Aufstellung von Listenkandidaten einer Partei - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 404/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Aufstellung von Listenkandidaten einer Partei Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 404/08 Abschluss der Arbeit: 5. November 2008 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - Zusammenfassung - Das parteiliche Aufstellungsverfahren von Wahlbewerbern hat nach zwingendem Verfassungsrecht den elementaren demokratischen Grundsätzen einer Wahl und den Verfassungsprinzipien des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BWG) zu entsprechen . Der Grundsatz der Wahlgleichheit umfasst den gleichen Zählwert und den gle ichen Erfolgswert einer Stimme. Differenzierungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten „zwingenden“ Grundes. - 3 - 1. Einleitung Der Landesdelegiertenversammlung Rheinland-Pfalz von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 8./9. November 2008 liegt ein Antrag zur Änderung der Landessatzung vor, mit dem folgende Bestimmung eingefügt werden soll: „Bei Listenaufstellungen zu Bundestags- und zu Landtagswahlen sind Wahlbewerber Innen, die zum Zeitpunkt der Listenaufstellung in ihrer zweiten oder fo lgenden zusammenhängenden vollständigen Legislaturperiode Mitglied eines Parlamentes auf Landes- oder der Bundesebene sind, nur dann aufzustellen, wenn dies eine 2/3-Mehrheit der LDV beschließt.“ Eine solche Bestimmung wirft gravierende verfassungsrechtliche Fragen auf, die zentrale Wahlrechtsgrundsätze betreffen. Die Aufstellung der Wahlkandidaten durch politische Parteien ist sowohl ein innerparteilicher Vorgang als auch eine Angelegenheit des Wahlrechts als entscheidender Vorgang für die Wahl, insbesondere für die Wahlvorbereitung. Das Recht, an der Aufstellung der Kandidaten mitwirken zu können, ist Bestandteil des parlamentarischen Wahlrechts und des Wahlverfahrens. Rechtssystematisch gehört die Bewerberaufstellung zum Parteienrecht, dem Sachzusammenhang nach und bei einer schwerpunktmäßigen Verortung zum Wahlrecht.1 Sie ist die „Nahtstelle“ zwischen von den Parteien weitgehend autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und der auf die Staatsbürger bezogenen staatlichen Wahlvorbereitung. Mit anderen Worten: Sie liegt zwischen Parteien- und Wahlrecht. 2. Parteiengesetz Trotz der großen Bedeutung der parteiinternen Auswahlverfahren, die zugleich die personelle Zusammensetzung der zu wählenden Volksvertretung wesentlich determinieren, enthält das Parteiengesetz eine lediglich rudimentäre Regelung der Kandidatenaufstellung .2 Es bestimmt in § 17: „Die Aufstellung von Bewerbern für Wahlen zu Volksvertretungen muss in geheimer Abstimmung erfolgen. Die Aufstellung regeln die Wahlgesetze und die Satzungen der Parteien.“ 3. Wahlgesetze § 21 BWG, der die Aufstellung von Parteibewerbern in einem Kreiswahlvorschlag für die Bundestagswahl behandelt, regelt die hier in Rede stehende Frage nicht, sondern 1 BVerfGE 89, 243 (252 f.); Blank DVBl. 1976, 564 (569). 2 Schreiber, Handbuch des Wahlrechts, 7. Auflage 2002, § 21 Rn. 4. - 4 - verweist auf die Satzungen der Parteien. Die Vorschrift findet gemäß § 27 Abs. 5 BWG auf Landeslisten entsprechende Anwendung. Vergleichbare Bestimmungen finden für die Landtagswahl in § 37 Abs. 4 und 6 des Landeswahlgesetzes Rheinland-Pfalz. 4. Grenzen der Satzungsautonomie Als Angelegenheit der „inneren Ordnung“ einer Partei nach Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG und zugleich als Teil der Wahl im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG hat das Aufstellungsverfahren nach zwingendem Verfassungsrecht den elementaren demokratischen Grundsätzen einer Wahl und den Verfassungsprinzipien des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BWG) zu entsprechen. Die Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere die Allgemeinheit, Freiheit und Gleichheit der Wahl, finden zwar unmittelbare Anwendung nur bei staatlichen Wahlen. Sie strahlen jedoch auf die innerparteiliche Wahlbewerberaufstellung aus, weil diese neben einer inneren Angelegenheit der Parteien auch eine Angelegenheit des Wahlrechts ist. Damit gehören sie nicht nur zum Bürgerrecht auf Teilnahme an der Wahl, sondern beziehen sich – insoweit als ungeschriebenes Verfassungsrecht – auch auf das im Recht der Wahlteilnahme enthaltene Wahlvorschlagsrecht, mit anderen Worten, sie sind „Tatbestandsmerkmale“ des Begriffs Wahl im Sinne des § 21 Abs. 1 BWG3, der Kreiswahlvorschläge betrifft, über § 27 Abs. 5 BWG aber auch auf Landeslisten Anwendung findet. Wenn das innerparteiliche Wahlbewerberaufstellungsverfahren demokratischen Grundsätzen genügen muss, sind deshalb zur Konkretisierung dieses innerparteilichen demokratischen Prozesses die verfassungsrechtlich verbürgten Wahlrechtsgrundsätze in entsprechender Anwendung heranzuziehen (vgl. auch §§ 21 Abs. 3, 27, Abs. 5 BWG i.V.m. der Forderung der Versicherung an Eides statt über die Einhaltung dieses Grundsatzes in § 21 Abs.6 BWG sowie § 17 PartG). Das Bundesverfassungsgericht erstreckt die Geltung der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1GG – namentlich die Gleichheit der Wahl – gerade auch auf die Wahlvorbereitung 4. Hierzu gehört auch die Nominierung der Kandidaten, mit der eine erste (Vor-)Entscheidung für die potentielle Zusammensetzung des Parlaments fällt. Für das Bundesverfassungsgericht ergibt sich aus der Funktion des Wahlrechts, die personelle Grundlage einer demokratischen Wahl zu schaffen, die Folgerung, dass die Einhaltung eines „Kernbestands an Verfahrensgrundsätzen“, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann. Über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs.1 Satz 2 GG gelten die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG auch für die Wahlen in den Ländern, Kreisen und Gemeinden. 3 BVerfGG 41, 399 (417); 47, 253 (282); 89, 243, 251); Schreiber (Fn. 2), § 21 Rn. 4. 4 BVerfGE 8, 51 (64 f.); 14, 121 (132 f.); 41, 399 (413 f.); 47, 198 (225); 69, 92 (105 f.); 85, 264 (297). - 5 - Der Grundsatz der Wahlgleichheit verpflichtet zu strikter und formaler Gleichbehandlung . Er erweist sich als spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG und als seine Vervollständigung in Bezug auf den Wert der einzelnen Stimme.5 Der Grundsatz der Wahlgleichheit umfasst den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert einer Stimme. Die Erfolgswertgleichheit fordert, dass der Erfolgswert jeder Stimme, für welchen Kandidaten sie auch abgegeben wird, gleich ist6. Anders ist die Rechtslage freilich bei der Gestaltung der inneren Organisation einer Partei , insbesondere bei der Besetzung von Parteiämtern, der Festlegung ihrer Programmatik sowie ihrem allgemeinen Selbstverständnis.7 Hier greift die Satzungsautonomie voll durch; sie hat sich verfassungsrechtlich nur am Maßstab des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG zu orientieren, wonach die innere Ordnung einer Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Der Grundsatz der Wahlgleichheit unterliegt allerdings keinem absoluten Differenzierungsverbot . Jedoch folgt aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Wahlgleichheit , dass bei der Ordnung des Wahlrechts dem Gesetzgeber – hier dem Satzungsgeber – nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen bleibt. Es geht um die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in formal möglichst gleicher Weise.8 Differenzierungen bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten „zwingenden“ Grundes.9 Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Differenzierung von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen muss, wie dies etwa in Fällen der Kollision des Grundsatzes der Wahlgleichheit mit den übrigen Wahlrechtsgrundsätzen oder den Grundrechten der Fall sein kann. Differenzierungen im Wahlrecht können auch durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann.10 Es genügen in diesem Zusammenhang auch „zureichende“, „aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebende Gründe“.11 Hierzu zählt insbesondere die Verwirklichung der mit der Wahl verfolgten Ziele. Dazu gehören die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der polit i- 5 Schreiber (FN 2), § 1 Rn. 17. 6 BVerfG NVwZ 2008, 991 (994). 7 Ipsen, Parteiengesetz, 2008, § 17 Rn. 19. 8 BVerfG NVwZ 2008, 407; 991 (993). 9 BVerfGE 6, 84 (92); 51, 222 (236); 95, 408 (418) BVerfG NVwZ 991, 993. 10 BVerfGE 95, 408 (418); BVe rfG NVwZ 2008, 991 (994). 11 BVerfGE 1, 208 (248); 6, 84 (92); 95, 408 (418). - 6 - schen Willensbildung des Volkes und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung.12 Differenzierende Regelungen müssen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein. Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich auch danach, mit welcher Intensität in das – gleiche – Wahlrecht eingegriffen wird. Ebenso können gefestigte Rechtsüberzeugungen und Rechtspraxis Beachtung finden. Der Gesetzgeber bzw. der Satzungsgeber muss sich bei seiner Einschätzung und Bewertung nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen , sondern an der politischen Wirklichkeit orientieren.13 Gegen die Grundsätze der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit wird verstoßen, wenn der Gesetzgeber bzw. der Satzungsgeber mit der Regelung ein Ziel verfolgt, das er bei der Ausgestaltung des Wahlrechts nicht verfolgen darf, oder wenn die Regelung nicht geeignet und erforderlich ist, um die mit der jeweiligen Wahl verfolgten Ziele zu erreichen.14 Auf die beantragte Änderung der Landessatzung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Rheinland-Pfalz bezogen, bedeutet all dies, dass die neue Satzungsbestimmung den Grundsatz der Wahlgleichheit tangiert. Die Inhaberin eines Mandates, das sie über zwei und mehr zusammenhängende vollständige Legislaturperioden innehat, benötigt eine 2/3-Mehrheit, um erneut wieder aufgestellt zu werden. Ein etwaiger Gegenkandidat oder eine Gegenkandidatin, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, können die Nominierung mit einfacher Mehrheit erreichen. Die Mandatsträgerin wird dadurch in ihrer Chancengleichheit beeinträchtigt, da sie mehr Stimmen benötigt als ein Mitbewerber. Und umgekehrt ist die Stimme desjenigen Mitglieds der Landesdelegiertenversammlung , der die Mandatsinhaberin wählen will, weniger wert als die Stimme, die einen Kandidaten mit einfacher Mehrheit wählen kann. Darin liegt ein Eingriff in den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit der Stimmen. Da das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Wahlgleichheit in einem strengen und formalen Sinne versteht und damit für Differenzierungen nur engen Raum lässt, bedarf es eines zwingenden Grundes, der seine Legitimation aus der Verfassung erfährt und ein der Wahlgleichheit entsprechendes Gewicht hat. Ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall gegeben ist, kann mangels näherer Kenntnis der Begründung des Antrags nicht abschließend verfassungsrechtlich bewertet werden. 12 BVerfGE 95, 408 (418). 13 BVerfGE 95, 408 (418 f.). 14 BVerfG NVwZ 2008, 407.