© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 383/18 Delegiertenwahl für die Vertreterversammlung von Parteien Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 383/18 Seite 2 Delegiertenwahl für die Vertreterversammlung von Parteien Aktenzeichen: WD 3 - 3000 - 383/18 Abschluss der Arbeit: 06.11.2018 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 383/18 Seite 3 1. Fragestellung Diese Ausarbeitung thematisiert rechtliche Grenzen von Absprachen zwischen Gebietsverbänden einer Partei über die Wahl der Delegierten für die Vertreterversammlung. Gefragt wird, ob drei Kreisverbände einer Partei gemeinsam zwei Delegierte für die Vertreterversammlung stellen und sich im Vorfeld darauf einigen, dass diese nur aus zweien der drei Kreisverbände gewählt werden sollen. 2. Grundsätze der Wahllistenaufstellung Die Wahl zur Aufstellung der Listenkandidaten der Parteien erfolgt gemäß § 27 Abs. 5 Bundeswahlgesetz (BWahlG) in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 1 BWahlG. Danach werden die Listenkandidaten durch Mitgliederversammlungen oder durch besondere oder allgemeine Vertreterversammlungen auf Landesebene gewählt.1 In der Praxis der Parteien werden die Landeslisten in der Regel durch Vertreterversammlungen aufgestellt.2 Wahlberechtigt sind dabei nur diejenigen Parteimitglieder, die in dem jeweiligen Land zum Deutschen Bundestag wahlberechtigt sind. Abgesehen von dem Erfordernis der Wahlberechtigung zum Deutschen Bundestag enthält das Bundeswahlgesetz keine weiteren Vorgaben für die Ausgestaltung der Wahlen zu den Vertreterversammlungen. Auch die Vorschrift des § 13 Parteiengesetz (PartG), der die Möglichkeit vorsieht, die Zusammensetzung von Vertreterversammlungen nach der Mitgliederzahl und dem Wahlerfolg der Gebietsverbände zu bestimmen, ist auf die „wahlrechtlichen“ besonderen Vertreterversammlungen nicht anwendbar.3 Nach den § 27 Abs. 5, § 21 Abs. 5 BWahlG regeln die Parteien vielmehr das „Nähere über die Wahl der Vertreter für die Vertreterversammlung“ durch ihre Satzungen. Damit fällt die hier relevante Ausgestaltung der Wahl der besonderen und allgemeinen Vertreterversammlung in Bezug auf die Anzahl der Delegierten und den Delegiertenschlüssel in die Satzungsautonomie der Parteien.4 3. Wahl der Vertreterversammlung Die Vertreterversammlungen werden nach § 21 Abs. 1 BWahlG von einer Mitgliederversammlung gewählt. Dies kann sowohl eine Landesmitgliederversammlung als auch eine Teilmitgliederversammlung sein.5 Unterschieden wird wie erwähnt zwischen besonderen und allgemeinen Vertreterversammlungen . Die besondere Vertreterversammlung, auch Wahlkreisdelegiertenversammlung genannt, ist eine Versammlung, die von der Mitgliederversammlung für eine konkrete bevorstehende 1 Die Ausführungen dieses Absatzes entstammen im Wesentlichen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste „Wahl der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung von Listenkandidaten zur Bundestagswahl “, WD 3 - 3000 - 017/17, S. 3; siehe dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages „Aufstellung der Listenkandidaten zur Bundestagswahl“, WD 3 - 3000 - 252/16. 2 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 27 Rn. 21. 3 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 17. 4 Schreiber, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 20; Lenski, Parteiengesetz und Recht der Kandidatenaufstellung (2011), Rn. 25 zu § 21 BWahlG. 5 Vgl. Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 27 Rn. 21. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 383/18 Seite 4 Wahl unmittelbar gewählt wird. Für die allgemeine Vertreterversammlung entsendet die Mitgliederversammlung ebenfalls Delegierte, die aber für einen bestimmten Zeitraum für alle anstehenden Wahlen die Listenbewerber wählen. 3.1. Vorschlagsrecht Nach § 21 Abs. 3 S. 2 BWahlG ist jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Mitgliederversammlung vorschlagsberechtigt bezüglich der potenziellen Vertreter. Zu diesem Vorschlagsrecht gehört, dass ein unterbreiteter Vorschlag auch zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden muss, damit er eine Realisierungschance erhält.6 Dieses Recht, Bewerber oder auch Gegenbewerber vorzuschlagen, gehört zu den fundamentalen Regeln des demokratischen Kandidaten-Nominationsverfahrens. Es darf weder kraft Gesetzes noch mittels Satzung oder Faktizität bestimmten Parteigruppierungen zur alleinigen Entscheidung vorbehalten bleiben.7 Alle stimmberechtigten Parteimitglieder müssen bei der Vertreterwahl ein „echtes Wahlrecht“ und damit die uneingeschränkte Möglichkeit haben, eigene Vorschläge zu präsentieren und vorhandene Kandidatenvorschläge zu ersetzen.8 Ein parteiinternes Vorbereitungsverfahren, bei dem ein Parteiführungsorgan einen Vorschlag der Kandidaten erarbeitet und diesen dann vorlegt, ist mit dem Demokratiegebot nur vereinbar,9 soweit der Vorschlag für die abstimmungsberechtigten Parteimitglieder weder abschließend noch verbindlich ist.10 Eine „Kandidatenplanung“, bei der die jeweiligen Kandidaten nur aus bestimmten Kreisverbänden stammen, wäre also grundsätzlich möglich. Ein solcher Vorschlag dürfte aber nur unverbindlich zur Abstimmung gestellt werden. Es müsste den Mitgliedern möglich sein, daneben Bewerber aus allen jeweiligen Kreisverbänden vorzuschlagen und diese auch als Delegierte zu wählen. Diesen Bewerbern müssten in Diskussion und Präsentation reale Chancen zur Wahl eingeräumt werden. Die pauschale Sperrung aller Personen aus einem Kreisverband verstieße hingegen gegen das Vorschlagsrecht des § 21 Abs. 3 S. 2 BWahlG und wäre unzulässig. 3.2. Verfassungsrechtliche Bindung Die Parteien regeln die Einzelheiten der Delegiertenwahl nach § 21 Abs. 5 BWahlG grundsätzlich selbstständig durch Satzung. Bei der Wahrnehmung der Satzungsautonomie haben die Parteien jedoch die verfassungsrechtlichen Grenzen aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG zu beachten.11 Danach muss die innere Ordnung der Parteien 6 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 29. 7 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 29. 8 Schweinoch/Simader, BWahlG, BWahlO, 11. Aufl. 1986, § 21 Rn. 10. 9 Vgl. Seifert, BWahlG, 3. Aufl. 1976, § 21 Rn. 8. 10 Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 3. 11 Die Ausführungen dieses Absatzes entstammen der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste „Wahl der besonderen Vertreterversammlung für die Aufstellung von Listenkandidaten zur Bundestagswahl“, WD 3 - 3000 - 017/17, S. 3 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 383/18 Seite 5 demokratischen Grundsätzen entsprechen (innerparteiliche Demokratie). Darüber hinaus ergeben sich verfassungsrechtliche Grenzen aus der besonderen Funktion der Kandidatenaufstellung als Wahlvorbereitungshandlung. Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Entscheidung zur Kandidatenaufstellung insoweit von der „Nahtstelle zwischen den von den Parteien weitgehend autonom zu gestaltenden Angelegenheiten ihrer inneren Ordnung und dem auf die Staatsbürger bezogenen Wahlrecht“.12 Aus der Funktion der wahlrechtlichen Regelungen zur Kandidatenaufstellung im Bundeswahlgesetz, die personale Grundlage einer demokratischen Wahl zu schaffen, ergebe sich ferner eine Pflicht zur „Einhaltung eines Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen, ohne den ein Kandidatenvorschlag schlechterdings nicht Grundlage eines demokratischen Wahlvorgangs sein kann“.13 Zu diesen Verfahrensgrundsätzen zählen auch die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG.14 Allerdings sind die Wahlrechtsgrundsätze bei der parteiinternen Kandidatenaufstellung nicht mit derselben Strenge anzuwenden wie bei staatlichen Wahlen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Verfahrensgrundsätze in ihrem Kernbestand eingehalten werden.15 Um eine lückenlose Legitimation der Bewerber zu gewährleisten, müssen bei der Delegiertenwahl also die Bundeswahlgrundsätze eingehalten sein. Aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens sind aber enge Ausnahmen zuzulassen.16 So kann etwa der Grundsatz der Unmittelbarkeit aus Gründen der Praktikabilität eingeschränkt werden. Es bleibt den Parteien überlassen, die Kandidatenwahl auf eine Vertreterversammlung zu übertragen.17 Wahlberechtigt sind alle Mitglieder des jeweiligen Parteiverbandes. Die Delegierten müssen zwingend in geheimer Abstimmung gewählt werden.18 Die Allgemeinheit der Wahl erfordert zudem, dass niemand unberechtigt von der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts ausgeschlossen wird. Sie gebietet, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben kann.19 Der Ausschluss aller Bewerber aus einem 12 BVerfGE 89, 243, 252. Zur Einordnung der Kandidatenaufstellung als parteiinternes und als wahlrechtliches Verfahren siehe auch Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts (2016), 38 ff. 13 BVerfGE 89, 243, 252 f. 14 Schreiber, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 7. 15 Schreiber, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017, § 21 Rn. 7: „Eine ‚lupenreine‘ Anwendung i.S. strenger und formaler Gleichheit ist nicht erforderlich und auch nicht vorgeschrieben. (…) Soweit die Wahlrechtsprinzipien zur Anwendung kommen, muss ihr Kerngehalt stets gewahrt sein.“; Hambusch, Kandidatenaufstellung und „Primaries“ im Lichte des Verfassungsrechts (2016), 53. 16 BVerwGE 25, 305 f.; Hahlen, in: Schreiber, BWahlG, 10. Aufl. 2017 § 21 Rn. 7 und 17; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 21 Rn. 340. 17 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 21 Rn. 351. 18 Boettcher/Högner, BWahlG, BWahlO, 13. Aufl. 1994, § 21 BWG Rn. 10. 19 Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 83. EL 2018, Art. 38 Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 383/18 Seite 6 bestimmten Kreisverband für einen Delegiertenposten wäre ein Verstoß gegen das Gebot der Allgemeinheit der Wahl. Diese Bewerber würden in verfassungswidriger Weise ihres passiven Wahlrechts beraubt. 4. Landtagswahlen Auf Landesebene gilt das zu Wahlen auf Bundesebene Ausgeführte grundsätzlich entsprechend. Die konkreten gesetzlichen Regelungen finden sich in den jeweiligen Landeswahlgesetzen und den Satzungen der Parteien. 5. Europawahlen Auch bei Europawahlen gelten die Ausführungen entsprechend. Wahlvorschläge können im Rahmen einer Liste von Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen eingereicht werden, § 8 Abs. 1 Europawahlgesetz (EuWG), § 2 Abs. 1 PartG. Die Bewerber müssen in einer Mitgliederoder Vertreterversammlung hierzu gewählt werden, § 10 Abs. 1 EuWG. Näheres zur Ausgestaltung der Wahl bleibt der Regelung durch Parteisatzung überlassen, § 10 Abs. 5 EuWG, allerdings nur in dem von Gesetz und Verfassung gezogenen Rahmen. Insbesondere das Vorschlagsrecht der Parteimitglieder ist auch hier umfassend zu beachten. Gemäß § 10 Abs. 3 S. 2 EuWG ist jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Aufstellungsversammlung vorschlagsberechtigt und muss uneingeschränkt die Möglichkeit haben, eigene Vorschläge zu präsentieren, um eine Auswahl zu ermöglichen.20 *** 20 Vgl. BT-Drs. 18/5050 v. 27.05.2015, Anlage 5 S. 44.