Ausgestaltung des Verfahrens im Sinne einer Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht. Dies sei zweifelhaft, da im Akkreditierungsrat keine ausreichende Zahl Hochschullehrer vertreten sei, so dass sie keinen maßgeblichen Einfluss auf die Kriteriensetzung bei der Akkreditierung nehmen könnten. Außerdem seien die geltenden Akkreditierungskriterien einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Betrachte man diese Kriterien, so könne die Erforderlichkeit im Hinblick auf das Ziel der Herstellung von Vergleichbarkeit und Qualität der Studiengänge nicht durchgehend bejaht werden (z. B. Geschlechtergerechtigkeit , Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden).57 Unverhältnismäßig sei es außerdem , den Hochschulen insbesondere durch die Verpflichtung zu sehr umfangreicher Datenerhebung übermäßige Lasten aufzuerlegen. Außerdem sei der Hochschule eine Einschätzungsprärogative zuzugestehen, wie sie die Qualität im internationalen Vergleich ihrer Studiengänge gewährleiste. Die Agenturen werde in diesem Bereich derzeit ein übermäßige Prüfintensität gewährt . Nach anderer Ansicht seien die vom Akkreditierungsrat aufgestellten Kriterien formal nicht unverhältnismäßig , der Vorwurf der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rühre vielmehr von einer mitunter missglückten bzw. missverstandenen Umsetzungspraxis.58 55 Meyer, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1011. 56 Meyer, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1012. 57 Meyer, in: NVwZ 2010, S. 1010 ff., S. 1012. 58 Müller-Terpitz, in: WissR 2009, S. 116 ff., S. 133.