Deutscher Bundestag Rechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegenüber integrationsunwilligen Migrantinnen und Migranten nach geltendem Recht Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 397/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 2 Rechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegenüber integrationsunwilligen Migrantinnen und Migranten nach geltendem Recht Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 397/10 Abschluss der Arbeit: 1. Oktober 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Pflicht zur Integration 4 2.1. Integrationskurs 5 2.2. Schulpflicht 7 2.3. Wirtschaftliche Integration 8 3. Sanktionsmöglichkeiten und sonstige Folgen von Integrationsverstößen 9 3.1. Verletzung der Teilnahme am Integrationskurs 9 3.1.1. Belehrung und Vorladung 9 3.1.2. Kostenauferlegung 9 3.1.3. Verwaltungszwang 9 3.1.4. Kürzung von Sozialleistungen 10 3.1.5. Bußgeld 10 3.1.6. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen 10 3.1.6.1. Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis 10 3.1.6.2. Ausweisung 11 3.1.6.3. Voraussetzung für ein Daueraufenthaltsrecht 11 3.1.6.4. Sonderfall: Türkische Arbeitnehmer 12 3.1.7. Anreiz im Staatsbürgerschaftsrecht 12 3.2. Schulverweigerung 13 3.2.1. Bußgeld und Strafe 13 3.2.2. Verwaltungszwang 14 3.2.3. Ermessensausweisung 14 3.2.4. Entziehung der elterlichen Sorge 15 3.3. Mangelnde wirtschaftliche Integration 15 3.3.1. Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis 15 3.3.2. Ausweisung bei Bezug von Sozialhilfe 16 3.3.3. Das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern bei Bezug von Sozialleistungen 17 3.4. Verstöße gegen die Werteordnung des Grundgesetzes 18 3.5. Integrationsbehinderung 18 4. Empirische Daten zur Anwendung von Sanktionen 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 4 1. Einleitung In Deutschland galt jahrzehntelang die politische und normative Festlegung: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“.1 Zuwanderer sollten nur solange im Land bleiben, wie sie gebraucht werden. Nach dem Anwerbestopp von 1973 waren die Ziele der Migrationspolitik die Begrenzung des Zuzugs und die Förderung der Rückkehr. Der dauerhafte Zuzug von Menschen fremder Herkunft galt als unerwünscht.2 Mit dem Ausländergesetz 1990 (AuslG)3 wurde schließlich gesetzgeberisch zur Kenntnis genommen, dass ein erheblicher Teil der Zugewanderten auf Dauer in Deutschland bleiben will.4 Den Zugewanderten sollte durch Schaffung entsprechender Aufenthaltstitel die für ihre Lebensplanung erforderliche Rechtssicherheit gegeben werden. Gleichzeitig betonte das Gesetz aber, dass selbst ein hier geborener Ausländer kein vorgegebenes Recht zum Aufenthalt hat, sondern dieses erst durch das Ausländerrecht geschaffen wird und von den Interessen der Bundesrepublik Deutschland abhängt (§§ 1, 3, 7, 21 AuslG).5 Integrationsmaßnahmen sah das Gesetz nicht vor.6 Zu einer zentralen Zielsetzung der Gesetzgebung ist Integration erst mit dem Zuwanderungsgesetz 20027 geworden, das später allerdings vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde8. Das Gesetz sah unter anderem einen Mindestrahmen staatlicher Integrationsangebote wie etwa einen Rechtsanspruch auf Sprachkurse und die Einführung in die deutschen Lebensverhältnisse vor. Bei fehlenden Sprachkenntnissen verpflichtete es zur Kursteilnahme. Diese Bestimmungen wurden durch das Zuwanderungsgesetz 20049 im wesentlichen übernommen. 2. Pflicht zur Integration Mit dem Zuwanderungsgesetz ist auch eine Integrationspflicht für Migranten eingeführt worden. Ausländer, die auf Dauer im Bundesgebiet leben, sind gemäß § 43 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)10 gesetzlich verpflichtet, sich in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren.11 Von einem dauerhaften Aufenthalt ist 1) Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“, Zuwanderung gestalten – Integration fördern, vom 4. Juli 2001 („Süssmuth-Kommission“), S. 12 (www.bmi.bund.de). 2) Süssmuth-Kommission (Fn. 1), S. 199. 3) Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354). 4) Begründung des Gesetzentwurfs, Drs. 11/6321, S. 40. 5) So ausdrücklich die Gesetzesbegründung, Drs. 11/6321, S. 41 f., 45, 53 f., 56 . 6) Zu den Fördermaßnahmen des Bundes bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes siehe: Süssmuth- Kommission (Fn. 1), S. 205 ff. 7) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 20. Juni 2002 (BGBl. I S. 1946). 8) Urteil vom 18. Dezember 2002 - 2 BvF 1/02 -: Die Zustimmung des Bundesrates zu diesem Gesetz erfolgte nicht ordnungsgemäß. 9) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950). 10) Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437). 11) Die aktuelle Fassung der Bestimmung beruht auf dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 5 in der Regel auszugehen bei Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis von mehr als einem Jahr erhalten oder seit über 18 Monaten eine Aufenthaltserlaubnis besitzen (§ 44 Abs. 1 Satz 2 Aufenth G).12 Gefordert werden eigene Anstrengungen zur Integration, die darauf gerichtet sind, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben, das Gewaltmonopol des Staates zu achten, die Werteordnung des Grundgesetzes verbindlich anzuerkennen, sich zur Glaubens-, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit sowie zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zu bekennen.13 2.1. Integrationskurs Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG setzt die Integration ausreichende Kenntnisse von der Sprache, der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland voraus. Diese Kenntnisse soll ein Integrationskurs vermitteln, der dazu befähigen soll, ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln zu können (§ 43 Abs. 2 Satz 3 AufenthG).14 Ziel des Kurses ist es, „den Ausländern die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland erfolgreich zu vermitteln“ (§ 43 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Ausländer, die sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, sind grundsätzlich zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet (§ 44a AufenthG). Dabei reicht die bloße Teilnahme an dem Kurs nicht aus. Es muss der Abschlusstest des Kurses erfolgreich abgelegt werden (§ 44a Abs. 3 AufenthG). Im Einzelnen trifft diese Verpflichtung (§ 44a Abs. 1 AufenthG), alle Neuzuwanderer seit dem 1. Januar 2005, also Personen, die seither erstmals eine Aufenthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken, zum Zweck des Familiennachzugs oder aus humanitären Gründen erhalten, Personen, die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II15) beziehen, wenn die Teilnahme am Integrationskurs in einer Eingliederungsvereinbarung vorgesehen ist, sowie Personen, die in besonderer Weise integrationsbedürftig sind. Wer besonders integrationsbedürftig ist, wird von der Ausländerbehörde zur Teilnahme verpflichtet. Damit sind seit dem 1. Januar 2005 alle Neuzuwanderer verpflichtet, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Wer vorher zugewandert ist, kann freiwillig teilnehmen, wenn genügend Kurs- 12) Zur „Dauerhaftigkeit“ im Einzelnen siehe: Bundesministerium des Innern (BMI), Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl. 2009, S. 878), 44.1.1. Danach kann auch ein kürzerer Aufenthalt dauerhaft sein, wenn hinreichend sicher ist, dass der Aufenthalt auf Dauer angelegt ist. 13) Begründung des Gesetzentwurfs für das Gesetz vom 19. August 2007 (Fn. 11), Drs. 16/5056, S. 177. 14) Im Einzelnen dazu siehe: § 3 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) vom 13. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3370), geändert durch die Verordnung vom 5. Dezember 2007 (BGBl. I 2787). Siehe auch: BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 43.0 und 43.4.3.1. 15) Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (Art. 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. August 2010 (BGBl. I S. 1112). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 6 plätze verfügbar sind (§ 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Ein Rechtsanspruch auf Teilnahme besteht für die „Altzuwanderer“ nicht.16 Wer vor dem 1. Januar 2005 zugewandert und noch in besonderer Weise integrationsbedürftig ist, kann von der Ausländerbehörde zur Teilnahme an dem Integrationskurs verpflichtet werden, (§ 44a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Davon kann ausgegangen werden, wenn aufgrund fehlender sprachlicher Kompetenzen keine Kontakte in das soziale Umfeld (Arbeit, Schule, Kindergarten) bestehen.17 Ein Regelbeispiel für besondere Integrationsbedürftigkeit ist nach § 4 Abs. 3 der Integrationskursverordnung (IntV)18 eine Person, die das Sorgerecht für ein minderjähriges Kind hat, sich aber nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann.19 Der Bezug von Sozialhilfe kann ein Anhaltspunkt für eine besondere Integrationsbedürftigkeit sein.20 Mit der Möglichkeit für die Ausländerbehörden, Personen zur Teilnahme am Integrationskurs zu verpflichten, können etwa häuslich isolierte Frauen erreicht und an die deutsche Gesellschaft herangeführt werden.21 Erlangen öffentliche Stellen Kenntnis von der besonderen Integrationsbedürftigkeit einer Person, unterrichten sie unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde (§ 87 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Von der Verpflichtung zur Teilnahme an dem Integrationskurs ausgenommen sind Personen, deren Aufenthalt von vorübergehender Natur ist (z.B. Werksvertragsarbeitnehmer) bzw. die sich im Bundesgebiet in einer beruflichen oder sonstigen Ausbildung befinden, die die Teilnahme an vergleichbaren Bildungsangeboten nachweisen oder deren Teilnahme auf Dauer unmöglich oder unzumutbar ist (§ 44a Abs. 2 AufenthG). Werden auf anderem Wege vergleichbare Qualifikationen erworben, bedarf es keiner Verpflichtung zur Teilnahme am Integrationskurs.22 Unmöglich kann die Teilnahme sein, wenn jemand unmittelbar in eine Erwerbstätigkeit vermittelt wird und eine Teilnahme an einem Integrationskurs daneben nicht zumutbar ist.23 Persönliche Umstände wie die eigene Behinderung oder die Pflege behinderter Familienangehöriger kann die Teilnahme unzumutbar machen, nicht jedoch die Erziehung eigener Kinder.24 Für Deutsche, die im Ausland aufgewachsen sind, sowie für EU-Bürger und ihre Angehörigen besteht keine Pflicht zur Teilnahme an einem Integrationskurs. Deutsche haben aber nach § 44 Abs. 4 Satz 2 AufenthG einen Anspruch auf Teilnahme an einem Kurs, wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und in besonderer Weise integrationsbedürftig sind. EU-Bürger und ihre Angehörigen können im Rahmen verfügbarer Kursplätze an Integrationskursen teilnehmen.25 16) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44.4. 17) Gesetzesbegründung zu § 87 AufenthG, Drs. 16/5065, S. 195. 18) Siehe Fn. 14. 19) Siehe auch: BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.1.3.2. 20) Gesetzesbegründung zu § 87 AufenthG, Drs. 16/5065, S. 195. 21) Hinweise des BMI zu den wesentlichen Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Fn. 11), Stand: 18. 12. 2007 (Az.: PGZU – 128 406/1), S. 63. BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.1.2. 22) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.2. 23) Gesetzesbegründung zu § 44a AufenthG, Drs. 16/5065, S. 178. 24) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.2. 25) Gesetzesbegründung zu § 44 AufenthG, Drs. 16/5065, S. 178. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 7 Seit der Einführung der Integrationskurse im Jahr 2005 haben insgesamt 600 374 Personen einen Kurs neu begonnen und 319 456 Personen einen Integrationskurs abgeschlossen. Unter den im Jahr 2009 bestätigten 145 934 Teilnahmeberechtigten waren 22,9 Prozent durch die Ausländerbehörden verpflichtete Neuzuwanderer, 1,7 Prozent durch die Ausländerbehörden verpflichtete Altzuwanderer, 19 Prozent von den Trägern der Grundsicherung verpflichtete ALG II-Bezieher und 1,6 Prozent Spätaussiedler. Die restlichen 82 232 Teilnahmeberechtigungen (56,4 Prozent) wurden im Rahmen der verfügbarer Kursplätze an freiwillige Teilnehmer vergeben.26 Bemerkenswert ist, dass mehr als die Hälfte aller Teilnahmeberechtigungen an bereits länger in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer erteilt worden ist.27 Von den 70 968 Kursabsolventen im Jahr 2009 haben 96,5 Prozent an der Prüfung teilgenommen, von denen 91,9 Prozent bestanden haben.28 2.2. Schulpflicht In allen Bundesländern besteht nach den Landesgesetzen für alle Kinder und Jugendlichen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem Bundesland haben, Schulpflicht.29 Sie beginnt in der Regel mit Vollendung des sechsten Lebensjahres für das nachfolgende Schuljahr, 26) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMAF), Bericht zur Integrationskursgeschäftsstatistik für das Jahr 2009, Stand: 6. April 2010. 27) Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Achter Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Drs. 17/2400, S. 128. 28) BMAF, Bericht zur Integrationskursgeschäftsstatistik für das Jahr 2009, Stand: 6. April 2010. Für weitere Einzelheiten siehe: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, Drs. 17/1536, Anlage 1 (S. 13 ff.). 29) §§ 72 ff. des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchG BW) in der Fassung vom 1. August 1983 (GBl. 1983, S. 397), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (GBl. S. 365); Art. 35 ff. des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, berichtigt S. 632, BayRS 2230-1-1-UK), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2010 (GVBl S. 334); Schulgesetz für das Land Berlin (SchulG BE) vom 26. Januar 2004 (GVBl. S. 26), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 2010 (GVBl. S. 342); Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (BbgSchulG) vom 2. August 2002, GVBl. I/02, [Nr. 08] , S.78, zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (GVBl. I/09, [Nr. 12], S.262, 269); Bremisches Schulgesetz (BremSchulG) vom 28. Juni 2005 (Brem. GBl. S. 260 - 223-a-5; Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG),vom 16. April 1997 (HmbGVBl. S.97), zuletzt geändert am 17. Mai 2006 (HmbGVBl. S. 243) und 6. Juli 2006 (HmbGVBl. S.376, 378); Hessisches Schulgesetz (Schulgesetz - HSchG -) in der Fassung vom 14. Juni 2005 (GVBl. I S. 442), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Juli 2009 (GVBl. I S. 265); Schulgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Schulgesetz - SchulG M-V) vom 13. Februar 2006 (GVOBl. M-V 2006, S. 41), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 12. Juli 2010 (GVOBl. M-V S. 383, 392); Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) in der Bekanntmachung vom 3. März 1998 (GVBl. S. 137 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2010 (GVBl. S. 232 ff.); Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NW – SchulG NW) vom 15. Februar 2005 (GVBl. S. 102 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2009 (GVBl. S. 863 f.); Schulgesetz Rheinland-Pfalz (SchulG RP) vom 30. März 2004 (GVBl. S. 239 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2009 (GVBl. S. 418 ff.); Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz: SchoG SL) vom 21. August 1996 (ABl. S. 846 ff., berichtigt in ABl. S. 147), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Mai 2009 (ABl. S. 706 ff.)und Gesetz über die Schulpflicht im Saarland (Schulpflichtgesetz) vom 21. August 1996 (ABl. S. 864 ff., berichtigt in ABl. S. 147), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Juni 2008 (ABl. S. 1258 ff.); Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG SN)vom 16. Juli 2004 (GVBl. S. 298 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Dezember 2008 (GVBl. S. 866 ff.); Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SchulG ST) vom 11. August 2005 (GVBl. S. 520 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Dezember 2009 (GVBl. S. 684 ff.); Schleswig-Holsteinisches Schulgesetz (Schulgesetz – SchulG SH) vom 24. Januar 2007 (GVBl. S. 39 ff.; berichtigt in GVBl. S. 276), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. März 2010 (GVBl. S. 356 ff.); Thüringer Schulgesetz (SchulG TH) vom 30. April 2003 (GVBl. S. 238 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Mai 2010 (GVBl. S. 105 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 8 dauert zwischen neun und zwölf Jahren und endet mit Vollendung des 18. Lebensjahres.30 Die Schulpflicht gliedert sich in die allgemeine Schulpflicht (Vollzeitschulpflicht) und die Berufsschulpflicht . Verpflichtend ist die regelmäßige und aktive Teilnahme am Unterricht sowie an Schulveranstaltungen. Schulpflichtig sind nicht nur Kinder und Jugendliche, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten , sondern auch diejenigen, denen aufgrund eines Asylantrags der Aufenthalt gestattet ist oder die eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen.31 Unterschiede bestehen für Kinder mit illegalem Aufenthalt. 2.3. Wirtschaftliche Integration Die Einreise nach und der Aufenthalt in Deutschland wird in der Regel nur dem gestattet, der in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, und über ausreichenden Wohnraum verfügt. Andernfalls erhält ein Ausländer keinen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel (§§ 2, 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 AufenthG). Ausnahmen bestehen nur aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen (z.B. für bestimmte Flüchtlinge ). Gesichert ist der Lebensunterhalt nur, wenn der Lebensunterhalt entweder aus eigenen Mitteln des Ausländers oder aus Mitteln Dritter, die keine öffentlichen Mittel sind, bestritten wird. Die Mittel müssen den Bedarf eines Menschen decken.32 Zur Sicherung des Lebensunterhalts ist auch ein ausreichender Krankenversicherungsschutz erforderlich (§ 2 Abs. 3 AufenthG). Der Lebensunterhalt gilt als nicht gesichert, wenn öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden. Dazu zählen insbesondere die Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II33), die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe – SGB XII34), Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII35), Asylbewerberleistungen36 und Wohngeld37. Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs kann versagt werden, wenn für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen staatliche Leistungen bezogen werden (§ 27 Abs. 3 AufenthG). 30) In Berlin ist bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres berufsschulpflichtig, wer an einem berufsvorbereitenden Lehrgang teilnimmt (§ 43 Abs. 2 SchulG BE). 31) So ausdrücklich z.B. § 72 SchG BW, Art. 35 BayEUG und § 41 Abs. 2 SchulG BE. 32) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 2.3.1. 33) Siehe oben: Fn. 15. 34) Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022), zuletzt geändert durch Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzes vom 3. August 2010 (BGBl. I S. 1112). 35) Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3134), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 1696). 36) Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), zuletzt geändert durch Artikel 2e des Gesetzes vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856). 37) Wohngeldgesetz vom 24. September 2008 (BGBl. I S. 1856), zuletzt geändert durch Artikel 7 Absatz 8 des Gesetzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 9 3. Sanktionsmöglichkeiten und sonstige Folgen von Integrationsverstößen 3.1. Verletzung der Teilnahme am Integrationskurs Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geht davon aus, dass zwischen acht und zehn Prozent der Verpflichteten die Kursteilnahme verweigern.38 Stellt eine Integrationskurse durchführende Einrichtung (Kursträger) fest, dass ein zur Teilnahme Verpflichteter nicht ordnungsgemäß an dem Kurs teilnimmt, ist sie verpflichtet, die Ausländerbehörde zu unterrichten (§ 8 Abs. 3 IntV). Ordnungsgemäß ist die Teilnahme, wenn ein Teilnehmer so regelmäßig am Kurs teilnimmt, dass ein Kurserfolg möglich ist und der Lernerfolg insbesondere nicht durch Kursabbruch oder häufige Nichtteilnahme gefährdet ist, und er am Abschlusstest teilnimmt (§ 14 Abs. 5 IntV). Den Ausländerbehörden steht „ein nach Eingriffsintensität abgestuftes System von Sanktionen“ zur Verfügung, „um auf Verletzungen der Teilnahmepflicht reagieren zu können“.39 Bereits bei der Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs werden die Betroffenen ausführlich darüber belehrt, welche Auswirkungen eine Teilnahmepflichtverletzung haben kann. 3.1.1. Belehrung und Vorladung Wer an dem Integrationskurs nicht ordnungsgemäß teilnimmt, wird zunächst schriftlich auf die möglichen rechtlichen Konsequenzen und Sanktionen dieser Pflichtverletzung hingewiesen. Zu diesem Zweck kann der Betreffende auch vorgeladen werden. Lässt sich der Betreffende nicht überzeugen, wird ein Bußgeld angedroht. 3.1.2. Kostenauferlegung Bei Verletzung der Teilnahmepflicht kann dem Teilnahmepflichtigen der gesamte Kostenbeitrag für den Integrationskurs auf einmal auferlegt werden (§ 44a Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Der Kostenbeitrag beträgt pro Unterrichtsstunde ein Euro (§ 9 Abs.1 IntV). Der Integrationskurs umfasst 645 Unterrichtsstunden (§ 10 Abs. 1 IntV).40 3.1.3. Verwaltungszwang Die Ausländerbehörde kann die Teilnahme am Integrationskurs mittels des Verwaltungszwangs durchsetzen (§ 44a Abs. 3 Satz 2 AufenthG). In Betracht kommt insbesondere die Verhängung eines Zwangsgeldes nach §§ 9, 11 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG)41. 38) Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Achter Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Drs. 17/2400, S. 128. 39) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.3.2. 40) Integrationskurse für spezielle Zielgruppen umfassen bis zu 900 Unterrichtsstunden (§ 13 Abs. 1 IntV). 41) Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (BGBl. III, 201-4), zuletzt geändert durch Artikel 4 Absatz 1 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 10 3.1.4. Kürzung von Sozialleistungen Wer Arbeitslosengeld II bezieht und seine Pflicht zur Teilnahme am Integrationskurs verletzt, dem wird die Leistung in einem ersten Schritt um 30 Prozent, bei wiederholten Verletzungen der Teilnahmepflicht auch darüber hinaus gekürzt. Nach § 15 Abs. 1 SGB II soll die Grundsicherungsstelle (Agentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Träger) mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Darin soll bestimmt werden, welche Bemühungen der erwerbsfähige Hilfebedürftige in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er die Bemühungen nachzuweisen hat. Als Eingliederungsbemühen kommt insbesondere die Teilnahme an einem Integrationskurs in Betracht. Weigert sich der Arbeitssuchende, die Vereinbarung zu schließen, kann ihn die Grundsicherungsstelle durch Verwaltungsakt zur Teilnahme verpflichten (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II und § 44a Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Das Arbeitslosengeld II wird in einer ersten Stufe um 30 Prozent der Regelleistung abgesenkt, wenn der Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b SGB II). Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung wird das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent gemindert. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung wird das Arbeitslosengeld II um 100 Prozent gemindert. 3.1.5. Bußgeld Wer der Aufforderung, an einem Integrationskurs teilzunehmen, nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig (§ 98 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG). Dies kann mit einer Geldbuße von bis zu 1 000 Euro geahndet werden (§ 98 Abs. 5 AufenthG). 3.1.6. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen Die Nichtteilnahme an einem Integrationskurs kann gravierende aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben. 3.1.6.1. Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis Nach § 8 Abs. 3 AufenthG kann die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werden, wenn der Antragsteller gegen seine Pflicht zur Teilnahme an dem Kurs verstoßen hat. Jede Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme an einem Integrationskurs ist von der Ausländerbehörde bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu berücksichtigen.42 42) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 8.3.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 11 Besteht kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, soll „bei wiederholter und gröblicher Verletzung“ der Teilnahmepflicht die Verlängerung abgelehnt werden. Die Ausländerbehörde kann dann nur in begründeten Ausnahmefällen die Aufenthaltserlaubnis verlängern. Im Falle eines Anspruchs kann die Verlängerung abgelehnt werden. „Wiederholt“ wird gegen die Teilnahmepflicht verstoßen, wenn der Verpflichtete trotz der erstmaligen Meldung des Kursträgers an die Ausländerbehörde weiterhin dem Kurs fern bleibt.43 „Gröblich“ ist die Pflichtverletzung , wenn trotz zweifachen Hinweises nicht teilgenommen wird.44 Will die Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnen, muss sie die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts , schutzwürdige Bindungen des Betroffenen an das Bundesgebiet und Folgen für Familienangehörige bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.45 3.1.6.2. Ausweisung Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder behördliche Entscheidungen begangen hat. Rechtsvorschriften sind sämtliche in Deutschland geltenden Rechtsnormen , also Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen. Auch ein vereinzelter Verstoß erfüllt den Tatbestand der Ausweisung, wenn er nicht geringfügig ist. Umgekehrt erfüllen geringfügige Verstöße den Ausweisungstatbestand, wenn sie nicht vereinzelt sind.46 Geringfügig ist eine Straftat , wenn sie zu einer Verurteilung bis zu 30 Tagessätzen geführt hat. Eine Ordnungswidrigkeit ist auch im Wiederholungsfalle geringfügig, wenn sie mit einer Geldbuße von nicht mehr als 1 000 Euro geahndet werden kann.47 Zu diesen Verstößen zählt auch die Verletzung der Pflicht zur Teilnahme am Integrationskurs.48 Allerdings kommt diese Ermessensausweisung nur in Betracht wenn nicht nur vereinzelt gegen die Teilnahmepflicht verstoßen wird. Ein einziger Wiederholungsfall reicht nicht aus. 3.1.6.3. Voraussetzung für ein Daueraufenthaltsrecht Wer eine Niederlassungserlaubnis (unbefristeter Aufenthaltstitel, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt) anstrebt, muss über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG). Der Nachweis hierüber wird durch den erfolgreichen Abschluss eines Integrationskurses erbracht. 43) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 8.3.2.1. 44) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 8.3.2.2. 45) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 8.3.4. 46) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 55.2.2.1 f.; Hailbronner, Ausländerrecht , Kommentar, 62. Aktualisierung, Februar 2009, AufenthG § 55, Rn. 27 m.w.N. 47) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 55.2.2.3. 48) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.3.2.6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 12 3.1.6.4. Sonderfall: Türkische Arbeitnehmer Besonderes gilt für türkische Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, auf die das Abkommen zur Gründung einer Assoziation vom 12. September 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Assoziation EWG-Türkei)49 Anwendung findet.50 Laut Artikel 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) haben türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen nach einer bestimmten Frist einen Anspruch auf Erneuerung ihrer Arbeitserlaubnis bzw. freien Zugang zum Arbeitsmarkt.51 Diese Rechte implizieren die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts.52 Dieses Aufenthaltsrecht steht nach Artikel 14 Abs. 1 ARB 1/80 unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind lediglich dann zulässig, wenn das persönliche Verhalten des türkischen Staatsangehörigen eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.53 Die Ausweisung von Berechtigten nach dem ARB 1/80 kann nur auf § 55 AufenthG gestützt werden, da sie nur auf Grund einer einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung zulässig ist. Mangelnde Integration kann nicht unter die „Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ subsumiert werden, die allein im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt. Die Beendigung des Aufenthalts kann nicht auf die Nichtteilnahme an einem Integrationskurs gestützt werden, da mangelnde Integration für sich genommen kein Grund zur Aufenthaltsbeendigung darstellt.54 3.1.7. Anreiz im Staatsbürgerschaftsrecht Wer die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, muss nach § 10 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG)55 seit acht Jahren rechtmäßig den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt haben sowie unter anderem ausreichende Deutschkenntnisse und Grundkenntnisse der Rechtsund Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nachweisen. 49) ABl. L 217/64 S. 3702 (64/733/EWG); Zustimmungsgesetz vom 13. Mai 1964 (BGBl. II S. 509). 50) Hierzu im Einzelnen: BMI, Allgemeine Anwendungshinweise zum Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei, 1.6. 51) Wer dem freien Arbeitsmarkt angehört, hat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber. Nach drei Jahren hat er das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein anderes Stellenangebot zu bewerben. Nach vier Jahren hat der Arbeitnehmer freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis . 52) EuGH, 20. September 1990, Rs. C-192/89 „Sevince“; 16. Dezember 1992, Rs. C-237/ 91; 10. Februar 2000, Rs. C- 340/97 „Nazli“; 7. Juli 2005, Rs.C-383/03 „Dogan“; 16. März 2000, Rs. C-329/97 „Ergat“; 11. November 2004, Rs. C-467/02 „Cetinkaya“; 5. Oktober 1994, Rs. C-355/93 „Eroglu“; 21. Januar 2010, Rs. C-462/08 „Bekleyen“. BVerwG, 2. September 2009, Az. 1 C 2.09. 53) EuGH, 18. Juli 2007, Rs. C-325/05 „Derin“; BVerwG, 2. September 2009, Az. 1 C 2.09. 54) Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, 61. Aktualisierung, Dezember 2008, AufenthG § 44a, Rn. 26; so auch: BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 44a.3.3. 55) BGBl. III, 102-1, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 158). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 13 Mit dem Bestehen des Abschlusstests des Integrationskurses gelten diese Kenntnisse als nachgewiesen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Außerdem verkürzt sich die Frist für einen Anspruch auf Einbürgerung um ein Jahr auf sieben Jahre (§ 10 Abs. 3 StAG). 3.2. Schulverweigerung Für die Durchsetzung der Schulpflicht steht das Ordnungswidrigkeitsrecht, der Verwaltungszwang sowie das Aufenthaltsrecht zur Verfügung. Daneben kommen familiengerichtliche Maßnahmen in Betracht. 3.2.1. Bußgeld und Strafe Nach allen Schulgesetzen der Länder56 sind Verstöße gegen die Schulpflicht eine Ordnungswidrigkeit , die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Beispielsweise haben in Baden-Württemberg die Erziehungsberechtigten die Anmeldung zur Schule vorzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass der Schüler am Unterricht und an den übrigen verbindlichen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt und sich der Schulordnung fügt (§ 85 Abs. 1 SchG BW). Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, handelt ordnungswidrig und kann mit einem Bußgeld bestraft werden (§ 92 SchG BW). In Nordrhein- Westfalen handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Eltern der Verpflichtung zur Anmeldung zum Schulbesuch nicht nachkommt, nicht für die Teilnahme ihres Kindes an der Feststellung des Sprachstandes sorgt, nicht dafür sorgt, dass ein zur Teilnahme an einem vorschulischen Sprachförderkurs verpflichtetes Kind regelmäßig daran teilnimmt, nicht dafür sorgt, dass die oder der Schulpflichtige am Unterricht und an den sonstigen Veranstaltungen der Schule regelmäßig teilnimmt oder als Schülerin oder Schüler nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Schulpflicht in der Sekundarstufe I oder die Schulpflicht in der Sekundarstufe II nicht erfüllt (§ 126 Abs. 1 SchulG NW). In Berlin handelt unter anderem ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Erziehungsberechtigter oder Ausbildender den Bestimmungen über die Schulpflicht zuwiderhandelt oder vorsätzlich Schulpflichtige dazu veranlasst, den Bestimmungen über die Schulpflicht zuwiderzuhandeln (§ 126 SchulG BE).57 In Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland macht sich sogar strafbar, wer sich oder eine andere Person der Schulpflicht „gänzlich oder beharrlich“ bzw. „vorübergehend dauernd oder vorsätzlich wiederholt“ entzieht.58 56) Siehe oben: Fn. 29. 57) Ähnliche Bestimmungen finden sich in: § 42 BbgSchulG, § 65 BremSchulG, § 113 HmbSG, § 181 HSchG, § 139 SchulG M-V, § 176 NSchG, § 61 SchulG SN, § 84 SchulG ST, § 144 SchulG SH, § 59 ThürSchulG. 58) § 66 BremSchulG, § 114 HmbSG, § 182 HSchG, § 140 SchulG M-V, § 17 Abs. 4 SchulpflichtG SL. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 14 3.2.2. Verwaltungszwang Verletzen Eltern ihre Pflicht dafür zu sorgen, dass ihre Kinder am Schulunterricht teilnehmen, kann gegen sie entsprechend den Schulgesetzen der Länder59 ein Zwangsgeld festgesetzt werden .60 Schulverweigerer können auch zwangsweise dem Schulunterricht zugeführt werden.61 In Baden-Württemberg wird die Zuführung von der Polizeibehörde angeordnet. Wenn die Erziehungsberechtigten schulpflichtige Kinder trotz Aufforderung nicht vorstellen, kann das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Polizeibehörde eine Durchsuchung von deren Wohnung anordnen (§ 86 Abs. 2 SchG BW). In Bayern dürfen zur Durchführung des Schulzwangs die Beauftragten der Kreisverwaltungsbehörde Wohnungen, Geschäftsräume und befriedetes Besitztum betreten und unmittelbaren Zwang ausüben (Art. 118 Abs. 2 BayEUG). Nach der Gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums und des Innenministeriums des Landes Baden-Württemberg zur Durchsetzung der Schulpflicht62 soll die zwangsweise Zuführung zur Schule von der Ortspolizeibehörde in der Regel erst angeordnet werden, wenn ein Bußgeldverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht durchgeführt worden ist und der Schulpflichtige nach Mitteilung der Schule die Schulpflicht weiterhin nicht oder nicht regelmäßig erfüllt . Wenn die Erziehungsberechtigten oder diejenigen, denen Erziehung und Pflege eines Kindes anvertraut sind, schulpflichtige Kinder trotz Aufforderung der zuständigen Schule nicht vorstellen , wird vor der Anordnung der zwangsweisen Zuführung zur Schule die Durchführung eines Bußgeldverfahrens nicht abgewartet. 3.2.3. Ermessensausweisung Wer sich beharrlich weigert dafür zu sorgen, dass die eigenen schulpflichtigen Kinder regelmäßig am Unterricht teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen, kann nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausgewiesen werden. Das Verwaltungsgericht Ansbach sah den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in einem Fall als erfüllt an, in welchem sich Staatsangehörige der USA aus religiösen Gründen weigerten, ihre Kinder an staatliche Schulen zu schicken. Die Schulpflicht stelle eine Kinder wie Eltern treffende staatsbürgerliche Grundpflicht dar, die als unverzichtbare Bedingung für die Gewährleistung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und zugleich als unerlässliche Voraussetzung für die Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt der Gesellschaft gelte. Die staatliche Gemeinschaft verlange von jedem jungen Bürger ein Mindestmaß an schuli- 59) Siehe oben: Fn. 29. 60) BayVGH, Beschluss vom 25. November 2008, Az. 7 ZB 08.2050; VG Köln, Urteil vom 15. Oktober 2008, Az. 10 K 2150/08; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 19. März 2008, Az. 4 K 1674/06; VG Braunschweig, Urteil vom 17. Dezember 2003, Az. 6 A 568/02; VG Augsburg, Beschluss vom 7. Mai 2002, Az. Au 9 S 02.507. 61) OVG NW, Beschluss vom 21 Mai 2010, Az. 19 B 239/10; OVG SN, Beschluss vom 23. Juni 2009, Az. 2 D 28/09. 62) Vom 11. November 1998, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 29. Juli 2010 (K.u.U. 2010, S.167), Az. IV/1-6601.0/250 (KM), 5-1112.3/103 (IM). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 15 scher Grundausbildung; mit den Bestimmungen über die Schulpflicht werde sichergestellt, dass sich jeder dieser Grundausbildung unterziehe.63 3.2.4. Entziehung der elterlichen Sorge Nach § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)64 hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung einer Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes erforderlich sind. Eine Gefährdung des Kindeswohls kann anzunehmen sein, wenn die Eltern nicht willens oder in der Lage sind, die Teilnahme ihres Kindes am Schulunterricht sicherzustellen .65 Auf ein Verschulden kommt es hierbei nicht an.66 Das Familiengericht kann den Eltern in Extremfällen teilweise oder vollständig die elterliche Sorge entziehen.67 Der Entzug der Personensorge ist aber nur zulässig, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen (§ 1666a BGB). Als weniger einschneidende Maßnahmen kommt in Betracht, die Eltern zu verpflichten, das Kind regelmäßig zur Schule zu bringen oder mit dem Lehrer Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass das Kind tatsächlich am Schulunterricht teilnimmt.68 3.3. Mangelnde wirtschaftliche Integration Für einen Ausländer ist der Aufenthalt in Deutschland in der Regel davon abhängig, dass er seinen Lebensunterhalt selbst sichert. Dies gilt für alle Ausländer mit Ausnahme von Unionsbürgern . Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Betroffene als Arbeitsmigrant in die Bundesrepublik eingereist ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann bei Bezug von Sozialleistungen der Aufenthaltstitel erlöschen oder nicht verlängert werden, so dass ein Ausländer gemäß § 50 Aufenth G ausreisepflichtig wird. 3.3.1. Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kann versagt werden, soweit der Betroffene nicht mehr zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in der Lage ist (§ 8 Abs. 1 i.V.m. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 AufenthG). Die Aufenthaltserlaubnis kann gemäß § 7 Abs. 2 AufenthG nachträglich ver- 63) Beschluss vom 5. November 2007, Az. AN 19 S 07.02600/02601. 64) In der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977). 65) BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2007, Az. XII ZB 42/07. 66) BayOLG, Beschluss vom 10. Februar 1997, Az. 1Z BR 271/96; KG, Beschluss vom 14. September 1984, Az. 1 W 427/84; Olzen, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2008, § 1666, Rn. 35. 67) BGH, Beschluss vom 11. September 2007, Az. XII ZB 41/07; OLG Hamm, Beschluss vom 5. September 2005, Az. 6 WF 297/05; AG Saarbrücken, Beschluss vom 10. Januar 2003, Az. 40 F 424/02 SO. 68) Büte, in: Johannsen/Henrich, Eherecht, 5. Auflage 2004, BGB § 1666, Rn. 69b; Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666, Rn. 222. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 16 kürzt werden, wenn die Voraussetzungen ihrer Erteilung nicht mehr vorliegen. Dies kann unter anderem auch der Verlust der Fähigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhaltes sein.69 3.3.2. Ausweisung bei Bezug von Sozialhilfe Wer für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörigen Sozialhilfe in Anspruch nimmt, kann ausgewiesen werden (§ 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG). Diese Entscheidung steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Mit der Ausweisung erlischt der Aufenthaltstitel (§ 50 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG). Unter Sozialhilfe sind alle Leistungen nach SGB XII70 zu verstehen: Nicht nur die laufende „Hilfe zum Lebensunterhalt“, sondern auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung, Hilfen zur Pflege, Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfe in anderen Lebenslagen .71 Für die Ausweisung ausreichend ist, dass der Lebensunterhalt nur teilweise nicht selbst bestritten wird. Die Inanspruchnahme anderer Leistungen, z.B. Arbeitslosengeld II nach SGB II72, der Bezug von Renten oder Wohngeld ist von § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG nicht erfasst.73 Ob für diese Sozialleistungen Beiträge geleistet wurden, ist ohne Belang.74 Der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG setzt die tatsächliche Inanspruchnahme von Sozialhilfe voraus und nicht die bloße Sozialhilfebedürftigkeit.75 Grundsätzlich kommt daher eine Ausweisung von Ausländern wegen bloßer Sozialhilfebedürftigkeit ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe nicht in Betracht.76 Regelmäßig wird ebenfalls keine Ausweisung verfügt, soweit der Ausländer einen Aufenthaltstitel besitzt und nur in geringem Maße, insbesondere nur vorübergehend auf Sozialhilfe angewiesen ist.77 Ob der Ausländer die Sozialhilfe allein für sich oder auch für andere ihm gegenüber unterhaltsberechtigte Personen benötigt, ist insofern unerheblich, als dass § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG einen Ausweisungsgrund sowohl gegen den Ausländer selbst, als auch gegen alle Familienangehörigen im Bundesgebiet, die gegen den Ausländer einen Unterhaltsanspruch haben, begründet.78 Auch die Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen kann zur Ausweisung führen. Wer Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie oder Hilfe für junge Volljährige nach SGB VIII79 erhält, kann nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ausgewiesen werden. Diese Leistungen sind insbe- 69) Hailbronner, Ausländerrecht Kommentar, 62. Aktualisierung Februar 2009, § 7 AufenthG, Rn. 30. 70) Siehe oben: Fn. 34. 71) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 55.2.6.1. 72) Siehe oben: Fn. 15. 73) Hailbronner (Fn. 69), § 55 AufenthG, Rn. 69; vgl. auch VG Hamburg, Urteil vom 8. Mai 2008, Az. 17 K 756/08. 74) BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (Fn. 12), 55.2.6.1. 75) Hailbronner (Fn. 69), § 55 AufenthG, Rn. 67. 76) Hailbronner (Fn. 69), § 55 AufenthG, Rn. 67. 77) Renner, Ausländerrecht Kommentar, 8. Auflage 2005, § 55 Rn. 49; BVerwGE 66, 29 [31]. 78) Hailbronner (Fn. 69), § 55 AufenthG, Rn. 70. 79) Siehe oben: Fn. 35. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 17 sondere Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII), Heimerziehung (§ 34 SGB VIII), Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) und die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII). Der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG gilt nicht für Minderjährige, deren Eltern sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten oder denen als Flüchtlinge für die Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 55 Abs. 1 AsylVfG80 gestattet ist. Eine Ausweisung allein wegen des Bezugs von Sozialhilfe ist ausgeschlossen nach Maßgabe der Artikel 6 und 7 des Europäischen Fürsorgeabkommens, nach Maßgabe des Deutsch-Schweizerischen Fürsorgeabkommens, nach Maßgabe des Deutsch-Österreichischen Fürsorgeabkommens, nach Maßgabe des Artikel 3 Abs. 3 des Europäischen Niederlassungsabkommens, bei den in § 56 Abs. 1 AufenthG genannten Ausländern die besonderen Ausweisungsschutz genießen bei Staatenlosen und in den Fällen des § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG , wenn ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten besteht.81 3.3.3. Das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern bei Bezug von Sozialleistungen Für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist das AufenthG nur nach Maßgabe des § 11 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU)82 anwendbar. Den aufenthaltsrechtlichen Status von Unionsbürgern in Deutschland regelt das FreizügG/EU. Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU besitzen alle Unionsbürger das Recht zum Aufenthalt in Deutschland, die freizügigkeitsberechtigt sind. Freizügigkeit genießen Unionsbürger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 FreizügG/EU. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Unionsbürger ist gewissen Einschränkungen unterworfen, sie führt aber grundsätzlich nicht zu einem Verlust des Aufenthaltsrechts.83 Eine Besonderheit stellen die Bestimmungen des § 2 Abs. 2 Nr. 5 und 6 FreizügG/EU dar. Danach sind nichterwerbstätige Unionsbürger und Familienangehörige freizügigkeitsberichtigter Unionsbürger nur dann freizügigkeitsberechtigt, wenn sie gemäß § 4 Satz 1 FreizügG/EU über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Liegen diese 80) Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586). 81) Vgl. Renner (Fn. 77), § 55 AufenthG, Rn. 51f. 82) Freizügigkeitsgesetz/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215). 83) Hailbronner (Fn. 69), § 2 FreizügG/EU, Rn. 51f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 18 Voraussetzungen nicht vor, besteht kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU. Die Betroffenen sind dann gemäß § 7 Abs.1 FreizügG/EU zur Ausreise verpflichtet.84 3.4. Verstöße gegen die Werteordnung des Grundgesetzes Eine Reihe wichtiger Werte des Grundgesetzes werden durch Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB)85 sanktioniert. Insbesondere das Leben86, die körperliche Unversehrtheit87, die persönliche Freiheit88 und die sexuelle Selbstbestimmung89 werden besonders geschützt. Strafbar sind auch eine Reihe von Taten, welche sich auf Religion und Weltanschauung beziehen.90 Wer einen anderen zur Eingehung der Ehe nötigt (Zwangsheirat), macht sich eines besonders schweren Falls der Nötigung strafbar (§ 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB). Wegen Freiheitsberaubung wird bestraft, wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt (§ 239 StGB). Gelegentlich wird geäußert, deutsche Strafgerichte berücksichtigten bei sogenannten „Ehrenmorden “ mögliche kulturelle Besonderheiten des Täters strafmildernd. Der Bundesgerichtshof (BGH) verfolgt hier eine sehr restriktive Rechtsprechung. Alleiniger Maßstab für die Bewertung seien in aller Regel die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland. Nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen lässt er eine Berücksichtigung der Anschauungen einer bestimmten Volksgruppe bzw. eines Kulturkreises zu. Nur ausnahmsweise, wenn dem Täter bei der Tat die Umstände nicht bewusst waren, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, oder wenn es ihm nicht möglich war, seine gefühlsmäßigen Regungen, die sein Handeln bestimmen, gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, kann es einer solchen Tat an dem Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ fehlen.91 Entscheidungen der Landgerichte, die bei ihrer Abwägung der Beweggründe des Angeklagten den „Hintergrund seiner kulturellen Herkunft, in der der Begriff der Ehre besonders ausgeprägt ist“, einbeziehen, hebt der BGH als fehlerhaft auf.92 3.5. Integrationsbehinderung Wer eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, kann nach § 55 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG ausgewiesen werden. Nach der amtlichen Begründung knüpft die Bestimmung an Handlungen an, die in schwerwiegender Weise die Integration anderer Personen, insbesondere Familienangehöriger, beeinträchti- 84) Hailbronner (Fn. 69), § 4 FreizügG/EU, Rn. 5. 85) In der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 2. Oktober 2009 (BGBl. I S. 3214). 86) 16. Abschnitt, §§ 211 ff. 87) 17. Abschnitt, §§ 223 ff. 88) 18. Abschnitt, §§ 232 ff. 89) 13. Abschnitt, §§ 174 ff. 90) 11. Abschnitt, §§ 166 ff. 91) BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006, Az. 5 StR 341/05; Urteil vom 20. Februar 2002, Az. 5 StR 538/01. 92) BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005, Az. 1 StR 195/05; Urteil vom 28. Januar 2004, Az. 2 StR 452/03. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 19 gen und damit einen besonders integrationsfeindlichen Charakter aufweisen. Nicht jede einschränkende Handlung soll zur Erfüllung des Ausweisungstatbestandes genügen, vielmehr müsse sie verwerflich sein und nötigenden Charakter haben. Die Handlung müsse geeignet sein, eine andere Person von der Teilhabe am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben fernzuhalten. Eine bloße Einschränkung der Teilhabe reiche nicht aus.93 Hierunter könnte etwa das Verbot eines ausländischen Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau fallen , alleine das Haus zu verlassen. Auch die Drohung mit Gewalt gegenüber einem minderjährigen Mädchen für den Fall einer Teilnahme am Klassenausflug oder am Schwimmunterricht könnte eine Ausweisung rechtfertigen.94 4. Empirische Daten zur Anwendung von Sanktionen Bundesweite Statistiken oder empirische Erkenntnisse zur Sanktionspraxis liegen nicht vor.95 Das Ausländerzentralregister lässt nach Angaben der Bundesregierung solche Auswertungen nicht zu.96 In Rheinland-Pfalz hat eine Abfrage der Ausländerbehörden ergeben, dass die Pflicht zur Teilnahme an den Integrationskursen nicht häufig verletzt wird. Für den Abbruch von Integrationskursen konnten in der Regel plausible Gründe wie Schwangerschaft, Krankheit oder Kinderbetreuung genannt werden. Zumeist reichte eine erneute Belehrung oder die konkrete Androhung von Bußgeldern aus, um eine ordnungsgemäße Teilnahme zu erreichen. In Einzelfällen wurden wegen fortgesetzter Verweigerung Gebührenbescheide erlassen, Bußgelder verhängt oder Zwangsgelder festgesetzt. In wenigen Fällen wurden Aufenthaltserlaubnisse zunächst nicht verlängert und die Verlängerung von dem Nachweis der ordnungsgemäßen Teilnahme abhängig gemacht .97 In Bremen werden die Integrationskurse überwiegend ordnungsgemäß besucht. Die Ausländerbehörden berichten von ein bis zwei Verstößen im Monat. Eine Abfrage bei den Ausländerämtern des Landes Niedersachsen hat ergeben, dass in der Regel aufenthaltsrechtliche Folgen angedroht und eine kürzere Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnisse bestimmt werden. 93) Drs. 16/5065, S. 183. Vgl. auch: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, Drs. 16/5369, Frage 5c (S. 3). 94) Huber, Das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, NVwZ 2007, S. 977 [981] 95) Unterrichtung der Bundesregierung, Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu Durchführung und Finanzierung der Integrationskurse nach § 43 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes, Drs. 16/6043, S. 3. 96) Antwort auf eine Kleine Anfrage, Drs. 16/5369, Fragen 1 bis 4 (S. 2). 97) Antwort des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen vom 8. April 2010 auf eine Kleine Anfrage zur Teilnahme von Ausländern an Sprach- und Integrationskursen in Rheinland-Pfalz, LT- Drs. 15/4440, S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 397/10 Seite 20 Schwierig gestaltet sich die Verhängung aufenthaltsrechtlicher Sanktionen gegenüber Personen, die wegen des durch Artikel 6 GG geschützten Familiennachzuges einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels haben.