© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 385/18 Zur Abschiebung von Gefährdern in Schweden und dem Vereinigten Königreich Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 385/18 Seite 2 Zur Abschiebung von Gefährdern in Schweden und dem Vereinigten Königreich Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 385/18 Abschluss der Arbeit: 15.11.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 385/18 Seite 3 1. Vorbemerkung Die nachfolgenden Ausführungen beinhalten ergänzende Ausführungen zum Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste mit dem Titel „Umgang mit Gefährdern in verschiedenen Mitgliedstaaten der EU“ vom 19.10.2018 (Az. WD 3 - 3000 - 319/18). Die Ausführungen basieren auf Informationen aus Schweden und dem Vereinigten Königreich. Eine abschließende Darstellung kann nicht erfolgen. 2. Schweden 2.1. Sicherheitsfälle In Schweden entscheidet die Migrationsbehörde (Swedish Migration Board) über Aufenthaltsgenehmigungen , Nationalitätsentscheidungen und ähnliche Sachverhalte. Der Sicherheitsdienst (Swedish Security Service) kann in sog. „Sicherheitsfällen“ (z.B. bei Bezug zum internationalen Terrorismus) eine Empfehlung aussprechen, dass ein Ausländer abgeschoben werden soll oder der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis widersprechen. Hierzu wird zwischen sog. Sicherheitsfällen und qualifizierten Sicherheitsfällen unterschieden. „Security cases“, also Sicherheitsfälle, werden in der englischen Sprachfassung der schwedischen Regelung wie folgt definiert: “cases in which the Swedish Security Service, for reasons relating to national security or otherwise bearing on public security, recommends that an alien be refused entry or expelled, that an alien’s application for a residence permit be rejected or that an alien’s residence permit be withdrawn.”1 Ein Sicherheitsfall (security case) liegt also vor, wenn der Sicherheitsdienst aus Gründen der nationalen oder öffentlichen Sicherheit eine Empfehlung zur Ausweisung eines Ausländers ausspricht . Ergeht in einem solchen Fall ein Ablehnungsbescheid, so kann dieser vor den Gerichten für Migration (Migration Courts) angegriffen werden. Diese Sondergerichte sind an die jeweiligen Verwaltungsgerichte in Stockholm, Malmö, Göteborg und Lulea angegliedert. Ihre Entscheidungen können wiederum vor dem Berufungsgericht (Migration Court of Appeal) in Stockholm angegriffen werden. Dieses entscheidet abschließend über den Sachverhalt. Bei „qualified security cases“, also qualifizierten Sicherheitsfällen, ist eine Abschiebung auch bei Sachverhalten, die nicht dem Aliens Act von 2005 unterfallen, möglich. In der englischen Sprachfassung der zugrunde liegenden schwedischen Regelung wird der qualifizierte Sicherheitsfall wie folgt umschrieben: „if 1. this is necessary for reasons of the security of the realm, or 2. in view of what is known about the alien’s previous activities and other circumstances, it may be feared that he will 1 Chapter 1, Section 7, Aliens Act (2005:716), abrufbar unter: https://www.government.se/49cf71/contentassets /784b3d7be3a54a0185f284bbb2683055/aliens-act-2005_716.pdf (Stand: 15.11.2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 385/18 Seite 4 commit a criminal offence involving violence, threat or coercion to achieve political ends or be an accessory to such an offence.”2 Eine Abschiebung kommt also auch ohne entsprechende Beurteilung des Sicherheitsdienstes in Betracht, wenn aus Gründen der nationalen Sicherheit, wegen vorheriger Aktivitäten oder der aktuellen Umstände zu befürchten ist, dass eine terroristische Straftat verübt wird oder zu einer solchen beigetragen werden soll. Den Abschiebungsbescheid („expulsion order“) erlässt die Regierung.3 Bei einem Widerspruch gegen eine Entscheidung in einem solchen qualifizierten Sicherheitsfall gibt das Berufungsgericht (Migration Court of Appeal) eine Einschätzung ab, ob bestimmte Gründe gegen die Abschiebung sprechen (z.B. Foltergefahr). Die Regierung entscheidet dann unter zwingender Berücksichtigung dieser Einschätzung endgültig über die Abschiebung.4 2.2. Verfahren Regelungen zu den Gerichten für Migration finden sich in Chapter 16 des Aliens Act (2005:716). Das Verfahren vor diesen Gerichten entspricht grundsätzlich dem regulären Verwaltungsgerichtsverfahren , es gibt aber Ausnahmeregelungen. So sollen etwa Fälle, die Einreiseverbote und Abschiebungen betreffen, sofort („promptly“) verhandelt werden.5 In Sicherheitsfällen vor dem Berufungsgericht stehen dem klagenden Ausländer sowohl die Migrationsbehörde als auch der Sicherheitsdienst gemeinsam als Gegenpartei gegenüber.6 Der Aliens Act (2005:716) stellt zudem weitere Anforderungen an die Abschiebung. So dürfen Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung nur unter besonderen Umständen abgeschoben werden.7 Flüchtlinge dürfen nur abgeschoben werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt in Schweden eine ernste Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.8 In Sicherheitsfällen ist grundsätzlich der Sicherheitsdienst für die Durchführung der Abschiebung zuständig. Abweichende Anordnungen der Regierung oder der Migrationsbehörde sind aber möglich.9 Die Anordnung einer Abschiebung muss das Land benennen, in das der Ausländer zurückkehren soll.10 Es darf keine 2 Section 1, Special Controls in Respect of Aliens Act (1991:572). 3 Section 2, Special Controls in Respect of Aliens Act (1991:572). 4 Chapter 14, Section 11, 12, Aliens Act (2005:716). 5 Chapter 16, Section 4, Aliens Act (2005:716). 6 Chapter 16 Section 6, Aliens Act (2005:716). 7 Vgl. Chapter 8 Section 7a, Aliens Act (2005:716). 8 Chapter 8 Section 11 Abs. 2, Aliens Act (2005:716). 9 Chapter 12, Section 14, Aliens Act (2005:716). 10 Chapter 8 Section 18, Aliens Act (2005:716). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 3 - 3000 - 385/18 Seite 5 Abschiebung erfolgen in Länder, in denen der Person unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht oder in denen sie Folter oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.11 Die Ausreise soll binnen vier Wochen, nachdem die Abschiebungsanordnung unanfechtbar geworden ist, erfolgen.12 3. Vereinigtes Königreich Im Vereinigten Königreich können Personen aus Gründen des Allgemeinwohls vom Innenminister (Secretary of State) abgeschoben werden. Diese Möglichkeit der Abschiebung ist geregelt im Immigration Act von 1971. Die einschlägige Norm (Section 3 (5) Immigration Act 1971) lautet: „A person who is not a British citizen is liable to deportation from the United Kingdom if the Secretary of State deems his deportation to be conducive to the public good”. Es genügt also, dass eine Person kein britischer Staatsbürger ist und dass der Innenminister seine Abschiebung als dem Allgemeinwohl förderlich erachtet. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Innenminister eine Abschiebungsverfügung („deportation order“) erlassen, die die Person zur Ausreise verpflichtet und an der erneuten Einreise hindert, solange sie Bestand hat.13 Zuvor erteilte Erlaubnisse oder Anordnungen werden hierdurch ungültig. Der Innenminister kann die Anordnung jederzeit widerrufen.14 Er kann außerdem Anweisungen geben, in welches Land oder welche Region die Person abgeschoben werden soll. Er muss sich jedoch an der Staatsbürgerschaft der Person oder an der begründeten Annahme orientieren, dass die Person von einem Staat aufgenommen wird.15 Grundsätzlich kann gegen eine Abschiebungsverfügung mittels Beschwerde („appeal“) vor einem Schiedsrichter („adjudicator“) vorgegangen werden. Nicht zur Beschwerde berechtigt sind aber Personen, deren Abschiebung darauf beruht, dass ihre Ausreise dem Allgemeinwohl förderlich ist, weil sie der nationalen Sicherheit, der Beziehung des Vereinigten Königreiches zu anderen Staaten oder anderen politischen Erwägungen dient.16 In diesen Fällen ist die Beschwerde beim Berufungsgericht („Appeal Tribunal“) einschlägig.17 *** 11 Chapter 12, Section 1, 2, Aliens Act (2005:716). 12 Chapter 12, Section 15, Aliens Act (2005:716). 13 Section 5 (1) Immigration Act 1971, abrufbar unter: https://www.legislation.gov.uk/ukpga/1971/77/contents (Stand: 15.11.2018). 14 Section 5 (2) Immigration Act 1971. 15 Section 1 (1), Schedule 3: Supplementary Provisions as to Deportation, Immigration Act 1971. 16 Section 15 (3) Immigration Act 1971. 17 Section 15 (7a) Immigration Act 1971.