Deutscher Bundestag Rechtliche Zulässigkeit des Ausstiegs aus dem Projekt „Stuttgart 21“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 403/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 2 Rechtliche Zulässigkeit des Ausstiegs aus dem Projekt „Stuttgart 21“ Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 403/10 Abschluss der Arbeit: 6. Oktober 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 5 2. Auftrag und Prüfumfang 5 3. Das Projekt 5 3.1. Projektbeteiligte 6 3.2. Planfeststellungsverfahren 7 3.3. Vertragliche Beziehungen 7 3.3.1. Rahmenvereinbarung 1995 7 3.3.2. Memorandum of Understanding 8 3.3.3. Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 9 3.3.3.1. Projektrealisierung 9 3.3.3.2. Kostentragung 9 3.3.3.3. Risikovorsorge für Kostensteigerungen 10 3.3.3.4. Kostentragung im Falle des Projektabbruchs 10 3.3.3.5. Vorbehalte/aufschiebende Bedingungen 10 3.3.3.6. Kündigungsmöglichkeiten 11 3.3.3.7. Entschließung des Landtages 11 3.3.4. „Gemeinsame Erklärung“ 11 3.3.5. Grundstücksverträge 12 3.4. Verpflichtungsermächtigungen im Landeshaushalt 12 4. Bindungen des Landes an das Projekt „Stuttgart 21“ 12 4.1. Bundesrechtliche Bindung des Landes an „Stuttgart 21“? 13 4.1.1. Bindung durch Bundesgesetz 13 4.1.2. Bindungen durch die Bundesverwaltung 14 4.1.2.1. Infrastrukturauftrag 14 4.1.2.2. Planfeststellung 14 4.2. Landesrechtliche Bindungen an das Projekt „Stuttgart 21“? 15 4.2.1. Haushaltsrecht 15 4.2.2. Beschlüsse des Landtages 15 4.3. Vertragliche Bindungen des Landes 16 4.3.1. Kündigung in besonderen Fällen 16 4.3.1.1. Abbedungen durch § 15 Abs. 1 Satz 2 des Finanzierungsvertrages? 17 4.3.1.2. Wesentliche Veränderung der Verhältnisse 17 4.3.1.3. Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl 17 4.3.1.4. Rechtsfolgen 18 4.3.2. Aufhebungsvertrag 18 5. Volksabstimmung 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 4 5.1. Gesetz zur Aufhebung der Verpflichtungsermächtigungen im Staatshaushaltsplan 19 5.2. Gesetz über haushaltsrelevante Fragen 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 5 1. Zusammenfassung Ein einseitiger Ausstieg von Seiten des Landes Baden-Württemberg aus dem Projekt „Stuttgart 21“ verstieße nicht gegen bundesrechtliche Bindungen. Das Projekt ist nicht Teil des Bedarfsplanes des Bundes. Der Bund ist nicht als Vorhabenträger an dem Projekt beteiligt. Weder das Haushaltsrecht des Landes Baden-Württemberg noch Entschließungen des Landtages aus der Vergangenheit binden das Land für die Zukunft. Die erteilten Verpflichtungsermächtigungen im Staatshaushaltsgesetz begründen keine Ansprüche. (Schlichte) Entschließungen des Landtages entfalten keine Rechtswirkung. Das Land Baden-Württemberg hat sich durch den Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 gegenüber dem Vorhabenträger Bahn zur Realisierung und Teilfinanzierung des Projektes „Stuttgart 21“ verpflichtet. Sollten aber ein Festhalten an dem Vorhaben den Frieden in der Region nachhaltig stören und das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen bleibend beschädigen, könnte eine Kündigung des Vertrages nach § 60 Verwaltungsverfahrensgesetz in Betracht kommen. Ein Gesetz über die Grundentscheidung zum Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“, mit dem die Landesregierung zur Kündigung des Finanzierungsvertrages verpflichtet wird und gleichzeitig die Entschädigung der anderen Vertragspartner regelt, kann in Baden-Württemberg auch durch Volksabstimmung beschlossen werden. 2. Auftrag und Prüfumfang Wegen des öffentlichen Widerstandes gegen das Projekt „Stuttgart 21“ soll geprüft werden, ob es rechtlich Möglichkeiten gibt, aus dem Projekt auszusteigen. Erwogen wird, von Seiten des Landes – gegebenenfalls nach Durchführung einer Volksabstimmung – die Finanzierungsvereinbarung zu kündigen. Die Prüfung erfolgt ausschließlich anhand der öffentlich zugänglichen Verträge zwischen den Beteiligten. Von der Prüfung nicht umfasst ist die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm. Wegen der Kürze der Prüfungszeit kann nur eine kursorische Prüfung vorgenommen werden. 3. Das Projekt Das Projekt „Stuttgart 21“bezeichnet den geplanten Umbau des Eisenbahnknotens Stuttgart. Im Zentrum der Stadt Stuttgart soll anstelle des bisherigen Kopfbahnhofs der Neubau eines achtgleisigen Durchgangsbahnhofs in Tieflage errichtet werden. Dieser soll nordseitig unterirdisch an die Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart angeschlossen werden. Südseitig soll der Bahnhof unterirdisch unter anderem über einen 9,5 km langen Tunnel („Fildertunnel“) an den Flughafen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 6 Stuttgart-Echterdingen und schließlich an die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke Stuttgart- Ulm angeschlossen werden.1 Der Eisenbahnknoten Stuttgart soll eingebunden werden in die Transeuropäische Magistrale 17 Paris – Strasbourg – Stuttgart – Wien – Budapest/Bratislava (TEN-Projekt Nr. 17)2. Als Teilstück dieser Magistrale ist die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm gemäß § 1 des Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSchwAG)3 Bestandteil des „Vordringlichen Bedarfs“ des geltenden Bedarfsplans für die Bundesschienenwege (Anlage zu § 1, 1.a) lfd. Nr. 20).4 Das Projekt „Stuttgart 21“ selbst ist nicht Teil dieses Bedarfsplanes5, sondern ein eigenwirtschaftliches Projekt der DB AG.6 Die Realisierung des Projekts „Stuttgart 21“ ist nach Auffassung der Bundesregierung auch keine notwendige Bedingung für die Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm.7 3.1. Projektbeteiligte Vorhabenträger und Bauherren sind ausschließlich die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU)8: DB Netz AG, die DB Station & Service AG und die DB Energie GmbH, allesamt hundertprozentige Töchter der Deutschen Bahn AG. An der Finanzierung des Projekts beteiligen sich neben den Vorhabenträgern als Aufgabenträger das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Stuttgart, die Flughafen Stuttgart GmbH und der Verband Region Stuttgart.9 Ihre Beteiligung dient der Erreichung städtebaulicher Ziele10 und der Vernetzung aller Verkehrsträger in der Region11. 1) § 1 des Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 (siehe unten: 3.3.3, S. 9, Fn. 26). 2) Entscheidung Nr. 1692/96/EG vom 9. September 1996 (ABl. L 228), geändert mit Entscheidungen Nr. 1346/2001/EG vom 22. Mai 2001 und Entscheidungen Nr. 884/2004/EG vom 29. April 2004. 3) Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes vom 15. November 1993 (BGBl. I S. 1874), zuletzt geändert durch Art. 309 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407). 4) Vgl. im Einzelnen unter Punkt 4.1.1 (S. 13). 5) So auch der eindeutige Wortlaut in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Land einschließlich Partner und der DB AG mit ihren Töchtern vom 2. April 2009 (siehe unten: 3.3.4, S. 11). 6) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Fragen 3 bis 5; Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, Drs. 17/2723, Frage 16; . 7) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Frage 6. 8) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Fragen 3 bis 5, 13, 53 bis 55; Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, Drs. 17/2723, Frage 16. So auch: § 5 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Land einschließlich Partner und der DB AG mit ihren Töchtern vom 2. April 2009 (siehe unten: 3.3.4, S. 11). 9) ; Antwort der Bundesregierung vom 16. September 2008, Drs. 16/10233, zu Fragen 3 und 4 10) Antwort des Ministeriums für Umwelt und Verkehr vom 12. Dezember 1996, LT BW-Drs. 12/652, zu I. 1. 11) § 2 Abs. 4 Satz 2 des Finanzierungsvertrages vom 2. April 2009 (siehe unten: Fn. 26). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 7 Die Bundesrepublik Deutschland ist an dem Projekt „Stuttgart 21“ lediglich finanziell mit einem Festbetrag in Höhe von 563,8 Mio. Euro beteiligt. Dies entspricht dem Betrag, der für die Einbindung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm im Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung des Projekts „Stuttgart 21“ erforderlich wäre.13 Rechtsgrundlage hierfür ist § 8 Abs. 1 BSchwAG.14 3.2. Planfeststellungsverfahren Das Projekt „Stuttgart 21“ umfasst sieben Planfeststellungsabschnitte. Durch Beschluss vom 28. Januar 2005 hat das Eisenbahn-Bundesamt die Talquerung in Stuttgart mit dem neuen Hauptbahnhof einschließlich des teilweisen Abrisses des bisherigen Bahnhofsgebäudes (Planfeststellungsabschnitt PFA 1.1) festgestellt.15 Der 9,5 Km lange Tunnel zwischen Stadtmitte und Filderhochfläche („Fildertunnel“) ist als PFA 1.2 mit Beschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 19. August 2005 planfestgestellt worden. Der PFA 1.2 ist bestandskräftig sei dem 4. Juni 2008. Für den Flughafenbereich, Filderbahnhof Flughafen, Rohrer Kurve (PFA 1.3) steht die Planfeststellung noch aus. Die Feststellung des Plans Filderbereich bis Wendlingen (PFA 1.4) ist bestandskräftig seit dem 18. Juni 2009. Die Zuführung Feuerbach/Bad Cannstatt und die S- Bahnanbindung (PFA 1.5) ist planfestgestellt seit dem 13. Oktober 2006 und bestandskräftig seit dem 13. Januar 2007. Die Planfeststellung der Zuführung Ober-/Untertürkheim Abstellbahnhof (PFA 1.6a) ist seit dem 21. August 2007 bestandskräftig. Für die andere Zuführung Ober- /Untertürkheim und Abstellbahnhof (PFA 1.6b) steht die Planfeststellung noch aus. 3.3. Vertragliche Beziehungen 3.3.1. Rahmenvereinbarung 1995 In der „Rahmenvereinbarung zum Projekt Stuttgart 21“ vom 7. November 1995 einigten sich die Bundesrepublik Deutschland, das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und die Deutschen Bahn AG auf die zeitgleiche Realisierung der Projekte „Stuttgart 21“ und „Neubaustrecke Wendlingen – Ulm“.17 Sie legten fest, dass mit dem Projekt 13) Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, Drs. 17/2723, Frage 16. § 5 Abs. 2 der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Land einschließlich Partner und der DB AG mit ihren Töchtern vom 2. April 2009 (siehe unten: 3.3.4, S. 11). 14) Antwort der Bundesregierung vom 14. April 2009, Drs. 16/12630, zu Frage 1. 15) Az. 59160 Pap-PS 21-PFA 1.1. 17) Gemeinsame Pressemitteilung des Landes Baden Württemberg, des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stattentwicklung und der DB Netze vom 2. April 2009, Nr. 106/2009. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 8 „Stuttgart 21“ der Kopfbahnhof durch einen tiefliegenden Durchgangsbahnhof ersetzt, der heutige Abstellbahnhof nach Untertürkheim verlagert und der Landesflughafen an die Neubaustrecke angebunden werden soll.18 Eine anteilige Finanzierung des Gesamtvorhabens sollte unter anderem mit Mitteln der Gemeindeverkehrsfinanzierung (GVFG)19 und aus Regionalisierungsmitteln erfolgen. Für den Finanzierungsanteil aus dem GVFG wurden Vorhabenteile ausgewählt, die einen vordringlichen Nutzen für den Nahverkehr aufweisen. Die für das Vorhaben zu verwendenden Regionalisierungsmittel stehen in der Disposition des Landes Baden-Württemberg und sind für den Schienenpersonennahverkehr zu verwenden.20 Die Deutsche Bahn AG verpflichtete sich, die Erlöse aus dem Verkauf der freiwerdenden Grundstücksflächen in die Finanzierung des Projektes einfließen zu lassen .21 3.3.2. Memorandum of Understanding In einem „Memorandum of Understanding“ (MoU) zur Realisierung der Neubaustrecke Stuttgart- Ulm und des Projekts „Stuttgart 21“ vom 19. Juli 2007 erklärten sich der Bund, das Land Baden- Württemberg, die Deutsche Bahn AG, die Stadt Stuttgart und der Verband Region Stuttgart einig, die beiden Projekte „möglichst frühzeitig zu realisieren“. Sie vereinbarten, die voraussichtlichen Kosten in Höhen von 2,8 Mrd. Euro wie folgt zu tragen: Das Land und seine Partner stellen unter anderem aus Mitteln aufgrund des GVFG22 und des Regionalisierungsgesetzes (RegG)23 685 Mio. Euro bereit. Hinzu kommen Mittel aus § 8 Abs. 2 BSchwAG in Höhe von 200 Mio. Euro. Die Deutsche Bahn AG wird sich mit 1 115 Mio. Euro beteiligen. Der Bund steuert 500 Mio. Euro bei. Dieses Memorandum wurde unter den Vorbehalt der Zustimmung „der zuständigen Gremien und des BMF sowie der Haushaltsgesetzgeber“ gestellt. Einzelheiten sollten in einem zeitnah abzuschließenden „Finanzierungsvertrag“ geregelt werden.24 In seiner Entschließung vom 25. Juli 2007 stimmte der Landtag von Baden-Württemberg dem Memorandum zu.25 18) Antwort des Ministeriums für Umwelt und Verkehr vom 12. Dezember 1996, LT BW-Drs. 12/652, zu I. 2. 19) Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz – GVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Januar 1988 (BGBl. I S. 100), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2986). 20) Antwort der Bundesregierung vom 16. September 2008, Drs. 16/10233, zu Fragen 25 und 26. 21) Antwort des Ministeriums für Umwelt und Verkehr vom 12. Dezember 1996, LT BW-Drs. 12/652, zu I. 2. 22) Siehe oben: Fn. 19. 23) Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz – RegG) vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2871). 24) LTag BW-Drs. 14/1583, Anlage. 25) LTag BW-PlenProt 14/29, S. 1840; LTag BW-Drs. 1583. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 9 3.3.3. Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 Am 2. April 2009 schlossen das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Stuttgart, der Verband Region Stuttgart, die Flughafen Stuttgart GmbH sowie die DB Netz AG, die DB Station & Service AG, die DB Energie GmbH und die Deutsche Bahn AG einen „Finanzierungsvertrag“. Der Finanzierungsvertrag regelt die Durchführung und Finanzierung von Planung und Bau des Projekts „Stuttgart 21“ sowie einen möglichen Ausstieg.26 3.3.3.1. Projektrealisierung Das Projekt „Stuttgart 21“ soll als Teil des Gesamtprojektes mit der geplanten Neubaustrecke Wendlingen – Ulm zum Zwecke der Verbesserung des Verkehrsangebotes realisiert werden (§ 3 Abs. 1). Beide Projekte sollen gleichzeitig spätestens im Dezember 2019 in Betrieb gehen (§ 2 Abs. 3). Träger des Projekts sind die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) in Sinne des § 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG)27, also die DB Netz AG, die DB Station & Service AG und die DB Energie GmbH (§ 4 des Vertrages). Das besondere Interesse der Bahn AG und der EIU an dem Vertrag besteht darin, dass keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist (§ 2 Abs. 2 des Vertrages ). 3.3.3.2. Kostentragung Die Gesamtkosten des Projektes werden einschließlich einer unterstellten allgemeinen Kostensteigerung auf 3 076 Mio. Euro festgelegt. Getragen werden sollen die Gesamtkosten durch die EIU in Höhe von 1 300,8 Mio. Euro, durch das Land und seine Partner (Gemeinde, Verband Region Stuttgart) in Höhe von 389,4 Mio. Euro in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses, durch die Flughafen Stuttgart GmbH in Höhe von 107,8 Mio. Euro, aus noch zu vereinbarenden Mitteln des Bundes nach § 8 Abs. 1 BSchwAG in Höhe von 500 Mio. Euro, aus Mitteln des Bundes nach § 8 Abs. 1 BSchwAG für das Bestandsnetz in Höhe von 300 Mio. Euro, aus Mitteln des Bundes nach § 8 Abs. 2 BSchwAG in Höhe von 197 Mio. Euro, aus dem Bundesprogramm nach dem GVFG in Höhe von 281 Mio. Euro. Um die Anbindung des Flughafens an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz sicherzustellen , leistete die Flughafen Stuttgart GmbH bereits am 31. Juli 2008 einen einmaligen, festen, nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe von 112 242 Tds. Euro zum Ausgleich von Betriebsverlusten an die EIU. Nach § 7 Abs. 1 des Vertrages ist dieser Zuschuss „im Falle eines Projektabbruchs gleich aus welchem Grund“ zurückzuzahlen. 26) LTag BW-Drs. 14/4382, Anlage 1. 27) Vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 10 3.3.3.3. Risikovorsorge für Kostensteigerungen Zur Tragung von Mehrkosten bis zu 1,45 Mrd. Euro haben die Parteien folgendes vereinbart: Zunächst übernehmen die EIU einen weiteren Beitrag in Höhe von bis zu 220 Mio. Euro. Danach leisten das Land, die Stadt und der Flughafen zusammen 780 Mio. Euro. Weitere 290 Mio. Euro sind von den EIU zu tragen. Schließlich haben das Land und die Stadt weitere 160 Mio. Euro zu leisten. Für Mehrkosten über 1,45 Mrd. Euro besteht keine Abrede. In diesem Fall nehmen die EIU und das Land Gespräche auf (§ 8 Abs. 4). Bis März 2010 ist es seit Abschluss des Vertrages im April 2009 bereits zu einer erwarteten Kostensteigerung in Höhe von 1 Mrd. Euro gekommen.28 3.3.3.4. Kostentragung im Falle des Projektabbruchs Ein Abbruch des Vertrages wegen Kostensteigerungen ist nur bis zum 31. Dezember 2009 vorgesehen . In § 2 Abs. 2 des Vertrages heißt es hierzu: „Für den Fall, dass nach Abschluss der Entwurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31.12.2009, eine Erhöhung der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zusätzlich die … vereinbarten Beträge übersteigt, werden die Vertragsparteien Verhandlungen aufnehmen. Kann danach die Finanzierung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen . Diesenfalls werden die ab Unterzeichnung des Memorandum of Understanding … angefallenen Kosten, bereits gebundene Kosten sowie Kosten für einen qualifizierten Abschluss des Projekts … von den EIU zu 60 % und vom Land zu 40 % getragen…“ 3.3.3.5. Vorbehalte/aufschiebende Bedingungen Der Vertrag wurde „unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die zuständigen Beschluss- und Aufsichtsgremien der Vertragsparteien“ geschlossen (§ 15 Abs. 2 des Vertrages). Jede Seite ist verpflichtet, zeitgerecht die Entscheidung ihrer Gremien herbeizuführen und „einen Entfall der aufschiebenden Bedingung“, also der Zustimmung den anderen Parteien unverzüglich anzuzeigen . Mit der Anzeige gelten die jeweiligen Vorbehalte als ausgeräumt. Der Vertrag steht auch unter dem Vorbehalt, dass sich der Bund für das Projekt „Stuttgart 21“ zur Zahlung von 500 Mio. Euro aus Mitteln nach § 8 Abs. 1 BSchwAG verpflichtet und die Finanzierung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm übernimmt. In diesem Fall gilt die Kostentragungsregel für einen Projektabbruch bis zum 31. Dezember 2009 (siehe oben: 3.3.3.4). 28) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Frage 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 11 3.3.3.6. Kündigungsmöglichkeiten Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages ist eine „ordentliche Kündigung“ ausgeschlossen. 3.3.3.7. Entschließung des Landtages Der Landtag von Baden-Württemberg stimmte dem Finanzierungsvertrag in einer Entschließung vom 13. Mai 2009 zu.29 3.3.4. „Gemeinsame Erklärung“ In einer „Gemeinsamen Erklärung zur Realisierung der Projekte ‚Stuttgart 21‘ und ‚NBS Wendlingen – Ulm‘“ vereinbarten die Bundesrepublik Deutschland, das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Stuttgart, der Verband Region Stuttgart, die Flughafen Stuttgart GmbH, die Deutsche Bahn AG, die DB Netz AG, die DB Station & Service AB und die DB Energie GmbH eine „grundsätzliche “ Zuordnung der Finanzierungsbeiträge zu den beiden Projekten.30 In § 1 Abs. 2 bis 4 werden die beiden Projekte voneinander abgegrenzt. Klargestellt worden ist, dass Vorhabenträger und Bauherren des Projektes „Stuttgart 21“ allein die EIU sind (§ 5 Abs. 1). Der Bund sagte zu, mit den EIU eine Finanzierungsvereinbarung über einen vom Bund zu leistenden Festbetrag in Höhe von 500 Mio. Euro (Preis- und Planungsstand 2004) abzuschließen (§ 5 Abs. 2). Dies entspricht den „Sowieso-Kosten“, die für die Einbindung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm in den Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung des Projekts „Stuttgart 21“ erforderlich geworden wären.31 Der Bund erklärte sich in Abstimmung mit dem Land bereit, aus der auf das Land entfallenden Quote Bundesmittel nach § 8 Abs. 2 BSchwAG in Höhe von 197 Mio. Euro bereit zu stellen (§ 5 Abs. 5). Die EIU werden 300 Mio. Euro aus den für Ersatzinvestitionen bereitgestellten Bundesmitteln für „Stuttgart 21“ einsetzen (§ 5 Abs. 6). Weitere 281 Mio. Euro können aus dem GVFG-Bundesprogramm beantragt werden (§ 5 Ab. 8). Weiter sagte der Bund zu, mit den EIU eine Finanzierungsvereinbarung zu der NBS Wendlingen – Ulm abzuschließen, mit der er Gesamtfinanzierung sicherstellt und das Risiko einer Kostensteigerung trägt (§ 4). Die „Gemeinsame Erklärung“ selbst begründet keine Zahlungsansprüche. Diese werden erst durch entsprechende Finanzierungsverträge oder Zuwendungsbescheide begründet (§ 3 Satz 2). In der Folge hat der Bund sich in einer Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn AG verpflichtet, sich an dem Projekt „Stuttgart 21“ finanziell mit einem Festbetrag in Höhe von 563,8 29) LTag BW-PlenProt 14/66, S. 4760, LTag BW-Drs. 14/4438. 30) LTag BW-Drs. 14/4382, Anlage 2. 31) Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, Drs. 17/2723, Frage 16.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 12 Mio. Euro zu beteiligen. Rechtsgrundlage ist § 8 Abs. 1 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG)33 3.3.5. Grundstücksverträge An Dritte veräußerte die Bahn Grundstücke für ca. 125 Mio. Euro ohne Rücktrittsrecht. Welche rechtlichen Folgen ein Projektabbruch hätte, ist nicht bekannt. Je nach vertraglichen Absprachen könnten die Käufer verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünden, wenn die Grundstücke vertragsgemäß übereignet und übergeben worden wären (sogenannter „Nichterfüllungsschaden“). 3.4. Verpflichtungsermächtigungen im Landeshaushalt Das Land Baden-Württemberg hat in seinem Staatshaushaltsplan 2009 für Finanzierung und Vorsorgebedarf für die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm und „Stuttgart 21“ im Einzelplan 0325, Titelgruppe 78 der Landesregierung Ausgaben von insgesamt 61,2 Mio. Euro bewilligt und Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1 213,86 Mio. Euro erteilt. 4. Bindungen des Landes an das Projekt „Stuttgart 21“ Das Projekt „Stuttgart 21“ steht und fällt mit der finanziellen Beteiligung des Landes Baden- Württemberg. Dies hat die Deutsche Bahn AG mehrfach deutlich gemacht. Sowohl in dem „Memorandum of Understanding“ vom 19. Juli 200735 als auch in der Finanzierungsvereinbarung vom 2. April 200936 verfolgte sie vor allem das Ziel, „im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens … für die DB AG und die EIU aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen“ zu lassen. Sollten die ursprünglich geplanten Ausgaben von 3 076 33) Antwort der Bundesregierung vom 14. April 2009, Drs. 16/12630, zu Frage 1. 35) Siehe oben: 3.3.2 (S. 8). 36) Siehe oben: 3.3.3 (S. 9). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 13 Mio. Euro eingehalten werden, wäre das Land mit 389,4 Mio. Euro beteiligt (12,7 Prozent). Steigen die Kosten auf 4 526 Mio. Euro, trägt das Land mit 1 210 Mio. Euro bereits 26,7 Prozent. Für die Möglichkeit der Beendigung des Projekts durch das Land, kommt es also darauf an, ob Baden-Württemberg verpflichtet ist, an seiner Beteiligung festzuhalten. 4.1. Bundesrechtliche Bindung des Landes an „Stuttgart 21“? Das Land Baden-Württemberg könnte durch Bundesgesetz oder Entscheidungen der Bundesverwaltung verpflichtet sein, an dem Projekt „Stuttgart 21“ festzuhalten. 4.1.1. Bindung durch Bundesgesetz Der Bund hat nach Artikel 73 Abs. 1 Nr. 6a des Grundgesetzes (GG) die ausschließliche Gesetzgebung über den Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (Eisenbahnen des Bundes), den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege. Von dieser Kompetenz umfasst ist auch die Planung, der Bau, die Änderung und die Unterhaltung von Bahnanlagen. Durch Bundesgesetz darf auch ein konkretes Verkehrsvorhaben zugelassen werden.37 Der Bund hat von seiner Gesetzgebungskompetenz mit dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) Gebrauch gemacht. Dieses regelt unter anderem die Eisenbahnaufsicht, die Aufnahme eines Eisenbahnbetriebes , Beförderungspflichten und den Zugang zu Eisenbahninfrastrukturen sowie die Planfeststellung für den Bau oder die Änderung von Eisenbahnbetriebsanlagen. Es dient der Gewährleistung eines sicheren Betriebs der Eisenbahn und eines attraktiven Verkehrsangebotes auf der Schiene sowie der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs auf der Schiene bei dem Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen und dem Betrieb von Eisenbahninfrastrukturen (§ 1 Abs. 1 AEG). Bestimmte Eisenbahnstrecken oder Vorgaben für den Bau bestimmter Bahnhöfe sieht das AEG nicht vor. Anderes könnte sich aus dem Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSchwAG) ergeben. Gemäß § 1 des Gesetzes wird ein Bedarfsplan für die Bundesschienenwege aufgestellt, der für die Feststellung des Bedarfs für die Planfeststellung verbindlich ist. Finanziert werden die Schienenwege durch den Bund im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel (§ 8 Abs. 1 BSchwAG). Der Bedarfsplan ist ein einer Anlage zu § 1 dem Gesetz angehängt, das für konkrete Bauvorhaben einen vordringlichen oder einen weiteren Bedarf definiert. Im Bedarfsplan ist keine Bestimmung über den Zeitpunkt der Realisierung einer Maßnahme enthalten. Hierüber entscheidet das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Einvernehmen mit der Deutschen Bahn AG im Rahmen der vom Parlament zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel.38 37) BVerfGE 95, 1 [18]. 38) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Frage 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 14 Aufgenommen in den Bedarfsplan ist als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs die Ausbau- bzw. Neubaustrecke Stuttgart – Ulm – Augsburg (1. a) lfd. Nr. 20). Anders als die Knoten Berlin, Dresden , Erfurt, Halle/Leipzig und Magdeburg (lfd. Nr. 27) ist der Knoten Stuttgart nicht aufgeführt. Daraus wird zu Recht von der Bundesregierung gefolgert, dass das Projekt „Stuttgart 21“ nicht im Bedarfsplan des Bundes aufgeführt ist.39 Dieser Auffassung habe sich in der Gemeinsamen Erklärung vom 2. April 2009 auch die Deutsche Bahn AG als Holding der Vorhabenträgerinnen angeschlossen .40 Durch ein Bundesgesetz ist das Land Baden-Württemberg nicht verpflichtet, an dem Projekt „Stuttgart 21“ festzuhalten. 4.1.2. Bindungen durch die Bundesverwaltung Nach Artikel 87e GG wird die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes in bundeseigener Verwaltung durchgeführt. Eisenbahnverkehrsverwaltung umfasst zwei Teilkomponenten , zum einen ein ordnungsrechtliches und zum andern ein infrastrukturelles Element.41 4.1.2.1. Infrastrukturauftrag Aus Artikel 87e Abs.4 GG ergibt sich, dass der Bund zur Gewährleistung des Bedarfs an Verkehrsinfrastruktur tätig werden darf bzw. muss. Er hat also die Kompetenz, im Bereich der Eisenbahnen selbst tätig zu werden. Das Projekt „Stuttgart 21“ ist jedoch kein Projekt des Bundes. Nach Auffassung der Bundesregierung und der am Projekt Beteiligten wird das Vorhaben alleine von den Bahntöchtern getragen. 4.1.2.2. Planfeststellung Das Eisenbahn-Bundesamt hat gemäß § 18 AEG einige Planfeststellungsabschnitte des Projektes „Stuttgart 21“ planfestgestellt. Gemäß § 18c AEG in Verbindung mit § 75 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG)42 wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Alle öffentlich-rechtlichen Be- 39) Antwort der Bundesregierung vom 8. März 2010, Drs. 17/955, Fragen 3 bis 5; Antwort der Bundesregierung vom 6. August 2010, Drs. 17/2723, Frage 16; . 40) § 1 Abs. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Erklärung von Bund, Land einschließlich Partner und der DB AG mit ihren Töchtern vom 2. April 2009 (siehe oben: 3.3.4, S. 11). 41) Gersdorf, in: Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 5. Auflage 2005, Art. 87e, Rn. 19. 42) In der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2827). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 15 ziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen werden rechtsgestaltend geregelt. Die erste Rechtswirkung der Planfeststellung besteht in der Genehmigungswirkung. Durch den Planfeststellungsbeschluss wird die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf alle von dem Vorhaben berührten Belange festgestellt. Neben der Planfeststellung sind andere behördliche Entscheidungen in Bezug auf die Zulässigkeit des Vorhabens nicht erforderlich (Konzentrationswirkung). Sie ersetzt also andere Genehmigungen sowie Ausnahmen und Befreiungen von gesetzlichen Verboten, die für die Verwirklichung des Vorhabens erforderlich sind.43 Aus der Planfeststellung folgt eine Pflicht des Landes zur Duldung des Vorhabens, nicht aber eine Verpflichtung des Landes zur finanziellen Beteiligung an dem Projekt. 4.2. Landesrechtliche Bindungen an das Projekt „Stuttgart 21“? 4.2.1. Haushaltsrecht Aus dem Umstand, dass in den Staatshaushaltsplan des Landes Baden-Württemberg Verpflichtungsermächtigungen für das Projekt „Stuttgart 21“ eingestellt wurden, ergeben sich keine Bindungen des Landes. Der Haushaltsplan ermächtigt nach § 3 Abs. 1 der Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg (LHO BW)44 lediglich die Verwaltung, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen. Ansprüche oder Verbindlichkeiten werden durch den Haushaltsplan weder begründet noch aufgehoben (§ 3 Abs. 2 LHO BW). 4.2.2. Beschlüsse des Landtages In seiner Entschließung vom 12. Oktober 2006 beschloss der Landtag von Baden-Württemberg, „mit Nachdruck die Bemühungen um das Gesamtprojekt Neubaustrecke Stuttgart– Ulm/Stuttgart 21 und die Initiative, möglichst rasch eine Grundsatzentscheidung über die Realisierung dieses Gesamtprojektes herbeizuführen“, zu unterstützen.45 Am 25. Juli 2007 stimmte der Landtag dem „Memorandum of Understanding“ vom 19. Juli 2007 in Form einer Entschließung zu.46 Dem Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 stimmte der Landtag in seiner Entschließung vom 13. Mai 2009 zu.47 Fraglich ist, welche rechtlichen Wirkungen von derartigen Entschließungen ausgehen. 43) Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 75, Rn. 10. 44) Gesetz vom 19. Oktober 1971 (GBl. S. 428), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 1. März 2010 (GBl. S. 265, 267). 45) LT BW-PlenProt 14/10, S. 417; LT BW-Drs. 14/381. 46) LTag BW-PlenProt 14/29, S. 1840; LTag BW-Drs. 1583. 47) LTag BW-PlenProt 14/66, S. 4760, LTag BW-Drs. 14/4438. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 16 „Entschließungen“ des Parlaments sind anders als z. B. Gesetzesbeschlüsse, Beschlüsse zur Einsetzung von Ausschüssen oder Wahlen in der Regel politische Willensbekundungen, die nicht auf eine Rechtswirkung gerichtet sind („schlichte Parlamentsbeschlüsse“).48 Beschlüsse des Parlaments habe die rechtliche Wirkung, die ihnen die Verfassung, die Geschäftsordnung oder einfache Gesetze verleihen. Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg (Verf BW) nennt neben Wahlen und Gesetzesbeschlüssen die „Stellungnahmen des Landtages“ zu Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, welche die Landesregierung zu berücksichtigen hat (Art. 34a Abs. 2 Verf BW). § 49a der Geschäftsordnung des Landtages (GO LT BW) kennt „Entschließungen zu Gesetzentwürfen“. Weder die Verf BW noch die GO LT BW sehen für „Entschließungen“ Rechtsfolgen vor. 4.3. Vertragliche Bindungen des Landes Das Land Baden-Württemberg hat sich in dem Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 im wesentlichen verpflichtet, zu dem Projekt „Stuttgart 21“ einen erheblichen, nicht rückzahlbaren Zuschuss zu leisten (siehe oben: 3.3.3.2, S. 9). Ein einseitiger Ausstieg aus dem Projekt ist nach dem Vertrag nicht mehr vorgesehen. Für den Fall, dass die Finanzierung wegen Erhöhung der Gesamtkosten nicht mehr sichergestellt ist, konnte bis spätestens 31. Dezember 2009 das „Projekt qualifiziert abgeschlossen“ werden. Eine ordentliche Kündigung ist nach § 15 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages ausdrücklich ausgeschlossen. Damit kommen nur noch zwei Wege in Betracht: Eine Kündigung in besonderen Fällen und ein Aufhebungsvertrag. 4.3.1. Kündigung in besonderen Fällen Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kann nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG49 gekündigt werden. Dafür erforderlich ist, dass „die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert [haben], dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist“. Die Kündigung ist aber nur dann zulässig, sofern eine Anpassung des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse nicht möglich oder einer Vertragspartei nicht zuzumuten ist. Die Behörde kann außerdem den Vertrag nach § 60 Abs. 1 Satz 2 VwVfG kündigen, „um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.“ Die Vorschrift ist anwendbar. Bei dem Finanzierungsvertrag handelt es sich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag. Das Land Baden-Württemberg verpflichtete sich zu einer Subvention eines Vorhabens aus öffentlichem Interesse. 48) Achterberg/Schulte, in: Mangoldt/Klein/Strack, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 5. Auflage 2005, Art. 42, Rn. 31; Versteyl, in: Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Auflage 2001, Art. 42, Rn. 16. 49) Ob hier das VwVfg des Bundes oder des Landes einschlägig ist, kann dahin stehen. § 60 ist in beiden Gesetzen textidentisch. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 17 4.3.1.1. Abbedungen durch § 15 Abs. 1 Satz 2 des Finanzierungsvertrages? Die Bestimmung ist nicht durch § 15 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages abbedungen. Dieser schließt nur eine ordentliche Kündigung aus. Bei der Kündigungsmöglichkeit nach § 60 VwVfG handelt es sich um den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage („clausula rebus sic stantibus“). Diese zwingende Norm kann grundsätzlich vertraglich nicht abbedungen werden .50 4.3.1.2. Wesentliche Veränderung der Verhältnisse Es müssten sich die die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrages wesentlich geändert haben. In Betracht kommen rechtliche oder tatsächliche Verhältnisse. Rechtlich hat sich seit Vertragsschluss nichts geändert. Unter tatsächlichen Verhältnissen sind die grundlegenden Umstände zu verstehen, die zwar nicht Vertragsinhalt geworden sind, aber für beide Vertragsparteien die gemeinsame Grundlage des Vertrages waren. Die Verhältnisse müssten sich nach Vertragsabschluss geändert haben. Dafür reicht es, wenn die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages einem Tatsachenirrtum unterlagen .51 Die Änderung der Verhältnisse muss so wesentlich sein, dass einer Partei das Festhalten an der ursprünglichen Vereinbarung nicht mehr zuzumuten ist. Da der Grundsatz der Vertragstreue auch im öffentlichen Recht nur ausnahmsweise durchbrochen werden darf, kommt dies nur in Betracht, wenn untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechterdings unvereinbare Ergebnisse im öffentlichen Interesse vermieden werden müssen. Wo das der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.52 Im Falle von „Stuttgart 21“ dürfte es dabei auf die Einschätzung ankommen, ob tatsächlich die breite Mehrheit der Bevölkerung das Projekt in einem Ausmaße ablehnt, dass ein Festhalten an den Planungen den Frieden in der Region nachhaltig stören würde. In einem solchen Fall könnte die Geschäftsgrundlage für den Abschluss des Finanzierungsvertrages entfallen sein. Das Merkmal der nachträglichen Änderung dürfte im Falle von „Stuttgart 21“ gegeben sein, wenn sich beide Vertragsparteien über das Ausmaß der Ablehnung in der Bevölkerung gleichermaßen geirrt haben. 4.3.1.3. Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl Der Begriff „schwerer Nachteil für das Gemeinwohl“ ist eng auszulegen. Er kann nur bejaht werden , wenn besondere, erhebliche, überragende Interessen der Allgemeinheit die Auflösung des 50) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 6. 51) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 13. 52) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 18 Vertrages gebieten, durch die dem Staat auf seinen verschiedenen Ebenen unzumutbare Lasten auferlegt würden.53 Dies könnte beim Projekt „Stuttgart 21“ der Fall sein, wenn das Projekt nur mit massiver Gewalt gegen große Teile der Bevölkerung durchzusetzen wäre und dadurch das in einem freiheitlichen Staat unabdingbare Vertrauen der Bevölkerung in den Staat und seine Institutionen bleibend beschädigt würde. 4.3.1.4. Rechtsfolgen § 60 VwVfG sieht für den Fall der wesentlichen Änderung der Verhältnisse zunächst die Anpassung des Vertrages vor. Anpassung bedeutet die inhaltliche Umgestaltung des Alt-Vertrages. Eine solche Anpassung könnte in der Verkleinerung des Projektes oder einer zeitlichen Verschiebung gesucht werden. Ob dies in Betracht kommt, muss zwischen den Parteien erörtert werden. Erst wenn eine Anpassung nicht in Betracht kommt, besteht die Möglichkeit zur Kündigung. Weder für eine Kündigung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse noch bei schweren Nachteilen für das Gemeinwohl sieht § 60 VwVfG eine ausdrückliche Entschädigungsoder Ausgleichsregelungen vor. Die Kündigung löst in der Regel keine Schadensersatzpflicht aus, es kommt aber eine Teilung des Schadens in Betracht.54 Liegt in der Kündigung ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition im Sinne des Artikels 14 GG vor, dürfte ein „Aufopferungsanspruch “ gegeben sein.55 Zu denken wäre auch an eine Entschädigung nach § 49 Abs. 6 VwVfG analog: Bei dem Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsaktes zur Verhütung oder Beseitigung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl ist dem Betroffenen der Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erlitten hat, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat. Im Falle der Kündigung des Finanzierungsvertrages würde faktisch in die Rechtsposition der Bahn aus der Planfeststellung eingegriffen. Der Vertrauensschaden bestünde in den Aufwendungen , welche die Bahn seit Ablauf der Ausstiegsmöglichkeit nach § 2 Abs. 2 des Vertrages am 31. Dezember 2009 getätigt hat. 4.3.2. Aufhebungsvertrag Den Vertragsparteien steht es jederzeit frei, den Vertrag einvernehmlich aufzuheben. 53) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 28. 54) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 25c. 55) Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Auflage 2001, § 60, Rn. 30. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 19 5. Volksabstimmung Nach Artikel 60 LVerf BW können Gesetze vom Landtag oder durch Volksabstimmung beschlossen werden. 5.1. Gesetz zur Aufhebung der Verpflichtungsermächtigungen im Staatshaushaltsplan Im Wege der Volksabstimmung könnte ein Gesetz zur Aufhebung der Verpflichtungsermächtigungen im Staatshaushaltsplan verabschiedet werden. Volksabstimmungen über das Staatshaushaltsgesetz sind nach Artikel 60 Abs. 6 LVerf BW unzulässig . Damit scheidet dieser Weg aus. Er wäre auch nicht zielführend, da der Haushaltsplan Ansprüche Dritter weder begründet noch aufhebt. 5.2. Gesetz über haushaltsrelevante Fragen Es könnte ein Gesetz verabschiedet werden, das die Grundentscheidung zum Ausstieg aus dem Projekt „Stuttgart 21“ trifft56, die Landesregierung zur Kündigung des Finanzierungsvertrages verpflichtet und gleichzeitig die Entschädigung der anderen Vertragspartner regelt. Die Beendigung des Finanzierungsvertrages würde den Staatshaushalt nur mittelbar und entlastend beeinflussen. Ein Verstoß gegen Artikel 60 Abs. 6 LVerfG BW läge nicht vor. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof entschied im Jahr 2000, dass Gesetzesvorhaben im Wege der Volksgesetzgebung unzulässig seien, die auf den Gesamtbestand des Haushaltes insoweit Einfluss nehmen, als durch ihre Finanzwirksamkeit das haushalterische Gleichgewicht gestört und dadurch mittelbar die parlamentarische Budgethoheit wesentlich beeinträchtigt wird.57 Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlins stellen außerbudgetäre Gesetze die Budgethoheit des Parlaments nicht grundsätzlich in Frage, auch wenn sie die Dispositionshoheit des Parlaments einschränkten. Die Haushaltsverantwortung des Parlaments werde nicht unterminiert, auch wenn seine Planungen und Prioritätensetzungen durch erfolgreiche Volksgesetzgebung modifiziert sein mögen. Das Parlament könne auch plebiszitäre Gesetze jederzeit ganz oder teilweise wieder aufheben.58 Verstöße gegen das Budgetrecht des Parlaments oder gegen Artikel 60 Abs. 6 LVerf BW sind nicht ersichtlich. Ein solches Gesetz wäre auch kein unzulässiges Einzelfallgesetz im Sinne des Artikel 19 Abs. 1 GG. Das Gesetz würde lediglich die Landesregierung verpflichten, im Rahmen des (verfassungs-) rechtlich Zulässigen von dem Kündigungsrecht nach § 60 VwVfG Gebrauch zu machen. Gesetze zur Beendigung von Vorhaben sind nicht ungewöhnlich. Mit dem Gesetz zur Aufhebung des 56) vgl. BVerfGE 49, 89. 57) BayVerfGH, NVwZ 2000, 401 (403). 58) VerfGH BE, Urteil vom 6. Oktober 2009, VerfGH 143/08 („Kitakinder + Bildung von Anfang an = Gewinn für Berlin“). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 403/10 Seite 20 Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes vom 17. November 200159 wurde das Vorhaben der Errichtung des Transrapids im Emsland beendet. 59) BGBl. I S. 3106.