© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 408/18 Zusammenlegung der Behörden für Verfassungsschutz von Bund und Ländern Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 408/18 Seite 2 Zusammenlegung der Behörden für Verfassungsschutz von Bund und Ländern Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 408/18 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 408/18 Seite 3 1. Fragestellung Es stellen sich die folgenden Fragen: – In welchen Bereichen kann es zurzeit zu Doppelzuständigkeiten der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) kommen? – Welche Möglichkeiten bestehen, einzelne Aufgabengebiete der LfVs im Sinne einer Spezialisierung bzw. Aufgabenteilung bei einem LfV zu bündeln? – Ist es (verfassungs-)rechtlich möglich, einzelne LfVs zu einer Art „Regionalamt für Verfassungsschutz“ zusammenzulegen (z.B. die LfVs von Niedersachen, Schleswig-Holstein und Hamburg zu einem „Regionalamt Nord-West“)? – Welche Auswirkungen hätte die Zusammenlegung von LfVs auf die parlamentarische Kontrolle? – Wäre es möglich, alle LfVs vollständig in das BfV einzugliedern? 2. Doppelzuständigkeiten Im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) sind Doppelzuständigkeiten angelegt. Das BVerfSchG sieht daher eine laufende Abstimmung zwischen BfV und Landesbehörden vor: – § 5 Abs. 1 S. 1: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf in einem Lande im Benehmen mit der Landesbehörde für Verfassungsschutz Informationen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen im Sinne des § 3 sammeln.“ – § 5 Abs. 2 S. 1: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet unbeschadet der Auswertungsverpflichtungen der Landesbehörden für Verfassungsschutz zentral alle Erkenntnisse über Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne des § 3 Absatz 1 aus. Es unterrichtet die Landesbehörden für Verfassungsschutz […].“ Die folgenden Tätigkeiten fallen in die Alleinzuständigkeit des BfV (Hervorhebungen durch Autor): – § 5 Abs. 3 S. 1: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz koordiniert die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden.“ – § 5 Abs. 4: Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterstützt als Zentralstelle die Landesbehörden für Verfassungsschutz bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 3 insbesondere durch 1. Bereitstellung des nachrichtendienstlichen Informationssystems (§ 6 Absatz 2), 2. zentrale Einrichtungen im Bereich besonderer technischer und fachlicher Fähigkeiten, 3. Erforschung und Entwicklung von Methoden und Arbeitsweisen im Verfassungsschutz und 4. Fortbildung in speziellen Arbeitsbereichen.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 408/18 Seite 4 – § 5 Abs. 5: „Dem Bundesamt für Verfassungsschutz obliegt der für Aufgaben nach § 3 erforderliche Dienstverkehr mit zuständigen öffentlichen Stellen anderer Staaten. Die Landesbehörden für Verfassungsschutz können solchen Dienstverkehr führen 1. mit den Dienststellen der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte, 2. mit den Nachrichtendiensten angrenzender Nachbarstaaten in regionalen Angelegenheiten oder 3. im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz.“ 3. Länderübergreifende Bündelung von Aufgabengebieten Die Bundesländer können bestimmte Aufgaben in der Behörde eines Landes bündeln. Beispiele sind länderübergreifend zuständige Prüfungsämter1 oder Medienanstalten.2 Sofern die Aufgabenbündelung keine Grundrechtsrelevanz hat, lässt sie sich per Verwaltungsabkommen regeln.3 Dies wäre im Bereich der Nachrichtendienste z. B. denkbar bei der allgemeinen technischen Analyse der Sicherheit von IT-Systemen gegen Angriffe von außen. Besteht jedoch eine Grundrechtsrelevanz , ist ein Staatsvertrag der beteiligten Länder notwendig.4 Dies wäre z. B. bei der gemeinsamen Erhebung personenbezogener Daten der Fall. Der Staatsvertrag wird durch parlamentarische Zustimmung in Landesrecht transformiert und entfaltet erst so eine einem Gesetz zukommende Außenwirkung.5 4. Länderübergreifende Behörden 4.1. Rechtlicher Handlungsspielraum Hier gilt das zu Punkt 3 Gesagte entsprechend. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Einrichtung einer länderübergreifenden Behörde regelmäßig Grundrechtsrelevanz hat. Ferner dürfte eine Gesetzesgrundlage auch schon aus beamtenrechtlichen Gründen erforderlich sein, um die Rechtsverhältnisse der verbeamteten Mitarbeiter klarzustellen. Damit dürfte regelmäßig ein Staatsvertrag erforderlich sein. 4.2. Parlamentarische Kontrolle Die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste besteht insbesondere aus dem parlamentarischen Informationsrecht (Fragerecht), dem Recht der Untersuchungsausschüsse und den Gremien zur 1 Z. B. „Staatsvertrag über die Einrichtung eines gemeinsamen Studienganges für den Amtsanwaltsdienst und die Errichtung eines gemeinsamen Prüfungsamtes für die Abnahme der Amtsanwaltsprüfung vom 4. September 2007“ (13 unterzeichnende Länder), https://bravors.brandenburg.de/vertraege/amtsanwaltstv_2008. 2 Z. B. „Medienanstalt Berlin-Brandenburg“, https://www.mabb.de/uber-die-mabb/aufgaben-und-rechtsgrundlagen .html. 3 Bortnikov, Staatsverträge der Länder, JuS 2017, 27 (28). 4 Bortnikov, JuS 2017, 27 (28). 5 Bortnikov, JuS 2017, 27 (28). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 408/18 Seite 5 Kontrolle der Nachrichtendienste (Parlamentarische Kontrollgremien). Es gilt der Grundsatz umfassender und wirksamer Kontrolle: „[Der Gewaltenteilungsgrundsatz] […] gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung, zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in den der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung , eine Auslegung des Grundgesetzes dahin, dass parlamentarische Kontrolle auch tatsächlich wirksam werden kann. Ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben. Daher kommt dem parlamentarischen Informationsinteresse besonders hohes Gewicht zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung geht […].“6 Die Exekutive kann sich dieses Kontrollrechts des Parlaments nicht dadurch entledigen, dass sie ihre Aufgaben auf ein Unternehmen privater Rechtsform überträgt.7 Gleiches muss gelten, wenn die Exekutive einen anderen Hoheitsträger damit beauftragt, einen Teil ihrer Aufgaben zu erledigen (z. B. ein anderes Bundesland). Dies wirkt sich wie folgt aus: Ein Bundesland hat mit einem oder mehreren anderen Bundesländern einen Staatsvertrag abgeschlossen, um eine öffentliche Aufgabe durch die Behörde eines anderen Landes oder eine gemeinsame länderübergreifende Behörde wahrzunehmen. Der Staatsvertrag kann ausdrücklich vorsehen, dass die Behörde der parlamentarischen Kontrolle der Parlamente aller beteiligten Länder unterliegt. Fehlt es an einer solchen Regelung, ist der Staatsvertrag entsprechend verfassungskonform auszulegen. Dies folgt schon aus dem Prinzip der Bundestreue.8 Eine gemeinsame parlamentarische Kontrolle ist aus folgendem Grund eher problematisch: Die Informations- und Untersuchungsrechte stehen jedem Parlament der beteiligten Bundesländer zu. Daher kann z. B. nicht ein Parlament die Informations- und Untersuchungsrechte für alle Parlamente wahrnehmen. Auch die Bildung eines gemeinsamen Kontrollgremiums zur parlamentarischen Kontrolle einer länderübergreifenden Behörde wäre problematisch. Für die Beschlussfassung wie auch die Ausübung von Minderheitsrechten ist die Zusammensetzung der Mitglieder in den jeweiligen Parlamenten entscheidend. Diese würde verwischt, wenn Parlamente mit unterschiedlichen Fraktionen und unterschiedlichen Sitzverteilungen ein gemeinsames Gremium bildeten. Dieses Gremium könnte schon denklogisch nicht die unterschiedliche Sitzverteilung mehrerer Parlamente gleichzeitig abbilden. Eher wäre denkbar, wenn sich die parlamentarischen Kontrollgremien mehrerer Länder zu gemeinsamen, sozusagen parallelen Sitzungen zusammenfänden . Dabei müsste jedoch jedes einzelne Gremium seine ihm eigenen Rechte autonom ausüben können. Gleichwohl könnte ein solches Vorgehen effizient sein, weil die Vertreter der Exekutive Stellungnahmen unter Umständen nur einmal vortragen müssten. Die Details hängen von der konkreten Ausgestaltung der gebündelten Aufgabenwahrnehmung ab. 6 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017, 2 BvE 2/11, Rn. 196. 7 BVerfG, Urteil vom 7. November 2017, 2 BvE 2/11, Ls. 3. 8 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 84. EL August 2018, Art. 20 Rn. 128. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 408/18 Seite 6 Anzumerken ist noch, dass auch eine parallele, voneinander unabhängige Kontrolle durch mehrere Landesparlamente bei gemeinsamen Landesbehörden nicht unproblematisch ist. Es stellen sich unter anderem folgende Fragen: Kann jedes Parlament jeden Sachverhalt kontrollieren, auch wenn er keinen Bezug zu dem betreffenden Land hat, und wie lässt sich dies abgrenzen? Unterliegt die Landesregierung, bei der die gemeinsame Behörde angesiedelt ist, der Kontrolle des Parlamentes eines anderen Landes? 5. Künftige Alleinzuständigkeit des Bundes Das Grundgesetz (GG) sieht für den Verfassungsschutz eine Zuständigkeit des Bundes und der Länder vor (Art. 70, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b GG). Der Bund hat hiernach nur die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder […] zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes (Verfassungsschutz)“. Über eine Änderung des Grundgesetzes (Art. 79 GG) ließe sich dem Bund die Alleinzuständigkeit für den Verfassungsschutz in Bund und Ländern zuweisen. In Umsetzung dieser Grundgesetzänderung ließen sich die Landesbehörden für Verfassungsschutz in die künftig allein zuständige Bundesbehörde integrieren. ***