Deutscher Bundestag Einführung eines gesetzlichen Nachtflugverbots Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 405/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 2 Einführung eines gesetzlichen Nachtflugverbots Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 405/11 Abschluss der Arbeit: 24. Januar 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 3 1. Fragestellung Bezogen auf die Problematik nächtlichen Fluglärms stellen sich die folgenden Fragen: Wäre es mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn durch Bundesgesetz ein allgemeines Start- und Landeverbot für die Nachtzeit erlassen würde? Wäre es mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn durch ein Bundesgesetz festgelegt würde, dass nachts keine Starts und Landungen erfolgen dürfen, wenn die dadurch entstehende Lärmbelastung für Anwohner einen bestimmten Grenzwert (bspw. die im Fluglärmgesetz festgelegten Werte ) überschreiten? Diese Ausarbeitung untersucht die Vereinbarkeit eines gesetzlichen Nachtflugverbots mit dem Grundgesetz. Etwaige europa- und völkerrechtliche Aspekte werden nicht erörtert. 2. Derzeitige Rechtslage Nach derzeitiger Rechtslage wird der Schutz von Anwohnern vor Beeinträchtigungen durch Fluglärm insbesondere durch das Fluglärmgesetz (FluLärmG)1 und das Luftverkehrsgesetz (LuftVG)2 geregelt.3 2.1. Fluglärmgesetz Das FluLärmG zielt darauf, Schallschutz durch Festsetzung von baulichen Nutzungsbeschränkungen sowie durch bauliche Schallschutzmaßnahmen in der Umgebung von Flughäfen sicherzustellen , § 1 FluLärmG. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen des passiven Schallschutzes.4 Dafür werden in § 2 FluLärmG anhand bestimmter Schallpegel unterschiedliche Schutzzonen für die Umgebung von zivilen und militärischen Flughäfen definiert, wobei zwischen neuen bzw. baulich wesentlich erweiterten und bestehenden Flughäfen unterschieden wird. Die konkrete Festsetzung der Lärmschutzbereiche um einen Flughafen erfolgt durch eine Rechtsverordnung der jeweiligen Landesregierung, § 4 Abs. 2 FluLärmG. Welche baulichen Nutzungen in den Lärmschutzbereichen unzulässig bzw. nur mit baulichen Schallschutz zulässig sind, ist in §§ 5 ff. FluLärmG geregelt. 1 Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550). 2 Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007 (BGBl. I S. 698), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1126) geändert worden ist. 3 Allgemein zum Schutz gegen nächtlichen Fluglärm: de Witt, Schutzkonzepte gegen nächtlichen Fluglärm, UPR 2006, 8 ff. 4 Vgl. Giemulla/Rathgeb, Das neue Fluglärmgesetz, DVBl. 2008, 669. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 4 2.2. Luftverkehrsgesetz Demgegenüber zielen die Regelungen des LuftVG auf einen aktiven Schallschutz, zu dem auch Betriebseinschränkungen während der Nachtzeit zählen. Lärmschutz spielt bereits im Vorfeld eines Flughafenneubaus eine Rolle. Die Anlage eines Flughafens bedarf regelmäßig eines Planfeststellungsverfahrens, § 8 LuftVG. In diesem Verfahren sind die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Hierbei sind nach § 8 Abs. 1 S. 3 LuftVG zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 FluLärmG zu beachten. Durch diese Verweisung soll sichergestellt werden, dass im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens keine anderen Werte als die des FluLärmG zugrunde gelegt werden.5 Als Ergebnis der Abwägung können im Planfeststellungsbeschluss u.a. Festlegungen hinsichtlich der Anzahl nächtlicher Flugbewegungen getroffen werden.6 Der Betrieb eines Flughafens bedarf nach § 6 Abs. 1 LuftVG einer Genehmigung. Diese kann inhaltlich beschränkt oder mit Auflagen verbunden sein. Rechtstechnisch wird ein „Nachtflugverbot “ derzeit durch eine Beschränkung der jeweiligen Flughafenbetriebsgenehmigung umgesetzt. 3. Gesetzliches Nachtflugverbot Fraglich ist, ob ein Nachtflugverbot auch auf gesetzlicher Ebene geregelt werden könnte. 3.1. Gesetzgebungskompetenz Dem Bund steht für Regelungen im Bereich des Luftverkehrs die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Nr. 6 GG zu. Hierunter fallen auch Regelungen zum Schutz vor Fluglärm .7 Wie bereits skizziert, hat der Bund mit dem FluLärmG und dem LuftVG von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Beide Gesetze kämen als Regelungsstandort für ein gesetzliches Nachtflugverbot in Betracht. 3.2. Materielle Verfassungsmäßigkeit Ein gesetzliches Nachtflugverbot könnte in Grundrechte der Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften eingreifen. In Betracht kommen insbesondere die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie . 5 BT-Drs. 16/3813, S. 19 6 Vgl. die Darstellung des Planfeststellungsverfahrens zum Bau einer neuen Landebahn in Frankfurt im Urteil des VGH Kassel v 21.08.2009 AZ 11 C 349/08.T, LKRZ 2010, 66-75. 7 BVerwGE 87, 322, 329. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 5 3.2.1. Berufsfreiheit Ein gesetzliches Nachtflugverbot könnte in die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen, da Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nur noch tagsüber nachgehen könnten. Art. 12 Abs. 1GG schützt jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage.8 Dabei gewährleistet die Berufsfreiheit sowohl die freie Berufswahl als auch die freie Berufsausübung9. Da ein Nachtflugverbot, die Tätigkeitsmöglichkeiten für Flughafenbetreiber und Fluggesellschaften einschränken würde, läge ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vor. Das Grundrecht der Berufsfreiheit wird nicht schrankenlos gewährleistet. Es kann durch ein verfassungskonformes Gesetz eingeschränkt werden. Ein gesetzliches Nachtflugverbot müsste daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. es müsste einen legitimen Zweck verfolgen sowie geeignet, erforderlich und angemessen sein.10 Diese Prüfung erfolgt bei der Berufsfreiheit nach der vom BVerfG im Apotheken-Urteil11 entwickelten Drei-Stufen-Theorie. Danach werden bloße Berufsausübungsregeln bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Subjektive Berufswahlbeschränkungen sind zum Schutz überragender Gemeinschaftsgüter zulässig. Schwerwiegendste Eingriffe in Form von objektiven Berufswahlbeschränkungen sind nur zulässig, wenn sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zwingend geboten sind.12 Ein Nachtflugverbot betrifft die Modalitäten des Flugbetriebs und nicht etwa die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Flughafenbetreiber bzw. eine Fluggesellschaft als solche tätig werden dürfen. Damit liegt eine Berufsausübungsregelung vor, die zu ihrer Rechtfertigung nur vernünftiger Erwägungen des Gemeinewohls bedarf. Als solche kommen Belange des Gesundheitsschutzes in Betracht.13 Problematisch wäre allerdings ein generelles Nachtflugverbot , da hiervon auch Flughäfen betroffen wären, in deren Umfeld keine Anwohner durch Fluglärm beeinträchtigt werden. Sofern durch ein generelles Nachtflugverbot keine anderen Rechtsgüter geschützt werden sollen, wäre es unverhältnismäßig und somit verfassungsrechtlich unzulässig . Ein gesetzliches Nachtflugverbot, das an eine Lärmbelastung von Anwohnern anknüpft, wäre geeignet, Flughafenanwohner vor nächtlichen Lärmbelastungen zu schützen. 8 Scholz in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 62. Ergänzungslieferung 2011, Art. 12 Rn. 29. 9 Scholz (Fn. 8), Art. 12 Rn. 266. 10 Vgl. Grzeszick in Maunz/Dürig (Fn. 8), Art. 20 Rn. 110. 11 BVerfGE 7, 377 ff. 12 BVerfGE 7, 377 ff.; Scholz (Fn. 8), Art. 12 Rn. 335. 13 Zur Lärmwirkungsforschung, de Witt (Fn. 3). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 6 Es dürfte darüber hinaus kein gleich geeignetes milderes Mittel zum Schutz vor nächtlichem Fluglärm geben. Als milderes Mittel käme bspw. ein zeitlich eingeschränktes Nachtflugverbot (z.B. von 0 bis 4 Uhr) in Betracht. Allerdings ist fraglich, ob eine derartige Ausgestaltung gleich geeignet wäre wie ein Nachtflugverbot während der gesamten Nachtzeit.14 Hierfür kommt es letztlich auf die Einschätzung des Gesetzgebers an, welche Ausgestaltung eines Nachtflugverbots er für erforderlich hält. Dem Gesetzgeber steht dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.15 Ein Nachtflugverbot zum Schutz von Anwohnern dürfte auch angemessen sein, da es den Schutz eines wichtigen Rechtsguts bezwecken würde. Die menschliche Gesundheit genießt nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Verfassungsrang. Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG wäre demnach verfassungsrechtlich gerechtfertigt. 3.2.2. Eigentumsrecht Ein Nachtflugverbot könnte in das Eigentumsgrundrecht der Flughafeninhaber eingreifen, da sie hierdurch in ihrer Nutzungsfreiheit eingeschränkt wären. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG schützt die rechtliche Zuordnung eines vermögenswerten Gutes zu einem Rechtsträger. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentum ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet.16 Allerdings besteht bei der Eigentumsgarantie die Besonderheit, dass die Ausgestaltung des Eigentums durch den Gesetzgeber erfolgt.17 Eingriffe in das Eigentumsrecht können in Form von Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG oder als Enteignung, d.h. vollständiger Entziehung von Eigentumspositionen nach Art. 14 Abs. 3 GG erfolgen. Ein gesetzliches Nachtflugverbot als Nutzungseinschränkung für einen bestimmten Zeitraum wäre als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren. Bei der konkreten Ausgestaltung einer Inhalts- und Schrankenbestimmung hat der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum, er muss jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.18 Insoweit kann auf die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG verwiesen werden. Demnach wäre ein generelles Nachtflugverbot auch hinsichtlich des Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 GG problematisch, da Fälle denkbar sind, in denen keine Beeinträchtigung von 14 Der Gesetzgeber könnte bspw. für die Definition der Nachtzeit auf den Begriff „nachts“ (22 bis 6 Uhr) in Nr. 6.4 der TA Lärm (GMBl. Nr. 26 vom 28.08.1998 S. 503) zurückgreifen. 15 Vgl. zum Gentechnikgesetz, BVerfG NVwZ 2011, 94, 105. 16 BVerfGE 102, 1, 15. 17 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 6. Auflage 2011, Art. 14 Rn. 56 ff. 18 Depenheuer (Fn. 17) Art. 14 Rn. 226. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 405/11 Seite 7 Anwohnern durch Fluglärm vorliegt und ein Nachtflugverbot daher eine unverhältnismäßige Einschränkung der Nutzungsfreiheit der Flughafeninhaber wäre. Demgegenüber dürfte eine an die Betroffenheit von Anwohnern anknüpfende Ausgestaltung eines gesetzlichen Nachtflugverbots verfassungsrechtlich möglich sein. 4. Ergebnis Dem Bundesgesetzgeber steht die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Luftverkehrs zu. Hierunter fallen auch Regelungen zum Schutz vor Fluglärm. Die Einführung eines generellen gesetzlichen Nachtflugverbots dürfte sowohl gegen die Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG als auch gegen das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen, da auch Flughäfen betroffen wären, in deren Umfeld keine Anwohner durch Fluglärm beeinträchtigt werden. Ein gesetzliches Nachtflugverbot, das an eine konkrete Betroffenheit von Anwohnern anknüpft, wäre demgegenüber aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich möglich. ( )