© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 414/18 Vereinbarkeit der automatisierten Erfassung und Verarbeitung von Kennzeichen und Bildaufnahmen zur Überwachung von Dieselfahrverboten mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Inhalt des Gesetzentwurfs 4 2.1. § 35 Abs. 1 Nr. 18, § 36 Abs. 2i StVG-E 4 2.1.1. § 63c StVG-E 5 3. Vereinbarkeit der geplanten Regelungen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 5 3.1. Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung 6 3.2. Eingriffe in den Schutzbereich 7 3.3. Rechtfertigung der Eingriffe 8 3.3.1. Bestimmtheit und Normklarheit 9 3.3.2. Verhältnismäßigkeit 10 3.3.2.1. Legitimer Zweck 10 3.3.2.2. Geeignetheit 11 3.3.2.3. Erforderlichkeit 11 3.3.2.3.1. Nicht-automatisierte Verkehrskontrollen 11 3.3.2.3.2. Begrenzung des Kreises der Betroffenen 12 3.3.2.3.3. Stärkere zeitliche Begrenzung der Eingriffsdauer 12 3.3.2.4. Angemessenheit 13 3.3.2.4.1. Echte Treffer 14 3.3.2.4.2. Unechte Treffer 15 3.3.2.4.3. Nichttreffer 15 3.3.2.4.4. Bildaufnahmen sonstiger Fahrzeuginsassen 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage, ob die im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Neuntes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes1 (im Folgenden: StVG-E) vorgesehene unterschiedslose Erfassung und Verarbeitung von Kennzeichen und Bildaufnahmen von Fahrzeugen und Fahrzeuginsassen im Geltungsbereich von Dieselfahrverboten mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen vereinbar ist. Dabei wird insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Regelungen thematisiert. 2. Inhalt des Gesetzentwurfs Dieselfahrverbote können aufgrund von § 40 Bundes-Immissionsschutzgesetz nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften oder aufgrund straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zum Schutz der Wohnbevölkerung oder der Bevölkerung vor Abgasen zur Abwehr immissionsbedingter Gefahren angeordnet werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen bundeseinheitliche Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung zur Kontrolle von Dieselfahrverboten bundeseinheitlich geregelt werden. 2.1. § 35 Abs. 1 Nr. 18, § 36 Abs. 2i StVG-E § 35 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) soll um eine Nr. 18 erweitert werden, die dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Übermittlung der im Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR) gespeicherten Fahrzeug- und Halterdaten an die für die Überwachung von Dieselfahrverboten zuständigen Landesbehörden erlaubt. § 36 Abs. 2i StVG-E bestimmt, dass die Übermittlung nach § 35 Abs. 1 Nr. 18 StVG auch im automatisierten Verfahren erfolgen darf. Der Abgleich darf sich nach dem bereits bestehenden Abs. 4 des § 36 StVG grundsätzlich jeweils nur auf ein bestimmtes Kraftfahrzeug (KFZ) beziehen, wodurch der massenhafte unspezifische Abruf von Daten aus dem ZFZR ausgeschlossen werden soll. Die Einrichtung von Anlagen zum automatisierten Abruf obliegt nach § 36 Abs. 2i S. 2 Hs. 1 StVG-E den Landesbehörden. § 36 Abs. 2i S. 2 Hs. 2 StVG-E erklärt § 36 Abs. 5 Nr. 2 und 3 StVG für unmittelbar anwendbar, wonach Datensicherheit und Datenschutz, insbesondere Vertraulichkeit, Unversehrtheit und Verschlüsselung der Daten in allgemein zugänglichen Netzen sowie die Kontrolle der Zulässigkeit der Abrufe aus dem ZFZR gewährleistet werden müssen. Nach § 36 Abs. 2i S. 2 Hs. 2 StVG-E ist jedoch die Schaffung einer diese Anforderungen näher konkretisierenden Rechtsverordnung des zuständigen Ministeriums, wie sie § 36 Abs. 5 StVG eigentlich fordert, entbehrlich . Die konkrete Ausgestaltung der Anlagen und des Verfahrens des automatisierten Abrufs ist damit den zuständigen Landesbehörden überlassen. Eine Vereinheitlichung der technischen und datenschutzbezogenen Standards für den automatisierten Abruf schreibt der Gesetzentwurf nicht vor. 1 Vgl. BR-Drs. 574/18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 5 2.1.1. § 63c StVG-E Als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung zur Überwachung von Dieselfahrverboten durch die zuständigen Landesbehörden soll ein neuer § 63c in das StVG eingefügt werden. Gemäß Absatz 1 S. 1 dürfen die zuständigen Landesbehörden Kennzeichen (Nr. 1), Fahrzeugdaten (Nr. 2), Bildaufnahmen des Fahrzeuges und des Fahrers (Nr. 3) sowie Ort und Zeit der Teilnahme am Verkehr (Nr. 4) zur Überwachung von Dieselfahrverboten erheben, speichern und verwenden. Eine verdeckte Datenerhebung soll nach Satz 2 nur zulässig sein, wenn der Zweck der Maßnahme durch eine offene Datenerhebung konkret und erheblich gefährdet werden würde. Absatz 2 erlaubt den zuständigen Landesbehörden den automatisierten Abruf der im ZFZR zu einem KFZ-Kennzeichen gespeicherten Fahrzeugdaten, nicht aber der Halterdaten. Die Regelung stellt klar, dass der Abruf aus dem ZFZR nur zum Zweck der Überwachung von Dieselfahrverboten erfolgen darf und weist die Prüfung, ob ein konkretes Fahrzeug einem im Gebiet der Verkehrsteilnahme angeordneten Dieselfahrverbot unterfällt, den Landesbehörden zu. Absatz 3 bestimmt, dass die Daten nach Absatz 1 Nr. 1 bis 4 und Absatz 2 durch die erhebenden Landesbehörden ausschließlich für die Verfolgung von „diesbezüglichen Ordnungswidrigkeiten“ an die dafür zuständigen Ordnungswidrigkeitenbehörden übermittelt werden dürfen. Die Übermittlung der Halterdaten an die Ordnungswidrigkeitenbehörden erfolgt dagegen direkt durch das KBA auf Grundlage von § 35 Abs. 1 Nr. 3 bzw. der geplanten Nr. 18 StVG. Nach Absatz 4 S. 1 sind die Daten unverzüglich zu löschen, sobald entweder feststeht, dass das Fahrzeug keinem Dieselfahrverbot unterfällt (sog. „Nichttrefferfall“) oder die Daten zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten an die zuständige Verwaltungsbehörde übermittelt worden sind (sog. „Trefferfall“). Gemäß Satz 2 sind die Daten in jedem Fall sechs Monate nach ihrer erstmaligen Erhebung zu löschen. Für die Löschung der übermittelten Daten bei den Ordnungswidrigkeitenbehörden stellt Absatz 5 die Geltung der entsprechenden Vorschriften für das Bußgeldverfahren klar. Gemäß Absatz 6 sollen insbesondere landesrechtliche Regelungen über die Überwachung des Straßenverkehrs unberührt bleiben. 3. Vereinbarkeit der geplanten Regelungen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Vorab ist anzumerken, dass die Vereinbarkeit von konkret auf Grundlage des Gesetzentwurfes durchgeführten Kontrollmaßnahmen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung für jeden Einzelfall festgestellt werden müsste. Die Entscheidung, ob und wie diese durchgeführt würden, obliegt den Behörden der Bundesländer. Der Gesetzentwurf enthält auch keine konkreten bundeseinheitlichen Vorgaben für die technische Umsetzung der Überwachungsmaßnahmen. Daher beschränken sich die folgenden Ausführungen auf allgemeine Erwägungen zur Vereinbarkeit der im Gesetzentwurf enthaltenen Ermächtigungsgrundlagen mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 6 3.1. Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Bildaufnahmen von Fahrzeuginsassen und Fahrzeugen sowie deren Kennzeichen unterfallen grundsätzlich dem grundrechtlichen Schutz des in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als informationelle Selbstbestimmung. Diese beschränkt sich nicht auf Informationen, die schon ihrer Art nach sensibel sind. Vielmehr gibt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin belangloses personenbezogenes Datum mehr.2 Maßgeblich für die Eröffnung des Schutzbereiches der informationellen Selbstbestimmung sei, ob je nach Ziel und Kontext der Datenerhebung sowie durch Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen bestehen können.3 Das BVerfG hat den Schutz der Persönlichkeitsrechte insbesondere mit Blick auf die Besonderheiten und Risiken elektronischer Datenverarbeitung zudem auf Gefährdungslagen im Vorfeld konkreter Bedrohungen von Rechtsgütern ausgeweitet: „Mittels elektronischer Datenverarbeitung sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person unbegrenzt speicherbar und jederzeit und ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar. Sie können darüber hinaus mit anderen Datensammlungen zusammengefügt werden, wodurch vielfältige Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten entstehen […]. Dadurch können weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die sowohl die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen als auch anschließende Eingriffe in seine Verhaltensfreiheit nach sich ziehen können […]. Eine weitere Besonderheit des Eingriffspotentials von Maßnahmen der elektronischen Datenverarbeitung liegt in der Menge der verarbeitbaren Daten, die auf konventionellem Wege gar nicht bewältigt werden könnte. Der mit solchen technischen Möglichkeiten einhergehenden gesteigerten Gefährdungslage entspricht der hierauf bezogene Grundrechtsschutz“4. Vor diesem Hintergrund sei das Interesse des Einzelnen, dass seine Informationen nicht automatisiert mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden, auch dann geschützt, wenn diese öffentlich wahrnehmbar sind.5 Dies gelte auch dann, wenn die Sichtbarkeit der Information wie im Falle von KFZ-Kennzeichen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 StVO gesetzlich vorgeschrieben ist.6 2 Vgl. BVerfGE 65, 1 (45); BVerfG, NJW 2007, 2464 (2466); NJW 2008, 1505 (1506 Rz. 66). 3 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1506 Rz. 66). 4 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1506 Rz. 63 f.). 5 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 64). 6 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 7 3.2. Eingriffe in den Schutzbereich Das BVerfG hat spezifische Kriterien formuliert, wann bereits die automatisierte Erhebung von Informationen als Eingriff in den Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung zu qualifizieren sei. Auch wenn die Erfassung eines größeren Datenbestandes letztlich nur Mittel zum Zweck für eine weitere Verkleinerung der Treffermenge ist, könne bereits in der Informationserhebung ein Eingriff liegen, soweit sie die Informationen für die Behörden verfügbar mache, auf diese Weise die Basis für einen nachfolgenden Abgleich mit Suchkriterien schaffe und ein verdichtetes Interesse der Behörde an den Daten bestehe.7 Die Schwelle zum Eingriff ist nach umstrittener8 Ansicht des BVerfG in Anbetracht des weiten Schutzbereichs der informationellen Selbstbestimmung dann nicht überschritten, wenn „Daten unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder spurenlos, anonym und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, ausgesondert werden. Zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung kommt es daher in den Fällen der elektronischen Kennzeichenerfassung dann nicht, wenn der Abgleich mit dem Fahndungsbestand unverzüglich vorgenommen wird und negativ ausfällt (sogenannter Nichttrefferfall) sowie zusätzlich rechtlich und technisch gesichert ist, dass die Daten anonym bleiben und sofort spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden.“9 Der Gesetzentwurf ermöglicht es den zuständigen Landesbehörden, in Geltungsbereichen von Dieselfahrverboten Kennzeichen, Bildaufnahmen von Fahrzeugen, Fahrern und faktisch auch von weiteren Fahrzeuginsassen sowie Angaben zu Zeit und Ort zu erheben. Die Landesbehörde kann mittels der erfassten Kennzeichen nach § 63c Abs. 2 StVG-E die im ZFZR gespeicherten Fahrzeugdaten automatisiert abrufen. Auf deren Grundlage prüft sie anschließend das Bestehen von Dieselfahrverboten. Dabei sind auch etwaige Ausnahmen (z. B. für Gewerbetreibende) zu berücksichtigen. Erst dann steht fest, ob es sich um einen echten Treffer, einen unechten Treffer (insb. im Fall von ausnahmsweise zugelassenen KFZ) oder einen Nichttreffer handelt. § 63c Abs. 2 StVG-E gestattet den Landesbehörden zwar nur den automatisierten Abruf der Fahrzeugdaten aus dem ZFZR und damit gerade nicht auch der Halterdaten. Die Fahrzeugdaten und Kennzeichen besitzen jedoch aufgrund der gleichzeitig erhobenen Bildaufnahmen von Fahrzeug und Fahrzeuginsassen einen gegenüber der isolierten Erfassung von KFZ-Kennzeichen erheblich stärkeren Personenbezug. Die Bildaufnahmen dienen nach der erkennbaren Zielstellung der Regelung des § 63c StVG-E der Identifizierung der Fahrer durch die zuständigen Landesbehörden. Daher ist auch ein verdichtetes Interesse der Behörden an den nach § 63c Abs. 1 und 2 StVG-E 7 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 1939 (1941 Rz. 74); NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 65). 8 Vgl. Ziebarth in: CR 2015, 687 und Breyer in: NVwZ 2008, 822 (824 f.). 9 BVerfG, NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 68), vgl. auch BVerwG Urteil vom 22. Oktober 2014, Az. 6 C 7/13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 8 erhobenen Daten anzunehmen. Bei Bildaufnahmen, bei denen Fahrer und Kennzeichen identifizierbar sind, nimmt auch das BVerfG in ständiger Rechtsprechung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung an.10 Zudem stellt der Gesetzentwurf nicht sicher, dass der Abgleich der Fahrzeugdaten mit dem Zentralen Fahrzeugregister und die Feststellung der Geltung eines Dieselfahrverbotes durch die Landesbehörden unverzüglich erfolgt und die Daten ohne weitere Auswertung sofort wieder gelöscht werden.11 § 63c StVG-E enthält außer der Höchstfrist von sechs Monaten für die Speicherdauer keine näheren zeitliche Vorgaben, wann der Abgleich mit dem ZFZR und die Feststellung des Eingreifens von Dieselfahrverboten durch die Landesbehörden vorgenommen werden müssen. Da gemäß § 36 Abs. 2i Hs. 2 StVG-E das automatisierte Abrufverfahren auch nicht durch Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums näher geregelt wird, lässt sich der Zeitpunkt des Abgleichs auch so nicht mittelbar näher bestimmen. Entsprechende zeitliche Vorgaben ergeben sich auch nicht aus den speziellen Löschfristen nach § 63c Abs. 4 Nr. 1 und 2 StVG-E, da diese jeweils erst dann die unverzügliche Löschung verlangen, wenn feststeht, ob das KFZ einem Dieselfahrverbot unterliegt. Insbesondere in sog. „unechten Trefferfällen“, bei denen ein Fahrzeug zwar dem Typ nach vom jeweiligen Fahrverbot erfasst ist, jedoch etwaige Ausnahmen (bspw. für Anwohner oder Gewerbetreibende) eingreifen, ist eine weitere Prüfung erforderlich. Aber auch das Vorliegen von (echten) Trefferfällen und Nichttrefferfällen ist dem ZFZR selbst nicht unmittelbar zu entnehmen, sondern erst anhand der dort gespeicherten Fahrzeugdaten jeweils im Einzelfall durch die Landesbehörden zu ermitteln. Im Ergebnis dürfte nach den Maßstäben des BVerfG bereits in jeder Erfassung der Kennzeichen und Bildaufnahmen auf Grundlage des § 63c StVG-E ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung des Fahrzeughalters, des Fahrers des KFZ sowie ggf. weiterer Fahrzeuginsassen zu sehen sein. Nach § 63c Abs. 2 StVG-E sind die Daten der Halter nicht vom automatisierten Abruf aus dem ZFZR umfasst und diese mithin nicht direkt von auf Grundlage von §§ 63c Abs. 1 und 2 StVG-E durchgeführten Eingriffen betroffen, wenngleich sich mittels der erhobenen Kennzeichen mittelbar auch ein Bezug zu den Haltern der KFZ herstellen lässt. 3.3. Rechtfertigung der Eingriffe Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne muss vielmehr solche Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, die durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt sind.12 Diese Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die insbesondere das Gebot der Normenklarheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss.13 10 Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2010 – 2 BvR 1447/10 –, juris m w. N. in Rz. 13. 11 BVerfG NJW 2008, 1505 (1506 Rz. 62). 12 Vgl. BVerfGE 65, 1 (43f.); NJW 2006, 1939 (1941 Rz. 81). 13 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 9 3.3.1. Bestimmtheit und Normklarheit Das Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass der Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe selbst trifft, dass Regierung und Verwaltung im Gesetz steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und dass die Gerichte eine wirksame Rechtskontrolle durchführen können.14 Gleichzeitig sollen Bestimmtheit und Klarheit der Norm dafür sorgen, dass sich der betroffene Bürger auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann.15 In Bezug auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung fordert das BVerfG in ständiger Rechtsprechung insbesondere die spezifische Umgrenzung des Anlasses der Maßnahme sowie des möglichen Verwendungszwecks.16 Diese Anforderungen wurden von den Vorschriften zur automatisierten Kennzeichenerfassung in Hamburg und Schleswig-Holstein, die Gegenstand einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2008 waren, nicht erfüllt. Diese erlaubten die Kennzeichenerfassung zum Zwecke des Abgleichs mit dem Fahndungsbestand, wobei weder klar war, aus welchem Anlass ein Datenabgleich erfolgte, noch hinreichend bestimmt war, welche Dateien, Datenbanken oder Verzeichnisse vom Begriff des Fahndungsbestands umfasst sein sollten.17 Demgegenüber beschränkt § 63c Abs. 1 S. 1 StVG-E den Anlass und den Zweck der Erhebung, Speicherung und Verwendung der Daten auf die Überwachung von Dieselfahrverboten und sieht keine Möglichkeit einer Zweckänderung18 vor. In den einzelnen Absätzen des § 63c StVG-E wird jeweils konkret bezeichnet, welche Daten erhoben, verarbeitet bzw. übermittelt werden dürfen. Ferner ist in § 63c Abs. 2 StVG-E durch die Benennung des ZFZR klar bestimmt, mit welchem Datenbestand ein Abgleich der erfassten Kennzeichen erfolgt. § 63c Abs. 1 S. 1 StVG-E enthält zudem eine ausdrückliche Regelung der Zulässigkeit verdeckter Maßnahmen. Insoweit ist keine offensichtliche Verletzung des Gebots der Bestimmtheit und Normklarheit erkennbar. § 63c StVG regelt zwar nicht näher, wann der Abruf der Fahrzeugdaten aus dem ZFZR und die Prüfung des Eingreifens eines Dieselfahrverbots für das konkrete Fahrzeug durch die Landesbehörden erfolgen muss. § 63c Abs. 4 S. 2 StVG-E stellt jedoch klar, dass die nach Absatz 1 erhobenen Daten spätestens nach sechs Monaten gelöscht werden müssen. Dies dürfte dem Bestimmtheitsgebot genügen. Die Daten nach Abs. 1 Nr. 1 bis 4 und Abs. 2 dürfen ausschließlich für die Verfolgung von „diesbezüglichen Ordnungswidrigkeiten“ an die dafür zuständigen Ordnungswidrigkeitenbehörden übermittelt werden. Der geforderte Bezug zwischen den genannten Daten und der Art der Ordnungswidrigkeit wird nicht näher konkretisiert. Nach teleologischer Auslegung der Norm dürfte 14 BVerfG NJW 2008, 1505 (1509 Rz. 94 m.w.N.). 15 Ebenda. 16 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1509 Rz. 96). 17 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1509 Rz. 98 ff.). 18 Vgl. zur Zulässigkeit von Änderungen des Zweckes der Datenverarbeitung BVerfG, Beschluss vom 10. März 2008, Az. 1 BvR 2388/03, juris (m. w. N. in Rz. 91). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 10 nicht nur ein Bezug der Ordnungswidrigkeit zur jeweiligen Art der Daten (bspw. Fahrzeugmerkmale, Kennzeichen), sondern auch zum Zweck der Datenerhebung und -verarbeitung nach Abs. 1 und 2, also der Überwachung von Dieselfahrverboten, gemeint sein. Mithin sind auch Anlass und Zweck der Übermittlung der erhobenen Daten an andere Behörden hinreichend bestimmt geregelt. Während § 63c Abs. 3 StVG-E b die Zulässigkeit der Übermittlung der Daten auf die Durchführung von Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die zuständigen Behörden und mithin auf repressive Zwecke beschränkt, lässt der Wortlaut der § 63c Abs. 1 und 2 StVG-E offen, ob die danach jeweils zulässige Datenverarbeitung zur „Überwachung“ von Dieselfahrverboten ausschließlich oder im Schwerpunkt präventiven oder repressiven Zwecken oder beidem dient. Der Begriff der „Überwachung “ kann nach allgemeinem Begriffsverständnis sowohl Maßnahmen zur Gefahrenabwehr als auch zur Kontrolle von bußgeldbewährten Verstößen gegen Dieselfahrverbote umfassen. Dies legt die Kombination beider Zwecke nahe. Die Ausführungen des BVerfG zum Kennzeichenabgleich mit sog. „Misch-Dateien“19 enthalten keine Vorgaben, in welcher Weise eine Kombination von repressiven und präventiven Zwecken im Wortlaut von Ermächtigungsgrundlagen kenntlich gemacht werden muss. Vor diesem Hintergrund kann nicht eindeutig geklärt werden, ob der hinsichtlich der Kombination präventiver sowie repressiver Zwecke offene Wortlaut der §§ 63c Abs. 1 und 2 StVG-E das Bestimmtheitsgebot verletzt. 3.3.2. Verhältnismäßigkeit Die Verhältnismäßigkeit einzelner Kontrollmaßnahmen ist in jedem Einzelfall gesondert festzustellen und setzt voraus, dass die jeweils zu überwachenden Dieselfahrverbote20 ihrerseits verhältnismäßig sind. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die im Gesetzentwurf allgemein für die Überwachung von Dieselfahrverboten vorgesehenen Eingriffsermächtigungen. Auch diese müssen entsprechend dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Verfolgung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. 3.3.2.1. Legitimer Zweck Die Datenerhebung und -verarbeitung erfolgt zur Überwachung von Dieselfahrverboten, die ihrerseits die Luftreinhaltung21 bezwecken. Diese dient vor allem dem Schutz der menschlichen Gesundheit vor Beeinträchtigungen durch in KFZ-Abgasen enthaltene Stickoxiden. Die körperliche Unversehrtheit von Personen ist in Art. 2 Abs. 2 GG verbürgt. Daneben kommt die Luftreinhaltung auch dem als Staatsziel in Art. 20a GG verankerten Umweltschutz zugute. Die geplanten Regelungen zur Überwachung von Dieselfahrverboten verfolgen damit grundsätzlich legitime Zwecke. 19 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1513 Rz. 151). 20 Zum Aspekt der gesetzlichen Regelung der Verhältnismäßigkeit von Dieselfahrverboten in § 40 Abs. 1a BImSchG-E vgl. WD 7 - 3000 - 238/18. 21 Vgl. die Urteile des BVerwG vom 27. Februar 2018, Az. 7 C26/16 und 7 C 30/17, juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 11 3.3.2.2. Geeignetheit Die in § 63c StVG-E vorgesehene Erhebung und Verarbeitung von Daten ermöglicht eine effektive Kontrolle von Dieselfahrverboten bezüglich aller Fahrzeuge, deren Fahrzeugdaten im ZFZR gespeichert sind. Nicht erfasst sind dort die Kennzeichen ausländischer KFZ sowie gefälschte Kennzeichen. Ein entsprechender Abgleich ist nach der Richtlinie 2015/413/EU22 auch zwischen EU-Mitgliedstaaten nicht zur Überwachung von Dieselfahrverboten vorgesehen. Dies lässt aber die grundsätzliche Eignung der in § 63c StVG-E vorgesehenen Maßnahmen nicht entfallen. 3.3.2.3. Erforderlichkeit Die im Entwurf vorgesehen Ermächtigungsgrundlagen sind erforderlich, sofern kein gleich wirksames , die Grundrechtsträger aber weniger beeinträchtigendes Mittel zur Verfügung steht. Die folgenden Ausführungen stellen keinen vollständigen Überblick über sämtlich denkbaren Maßnahmen zur Überwachung von Dieselfahrverboten dar, sondern beschränken sich auf die bisher praktizierten bzw. aktuell in der Öffentlichkeit und im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Vorschläge . 3.3.2.3.1. Nicht-automatisierte Verkehrskontrollen Eine nicht-automatisierte Kontrolle des Verkehrs ist nach derzeitiger Rechtslage die einzige Möglichkeit zur Überwachung von Dieselfahrverboten. Diese wäre auch nach Einführung von § 63c StVG-E weiterhin zulässig. Bislang existiert keine gesetzlich geregelte Kennzeichnung23 von Fahrzeugen etwa in Form einer „blauen Plakette“, die es ermöglicht, bereits durch bloßen Augenschein eindeutig festzustellen, ob ein Dieselfahrverbot für das konkrete Fahrzeug besteht. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dürfte damit der Vollzug von Verkehrsverboten jedenfalls deutlich erschwert sein.24 Eine Überwachung von Dieselfahrverboten durch Kontrollen des ruhenden Verkehrs wäre ohne die Einführung automatisierter Kontrollen nur mittels Abfragen der im ZFZR gespeicherten Fahrzeugdaten auf Grundlage von § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 1a i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 3 StVG möglich. Die nicht-automatisierte Überwachung von Dieselfahrverboten mittels Kontrollen des fließenden Verkehrs kann auch ohne gesonderte Kennzeichnung von KFZ anhand der in der Zulassungsbescheinigung Teil I eingetragenen Fahrzeugdaten erfolgen. Anders als bei einem automatisierten Abgleich mit dem ZFZR werden dabei auch ausländische KFZ sowie KFZ mit gefälschten Kennzeichen erfasst. Die bessere Sichtbarkeit der Verkehrskontrollen erhöht auch gegenüber einer offen 22 Richtlinie (EU) 2015/413 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte , ABl. L 68 vom 13. März 2015, S. 9. 23 Vgl. den entsprechenden Entwurf einer Verordnung zur Änderung der fünfunddreißigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung - 35. BImSchV), BR-Drs. 617/16. 24 Vgl. die Urteile des BVerwG vom 27. Februar 2018, Az. 7 C26/16, juris Rz. 61 und 7 C 30/17, juris Rz. 62. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 12 durchgeführten automatisierten Erfassung von Kennzeichen und Bildaufnahmen regelmäßig die Chance, Rechtsschutz suchen zu können. Allerdings verursachen allgemeine oder stichprobenartige Verkehrskontrollen in der Regel nicht unerhebliche Verzögerungen im Verkehrsfluss. Diese können insbesondere in größeren Ballungsräumen mit hohem Verkehrsaufkommen, in denen Dieselfahrverbote bestehen, erhebliche Beeinträchtigungen der Betroffenen sowie der Allgemeinheit begründen. Zudem erfordern sowohl die Kontrolle des fließenden Verkehrs als auch die Parkraumüberwachung erhebliche Personalkapazitäten und sind deshalb nicht ununterbrochen, hochfrequent bzw. jederzeit möglich. Zumindest hinsichtlich der im ZFZR erfassten KFZ erreichen sie daher nicht den Wirkungsgrad der automatisierten Datenerfassung nach § 63c StVG-E. Die nicht-automatisierte Kontrolle mittels Personal der Landespolizeibehörden ist infolgedessen gegenüber der in § 63c STVG-E vorgesehenen automatisierten Kontrolle jedenfalls nicht gleich wirksam. 3.3.2.3.2. Begrenzung des Kreises der Betroffenen Als mildere Maßnahme käme grundsätzlich auch eine Beschränkung des Kreises der Betroffenen mittels visueller oder technischer Kennzeichnung von KFZ in Betracht. Dieselfahrverbote können nicht allein anhand von bereits bestehenden grünen, gelben und roten Plaketten für Umweltzonen kontrolliert werden, da sich diese nicht konkret auf die für die Dieselfahrverbote maßgeblichen Grenzwerte für die Emission von Stickoxiden beziehen. Die Schaffung einer entsprechenden blauen Plakette für „saubere“ Dieselfahrzeuge wird derzeit vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur abgelehnt, aber voraussichtlich in der 973. Sitzung des Bundesrates am 14. Dezember 2018 erneut beraten.25 Bereits zur Einführung der ersten Dieselfahrverbote in Hamburg wurde ferner auch die Einführung von speziellen Etiketten, in die ein per Funk auslesbarer sog. RFID-Chip integriert ist, diskutiert. Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Kennzeichnung von KFZ mit auch heimlich auslesbaren RFID-Chips aufgrund der derzeit nicht abschätzbaren Missbrauchsgefahr26 zu zusätzlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen führen kann. Vor diesem Hintergrund ist nicht eindeutig feststellbar, ob es sich bei einer RFID-basierten gezielten Kontrolle von Dieselfahrverboten tatsächlich um eine mildere Maßnahme handelt. 3.3.2.3.3. Stärkere zeitliche Begrenzung der Eingriffsdauer Denkbar erscheint grundsätzlich eine stärkere Begrenzung der Eingriffsdauer, indem § 63c StVG-E insbesondere dahingehend ergänzt wird, dass sowohl der Abruf der Fahrzeugdaten aus dem ZFZR als auch die Prüfung des Eingreifens von Dieselfahrzeugen durch die Landesbehörden unverzüglich vorzunehmen ist. Sollte die Prüfung zwar unverzüglich begonnen werden können, aber längere 25 Vgl. TOP 25A der Tagesordnung, abrufbar unter https://www.bundesrat.de/DE/plenum/bundesrat-kompakt /18/973/25a.html?nn=4352768#top-25a. 26 Vgl. die Informationen der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit unter https://www.bfdi.bund.de/DE/Datenschutz/Themen/Technische_Anwendungen/TechnischeAnwendungenArtikel /RFID-FunkchipsFuerJedeGelegenheit.html sowie die Einschätzung des ADAC zu RFID-Chips unter https://adac-blog.de/rfid-chip-kennzeichen/. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 13 Zeit in Anspruch nehmen, müsste die Löschung entsprechend der in § 63c Abs. 4 S. 2 StVG-E vorgesehenen Höchstfrist dennoch spätestens nach sechs Monaten erfolgen. Gegebenenfalls wäre auch zu prüfen, ob diese Höchstfrist ebenfalls weiter reduziert werden kann. Die dabei maßgebliche Abwägung zwischen dem Zweck und der Effektivität und Durchführbarkeit der Überwachungsmaßnahmen und der Art und Intensität der Eingriffe ist vor allem eine Frage der Angemessenheit der Regelung. 3.3.2.4. Angemessenheit Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf eine staatliche Maßnahme auch dann, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich ist, nicht außer Verhältnis zum Zweck bzw. zum Ziel der Maßnahme stehen. Dies erfordert eine Abwägung zwischen dem Nutzen der nach dem Gesetzentwurf zulässigen Maßnahmen und den durch diese verursachten Beeinträchtigungen . Die Anforderungen an die Angemessenheit der Regelungen richten sich nach dem Gewicht des Eingriffs. Dieses ist insbesondere anhand der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Art der möglichen Verwertung der Daten zu bestimmen. Die Intensität des Eingriffs für den Grundrechtsträger wird davon beeinflusst, welche über die Informationserhebung hinausgehenden Nachteile ihm aufgrund der Maßnahme drohen oder von ihm nicht ohne Grund befürchtet werden.27 Die Schwere des Eingriffs nimmt nach Ansicht des BVerfG insbesondere mit der Möglichkeit der Verknüpfung und Nutzung der Daten für Folgeeingriffe zu.28 Die automatisierte Erhebung von Daten gemäß § 63c Abs. 1 StVG-E richtet sich im Schwerpunkt auf öffentlich wahrnehmbare Informationen wie KFZ-Kennzeichen, Außenansicht des Fahrzeugs samt Fahrer und sonstiger Fahrzeuginsassen. Dies reduziert grundsätzlich die Eingriffsqualität.29 Zusätzlich werden gemäß § 63c Abs. 2 StVG-E die Fahrzeugdaten aus dem nicht öffentlich zugänglichen ZFZR abgerufen. Die für das Bestehen der Dieselfahrverbote relevanten Fahrzeugmerkmale wie Fahrzeugtyp und weitere technische Merkmale sind jedoch keine geheimen, sondern dürften in der Regel ebenfalls für Jedermann insbesondere anhand der im Internet veröffentlichten Informationen der Autohersteller ermittelbar sein. Im Falle einer automatisierten Kennzeichenerfassung „erlangt der Eingriff dadurch ein gewisses Gewicht, dass er die Wahrscheinlichkeit für anschließende staatliche Eingriffe anderer Art erhöht, wie etwa das Anhalten des Fahrzeugs, eine nachfolgende Identitätsfeststellung, gegebenenfalls auch eine Durchsuchung des Fahrzeugs oder eine Ingewahrsamnahme des Fahrers oder der Fahrzeuginsassen . Der Informationseingriff sei für sich genommen jedenfalls dann als nicht besonders intensiv anzusehen, wenn durch die Informationserhebung selbst weder weitere Schlüsse über das Verhalten des Betroffenen gezogen, noch die gewonnenen Informationen gesammelt oder mit 27 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 81 m.w.N.). 28 Vgl. BVerfG aaO. 29 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1508 Rz. 83); BVerfG NJW 2010, 2717 (Rz. 14). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 14 weiteren Informationen verknüpft werden sollen.30 Da die Pflichten zur unverzüglichen Löschung nach § 63c Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 2 StVG-E erst eingreifen, wenn endgültig feststeht, ob das konkrete KFZ von einem Dieselfahrverbot erfasst ist oder nicht, ermöglicht § 63c Abs. 4 S. 2 StVG-E jedoch faktisch häufig die Speicherung der Daten durch die erhebenden Landesbehörden bis zu sechs Monaten und eine entsprechende Sammlung der Daten. Zudem sind auch wenn der Gesetzentwurf den Zweck der Datenerhebung und -verarbeitung auf die Überwachung von Dieselfahrverboten beschränkt, zu diesem Zweck auch weitere, über § 63c StVG-E hinausgehende Maßnahmen auf Grundlage von Landesrecht zulässig (§ 63c Abs. 6 StVG-E). Damit ist für Betroffene nicht eindeutig erkennbar, in welcher Weise die Daten durch die erhebenden Landesbehörden genutzt werden. Der Sammlung von Daten über einen nicht nur völlig unerheblichen Zeitraum haftet darüber hinaus auch ein gegenüber einem unverzüglichen Abgleich und sofortiger Löschung erhöhtes Risiko unbefugter Zugriffe Dritter an. Hinsichtlich der konkreten Abwägung der von den geplanten Ermächtigungsgrundlagen betroffenen Interessen kann wie folgt näher differenziert werden: 3.3.2.4.1. Echte Treffer Die Fahrer von KFZ, die auch nach Prüfung aller etwaigen Ausnahmen in dem jeweiligen Gebiet der Verkehrsteilnahme einem Dieselfahrverbot unterliegen, haben durch ihr Verhalten selbst einen Anlass zur Datenerhebung und -verarbeitung gesetzt. Da sich diese nach § 63c Abs. 1 und 2 StVG-E wie dargestellt auch nur auf durch Jedermann wahrnehmbare Informationen bezieht, dürfte die Eingriffsintensität als eher gering einzuschätzen sein. Diese kann im konkreten Einzelfall durch die bis zu sechs Monate zulässige Speicherung und damit einhergehende erweiterte Nutzungsmöglichkeit sowie Missbrauchsrisiken verstärkt werden. Zwar stellen Verstöße gegen Dieselfahrverbote lediglich Ordnungswidrigkeiten dar, die in der Regel nur mit Bußgeldern zwischen 20 und 80 € geahndet werden.31 Trotz der verhältnismäßig geringen Sanktion gegenüber dem Einzelnen, bleibt doch jeder Verstoß rechtswidrig und ermöglicht auch präventive Maßnahmen, um die Geltung von Dieselfahrverboten effektiv kontrollieren und massenhafte Verstöße unterbinden zu können. Die Rechtsprechung erkennt insbesondere aufgrund des zunehmenden Straßenverkehrs ein nicht nur unerhebliches öffentliches Interesse am Schutz der menschlichen Gesundheit vor in Dieselabgasen enthaltenen Stickoxiden an.32 Vor diesem Hintergrund erscheint die automatisierte Erfassung von Kennzeichen und Bildaufnahmen von Fahrern und Fahrzeugen in echten Trefferfällen nicht offensichtlich unverhältnismäßig, wenngleich eine generelle Begrenzung der Eingriffsdauer33 erforderlich sein dürfte. 30 BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 82). 31 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf Frage 19 und 20 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Oliver Luksic, Frank Sitta, Grigoris Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP betreffend „Diesel Konzept der Bundesregierung aus dem Koalitionsausschuss vom 1. Oktober 2018“ (BT-Drs. 19/4998), BT-Drs. 19/5628 S. 5. 32 Vgl. insbesondere die Urteile des BVerwG vom 27. Februar 2018, Az. 7 C26/16 und 7 C 30/17, juris. 33 S. dazu oben unter 3.3.2.3.3 (S. 12). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 15 3.3.2.4.2. Unechte Treffer Im Falle der sog. unechten Treffer setzen die Fahrer der KFZ ebenfalls einen verhaltensbezogenen Anlass zur Erhebung und Verarbeitung ihrer Daten, da die Fahrzeuge grundsätzlich nach ihren technischen Merkmalen dem Dieselfahrverbot unterfallen und Stickoxide über den jeweiligen Grenzwerten emittieren. Ob die Teilnahme der Fahrzeuge am Straßenverkehr im Geltungsbereich des jeweiligen Dieselfahrverbots ausnahmsweise zugelassen ist, ergibt sich erst nach einer Prüfung weiterer Tatsachen (z. B. Qualifizierung als Anlieger oder Gewerbetreibender) durch die zuständigen Landesbehörden. Die Verhältnismäßigkeit ist insoweit in erhöhtem Maße von der konkreten Ausgestaltung der Verfahren in den jeweiligen Dieselfahrverbotsgebieten abhängig. Die Frage, wie und anhand welcher weiterer Daten bzw. Datenbestände die Prüfung genau erfolgt, ist in § 63c StVG-E selbst nicht geregelt, sondern obliegt ebenso wie die Ausgestaltung der Ausnahmen von den jeweiligen Dieselfahrverboten der Entscheidung der zuständigen Landesbehörden. 3.3.2.4.3. Nichttreffer Informationserhebungen gegenüber Personen, die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, sind grundsätzlich von höherer Eingriffsintensität als anlassbezogene.34 Fehlt eine Nähebeziehung zwischen den durch die Regelung geschützten Rechtsgütern und dem Verhalten der Betroffenen, muss dieses Defizit nach der Rechtsprechung des BVerfG auf andere Weise kompensiert werden, um die Uferlosigkeit der Ermächtigung auszuschließen. Der Gesetzgeber könne die Ermächtigung so gestalten, dass auf deren Grundlage keine nennenswerte Beeinträchtigung von Betroffenen erfolge oder den Tatbestand der Eingriffsnorm eng begrenzen.35 Die Datenerhebung und -verarbeitung wird gemäß § 63c StVG-E räumlich sowie sachlich auf die Überwachung von Dieselfahrverboten begrenzt. Vorgaben bezüglich der Dauer oder eines stichprobenartigen Charakters der automatisierten Überwachungsmaßnahmen enthält der Entwurf nicht. Ob diese Begrenzung der in § 63c StVG-E enthaltenen Eingriffsermächtigung genügt, hängt von der konkreten Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen ab. Da nicht nur die Kennzeichen sondern gleichzeitig auch Bildaufnahmen der Fahrzeuge und Fahrer erfasst und bis zu sechs Monaten gespeichert werden können, dürften die Maßnahmen keine lediglich unerhebliche Eingriffsintensität aufweisen. Bei der automatisierten seriellen Erfassung von Daten einer großen Zahl von Personen, die keinen Erhebungsanlass gegeben haben, können allgemeine Einschüchterungseffekte entstehen, die zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung von Grundrechten führen können.36 Die Unbefangenheit des Verhaltens werde nach Ansicht des BVerfG insbesondere dadurch gefährdet, dass die Streubreite solcher Maßnahmen dazu beiträgt, dass Risiken des Missbrauchs und ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen. § 63c StVG-E schreibt keinen unverzüglichen Abgleich der Kennzeichen mit dem ZFZR sowie eine unverzügliche Prüfung des Eingreifens eines Dieselfahrverbots 34 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 78 m.w.N.). 35 Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939 (1946 f. Rz. 140). 36 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 78). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 16 für das jeweilige Fahrzeug vor. Da § 63c StVG-E auch die Dauer der Prüfung nicht näher begrenzt, ist die Speicherdauer der nach § 63c Abs. 1 und 2 StVG-E erhobenen Daten nur durch die Höchstfrist von sechs Monaten begrenzt (§ 63c Abs. 4 S. 2 StVG-E). § 63c StVG-E schließt auch eine Sammlung entsprechender Daten nicht aus. Die damit verbundenen Einschüchterungseffekte dürften die Eingriffsintensität zusätzlich erhöhen. Abgemildert wird die Eingriffsintensität der Erfassung der Kennzeichen und Bildaufnahmen auf Grundlage von § 63c StVG-E dadurch, dass diese anders als eine flächendeckende Rasterfahndung nur in Geltungsbereichen und zur Überwachung von Dieselfahrverboten möglich ist. Diese können sich aber auch auf große und verkehrstechnisch bedeutsame Bereiche erstrecken. Im Falle einer flächendeckenden Rasterfahndung sei die Erfassung von Daten von Personen, die selbst keinen Anlass für die Maßnahme gesetzt haben, nach dem BVerfG nicht bereits aufgrund einer allgemeinen Bedrohungslage zulässig, sondern erfordere eine konkrete Gefahr etwa für die Vorbereitung und Durchführung terroristischer Anschläge.37 Allein auf Grundlage dieser Rechtsprechung kann nicht eindeutig geklärt werden, ob und ab welchem durch Stickstoffausstoß begründeten Grad der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt eine automatisierte, anlasslose Erfassung von Daten zur Überwachung von räumlich begrenzten Dieselfahrverboten zulässig ist. Auch wenn im Einzelfall aufgrund der starken Überschreitung von Grenzwerten für die Stickstoffbelastung ein großes öffentliches Interesse an der Kontrolle von Dieselfahrverboten zum Schutz der menschlichen Gesundheit anzuerkennen ist, könnte die Intensität des Eingriffs in Nichttrefferfällen gegebenenfalls gebieten, die automatisierte Erfassung von Kennzeichen und Bildaufnahmen von Fahrzeug und Fahrern über eine räumliche Beschränkung hinaus auch hinsichtlich des Kreises der Betroffenen stärker bundeseinheitlich zu begrenzen. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass die Datenerhebung gemäß § 63c Abs. 1 S. 2 StVG-E auch verdeckt durchgeführt werden kann, wenn ihr Zweck, d.h. die konkrete Überwachung der Dieselfahrverbote, andernfalls konkret und erheblich gefährdet wäre. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden staatlichen Ermittlungsmaßnahme erhöht regelmäßig das Gewicht des Eingriffs, da dem Betroffenen vorheriger Rechtsschutz faktisch verwehrt wird und nachträglicher Rechtsschutz zumindest erschwert werden kann. Die Heimlichkeit staatlicher Informationseingriffe betreffe nach Ansicht des BVerfG darüber hinaus die Gesellschaft insgesamt.38 3.3.2.4.4. Bildaufnahmen sonstiger Fahrzeuginsassen Sonstige Fahrzeuginsassen setzen ebenfalls selbst durch ihr Verhalten keinen Anlass für die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen, da sie weder Halter noch Fahrer der KFZ sind. Insofern lassen sich die Erwägungen unter 3.3.2.4.3. sinngemäß auch auf die Fälle übertragen, in denen echte oder unechte Treffer hinsichtlich der Geltung von Dieselfahrverboten für die jeweiligen KFZ vorliegen. Im Falle der Herstellung von Bildaufnahmen zum Zwecke der Verfolgung von Geschwindigkeitsübertretungen hat das BVerfG die Subsidiaritätsklausel des § 100h Abs. 3 StPO in Verbindung 37 Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939. 38 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 79 m.w.N.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 414/18 Seite 17 mit § 46 Abs. 1 OWiG in die Grundrechtsprüfung einbezogen. Danach dürfen andere Personen von der Maßnahme nur betroffen sein, wenn dies unvermeidbar ist. Auch wenn mit § 63c StVG-E offenbar eine gegenüber den Ermittlungsmaßnahmen nach § 100h StPO eigenständige Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden soll, ist die Grundsituation vergleichbar. Dies könnte für eine Übertragung des in § 100h StPO aufgezeigten Maßstabes bezüglich sonstiger Fahrzeuginsassen sprechen. Da § 63c StVG-E nicht ausschließt, dass eine Sammlung von Daten erfolgt, also im Einzelfall nicht lediglich einzelne Aufnahmen vorliegen können und damit verbundene Einschüchterungseffekte zu einer Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten führen können, könnte eine weitere bundeseinheitliche Einschränkung der im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen angezeigt sein. Ob es technisch möglich ist, Bildausschnitte, auf denen weitere Fahrzeuginsassen abgebildet sind, unkenntlich zu machen oder auszusondern, kann nicht abschließend beurteilt werden. Die entsprechende technische Ausgestaltung der Anlagen zur automatisierten Erfassung und Verarbeitung der Bildaufnahmen obliegt nach § 63c StVG-E zudem den Bundesländern. ***