Scharia und Grundrechte von Frauen in der Bundesrepublik - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 – 3000 - 406/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Scharia und Grundrechte von Frauen in der Bundesrepublik Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 406/08 Abschluss der Arbeit: 24. November 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. -Zusammenfassung- Das islamische Recht, die Scharia, unterscheidet zwischen religiösen Vorschriften, die das Verhältnis der Menschen zu Gott (Beten, Fasten etc.) regeln und rechtlichen Vorschriften für das Handeln der Menschen untereinander (Vertragsrecht, Familienrecht, Strafrecht etc.). Während die religiöse Normen der Scharia den Schutz der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG genießen, steht die Anwendung der rechtlichen Normen der Scharia unter dem Vorbehalt der Ordre-public Klausel des Internationalen Privatrechts. Verweist das Internationale Privatrecht in bestimmten Fällen auf die Vorschriften der Scharia, geben die Grundrechte und die deutsche Rechtsordnung den Rahmen vor, innerhalb dessen die Ergebnisse im Einzelfall überprüft werden müssen. Führt die Anwendung der Scharia zu einem Ergebnis, das im eklatanten Widerspruch zu der deutschen Rechtsordnung steht, darf sie zum Schutz der öffentlichen Ordnung nach dem Ordre-public Vorbehalt nicht herangezogen werden. Vorschriften der Scharia finden grundsätzlich im Strafrecht keine Anwendung. Auch sind anders als beispielsweise in Großbritannien und Kanada in Deutschland religiöse Schiedsgerichte verboten. Die Scharia sieht unterschiedliche Regelungen für Männer und Frauen und unterschiedliche Regelungen für die Religionszugehörigkeit vor. Diese Unterscheidungen widersprechen westlichen Wertvorstellungen und stehen im Konflikt mit dem grundgesetzlich geschützten Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG. Die Scharia regelt das Familienrecht, das die Eheschließung, die Scheidung und die Vormundschaft für Kinder regelt, grundsätzlich zugunsten des Mannes. Die Ergebnisse einer solchen Verweisung auf Vorschriften der Scharia müssen daher von den Gerichten auf eine mögliche Grundrechtsverletzung überprüft werden. Die Scharia erlaubt die Vielehe, in Deutschland ist sie verboten. Sie wird in Deutschland dann nicht anerkannt, wenn aus der Ehe Privilegien abgeleitet werden, die nur Eheleuten einer monogame Ehe zustehen. Die Mehrehe wird hingegen anerkannt, wenn die privatrechtliche Absicherung aller „Ehepartner“ in Frage steht. Im Scheidungsrecht kann das einseitig dem Mann zustehende Verstoßungsrecht wegen des Diskriminierungsverbotes nach Art. 3 Abs. 2 gegen den Ordre-public verstoßen. Auch die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 GG kann der Anwendung islamischer Normen entgegenstehen. Führen Regeln des islamischen Unterhaltsrechts zur Benachteiligung von Mädchen oder Frauen, korrigiert der Ordre-public Vorbehalt untragbare Ergebnisse . Spricht die Scharia eines Staates das alleinige Sorgerecht automatisch dem Vater zu, verstößt diese Regelung gegen das Grundrecht des Kindes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG. Das deutsche Erbrecht erlaubt weitgehende Testierfreiheit, bei der Beurteilung einer ausländischen Erbrechtsvorschrift ist daher eine Korrektur durch den Ordre-public nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Inhalt 1. Einleitung 5 2. Religiöse Normen der Scharia 6 2.1. Religionsausübungsfreiheit 6 2.2. Kopftuch 7 2.3. Interreligiöse Eheverbote 7 2.4. Kulturelle oder religiöse Traditionen 7 3. Rechtliche Normen der Scharia 8 3.1. Eherecht 9 3.1.1. Ehemündigkeit 9 3.1.2. Ehevormund 10 3.1.3. Zwangsehe 10 3.1.4. Islam-rechtliche Polygynie 10 3.1.5. Fälle, in denen die polygame Ehe nicht anerkannt wird 11 3.1.6. Fälle, in denen die polygame Ehe anerkannt wird 12 3.2. Scheidungsrecht 12 3.3. Unterhaltsrecht 14 3.4. Erbrecht 15 - 5 - 1. Einleitung In der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland steht die Scharia überwiegend in dem Ruf, ein rückständiges, per se ungerechtes und mit den westlichen Wertvorstellungen schlechthin unvereinbares Rechtssystem zu sein. Besonders die in der Scharia für bestimmte Fälle vorgesehenen Körper- und Todesstrafen, die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen und die nach der Religionszugehörigkeit getroffene unterschiedliche Behandlung widersprechen westlichen Wertvorstellungen. Daher verwundert zunächst der Gedanke, dass in Deutschland die Regelungen der Scharia zur Anwendung kommen können. Die fehlerhafte Anwendung des deutschen Scheidungsrechts in einem von einer deutschen Staatsangehörigen eingeleiteten Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt a.M. gegen ihren marokkanischen Ehemann hat ebenso zu dem Vorurteil beigetragen. In dem konkreten Fall hatte die zuständige Richterin in einem Prozesskostenhilfeantrag den Scheidungsantrag vor Ablauf des Trennungsjahres mit der Begründung abgewiesen, dass nach ihrer Bewertung die Voraussetzungen für eine Härtefallentscheidung nicht vorliegen. Sie verwies auf Verse des Korans, wonach dem Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht zustehe1. Dem Befangenheitsantrag der Antragstellerin wurde daraufhin stattgegeben und der Richterin der Fall entzogen. Der Begriff „Scharia“ wird im heutigen Sprachgebrauch für islamisches Recht verwendet , bedeutet im engeren Sinne jedoch die von Gott gesetzte Ordnung im Sinne einer islamischen Normativität. In mehreren Staaten wird die Scharia heutzutage in der Verfassung ausdrücklich als Quelle der Rechtsschöpfung anerkannt, in anderen Staaten wird die Scharia, von Ausnahmen in einzelnen Rechtsbereichen abgesehen, mit der Rechtsordnung gleichgesetzt2. Die Scharia ist das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht des Islams. Es regelt nicht nur Rechtsfragen, wie zum Beispiel das Ehe- oder das Strafrecht, sondern beinhaltet der Idee nach die Gesamtheit der aus der Offenbarung zu gewinnenden Normen für das Handeln des Menschen im Verhältnis zu Gott und zu den Mitmenschen3. Sie ist mit wenigen Ausnahmen heute in allen islamischen Ländern, in Teilen von Afrika und Südostasien die wesentliche oder sogar die einzige Grundlage des Strafrechts, des Familien- und Erbrechts4. Die Türkei schaffte die Scharia als Gesetzesgrundlage ab und führte ein im Wesentlichen an das Schweizer Recht angelehntes Zivilgesetzbuch ein. 1 Pressemitteilung des Amtsgerichts Frankfurt a.M. vom 21. März 2007. 2 Elger, Ralf / Stolleis, Friederike (Hrsg.): Kleines Islam-Lexikon. Geschichte – Alltag – Kultur, München 2001. 3 Brockhaus Enzyklopädie, Band 13, 21. Auflage 2005, S. 555. 4 Schirrmacher, Christine, Frauen unter der Scharia, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B48/2004), in http://www.bpb.de/publikationen, aufgerufen am 19. November 2008. - 6 - Im deutschen Strafrecht finden die Vorschriften der Scharia keine Anwendung, da das Strafrecht in Deutschland territorial uneingeschränkt gilt, ungeachtet des Aufenthaltsstatus oder des persönlichen Bekenntnisses aller im Inland lebenden Personen. Religiöse Vorstellungen sind nur dann durchsetzbar, wenn ihre Auswirkungen geringfügig sind und den Bereich des Sozialadäquaten nicht überschreiten. Beispiel hierfür ist die im Judentum und im Islam übliche Beschneidung von Knaben. Dies gilt in keinem Fall für Beschneidung von Mädchen. Sie ist eine nach § 223 StGB strafbare Misshandlung und Gesundheitsschädigung.5 Anders als beispielsweise in Großbritannien und Kanada sind in Deutschland religiöse Schiedsgerichte verboten.6 Regelungen der Scharia finden in Deutschland nur in solchen Bereichen Anwendung, in denen das deutsche Recht dies vorsieht. Rechtsgrundlage ist das Internationale Privatrecht (IPR). In bestimmten Fällen verweist das IPR bei Sachverhalten mit Auslandsberührung auf fremdes Recht, dies jedoch immer unter dem Vorbehalt, dass das Ergebnis der Anwendung der ausländischen Rechtsnorm im Einzellfall nicht im eklatanten Widerspruch zu den wesentlichen Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung steht, Art. 6 EGBGB. Die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG gelten daher als Korrektiv .7 Nachfolgend wird besonders die Frage geprüft, inwieweit Grundrechte von Frauen nach Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 6 GG durch die Anwendung von Scharia-Normen betroffen sind. 2. Religiöse Normen der Scharia 2.1. Religionsausübungsfreiheit Die religiösen Normen der Scharia sind durch das Grundgesetz in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützt. Sie betreffen viele Bereiche8 auf die hier wegen der Beschränkung auf die Frage, inwieweit Grundrechte der Frauen betroffen sind, nicht weiter eingegangen wird. 5 Tröndle, Herbert / Fischer, Thomas, StGB, 2003, § 223 Rn. 6. 6 Ermöglicht wurde dies durch den Arbitration Act von 1996. Danach können neben ordentlichen Gerichten auch alternative Schiedsgerichte urteilen. Voraussetzung ist, dass beide Parteien die entsprechende Schlichtungsstelle anerkennen. Laut Sunday Times gibt es bereits fünf Gerichte, die nach der Scharia richten, geurteilt wird in Scheidungsfragen, bei finanziellen Streitigkeiten, bei Klagen wegen häuslicher Gewalt. Dirk Eckert, „Zweierlei Recht“ in http://www.quantara.de, aufgerufen am 14. November 2008. 7 BVerfGE 31, 58 (72). 8 Gebet, Moschebau, Gebetsruf, Bekleidungssitten und Fasten, Speisevorschriften, Bestattungswesen, Namensrecht, Militär- und Gefangenenseelsorge, mit weiteren Beispielen Rohe, Mathias, Rahmenbedingungen der Anwendung islamischer Normen, in: Bock, Wolfgang (Hrsg.) Islamischer Religionsunterricht ?, Rechtsfragen, Länderberichte, Hintergründe, 2007, S. 67 - 7 - 2.2. Kopftuch Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2003 das Recht einer Lehrkraft, in der Schule ein Kopftuch zu tragen, zunächst bejaht9 und vertrat die Auffassung, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in die Religionsfreiheit und den Anspruch auf Gleichbehandlung der Lehrkraft. Daraufhin haben einzelne Bundesländer religiöse Bekundungen im Schuldienst gesetzlich geregelt. Die zu diesen Regelungen ergangenen Gerichtsentscheidungen gehen insbesondere auf den Aspekt der Gleichbehandlung ein, da islamische und christliche Glaubenssymbole zum Teil unterschiedlich behandelt werden. Das seit August 2006 geltende Gleichbehandlungsgesetz verbietet eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religionszugehörigkeit.10 2.3. Interreligiöse Eheverbote Nach den meisten Rechtsordnungen der islamischen Welt besteht für Musliminnen ein absolutes Eheverbot im Hinblick auf nichtmuslimische Männer. Religiös begründete Eheverbote verstoßen nach deutschem Recht gegen Art. 4 Abs. 1 GG und der Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG. Dieses Ehehindernis ist für deutsche Behörden daher wegen des Grundrechtsverstoßes unbeachtlich.11 2.4. Kulturelle oder religiöse Traditionen Kulturelle Gebräuche oder religiöse Traditionen sind nicht durch die freie Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG, sondern nur durch Art. 2 Abs. 1 GG, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit vorsieht, geschützt. Das Familiengericht in Dresden hat einer Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind insoweit entzogen, als es um die Entscheidung ging, ob das Mädchen gambianischer Staatsangehörigkeit ins Ausland nach Gambia verbracht und der Gefahr der dort weit verbreiteten Beschneidungszeremonie ausgesetzt wird. Die Beschneidung von Mädchen und Frauen stellt nach Auffassung des Gerichts eine derartig schwerwiegende Menschenrechtsverletzung dar, die nicht durch kulturelle oder religiöse Traditionen zu rechtfertigen sei. Die drohende Schädigung sei entsprechend der Ordre-public-Klausel des Art. 6 EGBGB unter keinem Gesichtspunkt tolerabel.12 9 BVerfGE 108, 282 (340). 10 „Kopftuch-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz , Dokumentation, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 3 – 185/07). 11 Rohe, Mathias, Religiös gespaltenes Zivilrecht in Deutschland und Europa?, in: De Wall/German (Hrsg.), Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 409. 12 OLG Dresden vom 15. Juli 2003, Aktenzeichen 20 UF 401/03. - 8 - 3. Rechtliche Normen der Scharia Im Bereich des Privatrechts wenden Gerichte und Behörden bei Sachverhalten mit Auslandsbezug das deutsche Internationale Privatrecht (IPR) an. Nach dem IPR sind grundsätzlich alle Privatrechtsordnungen gleichwertig und Ziel ist es, Rechtssicherheit zu schaffen. Eine einmal wirksam entstandene Rechtsbeziehung soll möglichst Bestand haben. Das IPR verweist nur auf staatliches Recht, Normen der Scharia können daher nur insoweit zur Anwendung kommen, soweit sie staatliches Recht sind. Die Verweisung nach dem IPR auf eine ausländische Rechtsordnung steht unter dem Vorbehalt der Generalklausel des Art. 6 EGBGB (Ordre-public): „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ Verweist das IPR auf eine ausländische Vorschrift und hat diese im Einzelfall zur Folge , dass das Ergebnis im eklatanten Widerspruch zur deutschen Rechtsordnung oder zu den Grundrechten steht, ist sie nicht anzuwenden.13 Es sind zwar andere Maßstäbe anzulegen als bei einer Rechtsanwendung in einem reinen Inlandsfall14, zum Schutz der öffentlichen Ordnung (Ordre public) dürfen die Gerichte oder Behörden aber nicht zu Entscheidungen genötigt werden, die im Ergebnis im eklatanten Widerspruch zu grundlegenden deutschen Rechtsanschauungen stehen.15 Das ausländische Recht als solches bleibt jedoch weiterhin anwendbar.16 Rechtsunterschiede werden nur innerhalb des grundgesetzlich vorgegebenen Rahmens hingenommen. Stellen Gerichte oder Behörden im Einzelfall fest, dass die anzuwendende Vorschrift der Scharia zu einem untragbaren Ergebnis führt, prüfen sie, ob die entstandene Lücke möglicherweise aus dem anzuwendenden ausländischen Recht geschlossen werden kann. Finden sich darin keine passenden Vorschriften, so ist hilfsweise deutsches Recht als Ersatzrecht anzuwenden. Das IPR verweist bei Fragen des Personalstatuts des Personen-, Familien- und Erbrechts auf die Rechtsordnung des Herkunftslands der Beteiligten. Das IPR geht davon aus, dass die Beteiligten ihrem Heimatstaat und seinen Regeln eng verbunden sind und daher Grundfragen der persönlichen Existenz nach dessen Regeln behandelt werden sollen. 13 BVerfGE 31, 58 (72). 14 BVerfGE 31, 58 (77). 15 Heldrich, Andreas, Kommentierung zu Art. 6 EGBGB, Rn. 1, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Auflage, München 2008. 16 Heldrich, Fn. 15, Rn. 4. - 9 - 3.1. Eherecht Möchten Ausländer in Deutschland die Ehe eingehen, richten sich die Voraussetzungen grundsätzlich nach dem Recht des Herkunftslandes, dessen Staatsangehörigkeit die Verlobten besitzen, Art. 13 EGBGB. Deutsche Behörden müssen sich daher mit den Vorschriften der Scharia bei Fragen der Ehemündigkeit, des Heiratsvormunds, Ehehindernissen bei Verwandtschaft und Schwägerschaft auseinandersetzen. Weitere Bereiche sind Fragen zur Stellvertretung der Eheschließung (sog. Handschuhehe), Ehehindernisse der Wartefrist der Frau bei Scheidung oder Tod des Ehemannes, sog. Definitive Verstoßung höheren Grades, illegitimer Geschlechtsverkehr und das Verfahren des gegenseitigen Verfluchens. Untragbare Ergebnisse werden durch den Ordre-public Vorbehalt korrigiert . 3.1.1. Ehemündigkeit Die meisten islam-rechtlich ausgerichteten Staaten setzen ein Mindestalter für die Ehemündigkeit voraus. Nur vereinzelt wie beispielsweise im Iran stellt das traditionelislamische Recht auf die Geschlechtsreife ab. Danach können Mädchen bereits mit neun Jahren und Jungen mit zwölf Jahren geschlechtsreif sein. Die Anwendung islamrechtlich geprägter Ehemündigkeitsregeln kann bei hinreichendem Inlandsbezug gegen den Ordre-public verstoßen, insbesondere im Hinblick auf die Höhe des Heiratsmindestalters , des geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Heiratsmindestalters sowie der Beschränkung der Eheschließungsfreiheit bei zu großem Altersunterschied der Eheleute.17 Eine zu niedrige absolute oder relative Altersgrenze verstößt gegen das Verbot der Kinderehe, Art. 2 UN-Eheschließungsabkommen von 1962.18 Nach Art. 6 Abs. 2 GG hat der Staat eine Schutzpflicht für Kinder. Das Abkommen selbst sieht kein Mindestalter vor, sondern nur das Verbot von Kinderehen. Soweit keines der Heimatrechte der Verlobten deutsches Recht ist, kommt es daher im Einzelfall auf die körperliche und geistige Entwicklung der Verlobten an. Meistens wird generell auf die Vollendung des 14., 15. oder 16. Lebensjahres abgestellt.19 Setzt die Scharia für die Ehemündigkeit eine zu hohe Altersgrenze fest aufgrund derer eine in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige die Ehe nicht eingehen könnte, könnte sie sich auf die in Art. 6 Abs. 1 GG garantierte Eheschließungsfreiheit berufen. Ein Verstoß gegen den Ordre-public liegt vor, wenn die ausländische Norm der Scharia das Heiratsmindestalter höher ansetzt als das Alter für die Geschäftsfähigkeit . In Algerien beispielsweise dürfen Frauen erst mit 21 Jahren heiraten, sie sind 17 Scholz, Peter, Islam-rechtliche Eheschließung und deutscher Ordre public, in: Das Standesamt 2002, S. 321 (328). 18 BGBl.1969 II S.161. 19 Scholz, Fn. 17, S. 328. - 10 - jedoch bereits mit 19 Jahren geschäftsfähig. Es sind keine überzeugenden Gründe ersichtlich , die gegen eine Ehemündigkeit trotz allgemeiner Geschäftsfähigkeit sprechen. Rechtsfolge ist, dass wegen des Verstoßes gegen den Ordre-public die entsprechende Vorschrift des ausländischen Rechts nicht angewendet und die ausländische Altersgrenze auf die deutsche Obergrenze herabgesenkt wird. 3.1.2. Ehevormund Nach dem Eherecht der Scharia kann ein Ehevormund nur für Minderjährige und für nicht im Vollbesitz der Geisteskräfte befindliche Volljährige wirksam eine Ehe schließen . Teilweise gilt das Erfordernis auch für volljährige im Vollbesitz der Geisteskräfte befindliche Jungfrauen. So unterliegt die volljährige Jungfrau in Algerien, Jemen, Jordanien, Kuweit, Marokko, Syrien und Vereinigte Arabische Emirate der Ehevormundschaft . Bis auf Jordanien und Syrien darf die Frau jedoch nicht gegen ihren Willen verheiratet werden und der Vormund darf seinem Mündel gegebenenfalls unter Mitwirkung des Gerichts eine gewünschte Eheschließung nicht verwehren. Das Erfordernis eines Ehevormunds für volljährige Frauen verstößt gegen den Ordre-public und wäre in Deutschland bei hinreichendem Inlandsbezug keine Voraussetzung für die Ehe. 3.1.3. Zwangsehe Eine Norm der Scharia ist unanwendbar, wenn sie die Verheiratung des Mündels gegen dessen Willen erlaubt oder wenn der Vormund seine erforderliche Mitwirkung verweigern darf und das Gericht diese Mitwirkung nicht ersetzen könnte. Es ist davon auszugehen, dass Regelungen, die eine Zwangsheirat erlauben in den islam-rechtlich geprägten Staaten des Vorderen Orients nicht mehr vorhanden sind.20 Wird die Verheiratung der minderjährigen Tochter gegen ihren Willen durch ihren Vater für erlaubt gehalten, liegt ein Verstoß gegen den Ordre-public des Art. 6 EGBGB in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG vor. Die Zwangsehe stellt nach § 240 Abs. 4 Strafgesetzbuch einen besonders schwereren Fall von Nötigung dar. 3.1.4. Islam-rechtliche Polygynie Die Scharia erlaubt die Vielehe mit bis zu vier Frauen.21 Während in Tunesien nur die Einehe erlaubt ist, wird die Mehrehe in den anderen Staaten, in denen die Scharia gilt, in unterschiedlicher Weise beschränkt.22 20 Bericht der Fachkommission Zwangsheirat der Landesregierung Baden-Württemberg, Stuttgart 2006, S. 16. 21 Scholz, Fn. 17, S. 331. 22 In Libyen gehen die Gesetze lediglich von einer weiteren Ehefrau aus, verbieten jedoch weitere Eheschließungen nicht ausdrücklich. In einigen Staaten muss der Richter die Eingehung einer weiteren Ehe genehmigen, die teilweise nur unter bestimmten Voraussetzungen wie wirtschaftliche Leis- - 11 - Das deutsche Recht verbietet die Mehrehe, § 172 StGB. Das Verbot gehört zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts im Sinne von Art. 6 EGBGB. Das Verbot berührt nicht den Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG, da das Eherecht der Scharia die Rechtsbeziehung zwischen den Menschen betrifft und nicht die Beziehung zu Gott. Die Schließung einer potenziell polygynen Ehe, das heißt der Erstehe eines Mannes, dessen Heimatrecht die Mehrehe erlaubt, verstößt nach herrschender Auffassung nicht gegen den Ordre-public, obwohl die Möglichkeit einer weiteren Ehe vorliegt.23 Art. 6 EGBGB stellt auf das Ergebnis des Einzelfalls ab, das im Falle einer Erstehe nicht zu beanstanden ist. Ein entsprechendes Verbot verstieße gegen die in Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Eheschließungsfreiheit, da dann bei hinreichendem Inlandsbezug Frauen in Deutschland Angehörige von Staaten mit polygynen Eheverfassungen nicht heiraten könnten. Eine im Ausland wirksam geschlossene Mehrehe wird in Deutschland in bestimmten Bereichen anerkannt und darf im Inland auch fortgesetzt werden, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nehmen. Wurde eine polygame Ehe der Beteiligten wirksam geschlossen, unterscheidet das deutsche Recht zwei Fallgruppen. 3.1.5. Fälle, in denen die polygame Ehe nicht anerkannt wird Wollen die Beteiligten aus der Ehe Privilegien ableiten, die nur Eheleuten zustehen, wird die polygame Ehe nicht anerkannt. Das gilt z. B. für den erleichterten Ehegattennachzug nach Deutschland oder die Mitversicherung von Ehegatten bei der Krankenversicherung , bei der der Versicherungsschutz auf dem Solidaritätsgedanken beruht und nicht auf konkrete Beiträge.24 Nach § 30 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist und er mit einem Ehegatten im Bundesgebiet lebt. Problematisch ist, ob der Ausschluss aus § 30 Abs. 4 AufenthG auch dann gilt, wenn ein Ausländer zwar in Mehrehe mit zwei Ehefrauen verbunden ist, er aber nicht mehr mit der ersten Ehefrau im Bundesgebiet zusammenlebt und für einen weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis erstrebt. Insbesondere wenn Kinder aus der Zweitehe stammen, könnte sich ein Nachzugsrecht aus § 36 Abs. 2 AufenthG ergeben . Danach kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Der Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG tungsfähigkeit (z.B. Irak, Libyen, Syrien) und / oder rechtmäßiges Interesse (Irak, Libyen, Pakistan, Syrien) erteilt wird. 23 Scholz, Fn. 17, S. 332. 24 Rohe, Fn. 8, S. 67. - 12 - umfasst das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern jedenfalls auch dann, wenn die Eltern einander in Mehrehe verbunden sind.25 Ebenso kann eine Aufenthaltsbefugnis für die Zweitehefrau aus humanitären Gründen zu erteilen sein. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gab dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zweitfrau statt und argumentierte, dass eine nach dem Heimatrecht wirksam begründete und seit vielen Jahren zunächst im Heimatland gelebte und in der Bundesrepublik fortgeführte Mehrehe dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG unterfalle und ein Abschiebungshindernis darstelle. Unzumutbar sei, ein über Jahre hinweg gewachsenes Zusammenleben künftig auf nur noch gelegentliche Besuche zu beschränken.26 3.1.6. Fälle, in denen die polygame Ehe anerkannt wird Im Sozialrecht wird die Mehrehe insofern anerkannt, soweit Ansprüche auf vom Ehemann geleisteten Beiträgen betroffen sind. Nach § 34 Abs. 2 Sozialgesetzbuch I (SGBI) werden Ansprüche mehrerer Ehegatten auf Witwenrenten oder Witwerrenten anteilig und endgültig aufgeteilt. Die Regelung ist eine Ausnahmevorschrift und nicht auf weitere Leistungen anwendbar. Die Rente an die Hinterbliebenen wird anteilig aufgeteilt . Es entspricht islamischen Grundsätzen, alle Witwen, unabhängig von den Ehejahren des jeweiligen Partners, gleich zu behandeln.27 Die endgültige Aufteilung bedeutet , dass beim Tod einer der hinterbliebenen Ehefrauen die anderen Ehefrauen weiterhin nur ihre anfänglich berechneten Anteile erhalten. Die Begrenzung des Leistungsumfangs stellt sicher, dass beim Tod eines Mehrfachverheirateten nicht mehr als im Normalfall für den hinterbliebenen Ehegatten aufgewendet wird.28 Keine Witwerrente erhält derjenige, der eine nach dem Heimatrecht wirksame Zweitehe führt und eine Ehefrau überlebt, die in die deutsche Rentenkasse einbezahlt hatte. Ansprüche auf Witwerrente bestehen nicht, da die fortbestehende (Zweit-)Ehe wie eine Wiederverheiratung wirkt und Ansprüche nach § 46 SGB I entfallen lässt.29 3.2. Scheidungsrecht Das für Muslime geltende Scheidungsrecht ist traditionell durch die Ungleichbehandlung der Geschlechter geprägt. Nur äußerst selten werden der Ehefrau Scheidungsgründe zugebilligt. Dem Ehemann wird hingegen mit dem Talaq, der ein einseitiges umfassendes Gestaltungsrecht des Mannes zur Beendigung der Ehe darstellt, Scheidungsfrei- 25 BVerwGE 71, 228 (231 f.). 26 Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 12. März 2004, Aktenzeichen 10 A 11717/03. 27 Mrozynski, Peter, Kommentierung zu § 34, Rn. 11, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 3. Auflage, München 2003. Dies ist auch im deutsch-marokkanischen Sozialversicherungsabkommen vorgesehen (BGBl. 1986 II, S. 552). 28 BT-Drs.10/504, S. 97. 29 Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 29. Juni 2004, Aktenzeichen L 2 RA 429/03. - 13 - heit gewährt.30 Bei der Frage, ob auf der Grundlage eines gemäß dem Scheidungsstatut erklärten Talaq die Scheidung ausgesprochen werden kann, prüft das deutsche Gericht zunächst, ob die Scheidung aufgrund der Verstoßungserklärung gegen den deutschen Ordre-public im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG verstößt. Wollen beide Ehegatten die Scheidung und erklären dies im Scheidungsverfahren, liegt kein Verstoß gegen den Ordre-public vor, da das Ergebnis, „die Scheidung“ den Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt.31 Ebenso liegt kein Verstoß vor, wenn die Ehefrau zwar mit der Scheidung nicht einverstanden ist, bei Anwendung des deutschen Rechts die Voraussetzungen für eine Scheidung aber erfüllt sind.32 Ein Verstoß gegen die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 2 GG liegt dann vor, wenn der Mann seine Ehefrau nach der Vorschrift der Scharia verstößt, die Ehefrau nicht der Scheidung zugestimmt hat, und nach deutschem Recht die Voraussetzungen für eine Scheidung nicht vorliegen . Die Verstoßung, die einseitig nur dem Ehemann zusteht und durch diesen letztlich willkürlich gehandhabt werden kann, widerspricht der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG und dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3 Abs. 2 GG.33 Der für die Anwendung der Grundrechte erforderliche Inlandsbezug ist dadurch gegeben, das die Scheidung durch ein Urteil eines deutschen Gerichts erfolgt. Die deutschen Gerichte sind zunehmend mit der Situation konfrontiert, dass die Ehefrau die Scheidung begehrt, der Ehemann mit der Scheidung aber nicht einverstanden ist und deshalb auch nicht den Talaq ausübt. In einem solchen Fall prüft das Gericht zunächst, ob ein Scheidungsgrund nach dem berufenen islamischen Recht vorliegt. Liegt ein solcher Grund vor, erfolgt die Scheidung nach dem ausländischen Recht. Sieht das ausländische Recht vor, dass der Ausspruch der Scheidung durch das religiöse Gericht erfolgt, tritt an diese Stelle das Urteil des deutschen Gerichts. Kann nach ausländischem Recht die Frau in Vertretung des Mannes den Talaq erklären und liegen die Voraussetzungen hierfür vor, so beispielsweise wenn es im Ehevertrag vereinbart worden ist, ist der Ehefrau Gelegenheit zu geben, diese Erklärung in der Form des ausländischen Rechts abzugeben.34 Besteht für die Ehefrau nach dem ausländischem Recht kein Scheidungsgrund, besitz der Ehemann hingegen Scheidungsfreiheit, dann prüft das deutsche Gericht, ob eine solche Regelung der Scharia die Grundrechte der Frau nach Art. 3 Abs. 2 GG und nach 30 Andrae, Marianne, Anwendung des islamischen Rechts im Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten , NJW 2007, S. 1730 (1731). 31 OLG Hamm, BeckRS 2007, 00423. 32 OLG München, IPRax 1989, 223. 33 Andrae, Fn. 30, S. 1731. 34 BGH, NJW-RR 2005, 81. - 14 - Art. 6 Abs. 1 GG verletzen. Kommt das Gericht zum Ergebnis, dass die in Frage stehende Vorschrift einseitig die Frau im Falle der Scheidung benachteiligt, liegt ein Grundrechtsverstoß vor. Das Scheidungsbegehren der Ehefrau ist dann nur nach dem deutschen Recht zu beurteilen.35 Besonders ausführlich hat sich Frau Professorin Marianne Andrae mit der Problematik des Ehekollisionsrechts im Bereich der Scheidung befasst und vertritt die Ansicht, das Ehekollisionsrecht zu reformieren.36 Die Anknüpfung an die frühere gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten, die einer von ihnen zum maßgeblichen Zeitpunkt noch besitzt, werde dem Grundsatz der engsten Beziehung dann nicht gerecht, wenn beide in dem Staat leben, dessen Staatsangehörigkeit der eine von ihnen angenommen hat. Auch der Verweis auf die gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit für Ehegatten , die auf Dauer in Deutschland leben, sollte nach ihrer hinterfragt werden. Sie verweist auf das Schweizer IPR-Gesetz, das im Scheidungsrecht grundsätzlich das eigene Recht beruft und nur in Ausnahmefällen auf ausländisches Recht verweist. 3.3. Unterhaltsrecht Die Ungleichbehandlung von Frauen in manchen islamischen Rechtsordnungen setzt sich nach der Scheidung im Unterhaltsrecht fort. Die familienrechtliche Rechtsprechung tendiert dazu, einen Verstoß gegen den Ordre-public dann zu bejahen, wenn das Sorgerecht einseitig zu Lasten der Frauen regelt ist. So liegt ein Verstoß gegen den Ordre-public vor, wenn nach dem iranischen oder irakischen Recht das Sorgerecht für Knaben ab dem 3. Lebensjahr, für Mädchen ab dem 8. Lebensjahr allein dem Vater zusteht. Die Gerichte stellen dabei auf die Verletzung des Grundrechts der Kinder auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG und nicht auf die Benachteiligung der Mutter ab. Billigen islamische Vorschriften im Falle einer Scheidung pauschal die elterliche Sorge dem Vater zu, liegt ein Verstoß gegen den Ordre-public vor. Ebenso verstößt eine Vorschrift der Scharia gegen den Ordre-public, wonach die Mutter automatisch das Sorgerecht bei Wiederverheiratung oder Umzugs verliert, die Sorgerechtsregelungen mit der Religionszugehörigkeit verknüpft werden oder die Möglichkeit fehlt, das Sorgerecht auf einen Elternteil zu übertragen 37. 35 Andrae, Fn. 30, S. 1732. 36 Andrae, Fn. 30, S. 1732. 37 Heldrich, Fn. 15, Rn. 25. - 15 - 3.4. Erbrecht Das deutsche Erbrecht erlaubt weitgehende Testierfreiheit. Daher ist gegenüber dem fremden Erbrecht der Ordre-public Vorbehalt nur zurückhaltend anzuwenden. Das Erbrecht bevorzugt nach sunnitischer Tradition die männliche Verwandtschaft des Verstorbenen , bei den Schiiten ist es für die weibliche Verwandtschaft günstiger geregelt38. Der am häufigsten auftretende Fall ist der, dass Söhne oder fernere männliche Abkömmlinge männlicher Linie neben Töchtern oder ferneren weiblichen Abkömmlingen männlicher Linie zu Erben berufen sind und einer Tochter nur die Hälfte des Erbteils eines Sohnes zusteht. In den Fällen der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts der Erben kann ein Verstoß gegen den Ordre-public aufgrund des Diskriminierungsverbots , Art. 3 Abs. 2 GG vorliegen. Wegen der im deutschen Recht vorgesehenen Testierfreiheit setzt die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG einen hinreichenden Inlandsbezug voraus. Die bloße Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet für sich allein noch keinen ausreichenden Inlandsbezug.39 Der Inlandsbezug muss sich nach dem Erblasserwillen richten. Kann das Gericht eine Nähe des Erblassers zur deutschen Rechtsordnung nachweisen40, verstößt die Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Erben gegen den deutschen Ordre-public. Indizien für eine solche Nähe sind längerer Inlandsaufenthalt, Bindung an Deutschland durch Eheschließung, Zeugung oder Adoption, aber auch freundschaftliche Bindungen mit Deutschen, Verbringung eines Großteils des Vermögens ins Inland, westliche Lebensweise, Ausbildung , Schul- oder Hochschulbesuch in Deutschland Dabei gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe hinsichtlich der Ungleichbehandlung der Ehefrauen(en)wie der Abkömmlinge und Aszendenten.41 38 Brockhaus, Fn. 3. 39 Pattar, Andreas Kurt, Islamisch inspiriertes Erbrecht und deutscher Ordre public, 2007, S. 516. 40 Pattar, Fn. 39, S. 529. 41 Pattar, Fn. 39, S. 516.