Deutscher Bundestag Aufgabenübertragung vom Bund auf die Kommunen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 - 381/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 2 Aufgabenübertragung vom Bund auf die Kommunen Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 - 381/10 Abschluss der Arbeit: 20. September 2010 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. (Alt-)Fälle der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Kommunen 5 2.1. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende 5 2.2. Sozialhilfe 5 3. Problemfälle eines bundesgesetzlichen Durchgriffs auf die Kommunen 6 3.1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage 6 3.2. Weihnachtsbeihilfe für Heimbewohner nach SGB XII 8 3.3. Ausbau der Kindertagesbetreuung 9 3.4. Verbraucherinformationsgesetz 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 4 1. Einleitung Der Bund hat in den letzten Jahrzehnten den Gemeinden und Gemeindeverbänden in zahlreichen gesetzlichen Regelungen ausgabenträchtige Aufgaben übertragen.1 Für die Kommunen ergab sich die folgende missliche Situation: Während eine bundesgesetzliche Aufgabenübertragung nach der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts und der Staatspraxis unter bestimmten Voraussetzungen nach Art. 84 Abs. 1 Grundgesetz (GG) a. F. erlaubt war, sieht die Finanzverfassung des Grundgesetzes gemäß Art. 104a ff. GG keine unmittelbaren Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen vor. Die Länder mussten aber mangels Verursachung der kommunalen Ausgabenlast ebenfalls nicht zahlen. Es besteht zwar in jedem Flächenstaat ein Konnexitätsprinzip, das bei der Begründung neuer gemeindlicher Aufgaben einen finanziellen Ausgleich vorsieht („Wer bestellt, zahlt“). Aber dieses landesrechtliche Prinzip betrifft unstreitig nur den Fall ausgabenbegründender Landesgesetze. Eine landesverfassungsrechtliche „Haftung“ für den bundesgesetzlichen Durchgriff besteht dagegen nicht. Die Folge war mithin, dass dieser allein zu Lasten der kommunalen Kassen ging, ohne dass Bund oder Länder dafür einstehen mussten. In der Föderalismuskommission I entschied man sich, das dargestellte strukturelle Problem in der der Finanzverfassung vorgelagerten Ebene, also bei der Beurteilung der Zulässigkeit bundesgesetzlicher Aufgabenzuweisungen an die Kommunen, zu lösen. Die am 1. September 2006 in Kraft getretene Föderalismusreform I beinhaltet u. a. eine Neufassung des Art. 84 Abs. 1 GG, die ein Aufgabenübertragungsverbot des Bundes an die Kommunen einschließt. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG lautet: „Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden.“ Für die Bundesauftragsverwaltung enthält Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG eine entsprechende Formulierung. Nach Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG gilt Recht, das als Bundesrecht erlassen worden ist, aber wegen der Einfügung des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG nicht mehr als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fort. Nach Satz 2 der Vorschrift kann es durch Landesrecht ersetzt werden. Aufgrund dieser Fortgeltungsregelung sind noch bundesgesetzliche Regelungen in Kraft, die eine Aufgabenübertragung auf die Kommunen formulieren. Nachfolgend werden die zentralen Bestimmungen der noch bestehenden bundesgesetzlichen Aufgabenübertragungen genannt (2.) und Problemfälle zum Aufgabenübertragungsverbot nach Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG skizziert (3.) 1 Siehe zur nachfolgend dargestellten Problematik auch: , Auswirkungen der Föderalismusreform I, Mitwirkungsrechte und Gesetzgebungskompetenzen , Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3 – 3010 – 321/09 vom 27. August 2009; , Verbot des bundesgesetzlichen Durchgriffs auf die Kommunen und (Mehr- )belastungsausgleich, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 221/08 vom 19. Juni 2008; nd 321-09. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 5 2. (Alt-)Fälle der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung auf die Kommunen Die ermittelten Regelungen2 betreffen die Sozialgesetzgebung. 2.1. Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende Gemäß § 19a Sozialgesetzbuch- Erstes Buch (SGB I) i. V. m. § 4 SGB II können nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen werden. Zuständig sind neben den Agenturen für Arbeit und den sonstigen Dienststellen der Bundesagentur die kreisfreien Städte und Kreise, soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist. Träger sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II die kreisfreien Städte und Kreise , soweit durch Landesrecht nicht andere Träger bestimmt sind, für die Leistungen nach: Kommunale Eingliederungsleistungen wie z. B. Betreuung minderjähriger Kinder, Schuldnerberatung, Suchtberatung (§ 16a SGB II), Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) und Abweichende Erbringung von Leistungen wie Leistungen für Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten, Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen (§ 23 Abs. 3 SGB II). Als Träger weiterer Leistungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende, für die nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II grundsätzlich Träger die Bundesagentur für Arbeit ist (Arbeitslosengeld II), sind außerdem die in der Anlage zur Kommunalträger-Zulassungsverordnung (KommtrZV)) - einer Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit - genannten kommunalen Träger zugelassen (sog. Optionskommunen). 2.2. Sozialhilfe Träger der Sozialhilfe sind gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 SGB XII die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt ist. Die Sozialhilfe umfasst nach § 8 SGB XII: Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 bis 40 SGB XII ), Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 bis 46 SGB XII ), Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 bis 52 SGB XII), Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII), Hilfe zur Pflege (§§ 61 bis 66 SGB XII), Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 bis 69 SGB XII ) und Hilfe in anderen Lebenslagen (§§ 70 bis 74 SGB XII). 2 Grundlage war u. a. eine entsprechende Recherche in der Datenbank Juris. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 6 Soweit Landesrecht keine Bestimmung zur sachlichen Zuständigkeit enthält, sind allerdings nicht die Kommunen sondern überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 bis 60 SGB XII), Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den (§§ 61 bis 66 SGB XII), Leistungen der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§§ 67 bis 69 SGB XII) und Leistungen der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII. 3. Problemfälle eines bundesgesetzlichen Durchgriffs auf die Kommunen 3.1. Verfassungsrechtliche Ausgangslage Die Reichweite des neuen Aufgabenübertragungsverbots und der genannten Übergangsregelung ist streitig.3 Es lassen sich beim Durchgriffsverbot des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG im Wesentlichen zwei Interpretationslinien ausmachen: Von der Bundesregierung4 und teilweise auch in der Literatur 5 wird die Auffassung vertreten, dass bloße Aufgabenerweiterungen nach Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG nicht schlechthin unzulässig seien. Vielmehr sei an die zum bisherigen Art. 84 Abs. 1 GG bekannte Unterscheidung zwischen der rein quantitativen Vermehrung bereits bestehender Aufgaben und der Übertragung neuer Aufgaben anzuknüpfen. Letztere sei durch Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG lediglich ausgeschlossen. Nach anderer Ansicht6 gilt das Aufgabenübertragungsverbot ausnahmslos. Materiell-rechtliche Erweiterungen bereits bestehender Aufgaben und finanzielle Anspruchsausweitungen könnten nicht mehr weiter an die Kommunen adressiert werden. Art. 125a Abs. 1 GG erfasse diesen Fall nicht, da die hiernach fortgeltenden Zuständigkeitsbestimmungen nicht zukunftsoffen und dynamisch auf das jeweils geltende Recht verwiesen. Juristisch konsequent sei vielmehr eine Verfassungsinterpretation , die es dem Bund untersage, materiell-rechtliche Rechtsänderungen zur 3 Vgl. hierzu weiterführend auch , WD 3 – 3000 - 221/08. 4 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gisela Piltz, Jörg Rohde, Christian Ahrendt u. weiterer Abgeordneter u. der Fraktion der FDP – BT-Drs. 16/3882- Kommunales Aufgabenübertragungsverbot und Weihnachtshilfe, BT-Drs. 16/3989 vom 2. Januar 2007, S. 2; Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Volker Wissing, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP - Drucksache 16/6499 - Auswirkungen der ersten Stufe der Föderalismusreform, BT-Drs. 16/8688 vom 2. April 2008, S. 18. 5 Maiwald, Christian, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Hofmann, Hans/Hopfauf, Axel, Grundgesetz, Kommentar , 11. Aufl., 2008 Art. 125a GG Rn. 3; so ohne weitere Begründung auch Pieroth, Bodo, in: Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 84 Rn. 7. 6 Schoch, Friedrich, Verfassungswidrigkeit des bundesgesetzlichen Durchgriffs auf die Kommunen, DVBl 2007, S. 261 ff., S. 263; Henneke, Hans-Günter, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 84 Rn. 26 ff.; Wieland, Joachim, Art. 84 GG – Klare Verantwortungszuordnung oder neue Vernetzungsstrategien?, in: Der Landkreis (LK) 2008, S. 184 ff., S. 186. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 7 Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben an die Kommunen zu adressieren. Mitunter wird auch eine differenzierende Betrachtung vorgenommen: So wird beispielweise betont, dass der dogmatisch saubere Weg einer Problemlösung beim hier in Frage stehenden Gegenstand, d. h. bei der „Aufgabe“, anzusetzen habe.7 Interpretationsleitend sollte danach eine Unterscheidung anhand des Kriteriums sein, ob eine bestimmte Tätigkeit zugewiesen oder erweitert werde (nur dann sei Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG einschlägig) oder ob das „Wie“ des Tätigwerdens in einem als solchen unverändert bleibenden Tätigkeitsbereich reglementiert werde.8 Formen, Verfahren, Rechtsverhältnisse und Maßstäbe seien demzufolge nicht vom Verdikt des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG erfasst.9 Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Problematik noch nicht Stellung bezogen: Es hatte nämlich in seinem Urteil vom 20. Dezember 200710 zu den Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften nach altem Recht (Art. 84 Abs. 1 GG alt) zu entscheiden, weil die Aufgabenübertragung gemäß § 44b SGB II – Bestimmung der kreisfreien Städte und Kreise zu (Mit-)trägern der Grundsicherung für Arbeitssuchende – vor der Föderalismusreform I erfolgt war. Daher ließ es die Frage, ob künftig eine Erweiterung der Aufgabenzuweisung durch Bundesgesetz nach Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG möglich sei, offen. Es stellt lediglich fest, dass dies „Fragen namentlich des Übergangsrechts des Art. 125a GG“ aufwerfe, „die in diesem Verfahren zu klären kein Anlass besteht.“11 Ob der Bund gegen Art. 84 Abs. 1 GG alt verstoßen hat, ließ das Gericht im Ergebnis offen, weil es die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG als nicht verletzt betrachtete. Allerdings gab es auch zu verstehen, dass es die nunmehr geltende Fassung des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG dagegen als Konkretisierung der Selbstverwaltungsgarantie verstehe.12 Für künftige Streitfälle wird mitunter daraus geschlossen, dass bei einem Verstoß des Bundesgesetzgebers gegen diese Norm der Kernbereich des Art. 28 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht als verletzt angesehen werde und damit eine im Wege der Kommunalverfassungsbeschwerde rügefähige Position für Gemeinden und Kreise eröffnet sei.13 In der Praxis hat die neue Rechtslage bereits zu Problemfällen, etwa bei der sog. Weihnachtsbeihilfe für Heimbewohner nach SGB XII und beim Ausbau der Kinderbetreuung, sowie dazu geführt , dass der Bundespräsident das Verbraucherinformationsgesetz von 2006 unter Hinweis auf einen offensichtlichem Verfassungsverstoß nicht ausgefertigt hat.14 7 Burgi, Martin, Künftige Aufgaben der Kommunen im sozialen Bundesstaat, DVBl 2007, S. 70 ff., S. 77. 8 Burgi, DVBl 2007, S. 70 ff., S. 77. 9 Burgi, DVBl 2007, S. 70 ff., S. 77. 10 BVerfG, NVwZ 2008, S. 183 ff. 11 BVerfG, NVwZ 2008, S. 183 ff, Rn. 136. 12 Vgl. auch Meyer, Hubert, Das SGB II als Ernstfall des Föderalismus – BVerfG schützt sozialpolitischen Gestaltungsspielraum und föderale Eigenverantwortung, NVwZ 2008, S. 275 ff., S. 276. 13 Meyer, NVwZ 2008, S. 275 ff., S. 276. 14 Henneke, Hans-Günter, Der Bund und die Kommunen – Aufgaben- und Finanzbeziehungen an den Beispielen SGB II, SGB VIII und SGB XII, Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (Födko II), Kommissionsdrucksache (Kom-Drs.) 058 (Beitrag für Niedersächsische Verwaltungsblätter Heft 1/2008), S. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 8 3.2. Weihnachtsbeihilfe für Heimbewohner nach SGB XII Hier geht es um das Gesetz zur Änderung des zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)15, das für das Jahr 2006 eine einmalige Weihnachtsbeihilfe (§ 133b SGB XII) in Höhe von mindestens 36 Euro für sozialhilfebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner in Einrichtungen vorsieht. Für die Zeit ab dem Jahr 2007 wurde der Barbetrag, den die Sozialhilfeträger an die Leistungsberechtigten gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII zu zahlen haben, um einen Prozentpunkt erhöht.16 Die Bundesregierung17 hat hierzu die Auffassung vertreten, dass in beiden Leistungstatbeständen keine neue Aufgabenzuweisung im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG liege. Eine Aufgabenerweiterung sei nicht schlechthin unzulässig. Vielmehr sei an die zum bisherigen Art. 84 Abs. 1 GG bekannte Unterscheidung zwischen der rein quantitativen Vermehrung bereits bestehender Aufgaben und der Übertragung neuer Aufgaben anzuknüpfen. Bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze sei bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Barbetrag gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII in Höhe von mindestens 26 Prozent des Eckregelsatzes zu gewähren gewesen. Auch zukünftig würden die zuständigen Träger der Sozialhilfe dazu verpflichtet sein, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Barbetrag zu gewähren, die Aufgabe bleibe somit insoweit qualitativ gleich. Aus Sicht der Bundesregierung sei es rechtlich nicht haltbar, allein aufgrund einer Erhöhung des Barbetrags von mindestens 26 auf 27 Prozent eine neue Aufgabe im Sinne des Artikels 84 Abs. 1 GG anzunehmen. Soweit § 133b SGB XII die Gewährung einer einmaligen Weihnachtsbeihilfe für das Jahr 2006 in Höhe von mindestens 36 Euro vorsehe, könne ebenfalls nicht von der Zuweisung einer neuen Aufgabe gesprochen werden. Mit der Einführung des SGB XII seien die bis dahin nach dem Bundessozialhilfegesetz den Leistungsberechtigten außerhalb stationärer Einrichtungen zustehenden einmaligen Leistungen pauschal durch eine Erhöhung der Regelsätze abgegolten worden. Demgegenüber sei der Barbetrag unverändert geblieben bei weiter bestehender Möglichkeit der Gewährung der Weihnachtsbeihilfe. Mit der Änderung in § 35 Abs. 2 SGB XII wird die Weihnachtsbeihilfe in den Barbetrag einbezogen (vgl. amtliche Begründung). Somit werde nur die Art und Weise , wie die Weihnachtsbeihilfe zu gewähren ist, geändert, jedoch keine neue Aufgabe geschaffen. Entscheidend sei allein die Tatsache, dass das SGB XII schon bisher die Gewährung einer Weihnachtsbeihilfe vorgesehen habe. Solche rein quantitativen Vermehrungen bereits bestehender Aufgaben griffen aber nicht in den Bereich ein, der den Ländern vorbehalten sei. Es sei von einer auch für den neuen Artikel 84 Abs. 1 S. 7 GG zulässigen quantitativen Vermehrung bestehender Aufgaben auszugehen. Hierfür 15 Vom 2. Dezember 2006, BGBl. I S. 2670. 16 Kleine Anfrage der Abgeordneten Gisela Piltz, Jörg Rohde, Christian Ahrendt u. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, BT-Drs. 16/3882 - Kommunales Aufgabenübertragungsverbot und Weihnachtshilfe , BT-Drs. 16/3989, S. 1. 17 BT-Drs. 16/3989, S. 2 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 9 spreche auch, dass anderenfalls dem Bundesgesetzgeber jede gesetzgeberische Modifikation bestehender kommunaler Aufgaben versagt und damit eine Versteinerung des insoweit bereits geltenden Rechts zu besorgen wäre. 3.3. Ausbau der Kindertagesbetreuung Mit dem Erlass eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG)18 will der Bundesgesetzgeber das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren ausbauen. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten sollen aber nicht - wie bisher - unmittelbar an die Kommunen als kraft unmittelbarer bundesgesetzlicher Vollzugseinschaltung handelnde Leistungsträger weitergereicht werden, ohne dass diese einen Kostenerstattungsanspruch geltend machen können.19 Die Bundesregierung führt in ihrer Gesetzesbegründung aus, dass eine direkte Aufgabenzuweisung seit der Föderalismusreform I wegen Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG nicht mehr zulässig sei.20 Deswegen bestimmt der neue § 69 Abs. 1 SGB VIII: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe werden durch Landesrecht bestimmt.“ Nach bisheriger Gesetzeslage waren bundesrechtlich gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe bestimmt. Damit führte die Regelung einer neuen Aufgabe automatisch zur Zuweisung an die kommunale Gebietskörperschaft und zur damit verbundenen Kostenlast.21 Durch die landesrechtliche Regelung greift das Konnexitätsprinzip. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom 13. Juni 2008 die Änderung des § 69 Abs. 1 SGB VIII mit der Begründung abgelehnt, dass die Neuregelung über das neu geschaffene Aufgabendurchgriffsverbot in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG hinausgehe. Bestehende bundesrechtliche Aufgabenzuweisungen würden von der Neuregelung nicht erfasst.22 Die Bundesregierung hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen. Sie war der Meinung, dass ohne die Änderung des § 69 SGB VIII dem Bund wegen des Verbots der unmittelbaren Aufgabenzuweisung Regelungen verwehrt wären, mit denen er in Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG qualitativ neue Aufgaben oder Leistungspflichten im SGB VIII begründe, die unmittelbar die kommunalen Gebietskörperschaften beträfen. Der Deutsche Bundestag hat der Änderung des § 69 18 Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG) vom 10. Dezember 2008, BGBl. I S. 2403. 19 Knitter, Janna, Das Verbot der Aufgabenübertragung auf die Kommunen und die Behandlung von Altfällen , ZG 2009, S. 18 ff, S. 18 f. 20 Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG), BT-Drs. 16/10173, S. 16; Gesetzesentwurf der Fraktion der CDU/CSU und der SPD zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG), BT-Drs. 16/9299, S. 11. 21 BT-Drs. 16/10173, S. 16; BT-Drs. 16/9299, S. 11. 22 BT-Drs. 16/10173, S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 - 381/10 Seite 10 SGB VIII am 17. Oktober 2008 und der Bundesrat am 7. November 2008 zugestimmt.23 Das Gesetz wurde am 10. Oktober 2008 verkündet.24 3.4. Verbraucherinformationsgesetz Mit Schreiben vom 8. Dezember 200625 verweigerte Bundespräsident Horst Köhler aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken die Ausfertigung dieses Gesetzes. Hierin vertritt er die Auffassung, dass in der Verpflichtung der kommunalen Behörden, Anträge nach dem Verbraucherinformationsgesetz auf Herausgabe von Informationen zu prüfen und zu bescheiden, eine Aufgabenübertragung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG liege. Er sehe hierin einen klaren Verstoß gegen die seit dem 1. September 2006 geltende negative Kompetenzvorschrift des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG, der ihn daran hindere, das Gesetz auszufertigen. Nach seiner Einschätzung könne den berechtigten Belangen des Verbraucherschutzes sehr schnell durch die erneute Verabschiedung des Gesetzes ohne die verfassungsrechtlich unzulässige Aufgabenzuweisung Rechnung getragen werden. In einem neuen Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des gesundheitsbezogenen Verbraucherschutzes (Verbraucherinformationsgesetz – VIG) wurde den Einwänden des Bundespräsidenten durch § 1 Abs. 2 S. 2 VIG Rechnung getragen, indem es heißt, dass Satz 1 im Falle einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes nur gilt, wenn der Gemeinde oder dem Gemeindeverband die Aufgaben nach diesem Gesetz durch Landesrecht übertragen worden sind. Am 5. Juli 2007 wurde das Verbraucherinformationsgesetz durch den Bundestag verabschiedet. Der Bundesrat hat das Gesetz am 21. September 2007 gebilligt. Es wurde am 9. November 2007 im Bundesgesetzblatt 26 verkündet. 23 Vgl. zur Gesetzeshistorie Henneke, Kinderförderungsgesetz bewirkt Durchbruch des Aufgabenübertragungsverbots zwischen Bund und Kommunen in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG, LK 2008, S. 668. 24 BGBl. I S. 2403. 25 Siehe: Zu BR-Drs 584/06 (Beschluss) vom 8. Dezember 2006. 26 BGBl. I 2007 S. 2558.