Deutscher Bundestag Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und deutsches Verfassungsrecht Anforderungen hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Transparenz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 380/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 2 Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und deutsches Verfassungsrecht Anforderungen hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Transparenz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 380/11 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2012 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit 5 3. Vereinbarkeit der Unterwerfung unter die Schiedssprüche eines internationalen Schiedsgerichts mit dem Wahlrecht und dem Demokratieprinzip (Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) 7 3.1. Inhalt des Wahlrechts und des Demokratieprinzips 7 3.2. Vereinbarkeit der Zustimmungsgesetze zu Investitionsschutzabkommen mit diesen Grundsätzen 8 4. Möglicher Verstoß des Zustimmungsgesetzes zu Investitionsabkommen gegen Art. 92 GG 9 5. Vereinbarkeit des Zustimmungsgesetzes zu Investitionsschutzabkommen mit dem Rechtsstaatsprinzip 10 5.1. Justizgewährungsanspruch 10 5.2. Bindung an Rechtsstaatsprinzip bei Ratifizierung 10 5.3. Übertragbarkeit der Prinzipien des Art. 23 Abs. 1 GG auf die Ratifizierung von Investitionsschutzabkommen 11 6. Grenzen für die Anwendbarkeit von durch internationale Organisationen erlassenes Sekundärrecht gemäß Art. 24 GG 11 7. Veröffentlichungspflicht hinsichtlich der Urteile der Schiedsgerichte? 12 8. Informationsrechte des Bundestages und der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung über Schiedsgerichtsverfahren 13 8.1. Grundlage des parlamentarischen Fragerechts 13 8.2. Beschränkung des parlamentarischen Fragerechts während laufender Gerichtsverfahren 15 8.3. Beschränkung des parlamentarischen Fragerechts wegen Geschäftsgeheimnissen 15 9. Wäre die Zustimmung des Parlaments zu einem völkerrechtlichen Vertrag rechtmäßig, wenn die Aushandlung des Vertrages außerhalb der Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland läge? 15 10. Klagemöglichkeiten des Bundestages oder seiner Abgeordneten gegen ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 4 1. Einleitung Internationale Schiedsgerichte spielen bei Streitigkeiten auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts eine immer bedeutendere Rolle. Ein prominentes Beispiel findet sich in der Schadensersatzklage der Vattenfall Europe AG gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der Presse lässt sich die Absicht des schwedischen Konzerns entnehmen, die Bundesrepublik Deutschland vor dem Washingtoner Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) wegen des Ausstiegs aus der Kernenergie und der damit verbundenen Schließung von Kernkraftwerken des Konzerns auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen.1 Seiner Ansicht nach könne Vattenfall sich als schwedisches Unternehmen gegenüber der Bundesrepublik auf die Energiecharta berufen. Bereits im April 2009 verklagte Vattenfall die Bundesrepublik wegen der Verschärfung von Auflagen für sein Kohlekraftwerk in Moorburg vor dem ICSID auf Schadensersatz in Höhe von 1,4 Milliarden Euro.2 Das Verfahren endete in einem Vergleich, wobei die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes nicht veröffentlicht wurde. Es bestehen unterschiedliche Arten der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. So handelt es sich bei der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit einerseits um ein zwischenstaatliches Streiterledigungsverfahren , das auf eine für beide Parteien verbindliche Beilegung des Streits abzielt; dabei können die Parteien Rechtsgrundlage, Zusammensetzung und Besetzung des Gerichts, Verfahrensordnung und anwendbares Recht bestimmen.3 Typisches Anwendungsbeispiel ist die Beilegung von Konflikten um den Grenzverlauf zwischen zwei Staaten. Daneben bestehen internationale Schiedsgerichte, die von Privaten, insb. Unternehmen, zur Beilegung von Streitigkeiten insbesondere bei grenzüberschreitenden Wirtschaftstransaktionen angerufen werden. Aufgrund ihrer Privatautonomie können sich die privaten Streitparteien auf die Anrufung entsprechender Gerichte einigen.4 In Investitionsschutzabkommen finden sich ebenfalls Klauseln zur Anrufung eines Schiedsgerichts ; hiernach können entweder Investor- und Gaststaat zur Streitbeilegung ein internationales Schiedsgericht anrufen, oder, was der häufiger anzutreffende Fall zu sein scheint5, der Investor ruft das Schiedsgericht gegen den Gaststaat an. 1 Vgl. Redaktion „beck aktuell“, abrufbar unter: http://beck-online.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata\reddok \becklink\1016929.htm&pos=6&hlwords=vattenfall#xhlhit (letzer Abruf für alle Internetangaben 25.01.2012). 2 Zu den Einzelheiten siehe auch Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/400 – Klage von Vattenfall gegen Deutschland, BT-Drs. 17/510. 3 Art. 37 S. 1 des 1. Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18.10.1907 (RGBl. 1910, S. 5). 4 Für Einzelheiten s. Reinisch, Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und andere Formen der Streitbeilegung im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 16 Rn. 13 ff. 5 Reinisch, Die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und andere Formen der Streitbeilegung im Internationalen Wirtschaftsrecht, in: Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht, 2009, § 18 Rn. 11 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 5 Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit Fragen, die sich rund um die Anrufung von internationalen Schiedsgerichten durch Investoren gegen den Gaststaat – im vorliegenden Fall Deutschland – stellen. 2. Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Um die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Unterwerfung Deutschlands unter die Schiedssprüche internationaler Schiedsgerichte zu diskutieren, wird zunächst deren Aufgabe und Arbeitsweise dargestellt. Internationale Schiedsgerichte bieten Investoren eine Plattform, auf der Konflikte mit dem betreffenden Staat effizient gelöst werden können, ohne dass die Öffentlichkeit Details des Verfahrens erfährt. So können unter anderem Zeit und Kosten gespart sowie Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden. Die Zuständigkeit internationaler Schiedsgerichte sowie die Unterwerfung der Beteiligten unter ihre Entscheidungen ergeben sich aus einer Vielzahl bilateraler Investitionsförderungsabkommen 6 der Bundesrepublik Deutschland (IFA) sowie einiger multilateraler Abkommen. Dabei handelt es sich um völkerrechtliche Verträge, denen Deutschland gem. Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt hat.7 Die Besonderheit liegt dabei in der Tatsache, dass ausländische Investoren aus den zwischen Staaten geschlossenen Abkommen unmittelbar Rechte ableiten können. Diese Verträge enthalten regelmäßig eine Regelung zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Gaststaat in Gestalt einer so genannten Schiedsklausel. Aktuell hat die Bundesrepublik Deutschland 139 bilaterale IFA unterzeichnet, von denen 130 bereits in Kraft getreten sind.8 Die neueren Verträge beruhen überwiegend auf dem deutschen Mustervertrag für bilaterale Investitionsschutzabkommen aus dem Jahre 2009.9 Unter den multilateralen Abkommen ist insbesondere die Energiecharta10 hervorzuheben, die von 51 Ländern, der Europäischen Gemeinschaft sowie Euratom unterzeichnet wurde11 und in Art. 26 eine Schiedsklausel enthält. 6 Im Englischen: Bilateral Investment Treaties (BIT). 7 Vgl. aus jüngerer Zeit: IFA mit Bahrain, in Kraft seit dem 27.05.2010, BGBl. 2008 II S. 494, IFA mit Jordanien in Kraft seit dem 28.08.2010, BGBl. 2009 II S. 469 oder IFA mit Libyen in Kraft seit dem 14.07.2010, BGBl. 2009 II S. 462. 8 Homepage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, abrufbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/ Redaktion/PDF/B/bilaterale-investitionsfoerderungs-und-schutzvertraege-IFV,property=pdf,bereich=bmwi, sprache=de,rwb=true.pdf. Die Texte der Abkommen sind abrufbar über die Seite der Deutschen Institution der Schiedsgerichtsbarkeit, http://www.dis-arb.de/de/53/bit/uebersicht-id0. 9 http://www.hjr-verlag.de/out/pictures/wysiwigpro/Produktservice/978-3-8114-9661-3_Produktservice_90.pdf 10 Vertrag über die Energiecharta vom 17.12.1994 (BGBl. 1997 II S. 5). 11 Zum Stand der Ratifizierungen siehe http://europa.eu/legislation_summaries/energy/external_dimension_ enlargement/l27028_de.htm. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 6 Die Bedeutung von Schiedsgerichten steigt parallel zur wachsenden Anzahl an unterzeichneten IFA. Ihr Einfluss ist dabei gewichtig, da sie verbindlich und endgültig darüber entscheiden, ob ein Gaststaat die Rechte eines Investors aus einem IFA verletzt hat und gegebenenfalls eine beträchtliche Entschädigung zusprechen können.12 Schiedsgerichte treten nur zur Behandlung eines konkreten Streitfalles zusammen. Die Richter werden in jedem Einzelfall von den Streitparteien bestimmt (in der Regel jeweils ein Richter nach Wahl jeder Streitpartei sowie ein von den ersten beiden Richtern gemeinsam bestimmter Vorsitzender13). Sie sind demnach keine ständigen Rechtsprechungsorgane. Die Parteien können sich entweder selbst um die Organisation und Zusammensetzung des Schiedsgerichts kümmern (so genanntes Ad-hoc-Schiedsgericht) oder Gebrauch von einer festen Institution machen, die den organisatorischen Rahmen für ein schiedsgerichtliches Verfahren bereitstellt. Meist wird in den IFA vereinbart, das Schiedsverfahren nach dem (Weltbank-)Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten von 196514 (WBÜ) durchzuführen. Auf Grundlage dieses Übereinkommens wurde das ICSID15 als Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten eingerichtet, welches den Rahmen für die Durchführung von Schiedsverfahren bietet. Im Übereinkommen sind Verfahren und Bindungswirkung von Schiedssprüchen geregelt. Alternativ kann ein Schiedsverfahren nach den UNCITRAL-Schiedsregeln16 oder vor der Internationalen Handelskammer (ICC)17 vereinbart werden. Darüber hinaus können die Parteien im Rahmen eines Schiedsverfahrens frei wählen, welches Recht anwendbar sein soll. Schließlich verpflichten sich die Vertragsstaaten nach Art. 54 Abs. 1 S. 1 der ICSID-Konvention bzw. nach Art. 54 Abs. 1 WBÜ, die aufgrund dieser Abkommen erlassenen Schiedssprüche als bindend anzuerkennen und für deren Vollstreckung auf ihrem Hoheitsgebiet vergleichbar der Vollstreckung letztinstanzlicher nationaler Gerichtsurteile zu sorgen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber bei seinem Zustimmungsgesetz zum WBÜ dadurch nachgekommen, dass ein deutsches Vollstreckungsgericht gemäß Art. 2 des Gesetzes zu dem Übereinkommen18 die Zulässigkeit der 12 Krajewski/Ceyssens, Internationaler Investitionsschutz und innerstaatliche Regulierung, Archiv des Völkerrechts 45 (2007), 180, 212. 13 Vgl. Rule 3 der Rules of Procedure for Arbitration Proceedings des ICSID (http://icsid.worldbank.org/ICSID/Static Files/basicdoc/CRR_English-final.pdf) und Artikel 9 der UNCITRAL Arbitration Rules (http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-rules-revised/pre-arb-rules-revised.pdf). 14 BGBl. 1969 II, S. 369. 15 International Centre for Settlement of Investment Disputes. 16 http://www.uncitral.org/pdf/english/texts/arbitration/arb-rules-revised/pre-arb-rules-revised.pdf . 17 http://www.iccwbo.org/court/arbitration/id4400/index.html. 18 BGBl. 1969 II S. 369 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 7 Zwangsvollstreckung aus einem entsprechenden Schiedsspruch ohne den Vorbehalt des ordre public für zulässig zu erklären hat.19 3. Vereinbarkeit der Unterwerfung unter die Schiedssprüche eines internationalen Schiedsgerichts mit dem Wahlrecht und dem Demokratieprinzip (Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) Die Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages im Bereich des Investitionsschutzes, der die Unterwerfung der Bundesrepublik unter eine Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht und die Bundesrepublik zur Erfüllung möglicher Schadensersatzansprüche in Geld verpflichtet, könnte gegen das Demokratieprinzip verstoßen. 3.1. Inhalt des Wahlrechts und des Demokratieprinzips Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist das Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG verletzt, „wenn sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können“.20 Das Budgetrecht stelle ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar. Daher müssten die Abgeordneten des Bundestages auch innerhalb eines Systems intergouvernementalen Regierens die Kontrolle über die grundlegenden haushaltspolitischen Entscheidungen behalten. Das Budgetrecht dürfe der Bundestag nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure verlagern. Seine Gesetzgebungsbefugnis sei insoweit eingeschränkt, als er sich keinem Mechanismus ausliefern dürfe, der „zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen“ könne.21 Das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und das Wahlrecht seien verletzt, wenn die Art und Höhe der Abgaben der Bürger in wesentlichem Umfang supranationalisiert und damit der Dispositionsbefugnis des Bundestages entzogen würde. Das BVerfG gesteht dem Gesetzgeber allerdings einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Frage des Eintrittsrisikos von Gewährleistungen zu und beschränkt sich darauf, evidente Verletzungen der Haushaltsautonomie zu rügen.22 19 Renner, Zwingendes transnationales Recht, 1. Auflage 2011, S. 139. 20 BVerfG 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10, Urteil vom 07.09.2011, Rn. 121 - 124 (Griechenlandhilfe und StabMechG), im Internet abrufbar unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110907_2bvr098710.html. 21 BVerfG 2 BvR 987/10 u.a., (Fn. 20), Rn. 125. 22 BVerfG 2 BvR 987/10 u.a., (Fn. 20), Rn. 130. Sehr kritisch zur Entscheidung Pagenkopf, Schirmt das BVerfG vor Rettungsschirmen?, NVwz 2011, 1473. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 8 3.2. Vereinbarkeit der Zustimmungsgesetze zu Investitionsschutzabkommen mit diesen Grundsätzen Gemäß Art. 59 Abs. 2 GG unterliegen völkerrechtliche Verträge, die sich auf die Gesetzgebung des Bundes beziehen, der Zustimmung des Bundestages. Wie bereits erläutert, sehen zahlreiche völkerrechtliche Verträge im Bereich des Investitionsschutzes die Unterwerfung der Bundesrepublik unter eine Schiedsgerichtsbarkeit vor.23 Zugleich verpflichtet sich die Bundesrepublik mit der Ratifizierung des Vertrages, die Schiedssprüche auch hinsichtlich eines möglichen Schadensersatzes in Geld zu erfüllen. Entsprechende Verträge sind damit potentiell finanzwirksam, auch wenn der konkrete Eintritt einer Haushaltsbelastung durch eine Verurteilung in einem Schiedsgerichtsverfahren noch nicht absehbar ist. Finanzwirksame Verträge betreffen das Haushaltsrecht des Parlaments, also dessen Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf den Haushalt (Art. 110 Abs. 2 GG). Die entsprechenden Investitionsabkommen sind daher gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zustimmungspflichtig.24 Die jeweilige Unterwerfung unter eine vertraglich vorgesehene Streitschlichtungsinstitution bedarf jedoch keiner gesonderten parlamentarischen Zustimmung.25 Fraglich ist, ob sich der Bundestag durch die Zustimmung zu dem entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag seiner Haushaltsverantwortung entäußert. Zwar ist im Zeitpunkt der Zustimmung zu dem Investitionsschutzabkommen zumeist nicht absehbar, ob und in welcher Höhe Investoren Schadensersatzansprüche vor internationalen Schiedsgerichten geltend machen. Allerdings sind die Größenordnungen der Schadensansprüche angesichts eines Gesamtvolumens des Bundeshaushalts für 2012 von 306,2 Mrd. Euro – gerade auch im Vergleich zu den möglichen Verpflichtungen der Bundesrepublik durch die Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus in Höhe von 123 Mrd. Euro26, die Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Entscheidung war – überschaubar. So soll bspw. die Vattenfall Gruppe aufgrund der Energiecharta wegen Investitionsverzögerungen bei dem Bau eines Kraftwerkes 1,4 Milliarden Euro plus Zinsen Schadensersatz gefordert haben.27 Diese zu erwartenden Summen werden den Bundeshaushalt nicht derart belasten, dass der jetzige oder ein zukünftiger Bundestag sein Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben kann. 23 Z.B. Art. 53, 54 ICSID-Konvention, Art. 26 Energiecharta. 24 Zur Zustimmungspflichtigkeit finanzwirksamer Verträge ausführlich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, S. 224 – 228 m.w.N. sowie Nettesheim in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 62. EL 2011, Art. 59 Rn. 108 (54. EL 2009). 25 Fastenrath/Groh in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz (BKGG), 22. EL 2007, Art. 59 Rn. 81; Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), 38, 60; Pernice in: Dreier (Hrg.), Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage 2006, Art. 59 Rn. 41 je m.w.N. 26 § 1 Abs. 1 Stabilisierungsmechanismusgesetz vom 22.05.2010 (BGBl. I S. 627), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 09.10.2011 (BGBl. I S. 1992) geändert worden ist (StabMechG). 27 Uken, Vattenfalls Weltbank-Strategie, DIE ZEIT 02.09.2009, http://www.zeit.de/online/2009/33/vattenfall-moorburg/ seite-1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 9 Hinzukommt, dass der Bundestag auch hinsichtlich der Ausgaben zur Begleichung der Schadensansprüche sein Haushaltsrecht ausübt. So sieht der Einzelplan 09 des federführenden Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie im Entwurf des Bundeshaushaltsplans für das Jahr 2012 Ausgaben für Gerichts- und ähnliche Kosten vor, die in den verschiedenen Jahren auch variieren.28 Dem Bundestag obliegt es daher nach wie vor, über die Ausgabe für die Schadensersatzbeträge zu entscheiden, auch wenn seine Entscheidung durch die Ratifizierung der zugrundeliegenden Investitionsschutzabkommen gebunden ist. Der Abschluss entsprechender Investitionsabkommen höhlt damit das Haushaltsrecht des Bundestages nicht derart aus, dass ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip oder das Wahlrecht zu befürchten wäre. 4. Möglicher Verstoß des Zustimmungsgesetzes zu Investitionsabkommen gegen Art. 92 GG Ferner könnte fraglich sein, ob das Zustimmungsgesetz zu einem Investitionsabkommen oder zu dem ICSID-Abkommen gegen Art. 92 GG verstößt, der die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Ein internationales Schiedsgericht kann hingegen auch mit anderen Personen als Richtern besetzt sein. Art. 92 GG ist nur auf staatliche Gerichte anwendbar, nichtstaatliche Gerichte wie die Schiedsgerichtsbarkeit nach den §§ 1025 ff. ZPO werden hierdurch weder erlaubt noch verboten.29 Der Staat ist wegen seiner Grundrechtsbindungen lediglich verpflichtet, durch entsprechende Verfahrensvorschriften für ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und Neutralität der Richter vor privaten Schiedsgerichten zu sorgen und hat eine Missbrauchskontrolle30 sicherzustellen .31 Die Übertragung von Investor-Staat-Streitigkeiten auf internationale Schiedsgerichte ist damit mit Art. 92 GG vereinbar. 28 Gesetzentwurf der Bundesregierung - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012), BT-Drs. 17/6600, EP 09 Kap. 526 01-011; als Soll-Beträge werden für die Jahre 2011 und 2012 288.000 Euro, als Ist-Betrag für das Jahr 2010 640.000 Euro ausgewiesen. 29 BGHZ 65, 59, 61; Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 2. Auflage 2008, Art. 92 Rn. 50, Hillgruber in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 62. EL 2011, Art. 92 Rn. 88 (51. EL 2007); Achterberg in: Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 92 Rn. 181 ff. (Zweitbearbeitung, 42. Lfg. 1985) je m.w.N. 30 So auch Schulze-Fielitz in: Dreier (Fn. 29), Art. 20 Rn. 212 m.w.N. 31 Hillgruber (Fn. 29), Art. 92 Rn. 88. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 10 5. Vereinbarkeit des Zustimmungsgesetzes zu Investitionsschutzabkommen mit dem Rechtsstaatsprinzip 5.1. Justizgewährungsanspruch Art. 20 Abs. 2 und 3 GG gewährleisten als einen Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips den Anspruch auf Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte (Justizgewährungsanspruch).32 Der Staat muss grundsätzlich Zugang zu staatlichen Gerichten auch in privatrechtlichen Streitigkeiten schaffen. Dieser Zugang ist den Investoren bei Streitigkeiten mit Deutschland als Gaststaat auch nicht verwehrt, vielmehr eröffnen die Investitionsschutzabkommen oder auch die Energiecharta (Art. 26 Abs. 2) dem Investor neben dem weiterhin möglichen Klageweg vor der Verwaltungsoder Zivilgerichtsbarkeit einen weiteren Klageweg. Da dem Investor die Wahl des einzuschlagenden Klageweges verbleibt, er also freiwillig auf den Schutz durch die rechtsstaatlichen Verfahrensnormen des deutschen Prozessrechtes verzichtet, verstößt der Abschluss dieser Abkommen jedenfalls nicht gegen den Justizgewährungsanspruch. 5.2. Bindung an Rechtsstaatsprinzip bei Ratifizierung Fraglich ist, ob der Bundestag verpflichtet ist, auch bei der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge , mit denen die Möglichkeit der Streitbeilegung mit Investoren vor internationalen Schiedsgerichten eingeräumt wird, darauf zu achten, dass vor diesen Schiedsgerichten rechtsstaatliche Mindeststandards eingehalten werden. Das Rechtsstaatsprinzip bindet alle Träger öffentlicher Gewalt, also auch die Legislative. Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip würden daher zur objektiven Rechtswidrigkeit des jeweiligen Gesetzgebungsaktes führen.33 Allerdings ist fraglich, gegen welche rechtsstaatlichen Grundsätze der Bundestag als Teil der Legislative mit der Ratifizierung des völkerrechtlichen Vertrages verstoßen würde. Rechtsstaatliche Mindestanforderungen an die Gesetze sind Bestimmtheit und Klarheit des Gesetzes, Vertrauensschutz und rechtsstaatliche Rechtsentstehung.34 Diese Mindestanforderungen sind vorliegend offensichtlich erfüllt. Der Staat entzieht sich durch die Möglichkeit der Streitbeilegung vor Schiedsgerichten auch nicht seiner Bindung an die Grundrechte und an das öffentliche Recht, wie dies vor dem Hintergrund von Art. 20 Abs. 2 und 3 und Art. 1 Abs. 3 GG bei der Wahl privatrechtlicher Handlungsformen des Staates als „Flucht ins Privatrecht“ diskutiert wird.35 Vielmehr unterwirft er sich der Wahlfreiheit des Investors, ihn vor einem staatlichen oder einem Schiedsgericht zu verklagen. 32 BVerfGE 85, 337, 345f; 108, 341, 347; Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 20 Rn. 211 m.w.N. 33 Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 20 Rn. 223. 34 Schulze-Fielitz in: Dreier (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 20 Rn. 128. 35 Hierzu Kirchhof in: Maunz/Dürig (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 83 Rn. 103 (54. EL 2009). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 11 5.3. Übertragbarkeit der Prinzipien des Art. 23 Abs. 1 GG auf die Ratifizierung von Investitionsschutzabkommen Ferner könnte überlegt werden, ob die Ratifizierung von Investitionsschutzabkommen an den Maßstäben des Art. 23 Abs. 1 GG zu messen ist. Dieser ist eine Spezialvorschrift für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union zur Erreichung des Staatszieles36 europäische Einigung und enthält eine sog. Struktursicherungsklausel, nach der nicht nur gemäß Art. 79 Abs. 3 GG die Bundesrepublik Deutschland bestimmten verfassungsrechtlichen Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit , Demokratie und Sozialstaatlichkeit genügen muss, sondern auch die Europäische Union.37 Art. 23 Abs. 1 GG ermächtigt den Bund aber gleichzeitig, den staatlichen Ausschließlichkeitsanspruch zurückzunehmen und die deutsche Rechtsordnung für die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit von gemeinschaftsrechtlichen Primär- und Sekundärrecht zu öffnen.38 Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Art. 23 GG um eine Spezialvorschrift gegenüber dem Art. 24 GG. Wenn bereits offen ist, ob überhaupt Hoheitsrechte im Sinne des Art. 24 GG übertragen werden (s. dazu unten 6), so ist jedenfalls eindeutig, dass es sich nicht um eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union handelt. Insbesondere wird mit der Unterwerfung unter eine Schiedsklausel auch nicht die deutsche Rechtsordnung gegenüber der Rechtsordnung eines anderen Hoheitsträgers geöffnet; zur Vollstreckung eines internationalen Schiedsspruchs bedarf es noch immer der Vollstreckbarkeitserklärung nach deutschem Zivilprozess durch ein deutsches Gericht. Die Voraussetzungen für eine Übertragbarkeit der Rechtsgedanken des Art. 23 Abs. 1 GG auf die Ratifizierung von Investitionsschutzabkommen sind daher nicht erfüllt. 6. Grenzen für die Anwendbarkeit von durch internationale Organisationen erlassenes Sekundärrecht gemäß Art. 24 GG Art. 24 Abs. 1 GG erlaubt dem Bund, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. In diesem Rahmen werden Grenzen für die Anwendbarkeit des von solchen zwischenstaatlichen Einrichtungen erlassenen Rechts diskutiert.39 Jedoch liegen bereits die Voraussetzungen des Art. 24 GG – die Übertragung von Hoheitsrechten – nicht vor. Hierunter versteht man die Übertragung der Befugnis, durch einseitige Anordnung Rechtsverpflichtungen zu begründen und diese gegebenenfalls einseitig durchzusetzen.40 Wie bereits ausgeführt, fehlt es an der Möglichkeit der einseitigen Durchsetzung von Rechtsverpflichtungen seitens der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, da deren Entscheidungen zunächst nach innerstaatlichem Recht für 36 Scholz in: Maunz/Dürig (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 23 Rn. 4 und 5 (56. EL 2009). 37 Scholz (Fn. 36), Art. 23 Rn. 70 f. 38 BVerfGE 37, 271, 280; 58, 1, 28; 59, 63, 90; Streinz in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 23 Rn. 59. 39 Randelzhofer in: Maunz/Dürig (Hrsg.) (Fn. 29), Art. 24 Rn. 129 (30. EL 1992). 40 Tomuschat in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (BK), Art. 24 Rn. 21 (Zweitbearbeitung 1985). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 12 vollstreckbar erklärt werden müssen. Die erwähnte Diskussion braucht daher im vorliegenden Zusammenhang nicht vertieft zu werden. 7. Veröffentlichungspflicht hinsichtlich der Urteile der Schiedsgerichte? Gegen die Übertragung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten auf internationale Schiedsgerichte wird häufig deren mangelnde Transparenz eingewandt; diese Kritik bezieht sich sowohl auf das nichtöffentliche Verfahren vor den Schiedsgerichten als auch auf deren mangelhafte Veröffentlichungspraxis.41 Im Jahr 2006 wurden in die Verfahrensregeln des ICSID- Schiedsgerichts, auf die der deutsche Mustervertrag für Investitionsschutzverträge verweist, Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Informationen aufgenommen. So werden grundsätzlich alle Anträge auf Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens sowie das Datum der Verhandlungen veröffentlicht; mit Zustimmung der Parteien werden auch die Schiedssprüche und die Protokolle der Verhandlungen veröffentlicht.42 Zwar wird die mangelnde Transparenz der Schiedsgerichtsbarkeit in zahlreichen Veröffentlichungen kritisiert, ohne aber auf die verfassungsrechtlichen Fragen, die sich in Deutschland stellen könnten, einzugehen. Fraglich ist, ob für Deutschland verfassungsrechtlich eine Pflicht zur Veröffentlichung der Entscheidungen der entsprechenden Schiedsgerichte besteht. Nach der Rechtsprechung und der Literatur sind alle Gerichte in Deutschland verpflichtet, ihre Entscheidungen in geeigneter Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.43 Dies folgt aus der Pflicht zur Justizgewährung gemäß dem Rechtsstaatsgebot, dem Demokratiegebot sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Entscheidungen staatlicher Gerichte konkretisieren nicht nur die gesetzlichen Regelungen, sie bilden das geltende Recht auch fort. Der Bürger muss daher erfahren können, welche Rechte und Pflichten er hat. Dieser Grundsatz könnte auch auf internationale Schiedsgerichte, deren Sprüchen sich Deutschland unterwirft, Anwendung finden. Dagegen spricht allerdings, dass es sich nicht um deutsche Gerichte, sondern um internationale Schiedsgerichte handelt, die Grundsätze also nicht direkt anwendbar wären. Aber auch eine nur mittelbare Bindung der öffentlichen Gewalt an den Grundsatz der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen dahingehend, dass die Bundesre- 41 Krajewski/Ceyssens, Internationaler Investitionsschutz und innerstaatliche Regulierung, Archiv des Völkerrechts 45 (2007), 180, 212 f. m.w.N.; Zoellner, Das Transparenzprinzip im internationalen Wirtschaftsrecht, 2009, inbs. S. 284, 294; OECD, Investment Division: Transparency and third party participation in investor-state dispute settlement procedures, 2005, im Internet abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/25/3/34786913.pdf. Die Literatur geht allerdings nicht auf verfassungsrechtliche Aspekte ein. 42 Art. 22 der administrative and financial regulations des ICSID, im Internet abrufbar unter: http://icsid.worldbank. org/ICSID/StaticFiles/basicdoc/CRR_English-final.pdf - Art. 37 Abs. 2 der Rules of Procedure for Arbitration Proceedings des ICSID gibt dem Schiedsgericht mittlerweile auch im Einvernehmen mit den Parteien die Möglichkeit , schriftliche Stellungnahmen nicht beteiligter Dritter einzuholen. 43 BVerwGE 104, 105, 109 mit ausführlichen Nachweisen der Literatur; Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3, 3. Auflage 2005, § 37 Rn. 138 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 13 publik Schiedssprüche, an denen sie beteiligt ist, veröffentlichen muss, lässt sich hieraus nicht ableiten. Die Sprüche der Schiedsgerichtsbarkeit binden nur die Parteien für den konkreten Fall und entfalten keine allgemeine Rechtswirkung; Schiedsgerichte können gerade keine allgemein gültige Rechtsfortbildung vornehmen. Mangels Rechtsfortbildung ist damit eine Veröffentlichungspflicht zur Information der Bürger über ihre Pflichten und Rechten nicht zu begründen. Ferner könnte man eine Veröffentlichungspflicht auf das Demokratieprinzip stützen wollen, wenn dem Bürger die Verwendung öffentlicher Mittel durch die Regierung jederzeit nachvollziehbar sein soll. In der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes obliegt aber dem Parlament die Haushaltshoheit; ein Anspruch jedes Einzelnen auf Kenntnis über die Verwendung der Haushaltsmittel besteht hingegen nicht. 8. Informationsrechte des Bundestages und der Abgeordneten gegenüber der Bundesregierung über Schiedsgerichtsverfahren Ein entsprechendes Informationsrecht des Bundestages könnte sich jedoch aus dessen Haushaltsautonomie und seiner Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung ergeben. 8.1. Grundlage des parlamentarischen Fragerechts Die Ausübung des Frage- und Informationsrechtes des Parlaments gehört zu den Statusrechten der Abgeordneten aus Art. 38 GG.44 Zur Ausübung seines Mandats bedarf der Abgeordnete Informationen , um die im Bundestag verhandelten Gegenstände umfassend beurteilen zu können.45 Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT)46 gestaltet das Fragerecht näher aus und sieht Kleine und Große Anfragen, mündliche und schriftliche Fragen vor. Reichweite und Grenzen des Fragerechts hat das BVerfG in diversen Entscheidungen konkretisiert. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)47 ergibt sich ein Informationsanspruch des Bundestages, sodass die Bundesregierung grundsätzlich die Fragen inhaltlich beantworten muss. Die Bundesregierung ist nach der Verfassung grundsätzlich verpflichtet, Fragen der Abgeordneten zu beantworten.48 Diese Pflicht erstreckt sich auf alle Informationen, die der Bundesregierung vorliegen bzw. die sie mit vertretbarem Aufwand beschaffen kann.49 Hierzu zählen bspw. statistische Angaben, Gutachten sowie eigene Erkenntnisse der Regierung und ihrer Behörden. Die Antwortpflicht der Regierung umfasst alle Informationen, die das Parlament für eine wirksame 44 BVerfGE 80, 188, 218. 45 BVerfGE 70, 324, 355; BVerfGE 80, 188, 218. 46 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.07.1980 (BGBl. I S.1237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 17.12.2010 (BGBl. I S. 2199). 47 BVerfGE 124, 161,199. 48 BVerfGE 13, 123, 125; 67, 100, 129; 105, 279, 306. 49 BVerfGE 105, 279, 306. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 14 Kontrolle und sachverständige Beurteilung des Regierungshandelns benötigt.50 Das Fragerecht dient insoweit dazu, die strukturelle Informationsasymmetrie zwischen Regierung und Parlament im Einzelfall zu verringern.51 Inhaltlich erstreckt sich das Fragerecht auf alle Angelegenheiten, die in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen.52 Gegenstand parlamentarischer Anfragen kann „das gesamte Verhalten (Handlungen ohne jede Begrenzung, Unterlassungen in Bezug auf den vom jeweiligen Organ wahrzunehmenden Aufgabenkreis) der Regierung und/oder deren einzelne Mitglieder“ sein53. Erfasst werden alle Aufgabenbereiche, für die die Regierung unmittelbar oder mittelbar einzustehen hat, die also von ihr selbst wahrgenommen werden oder sonst zu verantworten sind, § 105 GO-BT i.V.m Anlage 4 GO-BT Nr. 2 Abs. 1.54 Der Auskunftsanspruch des Parlaments ist allerdings in mehrfacher Hinsicht begrenzt.55 Der Bundestag muss im Rahmen seiner Kompetenzen tätig sein, er kann nur als politisches und nicht als administratives Kontrollorgan funktionieren.56 Es besteht kein Anspruch auf Auskunft gegenüber der Regierung, wenn diese weder unmittelbar noch mittelbar zuständig ist. Dies ist der Fall, wenn der Anspruch auf Zuständigkeiten der Länder (Art. 30 GG), der Europäischen Union oder der Rechtsprechung (Art. 92 GG) zielt. Weitere Grenzen sind berechtigte Geheimhaltungsinteressen , die Grundrechte Dritter oder Fragen, die das Parlament selbst betreffen; auch „Dreiecksfragen “, mit denen Abgeordnete zum Beispiel auf andere Abgeordnete oder Fraktionen zielen, sind unzulässig.57 Ferner muss die Regierung keine Fragen beantworten, die den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betreffen. Da die Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland vor den jeweiligen internationalen Schiedsgerichten vertritt, fällt eine Information über das Verfahren vor den Schiedsgerichten und über deren Schiedssprüche in ihre Zuständigkeit. Der Bundestag und seine Abgeordneten würden durch parlamentarische Fragen ihr parlamentarisches Kontrollrecht ausüben. Das Parlament sowie einzelne Abgeordneten können daher grundsätzlich von der Bundesregierung Auskunft über die Verfahren vor den Schiedsgerichten erlangen. Die Bundesregierung hat eine entspre- 50 BVerfGE 70, 324, 355. 51 Klein in: Maunz/Dürig (Fn. 29), Art. 43 Rn. 76 (39. EL 2001). 52 Lennartz/Kiefer, Parlamentarische Anfragen im Spannungsfeld von Regierungskontrolle und Geheimhaltungsinteressen , DÖV 2006, 185, 187. 53 Morscher, Die parlamentarische Interpellation in der Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich, Großbritannien, Österreich und der Schweiz, JöR 25 (1976), S. 56, 57. 54 BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1, 5; 67, 100, 129; vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, BT-Drs. 13/6149. 55 Lennartz/Kiefer (Fn. 52), S. 186. 56 Roll, GO-BT – Nomos Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, 1. Auflage 2002, Vorbemerkung zu §§ 100 – 105 (Fragerecht). 57 Ausführlich zu den Grenzen der Zuständigkeit Lennartz/Kiefer (Fn.52), S. 187 f.; Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament, 1992, S. 31 – 34; 38 – 45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 15 chende parlamentarische Anfrage auch beantwortet.58 Allerdings gilt es zwei Einschränkungen zu beachten. 8.2. Beschränkung des parlamentarischen Fragerechts während laufender Gerichtsverfahren Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG setzt das parlamentarische Regierungssystem einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung voraus, der einen auch durch das Parlament nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Dies treffe insbesondere im Hinblick auf noch nicht abgeschlossene Vorgänge zu.59 In Anwendung dieses Grundsatzes ist die Bundesregierung nicht verpflichtet, über Details laufender Schiedsgerichtsverhandlungen zu informieren. 8.3. Beschränkung des parlamentarischen Fragerechts wegen Geschäftsgeheimnissen Die Beschränkung des parlamentarischen Fragerechts unterliegt ferner Beschränkungen, wenn es sich um Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse handelt. Unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen werden alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenztem Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat.60 Ob bei der Veröffentlichung von Schiedssprüchen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletzt werden könnten, müsste im Einzelfall geprüft und kann nicht pauschal beantwortet werden. Allenfalls wären bei der Beantwortung der parlamentarischen Frage entsprechende organisatorische Vorkehrungen zu treffen – etwa eine Anonymisierung oder die Einsichtnahme des oder der Fragesteller bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages –, um die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu wahren. 9. Wäre die Zustimmung des Parlaments zu einem völkerrechtlichen Vertrag rechtmäßig, wenn die Aushandlung des Vertrages außerhalb der Kompetenz der Bundesrepublik Deutschland läge? Wenn man davon ausgeht, dass innerhalb der Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten diesen keine Kompetenz mehr zur Verhandlung und zum Abschluss bilateraler Investitionsschutzabkommen zusteht, stellt sich die Frage, ob der Deutsche Bundestag einem dennoch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem anderen Land abgeschlossenen Investitionsschutzabkommen gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zustimmen darf. 58 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/400 – Klage von Vattenfall gegen Deutschland, BT-Drs. 17/510. 59 BVerfGE 124, 78, 120 ff. zum Untersuchungsausschuss. 60 BVerfGE 115, 205, 231; Bonk/Kallerhoff in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, 6. Auflage 2001, § 30 Rn. 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 380/11 Seite 16 Der Zustimmung des Parlamentes unterliegen nach Art. 59 Abs. 2 nur „Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen “. Bei Investitionsförderungsabkommen kommt grundsätzlich der Bezug auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung nach Art. 59 Abs. 2, Var. 2 GG in Betracht. Geht man allerdings von der Prämisse aus, dass die Kompetenz zum Abschluss solcher Verträge nunmehr vollständig bei der Europäischen Union liegt, so handelt es sich nicht um einen Gegenstand der Bundesgesetzgebung. Damit ist schon der Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 GG nicht erfüllt, so dass das Parlament einem Investitionsförderungsabkommen nicht zustimmen dürfte. 10. Klagemöglichkeiten des Bundestages oder seiner Abgeordneten gegen ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG Sollte der Bundestag dennoch ein Zustimmungsgesetz erlassen, stellt sich die Folgefrage, ob gegen ein solches Gesetz Klagemöglichkeiten bestehen. Aus der Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG, folgt, dass auch im Bereich der auswärtigen Gewalt eine umfassende gerichtliche Kontrolle stattfinden muss. Daher unterliegen auch Zustimmungsgesetze der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichtes.61 Als Verfahren kommt insbesondere die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG in Betracht. Antragsberechtigt sind gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Abs. 1 BVerfGG (die Bundesregierung, eine Landesregierung, oder) ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle werden Gesetze auch vor Inkrafttreten , aber grundsätzlich erst nach Verkündung überprüft, um die Gewaltenteilung zu wahren . Allerdings wird für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen eine Ausnahme gemacht. Diese können bereits überprüft werden, wenn das Gesetzgebungsverfahren bis auf die Ausfertigung und Verkündung abgeschlossen ist.62 In diesem Verfahren würde ein Zustimmungsgesetz , für welches dem Bund die Kompetenz fehlt, für formell verfassungswidrig erklärt werden. Um zu vermeiden, dass eine völkerrechtliche Bindung eintritt, ist auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG möglich. 61 BVerfGE 4, 157, 162; Butzer/Haas in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage 2011, Art. 59 Rn. 123; Streinz in: Sachs (Hrsg.), (Fn. 38), Art. 59 Rn. 71; Kempen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Auflage 2010, Art. 59 Rn. 98. 62 BVerfGE 1, 396,410 ff.; Maunz in: Maunz/Dürig (Hrsg.), (Fn. 29), Art. 93 Rn. 20; Morgenthaler in: Epping/Hillgruber, Beck OK GG, Stand 01.10.2011, Art. 93 Rn. 33.