Deutscher Bundestag Beurteilung einer politischen Partei als „extremistisch“ Steht es einer Landesregierung zu, eine politische Partei im Internet als „extremistisch“ zu bezeichnen? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 378/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 2 Beurteilung einer politischen Partei als „extremistisch“ Steht es einer Landesregierung zu, eine politische Partei im Internet als „extremistisch“ zu bezeichnen? Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 378/11 Abschluss der Arbeit: 21. Dezember 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Extremismusbegriff 4 3. Rechtliche Grundlage und inhaltliche Ausgestaltung staatlicher Informationstätigkeit 6 3.1. Informationstätigkeit einer Regierung 6 3.2. Verantwortungsbereich der bayerischen Regierung zu dem hier in fragestehenden Informationshandeln 8 4. Rechtliche Einschränkungen staatlicher Informationstätigkeit 9 4.1. Parteienfreiheit 9 4.2. Administratives „Einschreiten“ 10 4.3. Rechtfertigung/Verhältnismäßigkeitsprüfung 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 4 1. Einleitung Im Verfassungsschutzbericht 2010 des Bayerische Staatsministeriums den Innern wird unter der Überschrift „Präventionsarbeit“ über die Öffentlichkeitsarbeit des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz informiert; unter anderem wird auf die im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz errichtete Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) hingewiesen. Ziel dieser Informationsstelle sei es, neben der Sensibilisierung der Öffentlichkeit auch die Vernetzung staatlicher und gesellschaftlicher Initiativen im Freistaat Bayern zu intensivieren. Als Kommunikationsmittel der Informationsstelle wird neben einem Beratungstelefon für alle Bürgerinnen und Bürger auch ein ressortübergreifendes Internetportal unter der Adresse „www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de“ genannt. Im Anschluss daran wird darauf verwiesen, dass zu dem Thema „Linksextremismus“ im Lauf des Jahres 2011 ein vergleichbares Informationsangebot im Rahmen eines Internetportals zur Verfügung stehen werde.1 Inzwischen informiert die Bayerische Staatsregierung auf einer gemeinsamen Internet-Seite des Bayerischen Staatsministeriums des Innern und des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus unter der Adresse www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de über „linksextremistische“ Aktivitäten in der Region. Sie bietet „Materialien für Präventions- und Bildungsarbeit gegen Linksextremismus“ an. Eine Landkarte von Bayern informiert darüber, welche „linksextremistischen Organisationen“ in welcher Region im Bundesland „aktiv“ sind und nennt diese namentlich ; wird auf ein Symbol „Organisationen“ in der jeweiligen Region geklickt, erscheinen u. a. die Namen von politischen Parteien. Die Seiten unter der Adresse www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de mit Informationen über „rechtsextremistische“ Aktivitäten sind vergleichbar aufgebaut. 2. Der Extremismusbegriff Gefragt wird, welcher Extremismusbegriff solchen Bewertungen seitens der Regierung zugrunde liegt. Zu klären ist, ob der Extremismusbegriff ein feststehender, einer allgemeinen Definition zugänglicher Begriff ist oder hierfür die politische Bewertung der jeweiligen Regierung ausschlaggebend ist. Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Extremismusbegriff erfolgt durch eine gesonderte Ausarbeitung seitens des Fachbereichs 1 – Geschichte, Zeitgeschichte und Politik –. Gesetzlich ist dieser Begriff nicht definiert. Auch die aus den Artikeln 18 und 21 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) abgeleitete Begrifflichkeit der Verfassungsfeindlichkeit von Parteien oder Bestrebungen kann nicht herangezogen werden, da sich die Begriffe „Verfassungsfeindlichkeit“ und „Extremismus“ nicht decken.2 1 Bayerisches Staatsministerium des Inneren, Verfassungsschutzbericht 2010, S. 17-20. 2 Battis, Zur Zulässigkeit der „Extremismusklausel“ im Bundesprogramm „Toleranz fördern – Komptenz stärken“, 29. November 2010, S. 17. Zur Übersicht: Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts , 2007, S. 92 ff. Als extremistisch werden auch Oppositionsgruppen bezeichnet, die sich gegen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 5 Im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)3 und den jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetzen (z. B. BayVSG)4 findet sich zwar keine Definition von „Extremismus“. Dafür liefert das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Auslegung, was „extremistisch“ sei. Hiernach werden Bestrebungen als „extremistisch“ bezeichnet, „die gegen den Kernbestand, unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind“.5 Laut Glossar der Verfassungsschutzbehörde seien „extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen“.6 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung bislang noch keine Definition für den Extremismusbegriff gegeben. Vielmehr hat es in einer Entscheidung zur Rechtmäßigkeit einer im Rahmen einer Führungsaufsicht erteilten Weisung (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Strafgesetzbuchs (StGB)7), kein „rechtsextremistisches […] Gedankengut“ verbreiten zu dürfen, festgestellt , dass es diesem Verbot „an bestimmbaren Konturen“ fehle. Ob eine Position als rechtsextremistisch einzustufen ist, sei eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung, deren Beantwortung in unausweichlicher Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen stehe.8 Der bayerische Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2010 geht wohl davon aus, dass die Begriffe „extremistisch“ und „verfassungsfeindlich“ gleichbedeutend seien.9 die politischen Verhältnisse in der Islamischen Republik Iran wenden, oder auch die separatistische Liberation Tigers of Tamil Eelam (BMI, Verfassungsschutzbericht 2010, S. 284) – beide Gruppen richten sich nicht gegen eine freiheitliche demokratische Grundordnung, weder hier noch im Iran oder in Sri Lanka. 3 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576). 4 Bayerisches Verfassungsschutzgesetz vom 10. April 1997, zuletzt geändert am 8. November 2010 (GVB. S. 722). 5 Bundesamt für Verfassungsschutz, Publikation der Verfassungsschutzbehörden, Verfassungsschutz - was wir für sie tun, S. 3, abrufbar unter www.verfassungsschutz.de/de/publikationen/pb_allgemein/broschuere_0803_was_wir_tun. 6 Bundesamt für Verfassungsschutz, Glossar der Verfassungsschutzbehörden, Stand: Dezember 2009, S. 9, www.verfassungsschutz.de. Hinzuweisen ist, dass das BVerfSchG den Begriff „extremistische Bestrebungen“ nicht kennt. 7 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist. 8 BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Dezember 2010, Az. 1 BvR 1106/08, Rn. 20. 9 Bayerisches Staatsministerium des Inneren, (Fn. 1), S. 11. Allerdings auch: separatistische Gruppierungen (S. 85); differenzierend dagegen auf S. 89. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 6 3. Rechtliche Grundlage und inhaltliche Ausgestaltung staatlicher Informationstätigkeit Fraglich ist, ob der Bayerischen Staatsregierung die Kompetenz zukommt, die Öffentlichkeit in der genannten Form über „extremistische Aktivitäten“ von Parteien in einer Region zu informieren , und, ob die Staatsregierung durch die hier in Frage stehenden Informationsarbeit in nicht gerechtfertigter Weise in verfassungsmäßige Rechte der Betroffenen eingreift. 3.1. Informationstätigkeit einer Regierung In Bezug auf die Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass diese aufgrund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt sei, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukomme, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden könne.10 Zu dieser Feststellung kam das Bundesverfassungsgericht zum einen in seinem Beschluss vom 26. Juni 2002, in dem es über Äußerungen der Bundesregierung über die „Osho- Bewegung“ im Hinblick auf das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen staatlicher Informationstätigkeit unter Wahrung des Gebots religiöser- und weltanschaulicher Neutralität des Staates und der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden hatte.11 Zum anderen hat es diese Aussage in einem am selben Tag ergangenen Beschluss bezüglich der Rechtmäßigkeit, insbesondere der Vereinbarkeit mit Artikel 12 GG, der Veröffentlichung einer Liste diethylenglykolhaltiger Weine unter Nennung der betroffenen Abfüllbetriebe getroffen.12 Die Aufgabe der Regierung, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit staatsleitend tätig zu werden, bei der es um die politische Führung gehe, werde nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und der richtungweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch im Wege des täglichen Informationshandelns.13 Die staatliche Teilhabe an öffentlicher Kommunikation habe sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt und verändert. Der Ausbau moderner Informations- und Kommunikationstechniken, sowie die Entwicklung neuer Informationsdienste wirke sich auch auf die Art der Aufgabenerfüllung durch die Regierung aus. Staatliches Informationshandeln unter heutigen Bedingungen gehe über die herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, die hauptsächlich auf die Darstellung von Maßnahmen und Vorhaben der Regierung bezogen war, vielfach hinaus. So gehöre es in einer Demokratie zur Aufgabe der Regierung , die Öffentlichkeit über wichtige Vorgänge auch außerhalb ihrer eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit zu unterrichten.14 Dabei sei der Staat auch nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten von Gruppen oder deren Mitgliedern wertend zu beurteilen. Insbesondere die Verteidigung von Grundsätzen und Wertvorgaben der Verfassung durch Organe und Funktionsträger des 10 BVerfGE 105, 252 (2. Leitsatz); 105, 279 (306). 11 BVerfGE 105, 279. 12 BVerfGE 105, 252. 13 BVerfGE 105, 252 (268); 105, 279 (301). 14 BVerfGE 105, 252 (268 f.); 105, 279 (301 f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 7 Staates könne auch mit Hilfe von Informationen an die Öffentlichkeit und der Teilhabe an öffentlichen Auseinandersetzungen erfolgen.15 Voraussetzung sei eine Aufgabenzuweisung zur Staatsleitung an die informierende Stelle.16 Könne eine der Regierung zugewiesene Aufgabe mittels öffentlicher Information wahrgenommen werden, liege in dieser Aufgabenzuweisung grundsätzlich auch eine Ermächtigung zum Informationshandeln .17 Auf Bundesebene sei die verfassungsrechtliche Grundlage für die Zuständigkeit solcher Informationstätigkeiten Artikel 65 Grundgesetz (GG).18 Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, dass auch die Landesregierungen im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs, im Zuge der Wahrnehmung ihrer eigenen staatsleitenden Aufgabe unmittelbar von Verfassung wegen zum Informationshandeln ermächtigt sein können.19 Ob dies der Fall ist, sei nach Landesverfassungsrecht zu beurteilen. In der zugrundeliegenden Entscheidung ging es um einen vom baden-württembergischen Kultusministerium herausgegebenen Bericht, der kritische Äußerungen und Bewertungen über die Osho-Bewegung und die ihr angehörenden Gemeinschaften enthielt. Die Zuständigkeit der Bayerischen Staatsregierung für die Staatsleitung ergibt sich aus den Artikel 65 GG entsprechenden Artikeln 47 und 51 der Verfassung des Freistaates Bayern (BV).20 Die Aufgabe der Staatsleitung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine verfassungsunmittelbare , so dass es einer zusätzlichen gesetzlichen Ermächtigung nicht bedürfe, es sei denn, die Maßnahme stelle sich nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren sei. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs könne das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden.21 Soweit es sich nicht um gezielte und unmittelbare Eingriffe handele und von der Information lediglich eine faktische und mittelbare Beeinträchtigung ausgehe, entziehe sich die Beeinträchtigung typischerweise einer Normierung.22 Die Voraussetzungen der Informationstätigkeit ließen sich gesetzlich nicht sinnvoll regeln, denn Gegenstand und Modalitäten staatlichen Informationshandelns seien so vielgestaltig , dass sie allenfalls in allgemein gehaltenen Formeln und Generalklauseln gefasst werden könnten.23 15 BVerfGE 105, 279 (294); 113, 63 (78). 16 im Einzelnen hierzu: BVerfGE 105, 279 (306 ff.). 17 BVerfGE 105, 252 (268). 18 BVerfGE 105, 252 (270); 105, 279 (306). 19 BVerfGE 105, 279 (307); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2002, Az. 1 BvR 1044/93, Rn. 7. 20 Bayerische Verfassung vom 2. Dezember 1946, in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 (GVBl. Seite 991), zuletzt geändert durch Gesetze vom 10. November 2003 (GVBl. Seite 816 und 817). 21 BVerfGE 105, 252 (273); 105, 279 (301, 303). 22 BVerfGE 105, 279 (304). 23 BVerfGE 105, 279 (305). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 8 Führt das staatliche Informationshandeln zu Grundrechtseingriffen oder zu Beeinträchtigungen, die einem Grundrechtseingriff gleich kommen, bedürfen sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber der Rechtfertigung.24 Hierbei seien die Maßstäbe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzulegen. Zu berücksichtigen sei insbesondere, wieweit der mittelbarfaktisch betroffene Grundrechtsträger belastet werde.25 3.2. Verantwortungsbereich der bayerischen Regierung zu dem hier in fragestehenden Informationshandeln Die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche Parteien aufgrund ihrer Beurteilung „extremistisch “ sind, müsste in den Verantwortungsbereich der bayerischen Landesregierung fallen. Nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung sind die Länder zum Erlass von Gesetzen zur Abwehr von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung befugt, soweit sich diese im jeweiligen Land auswirken und damit dort Gefahren hervorrufen können.26 Von dieser Gesetzgebungskompetenz hat das Land Bayern Gebrauch gemacht. Gemäß Artikel 15 des Bayerisches Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG)27 hat das Staatsministerium des Innern und das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Artikel 3 BayVSG zu unterrichten. Diese Kompetenz nimmt die bayerische Regierung u. a. durch den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht wahr. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2010 äußert sich die Landesregierung dahingehend, dass „eine Gesamtschau der vorliegenden Aussagen und ideologischen Positionen der Partei DIE LINKE. nach wie vor deren extremistische Ausrichtung verdeutliche“.28 Im Anschluss daran werden die Gründe für die „Unvereinbarkeit der Ziele der Partei DIE LINKE. mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ aufgezählt.29 Dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren steht es gem. Artikel 15 BayVSG somit zu, die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Landes gerichtet sind, zu informieren. Die Ziele der Partei DIE LINKE. hält das Staatsministerium für unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung30. 24 BVerfGE 105, 252 (273); 105, 279 (299 ff.); 113, 63 (78). 25 BVerfGE 105, 279 (309). 26 BVerfGE 113, 68 (79). 27 Bekanntmachung vom 10. April 1997, zuletzt geändert am 8. November 2010 (GVBl 2010, S. 722). 28 Bayerisches Staatsministerium des Inneren (Fn. 1), S. 186. 29 Bayerisches Staatsministerium des Inneren (Fn. 1), S. 186-187. 30 Bayerisches Staatsministerium des Inneren (Fn. 1), S. 186. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 9 4. Rechtliche Einschränkungen staatlicher Informationstätigkeit Fraglich ist, inwiefern die Regierung bei der Wahrnehmung ihrer staatsleitenden Informationstätigkeit im Hinblick auf die Rechte der dadurch Betroffenen Einschränkungen unterliegt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass hier die verfassungsmäßig garantierten Rechte einer politischen Partei verletzt sein könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge und Entwicklungen, die für den Bürger und das funktionierende Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft von Wichtigkeit seien, von der der Regierung durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe der Staatsleitung auch dann gedeckt seien, wenn mit dem Informationshandeln mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen verbunden seien.31 Es könne weder eine Festlegung auf bestimmte Äußerungsinhalte noch eine nähere Bestimmung der zulässigen Äußerungszwecke erfolgen.32 Dies folge zum einen daraus, dass jeder Staatsaufgabe der Anspruch innewohne , die Aufgaben effektiv wahrzunehmen, zum anderen aus der Vielgestaltigkeit solchen informalen Staatshandelns.33 Daher könne das Äußerungsrecht der Regierung inhaltlich nur dahin eingegrenzt werden, dass die jeweilige Warnung nicht ohne hinreichend gewichtigen, dem Inhalt und der Bedeutung des berührten Grundrechts entsprechenden Anlass ausgesprochen werden dürfe, mitgeteilte Tatsachen zutreffen müssten und unsachliche Abwertungen zu unterbleiben hätten.34 4.1. Parteienfreiheit Weil es sich auf den Seiten der Bayerischen Staatsregierung Genannten um politischer Parteien handelt, die durch die hier in Frage stehenden Informationstätigkeiten der Landesregierung tangiert sein könnten, ist zu prüfen, ob die in Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Parteienfreiheit verletzt wird. Gemäß Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Gründung einer Partei frei. Parteien steht das Recht auf Selbstbestimmung zu, zu dessen Kernbereich das Recht gehört, selbst ohne staatliche Einflussnahme oder Überwachung über ihre Ziele, Organisation und Tätigkeiten zu entscheiden. Sowohl die Freiheit der inneren Willensbildung als auch die freie Entfaltung der Tätigkeiten als Partei sind gewährleistet.35 Einzige Schranke der Parteienfreiheit ist Artikel 21 Abs. 2 GG36, wonach eine Partei verfassungswidrig ist, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger 31 BVerfGE 105, 279 (303). 32 BVerfGE 105, 279 (287). 33 BVerfGE 105, 279 (287). 34 BVerfGE 105, 279 (287). 35 BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010, Az. 6 C 22/09, Rn. 19; Steinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage 2005, Art. 21, Rn. 100 m.w.Nw. 36 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 10. Auflage 2009, Art. 21, Rn. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 10 darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Auf Grund der verfassungsrechtlichen Regelung des Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 GG kann eine Partei, selbst wenn sie faktisch die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfen würde, an ihrer politischen Aktivität rechtlich nicht gehindert werden, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht in dem dafür vorgesehenen besonderen Verfahren verboten worden ist.37 Die Sperrwirkung des Artikel 21 Abs. 2 GG verbiete jede staatliche Bekämpfung einer politischen Partei, solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht durch Urteil für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst hat, und gewährleiste ihr das Recht zur freien Betätigung.38 Zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Parteienrecht könne daher auch dann nicht auf die Einschätzung von Parteien als „radikal" abgestellt werden, wenn damit ihre Verfassungswidrigkeit gemeint sein sollte.39 Ohne dass das Bundesverfassungsgericht über die Frage der Verfassungswidrigkeit politischer Parteien entschieden hat, ist ein administratives Einschreiten nicht nur gegen den Bestand einer politischen Partei ausgeschlossen.40 Jedwede Eingriffe in die Betätigung der Parteien und der Mitglieder sind unzulässig. Bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen („Parteienprivileg“).41 4.2. Administratives „Einschreiten“ Fraglich ist, was unter einem Einschreiten zu verstehen ist. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 stellt die Bezeichnung einer Partei „als rechtsradikal, als rechtsextrem…“ weder ein administratives „Einschreiten “, noch die rechtliche Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit dieser Partei dar.42 Dabei handele es sich um Werturteile ohne rechtliche Auswirkungen. Selbst gegen daraus für diese Partei resultierende Nachteile sei die Partei durch Artikel 21 GG nicht geschützt.43 In seiner Entscheidung vom 25. März 1981 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, die Bundesregierung sei nicht gehindert, bei der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage ihre Beurteilung, eine bestimmte Partei verfolge verfassungsfeindliche Ziele, offenzulegen. Die in Beantwortung einer Kleinen Anfrage abgegebene Äußerung des Bundesministers des Innern stelle weder ein admi- 37 BVerfGE 39, 334 (357); BVerwG (Fn. 35), Rn. 19. 38 BVerfGE 107, 339 (362); 111, 382 (410). 39 BVerfGE 111, 382 (410). 40 BVerwG (Fn. 35), Rn. 21. 41 BVerfGE 12, 296 (304 f.); 107, 339; Pieroth (Fn. 36), Art. 21, Rn. 37; Steinz (Fn. 35), Art. 21, Rn. 115. 42 BVerfGE 40, 287 (292). 43 BVerfGE 40, 287 (293). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 11 nistratives Einschreiten gegenüber dieser Partei dar, noch werde durch diese Äußerung eine Verfassungswidrigkeit dieser Partei rechtlich geltend gemacht.44 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch die der Berichterstattung vorangehende Beobachtung durch ein Amt für Verfassungsschutz keine Maßnahme, die durch das dem Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 GG zugrunde liegende Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts verboten ist.45 Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung werde von der Verfassung vorausgesetzt , da sie der Aufklärung des Verdachts diene, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolge.46 Soweit die entsprechenden Vorschriften des Bundes oder der Länder die Verfassungsschutzämter ermächtigen, bei Anhaltspunkten verfassungsfeindlicher Bestrebungen eine politische Partei zu beobachten, stehe dies mit Artikel 21 Abs. 1 GG in Einklang.47 Die Beobachtung von Parteien im Wege der Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung durch den Verfassungsschutz greife nicht stärker in den offenen Wettbewerb der Parteien um die Möglichkeit politischer Gestaltung ein, als dies mit Rücksicht auf die Verteidigung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Demokratie erforderlich sei, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung von Parteien durch den Verfassungsschutz eingehalten werden.48 In seiner Entscheidung vom 24. Mai 2005 zu Hinweisen im Verfassungsschutzbericht zu der Zeitschrift „Junge Freiheit“ war das Bundesverfassungsgericht vorsichtiger als in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1975. Jedenfalls im Schutzbereich des Grundrechts auf Pressefreiheit könne sich auch ein subjektives Abwehrrecht gegen mittelbare Einwirkungen ergeben.49 Für eine Beeinträchtigung sei nicht erforderlich, dass über faktische Nachteile des Informationshandelns hinaus rechtliche Auswirkungen an die staatliche Maßnahme geknüpft sein müssen.50 Das Gericht weist darauf hin, dass die Erwähnung der Zeitschrift in dem Verfassungsschutzbericht potentielle Leser abschrecken könne. Dies komme einem Eingriff gleich, der besonderer Rechtfertigung bedürfe.51 Diese Ausdehnung des Abwehrrechts auf mittelbare Einwirkungen dürfte auch außerhalb des Schutzbereichs der Pressefreiheit gelten. Das Bundesverfassungsgericht nimmt in dieser Entscheidung ausdrücklich Bezug auf seine Glykol-Entscheidung und seine Osho-Entscheidung, in denen es nicht um die Pressefreiheit, sondern zum einen um die Berufsfreiheit und zum andern um die Glaubensfreiheit ging (siehe oben: 3.1, S. 6).52 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts lassen sich die Maßstäbe aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die 44 BVerfGE 57, 1 (5). 45 BVerwG (Fn. 35), Rn. 21. 46 BVerwG (Fn. 35), Rn. 19. 47 BVerwG (Fn. 35), Rn. 22. 48 BVerwG (Fn. 35), Rn. 26. 49 BVerfGE 113, 63 (76). 50 BVerfGE 113, 63 (77). 51 BVerfGE 113, 63 (78). 52) BVerfGE 113, 63 (76). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 378/11 Seite 12 Pressefreiheit auch für die in Artikel 21 GG gewährleistete Parteienfreiheit heranziehen.53 Das wird auch in der verfassungsrechtlichen Literatur so gesehen.54 Dafür spricht, dass für Parteien „die Kommunikationsgrundrechte der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2) … durch die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 S. 1) ihr besonderes Gepräge erhalten“.55 Ähnlich den Presseorganen kommt den Parteien für ein demokratisches Gemeinwesen eine besondere Bedeutung zu. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts sind Parteien „die politischen Handlungseinheiten, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so überhaupt einen Einfluss auf das staatliche Geschehen zu ermöglichen“.56 4.3. Rechtfertigung/Verhältnismäßigkeitsprüfung Bei Anwendung der Maßstäbe der „Junge Freiheit“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Abwägung zwischen dem Rang des zu schützenden Rechtsguts und der Intensität seiner Gefährdung und der Art und Schwere der Beeinträchtigung des Freiheitsrechts des nachteilig Betroffenen erforderlich.57 Die Bezeichnung einer politischen Partei durch staatliche Stellen als verfassungsfeindlich ist nur gerechtfertigt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen vorliegen, die hinreichend gewichtig sind. Ob solche tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und kann hier nicht beurteilt werden. 53 BVerwG (Fn. 35), Rn. 31. 54 z.B. Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Lfg. 45 (August 2005), Art. 21, Rn. 576. 55 Streinz (Fn. 35), Art. 21, Rn. 111, 115. 56 BVerfGE 11, 266 (273); 44, 125 (145 f.); 52, 63 (83); 107, 339 (358 f.); 121, 30 (53). 57 BVerfGE 113, 63 (80).