Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 -383/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Ausarbeitung WD 3 -383/06 Abschluss der Arbeit: 10.11.2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ist ein grundsätzlich nicht ausforschbarer Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Exekutive. Dazu gehören die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterung im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und –internen Abstimmungsprozessen vollzieht. Es existiert jedoch kein absoluter Kernbereichs der Exekutive, wie auch kein allumfassender Informationsanspruch des Parlaments. Die Frage, ob die Herausgabe von Informationen, die Aufschluss über die Willensbildung der Regierung oder einzelner Mitglieder bei der Vorbereitung inzwischen abgeschlossener Regierungsentscheidungen geben können, die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung beeinträchtigen , kann nicht pauschal beantwortet werden. Eine mögliche Beeinträchtigung läst sich nur unter Berücksichtigung des Einzelfalls feststellen. Bei abgeschlossenen Vorgängen muss eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Schutz der funktionsnotwendigen freien und offenen Willensbildung innerhalb der Regierung und dem parlamentarischen Informationsinteresse stattfinden. Das parlamentarische Informationsinteresse muss gewichtiger sein, je weiter das Begehren in den Arkanbereich der Regierung vordringt. Das Informationsinteresse ist besonders gesteigert, soweit es der Aufklärung von Missständen und Rechtsverstößen innerhalb der Regierung dient. Es besteht daher wohl kein Recht der Regierung pauschal die Herausgabe von Informationen begründungslos zu verweigern. Dies gilt in gleichem Maße für abgeschlossene Vorgänge aus nicht mehr im Amt befindlichen Regierungen. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Der Grundsatz der Gewaltenteilung als Grenze des Untersuchungsrechts 4 3. Reichweite des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung 5 3.1. Das „Flick-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts als Ausgangspunkt 5 3.2. Die Ansicht vom absoluten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung 6 3.3. Die Ansicht des restriktiv auszulegenden Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung 7 3.4. Würdigung 8 - 4 - 1. Einleitung Bundestag und Bundesregierung stehen in vielerlei Rechtsbeziehungen zueinander. Eine für die Aufgabenbewältigung der Verfassungsorgane besonders bedeutsame Rechtsbeziehung , ist die Informationsbeziehung. Die Rechte des Bundestages im Untersuchungsverfahren nach Art. 44 Grundgesetz (GG) stellen diesbezüglich die am weitesten reichenden Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung dar. Der Untersuchungsausschuss darf die Regierung ausforschen und von ihr verlangen – im Streitfall sogar erzwingen –, dass die für die Untersuchung erforderlichen Akten herausgegeben und Aussagegenehmigungen erteilt werden.1 Die Bundesregierung darf dies nur in engen Grenzen versagen.2 Trotz dieser weit reichenden Rechte kann jedoch nicht von einem alles umfassenden Kontroll- und Informationsrecht des Parlaments ausgegangen werden . Dies würde die eigenständigen Funktionen der unterschiedlichen Gewalten im parlamentarischen Regierungssystem verkennen.3 Der Untersuchungsausschuss ist als Organ des Bundestages durch Art. 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden . Hieraus folgt eine Bindung der Untersuchungstätigkeit an den Grundsatz der Gewaltenteilung, das Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip.4 Im Folgenden sollen die Auswirkungen untersucht werden, die sich aus der Bindung an den Grundsatz der Gewaltenteilung ergeben und anhand der Rechtsprechung und Literatur näher betrachtet werden, welche Grenzen sich hieraus für das Untersuchungsrecht herleiten. 2. Der Grundsatz der Gewaltenteilung als Grenze des Untersuchungsrechts Der Grundsatz der Gewaltenteilung findet seine verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 20 Abs. 2 GG.5 Dieses tragende Organisationsprinzip des Grundgesetzes hat den Sinn, dass die Organe der Legislative, Exekutive und Judikative sich gegenseitig kontrollieren und begrenzen, damit die Staatsmacht gemäßigt und die Freiheit des Einzelnen geschützt wird.6 Trotz der – sowohl im Grundgesetz verankerten als auch aus der Verfassungspraxis resultierenden – Verzahnungen und Verschränkungen der Gewalten, sind ihnen normativ getrennte Aufgaben und Funktionen zugewiesen.7 Die Gewaltentei- 1 Busse, Exekutive Eigenverantwortung im Spannungsfeld staatlicher Gewalten, DÖV 1989, S. 45, (48). 2 BVerfGE 67, S. 100 ff., Leitsatz 1.c). 3 Busse, S. 45 (48). 4 Meyer-Bohl, Die Grenze zur Pflicht der Aktenvorlage und Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen , Berlin 1992, S. 97. 5 Sondermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage, München 2005, Art. 20 Rn. 197. 6 Vgl. BVerfGE 3, S. 225, (247); Busse, S. 45, (46) m.w.N.; Meyer-Bohl, S. 97. 7 Busse, S. 45, (47). - 5 - lung kann im Staatsgefüge heutiger Prägung nicht mehr als strikte Trennung der Staatsorgane verstanden werden, sondern ist mit Rücksicht auf das parlamentarische Regierungssystem nur als Funktionszuordnung aufzufassen.8 Die daraus resultierende organisatorische Trennung schafft eine Balance zwischen den Gewalten, bestimmt aber gleichzeitig eine Gleichwertigkeit der Gewalten zueinander, damit die Balance funktionieren kann.9 Aus dem Gewaltenteilungsprinzip leitet das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Lehre vom Kernbereich der Gewalten ab, nach der Funktionsverflechtungen nur soweit möglich sind, wie durch sie nicht in den Kernbereich einer anderen Gewalt eingegriffen wird.10 Im Zusammenhang mit der Kernbereichslehre stehend, von dieser aber deutlich zu unterscheiden ist der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.11 Hierbei geht es um die Bestimmung des dem Kontrollrecht des Parlaments verschlossenen Internbereichs der Regierung.12 3. Reichweite des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung Die Frage nach der Reichweite des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur unterschiedlich beantwortet. 3.1. Das „Flick-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts als Ausgangspunkt Das BVerfG hat in seinem „Flick-Urteil“13 den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich umschrieben. Dazu gehören die Willensbildung der Regierung selbst, sowohl hinsichtlich der Erörterung im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und –internen Abstimmungsprozessen vollzieht. Die Kontrollkompetenz des Bundestages erstrecke sich demnach grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge . 14 Das Gericht führte aus: Sie (die Kontrollkompetenz) enthält nicht die Befugnis, in 8 Meyer-Bohl, S. 98. 9 Vgl. hierzu Herzog in: Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 30, 39 ff, 122. 10 BVerfGE 7, S. 183, (188); E 8, S. 155, (169 f); Meyer-Bohl, S. 98 m.w.N; kritisch Achterberg, Parlamentsrecht , Tübingen 1984, S. 229. 11 Wird auch als Geheimbereich oder Arkanbereich bezeichnet. 12 Meyer-Bohl, S. 98. 13 BVerfGE 67, S. 100 ff. 14 BVerfG 67, S. 100, (139). - 6 - laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Aber auch bei abgeschlossenen Vorgängen sind Fälle möglich, in denen die Regierung aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung geheimzuhaltende Tatsachen mitzuteilen nicht verpflichtet ist.15 Welche Fälle damit gemeint sind, hat das BVerfG jedoch nicht ausgeführt . In der Literatur und der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte werden, obwohl das Gericht die „abgeschlossenen Vorgänge“ besonders betont16, unterschiedliche Auslegungsweisen vertreten und dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung unterschiedliche Grenzen und Gewichtungen beigemessen. 3.2. Die Ansicht vom absoluten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung Eine Ansicht in der Literatur sieht im Lichte der Entscheidung des BVerfG die Willensbildung des Kabinetts als generell von der Kontrollkompetenz des Parlaments ausgenommen : Der Kernbereich sei notwendig, um die Möglichkeit kontroverser Diskussionen , die für eine umfassende Beleuchtung eines Problems unentbehrlich ist, vor Einflüssen und Einblicken zu schützen. Nur so ist ein Zustandekommen politischer Entscheidungen möglich.17 Beiträge zu einem Diskurs bei der Willensbildung der Regierung könnten unterbleiben, wenn die Beteiligten damit rechnen müssten, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt für die getätigten Äußerungen zu rechtfertigen haben. Dies birgt die Gefahr, dass für die Willensbildung sinnvolle Auseinandersetzungen unterbleiben .18 Der Schwerpunkt dieser Auslegung liegt daher in der Unausforschbarkeit des exekutiven Kernbereichs zu jedwedem Zeitpunkt, unabhängig davon, ob die Willensbildung bereits abgeschlossen ist oder nicht. Dieser Ansicht ist auch der Bayrische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH).19 Nach dem Gerichtshof folgt aus der Gewaltenteilung neben der Beschränkung des Untersuchungsrechts auf eine ex-post Kontrolle, dass sich die parlamentarische Kontrolle überhaupt nicht auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung erstrecken dürfe. Ebenfalls unter Berufung auf Das „Flick-Urteil“, so wird erklärt, sei die Willensbildung der Regierung generell geschützt, und zwar sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts - und Ressortentscheidungen.20 Damit wird der Bereich der regierungsinternen 15 BVerfG 67, S. 100, (139). 16 BVerfGE 67, S. 100, (139), die Wörter „abgeschlossene Vorgänge“ sind im Entscheidungstext kursiv hervorgehoben. 17 Busse, S. 45, (49); Schneider in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin/New York 1989, § 38 Rn. 58. 18 Meyer-Bohl, S. 101; Busse, S. 45, (49), der die Notwendigkeit der freimütigen Aussprache vor Regierungsentscheidungen betont. 19 BayVerfGH, DVBl. 1986, S: 233 ff. 20 BayVerfGH, S. 233, (234), siehe auch Leitsätze 4 und 5 (S. 233). - 7 - Willensbildung als absolut und somit als sachlich und ohne zeitliche Beschränkung für kontrollfest erklärt. 3.3. Die Ansicht des restriktiv auszulegenden Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung Eine andere Ansicht wird unter anderem vom Bremischen Staatsgerichtshof (BremStGH) vertreten.21 Dieser misst nicht dem sachlichen, sondern dem zeitlichen Kriterium höhere Bedeutung bei. Die Notwendigkeit einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle rechtfertigt danach den Einblick in den Arkanbereich der Regierung. Das Gericht führte aus: Durch die Möglichkeit einer nachträglichen Einsichtnahme eines Untersuchungsausschusses in Senatsprotokolle wird nicht die offene und freimütige Diskussion im Senatskollegium behindert, sondern höchstens deren Protokollierung zu Gunsten einer größeren – auch der gegenwärtigen Praxis nicht völlig fremden – Selektivität beeinflusst. Mögen die Senatsprotokolle bei Kenntnis einer potentiellen Offenlegung möglicherweise ein weniger farbiges Bild der Senatsberatungen bieten, so werden sie doch unter dem Aspekt ihrer potentiellen Beweisfunktion – und auch der Beweisfunktion des Schweigens – die wesentlichen Aufschlüsse für die politische und rechtliche Beurteilung der Arbeit des Senats und der einzelnen Senatsmitglieder vermitteln.22 Für den Staatsgerichtshof hat hier das Verfassungsgebot wirksamer parlamentarischer Kontrolle entscheidendes Gewicht. In Anlehnung an das Gewaltenteilungsprinzip als dogmatische Grundlage dieser Untersuchungsgrenze gewinnt er dem Begriff des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung nur eine kompetenzschützende Wirkung ab.23 Die Gewaltenteilung setze dem parlamentarischen Untersuchungsrecht erst dort Grenzen , wo ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren in die originären Kompetenzen der Exekutive übergreift.24 Der parlamentarische Untersuchungsausschuss darf nicht durch das Kontrollverfahren zu einem Element der Mitentscheidung und Mitregierung werden. Diese kompetenzrechtliche Grenze wird aber von einer Pflicht des Senats auf Vorlage von Akten oder Protokollen jedenfalls dann nicht berührt, wenn die Vorlagepflicht auf abgeschlossene Vorgänge zielt und nur auf solche im Rahmen einer auf einen bestimmten Untersuchungskomplex gerichteten Kontrollenquete beschränkt ist.25 In diesem Sinn hat auch ein Teil der Literatur die Entscheidung des BVerfG aufgefasst und bereits abgeschlossene Vorgänge grundsätzlich aus dem Kernbereich exekutiver 21 BremStGH, Entscheidung vom 1. März 1989, DVBl. 1989, S. 453 ff. 22 BremStGH, S. 453, (457). 23 Lindemann, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte zur Rechtsstellung von Parlament und Regierung im Vergleich, Frankfurt 2000, S. 44. 24 BremStGH, S. 453, (456); so auch Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und Steuergeheimnis , AöR 1980, S. 564, (610). 25 BremStGH, S. 453, (456). - 8 - Eigenverantwortung ausgeklammert.26 Grenzen des Untersuchungsrechts liegen entsprechend der Ansicht des BremStGH27 dort, wo die parlamentarische Untersuchung zum Mitbestimmungsinstrument wird. Diese Grenzziehung gewährleiste, dass Regierung und Verwaltung ihre Entscheidungen autonom treffen. Die Ausübung der Kontrollfunktion darf jedenfalls nicht dazu führen, dass das Parlament sozusagen am Kabinettstisch sitzt. 3.4. Würdigung Bemerkenswert ist zunächst, dass die gravierend unterschiedlichen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte Bremen und Bayern allesamt das „Flick-Urteil“ des BVerfG als Stütze für ihre Argumentation ansehen.28 Einigkeit besteht darüber, dass eine Pflicht der Regierung zur Informationsfreigabe dann nicht besteht, wenn die Information zu einem Mitregieren Dritter bei Entscheidungen führen kann, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen. Diese Möglichkeit besteht bei Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen regelmäßig – aber nicht ausnahmslos –, solange die Entscheidung noch nicht getroffen ist. Die Kontrollkompetenz des Parlaments kann sich daher regelmäßig nur auf Vorgänge erstrecken die bereits abgeschlossen sind. Lediglich die Frage, ob bei abgeschlossenen Vorgängen (immer noch) eine Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung möglich ist, steht zur Diskussion. Denkbar wäre z.B. eine Untersuchung zu Fragen, die eine nicht mehr amtierende Regierung betreffen. Der Schluss, wie ihn der BayVerfGH und Teile der Literatur aus den Formulierungen des BVerfG ziehen, der Bereich der Willensbildung im Kabinett werde unabhängig von der Frage der Abgeschlossenheit eines Vorgangs ausnahmslos von der parlamentarischen Kontrolle ausgeklammert, geht zu weit.29 Im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung gebietet der Grundsatz der Gewaltenteilung eine Auslegung des Grundgesetzes dahin gehend, dass parlamentarische Kontrolle wirksam sein kann.30 Dies wäre stark gefährdet, wenn die dazu nötigen Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen dem Parlament grundsätzlich verschlossen bleiben. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 30. März 200431 in Anlehnung an die „Flick- 26 Meyer-Bohl, S. 101. 27 Meyer-Bohl, S. 102. 28 Vgl. Lindemann, S. 42. 29 Glauben in: Glauben/Brocker, Das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, Köln 2005, S. 58. 30 BVerfGE 67, S. 100, (130). 31 BVerfGE 110, S. 199 ff. - 9 - Rechtsprechung“ seine Ausführungen zum Kernbereich der Exekutive präzisiert. Darin wird deutlich gemacht, dass die Auslegung des „Flick-Urteils“ die Existenz eines absoluten Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung nicht bedenkenlos stützen kann. Nach dem Beschluss führe die Annahme, jeder der Regierung unerwünschte parlamentarische Einblick in das Zustandekommen von Regierungsentscheidungen beeinträchtige die Offenheit des Willensbildungsprozesses und damit die Funktionsfähigkeit der Regierung, zu folgende Konsequenzen: Die Entscheidungen der Regierung unterlägen dem parlamentarischen Kontrollrecht dann nur hinsichtlich des verlautbarten Entscheidungsinhalts und solcher Entscheidungsgrundlagen, die keine Rückschlüsse auf die Willensbildung innerhalb der Regierung zulassen. Die Hintergründe könnten dagegen nach belieben zurückgehalten werden.32 Die von der Regierung getroffenen Entscheidungen könnten nicht politisch beurteilt werden und die politische Verantwortung für Fehler, die gerade im Zustandekommen der Entscheidung liegen, nicht zur Geltung gebracht werden. Die Entscheidung darüber, welche Vorgänge in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung fallen, läge einzig bei der Spitze der Exekutive, was zu einer unkontrollierten Geheimhaltung führen könnte. Dies gilt insbesondere für Informationen, die über darüber Aufschluss geben, welcher Informationsstand den Entscheidungen der Regierung zugrunde lag. Ein schützenswertes Interesse der Regierung kann zwar für den Beurteilungsprozess als Willensbildendem Vorgang gesehen werden. Kein schützenswertes Interesse liegt jedoch in der Geheimhaltung der Informationen, die Grundlage dieser Beurteilung waren. Dies gilt insbesondere, wenn in einem Untersuchungsausschuss gerade die Frage zu untersuchen ist, ob die Regierung mit dem Ergebnis ihrer Willensbildung den vorhandenen Informationsstand hinreichend gewürdigt hat, oder ob gerade in der nicht Berücksichtigung von Informationen der aufzudeckende Missstand liegt. Geschützt ist der Prozess der Entscheidungsbewertung, nicht die Entscheidungsgrundlage. Eine Berufung auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung kann auch dann nicht erfolgen, wenn der Vorwurf darin liegt, dass die Regierung das Parlament falsch oder unvollständig informiert hat.33 In diesem Fall kann die Regierung einem Untersuchungsausschuss auch nicht solche Unterlagen vorenthalten, die sie zur Vorbereitung der Informationsweiter- 32 BVerfGE 110, S. 199, (218). 33 So im 1. UA der 15. Wahlperiode, sog. „Lügenausschuss“, BT-Drucks. 15/125. Es galt den Vorwurf zu klären, ob die Bundesregierung den Bundestag und die Öffentlichkeit hinsichtlich der Situation des Bundeshaushaltes sowie anderer Finanzfragen vor der Bundestagswahl am 22. September 2002 falsch oder unvollständig informiert hat, wer dieses wie und mit wessen Hilfe im Verantwortungsbereich der Bundesregierung getan und welche Verabredungen es dazu gegeben hat. - 10 - gabe an das Parlament genutzt hat, soweit diese Hinweise auf den tatsächlichen Informationsstand der Regierung enthalten.34 Hinzu kommt, dass durch die Berufung auf die Notwendigkeit einer freimütigen Aussprache und offenen Diskussionen innerhalb des Kabinetts, ohne die sinnvolle Beiträge zur Willensbildung der Regierung ausbleiben könnten, ein Bild vom Internbereich der Regierung gezeichnet wird, dass so nicht dem heutigen Parlamentarismus entspricht. Dieses Argument ist nur dann schlüssig, wenn Kabinettsentscheidungen unter Ausschluss des gesamten Parlaments getroffen werden. In der Praxis findet aber faktisch meist nur ein Ausschluss der parlamentarischen Opposition statt. Die Opposition steht der Regierung und der Mehrheit im Parlament entgegen, welche wiederum Gesetzesvorhaben in aller Regel erst nach Rücksprache mit der Fraktionsführung zur Entscheidung bringen. Auch Parteiführungen, Präsidien und sonstige Ausschüsse fungieren hier als Bindeglieder.35 Ein Ausweichen aus dem formellen in den informellen Beratungsbereich ist daher nicht zu fürchten, es findet vielmehr bereits vielfältig statt. Die Auffassung hingegen, die bereits abgeschlossene Vorgänge grundsätzlich aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ausgeklammert und Grenzen des Untersuchungsrechts entsprechend der Ansicht des BremStGH nur dort sieht, wo die parlamentarische Untersuchung zum Mitbestimmungsinstrument wird, greift zu kurz. Der aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Schutz vor informatorischen Eingriffen in den Bereich exekutiver Entscheidungsvorbereitung erschöpft sich nicht einer Abschirmung gegen unmittelbare Eingriffe in die autonome Kompetenzausübung der Regierung. Auch dem nachträglichen parlamentarischen Zugriff auf Informationen aus der Phase der Vorbereitung von Regierungsentscheidungen setzt der Gewaltenteilungsgrundsatz Grenzen.36 Ein für abgeschlossene Vorgänge fast schrankenloser Informationsanspruch des Parlaments würde die Regierung vor allem durch seine einengenden Vorwirkungen in der selbstständigen Funktion beeinträchtigen, die das Gewaltenteilungsprinzip ihr zuweist. Auch wenn sich daraus kein absolut unausforschbarer Kernbereich ergibt, so besteht ein schutzwürdiges Funktionsrecht der Regierung, zur vollständigen und vertiefenden Problemlösung, vorläufige und nicht abschließend ausgereifte Erwägungen in die Entscheidungsfindung einzubringen. Diese könne letztlich wegen anderer Überzeugungen oder mit Rücksicht auf Konsensfindung wieder verworfen werden. Dieser Gedanke könnte auch § 28 der Geschäftsordnung der Bundesregierung zugrunde liegen, wonach die von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzesvorlagen einheitlich nach 34 So legte die Regierung dem Untersuchungsausschuss im „Lügenausschuss“ auch solche Akten vor, die die Vorbereitung der Informationsweitergabe an den Bundestag und an die Öffentlichkeit betrafen . Bericht siehe BT-Drucks. 15/2100. 35 Vgl. hierzu Meyer-Bohl, S. 103. 36 BVerfGE 110, S. 199, (215). - 11 - Außen zu vertreten sind, unabhängig davon, welche Ministerien andere Auffassungen gehabt haben. In Anlehnung an den Beschluss des BVerfG vom 30. März 200437, wäre eine wirksame parlamentarische Kontrolle nicht möglich, nimmt man die Existenz eines absoluten Kernbereichs der Exekutive an. Sie bedarf jedoch auch keines allumfassenden Informationsanspruchs. Die Frage, ob die Herausgabe von Informationen, die Aufschluss über die Willensbildung der Regierung oder einzelner Mitglieder bei der Vorbereitung inzwischen abgeschlossener Regierungsentscheidungen geben können, die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung beeinträchtigen, kann daher nicht pauschal bejaht oder pauschal verneint werden.38 Eine mögliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung läst sich folglich nur unter Berücksichtigung des Einzelfalls feststellen. Die parlamentarische Kontrolle der Regierung ist einerseits dazu bestimmt, eine demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechende Ausübung der Regierungsfunktion sicherzustellen. Andererseits kann gerade diese Bestimmung die Funktion der Regierung stören und es bedarf daher die Begrenzung auf ein funktionsverträgliches Maß. Aus dieser Doppelfunktion resultiert die Notwendigkeit, die gegenseitigen Belange abzuwägen.39 Bei abgeschlossenen Vorgängen muss demnach eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Schutz der funktionsnotwendigen freien und offenen Willensbildung innerhalb der Regierung und dem parlamentarischen Informationsinteresse stattfinden. Das parlamentarische Informationsinteresse muss gewichtiger sein, je weiter das Begehren in den Arkanbereich der Regierung vordringt, um einen Vorrang vor dem Vertraulichkeitsbegehren der Regierung geltend machen zu können. Dabei kommt dem Informationsinteresse besonders gesteigerte Bedeutung zu, soweit es der Aufklärung von Missständen und Rechtsverstößen innerhalb der Regierung zu dienen bestimmt ist.40 Es besteht daher wohl kein Recht der Regierung pauschal die Herausgabe von Informationen begründungslos zu verweigern. Dies gilt in gleichem Maße für abgeschlossene Vorgänge aus nicht mehr im Amt befindlichen Regierungen. 37 BVerfGE 110, S. 199 ff. 38 Glauben, S. 59. 39 Siehe auch BVerfGE 110, S. 199, (219). 40 So bereits BVerfGE 67, S. 100, (130).