Deutscher Bundestag Handlungsoptionen des Bundes im Bereich der Lebensmittelüberwachung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 376/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 2 Handlungsoptionen des Bundes im Bereich der Lebensmittelüberwachung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 376/11 Abschluss der Arbeit: 9. Dezember 2011 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Lebensmittelsicherheit als materielles Fachgesetz 4 3. Kompetenzen des Bundes für Vorgaben für das Verwaltungsverfahren im Bereich der Lebensmittelüberwachung 5 3.1. Einheitliche Regelung des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Lebensmittelüberwachung gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG 6 3.2. Regelung des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Lebensmittelüberwachung gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG 7 3.3. Erlass von Rechtsverordnungen 7 3.4. Erlass von Allgemeinen Verwaltungsvorschriften 8 4. Rechtsaufsicht des Bundes 8 5. Einrichtung eines nationalen Krisenstabs – Einzelweisungsrecht des Bundes 9 6. Leistungsvergleiche zwischen den Landesverwaltungen hinsichtlich der Lebensmittelüberwachung 10 7. Ergebnisse und Handlungsoptionen 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 4 1. Einleitung Die Sicherheit der Lebensmittel beschäftigt immer wieder Verbraucher und Politik. So wurden Anfang des Jahres 2011 in Hühnereiern sowie in Geflügel- und Schweinefleisch erhöhte Dioxinwerte festgestellt, im Frühjahr und Sommer 2011 erkrankten rund 4.300 Personen an einer durch das Bakterium enterohämorrhagisches Escherichia coli (EHEC) ausgelösten Durchfallerkrankung. Im Verlauf und im Nachgang beider Ereignisse wurde das Verfahren der Überwachung der Lebensmittelsicherheit diskutiert und kritisiert. Unter anderem analysierte der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (Bundesbeauftragter), Prof. Dr. Dieter Engels, auf Bitten der Bundesministerin für Ernährung , Landwirtschaft und Verbraucherschutz die Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes in Deutschland und unterbreitete in einem dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages vorliegenden Gutachten Verbesserungsvorschläge (im Folgenden: BWV-Gutachten1). In der vorliegenden Ausarbeitung sollen die Befugnisse, Verantwortlichkeiten und Handlungsspielräume des Bundes bei der Lebensmittelüberwachung und der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit unter Berücksichtigung des BWV-Gutachtens dargestellt werden. 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Lebensmittelsicherheit als materielles Fachgesetz Gemäß Art. 30 GG liegt die Ausübung der staatlichen Befugnisse im Zuständigkeitsbereich der Länder, soweit das Grundgesetz nicht etwas anderes bestimmt. Art. 72 und 74 Abs. 1 Nr. 20 GG weisen dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Lebensmittels - und Futtermittelrechts zu. Diese Kompetenz ist umfassend, beinhaltet auch den gesamten Bereich der Lebensmittelsicherheit2 und erstreckt sich auf das gesamte der Recht der Lebens- und Genussmittel sowie „der ihrer Gewinnung dienenden Tiere“. Regelungsgegenstand ist damit der Schutz vor gesundheitlichen Gefahren, aber auch der Verbraucherschutz.3 Wegen der in Art. 83 und 84 GG niedergelegten Verwaltungshoheit der Länder bei der Ausführung von Bundesgesetzen umfasst die entsprechende Bundesgesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG aber nur die materiell-rechtlichen Regelungen. Fragen des Verfahrens und der Behördeneinrichtung fallen gemäß Art. 84 GG grundsätzlich in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.4 Bei der Wahrnehmung der Kompetenz durch den Bundesgesetzgeber ist die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG zu beachten, die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entsprechend dem Zweck der Norm – Schutz der Länderkompetenzen – restriktiv gehandhabt wird. So steht dem Bundesgesetzgeber bei Vorliegen der materiellen Tatbestandsmerkmale nur ein sehr 1 Der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Dieter Engels, Organisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes (Schwerpunkt Lebensmittel), Gz 16-90 50 37, Oktober 2011. 2 Seiler in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz (BeckOK GG), 12. Edition Oktober 2011, Art. 74 Rn. 76. 3 Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 74 Rn. 262 m.w.N. 4 Suerbaum in: BeckOK GG (Fn. 2), Art. 84 Rn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 5 eingegrenzter Prognose-, aber kein genereller Beurteilungsspielraum zu.5 Demnach kann der Bund Fragen der Lebensmittelsicherheit umfassend regeln, wenn und soweit dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. So wäre eine einheitliche Regelung des Verkehrs mit Lebensmitteln insbesondere zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, um den Vertrieb von Lebensmitteln innerhalb des Bundesgebietes – über die einzelnen Landesgrenzen hinaus – oder die Ein- oder Ausfuhr von Lebensmitteln zu ermöglichen. Ein Abweichungsrecht der Länder gemäß Art. 72 Abs. 3 GG besteht in dem Bereich des materiellen Lebensmittelrechts hingegen nicht. Der Bund hat seine Gesetzgebungszuständigkeit unter anderem mit Erlass des LFGB,6 das zu einem erheblichen Teil europarechtliche Vorgaben umsetzt,7 ausgeübt. Im LFGB finden sich die allgemeinen Vorschriften zu Lebens- und Futtermitteln, zu deren Überwachung, zum Monitoring, zur Verbringung von Lebensmitteln in das und aus dem Inland, Straf- und Bußgeldvorschriften sowie Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen. Das BWV-Gutachten schlägt zum einen eine grundsätzliche Überarbeitung des LFGB vor, um die Querverweise auf Richtlinien der Europäischen Union (EU) zu minimieren und das Gesetz für den Rechtsanwender handhabbarer zu gestalten.8 Hierzu steht dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zu. Darüberhinaus regt es an, den Erlass von Durchführungsrecht durch den Bund einfacher zu gestalten .9 Dieser Teil betrifft nicht mehr das materiell-rechtliche Lebensmittelrecht, sondern Fragen des Verwaltungsverfahrens, das nach Art. 84 GG zu beurteilen ist. Hierzu sogleich unter 3. 3. Kompetenzen des Bundes für Vorgaben für das Verwaltungsverfahren im Bereich der Lebensmittelüberwachung Wie soeben erläutert, steht dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für das materielle Lebensmittelrecht zu. Ein Großteil der Probleme wird aber bei der Durchführung der Lebensmittelkontrolle verortet, also bei der Ausführung des Bundesgesetzes. Dieses führen die Länder gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit aus. Hierbei regeln sie die Einrichtung von Behörden und das Verfahren selbständig. Zwar kann der Bund das Verwaltungsverfahren mitregeln, grundsätzlich besteht in diesen Fällen aber eine Abweichungsmöglichkeit der einzelnen Länder (Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG). Diese Abweichungsmöglichkeit ist nur in den Ausnahmefällen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG ausgeschlossen, in denen ein besonderes Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht. Ein entsprechendes Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates (Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG). 5 Nachweise der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bei Seiler in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG (Fn. 2). Art. 72 Rn. 11. 6 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2011 (BGBl. I S. 1770). 7 Vgl. Nachweise in den amtlichen Anmerkungen zum Gesetzestext sowie bei Sannwald (Fn. 3), Art. 74 Rn. 260 und BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 60 f. 8 Insb. Anlage 1 des BWV-Gutachtens (Fn. 1). 9 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 59, 68 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 6 3.1. Einheitliche Regelung des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Lebensmittelüberwachung gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG Der Bund könnte das Verfahren der Lebensmittelüberwachung einheitlich ohne Abweichungsmöglichkeit der Länder regeln, wenn es sich um eine Ausnahmeregelung handelt, hierfür ein besonderes Bedürfnis besteht und der Bundesrat einer entsprechenden Gesetzesänderung zustimmt . Die Voraussetzungen des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG sind im Einzelnen umstritten, Rechtsprechung zum neu gefassten Art. 84 Abs. 1 GG liegt bislang nicht vor.10 Um als Ausnahmeregel zu gelten, müsste für jede einzelne Verwaltungsverfahrensnorm nachgewiesen werden, dass eine atypische Lage besteht, die die ausnahmsweise bundeseinheitliche Regelung des Verwaltungsverfahrens erfordert.11 Ferner müsste ein „besonderes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung“ vorliegen . In der Literatur wird für die Auslegung dieses Begriffes auf die Auslegung des „besonderen Bedürfnisses“ in der bis 1994 geltenden Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG zurückgegriffen, der nur eingeschränkt überprüfbar war12; entsprechend solle diese Anforderung die Begründungslast des Bundes hinsichtlich der Abweichung von der Regel konkretisieren, ohne aber justiziabel zu sein.13 Wesentliche Hürde für den Erlass eines entsprechenden Bundesgesetzes sei daher die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat.14 Nach einer anderen Ansicht liegt ein Ausnahmefall nur vor, „wenn das materielle Normenprogramm des Bundes so eng mit einzelnen Aspekten des Verfahrensrechts verknüpft ist, dass es ohne eine bundesgesetzliche Regelung nicht wirksam durchgesetzt werden“ kann.15 In der Begründung des Gesetzesentwurfes zur Änderung des Art. 84 GG wird das Umweltverfahrensrecht als ein Ausnahmefall des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG genannt .16 Gerade dieser pauschale Verweis auf ein komplettes Regelungsgebiet wird aber in der Literatur durchaus kritisiert.17 Das BWV-Gutachten schlägt den Erlass eines formellen (Ausführungs)Gesetzes zum LFGB vor18, um die vagen Vorgaben des LFGB im Bereich der Lebensmittelkontrolle vollziehbarer zu gestalten . Eine einheitliche bundesweite Regelung „in allen wesentlichen sicherheitsrelevanten Bereichen des Überwachungswesens“ sei angesichts der herausgehobenen Bedeutung sicherer Le- 10 Zum Stand in der Literatur s. Hermes in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 84 Rn. 63 ff. 11 Kirchhof in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 62. EL 2011, Art. 84 Rn. 129. 12 BVerfGE 2, 213, 224; 78, 249, 270. 13 Suerbaum in: BeckOK GG (Fn. 2), Art. 84 Rn. 42 m.w.N.; Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 65 spricht sich eher für die Justiziabilität aus. 14 Häde, Zur Föderalismusreform in Deutschland, JZ 2006, 930, 934. 15 Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 130. 16 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c), BT-Drs. 16/813, S. 15. Kritisch hierzu jedoch Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 130. 17 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 66 m.w.N. 18 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 68. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 7 bensmittel für die Gesundheit der Bevölkerung und der daraus folgenden Schutzpflichten notwendig , um die Überwachung bundesweit in gleicher Weise konsequent vollziehen zu können.19 Es müsste anhand der konkreten Durchführungsvorschriften geprüft werden, ob jeweils ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, der eine Ausnahme vom Abweichungsmodell rechtfertigen würde. Der pauschale Verweis, bei der Überwachung der Lebensmittelsicherheit handele es sich um ein hohes Rechtsgut, sodass dessen Vollzug bundeseinheitlich vorgegeben werden müsse, eignet sich als Rechtfertigung nicht. Auch andere Fachgesetze dienen dem Schutz hoher Rechtsgüter und werden durch die Länder vollzogen, ohne in ihre Verfahrensautonomie einzugreifen. Auch wird die Einheitlichkeit der Rechtsordnung „in erster Linie vom materiellen Recht bestimmt , das in seinen Tatbeständen und Rechtsfolgen vom Bundesgesetzgeber beliebig präzisiert und detailliert werden kann“.20 3.2. Regelung des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Lebensmittelüberwachung gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG Um bundesweit einheitliche Vorgaben für das Verwaltungsverfahren zu erlassen, besteht weiterhin die Möglichkeit, ein Durchführungsgesetz mit Abweichungsmöglichkeit der Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG zu erlassen. Ein solches Durchführungsgesetz könnte auch Vorgaben für den Behördenaufbau enthalten, von dem die Länder im Einzelfall abweichen können. Für den Erlass eines entsprechenden Gesetzes bestehen keine Bindungen an Verhältnismäßigkeits-, Erforderlichkeits- oder Bedürfnisvoraussetzungen.21 3.3. Erlass von Rechtsverordnungen Das BWV-Gutachten schlägt ferner vor, in das LFGB eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen einzufügen, um ohne Zustimmung des Bundesrates Durchführungsbestimmungen erlassen zu können.22 Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG kann durch Bundesgesetz die Bundesregierung oder ein Bundesminister zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigt werden. Diese bedürfen dann nicht der Zustimmung des Bundesrates, wenn dies in dem entsprechenden Bundesgesetz festgelegt wurde. Ein solches Gesetz als Ermächtigungsgrundlage bedarf allerdings der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 80 Abs. 2 Satz 1 GG. 23 Eine entsprechende Änderung des LFGB müsste also mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden. Die Verordnungsermächtigung müsste im Übrigen die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass von Rechtsverordnungen erfüllen. So muss der Gesetzgeber selbst entscheiden, welche Fragen durch die Rechtsverordnung 19 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 66. 20 Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 56. 21 Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 68. 22 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 70. 23 Zur Zulässigkeit des Verzichts auf die Zustimmungsbedürftigkeit von Rechtsverordnungen Maunz in: Maunz/Dürig (Fn. 11), Art. 80 Rn. 67; Uhle in: BeckOK GG (Fn. 2), Art. 80 Rn. 42. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 8 geregelt werden sollen (Inhalt), er muss die Grenzen der Ermächtigung ziehen (Ausmaß) und das Ziel der Regelung festlegen (Zweck).24 Die in dem BWV-Gutachten vorgeschlagenen Regelungen (einheitliche Risikokategorien und daran anknüpfende Kontrolldichte; einheitliche Vorgaben für Tiefe der Betriebskontrollen; verbindliche Merkmale für das Vier-Augen-Prinzip; Zahl notwendiger Proben in den Betrieben)25 könnten grundsätzlich durch eine Rechtsverordnung geregelt werden. Ferner könnten die bereits in einer Rechtsverordnung bestehenden Regelungen zu den Anforderungen an Lebens- und Futtermittelkontrolleure vereinheitlicht werden.26 3.4. Erlass von Allgemeinen Verwaltungsvorschriften Gemäß Art. 84 Abs. 2 GG kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. Solche Vorschriften können die Einheitlichkeit des Verwaltungsvollzugs sicherstellen, da sie eine präzisere Regelung als ein Parlamentsgesetz erlauben und die Exekutive flexibler auf aktuelle Geschehnisse reagieren kann.27 Entsprechende Verwaltungsvorschriften des Bundes genießen auch Vorrang gegenüber Verwaltungsvorschriften und Ausführungsgesetzen der Länder.28 Inhaltlich kann der Bund durch Verwaltungsvorschriften sowohl materielle, als auch Organisations- oder Verfahrensregelungen treffen, soweit nicht der Vorbehalt des Gesetzes betroffen ist.29 4. Rechtsaufsicht des Bundes Bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder übt der Bund gemäß Art. 84 Abs. 3 GG die Rechtsaufsicht aus. Diese beschränkt sich auf die reine Rechtsaufsicht, Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte dürfen nicht zum Maßstab gemacht werden.30 Auch die Ausübung der in der gesetzlichen Grundlage enthaltenen Ermessens- oder anderer Spielräume darf nicht Gegenstand der Rechtsaufsicht sein. Hierfür müsste der Gesetzgeber im auszuführenden Bundesgesetz die Spielräume der Verwaltung durch zwingende Tatbestände und strikte Rechtsfolgen ersetzen.31 In der Literatur ist umstritten, ob dem Bund neben der in Art. 84 Abs. 3 Satz 2 GG ausdrücklich genannten Entsendung eines Bundesbeauftragten an die obersten Landesbehörden weitere vorbereitende Maßnahmen zustehen. Während eine Meinung die Erstattung von Berichten und auch die Vorlage von Akten als milderes Mittel gegenüber der Entsendung eines Bundesbeauftragten betrachtet32, lehnt ein anderer Teil der Literatur diesen Schluss mit Verweis auf die Vorschriften 24 Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Fn. 3), Art. 80 Rn. 62 – 67. 25 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 71 f. 26 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 102 f. 27 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 73. 28 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 78 m.w.N. 29 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 75. 30 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 92; Broß in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 4./5. Aufl. 2003, Art. 84 Rn. 31 spricht von Informationsrechten der Bundesregierung; Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 206. 31 Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 198. 32 Broß (Fn. 30), Art. 84 Rn. 32; Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 98. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 9 der Fach- und Rechtsaufsicht im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung gemäß Art. 85 Abs. 4 GG ab.33 Eine Berichtspflicht könne sich nach dieser Ansicht allenfalls aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ergeben. Das BWV-Gutachten schlägt unter anderem ein permanentes Monitoring des Vollzugs des Lebensmittelrechts durch die Länder aufgrund eines turnusgemäßen Berichts der Länder an den Bund vor.34 Es ist fraglich, ob sich eine entsprechend weite Berichtspflicht mit der Rechtsaufsicht des Bundes begründen ließe. Auch Autoren, die eine Berichtspflicht von Art. 84 Abs. 3 GG gedeckt sehen, verweisen darauf, dass sich Maßnahmen der Rechtsaufsicht immer auf konkrete Rechtsverstöße beziehen müssen; Beauftragte des Bundes dürften daher nicht auf Dauer entsandt werden. Ein „allgemeines Informationsrecht“ der Bundesregierung bestehe wohl nicht35, eine Dauerkontrollbehörde dürfe nicht eingerichtet werden.36 Wieder andere halten auch ein permanentes Monitoring von der Rechtsaufsicht des Bundes gedeckt.37 Dies wird aber wohl auch in der Praxis durch die Länder angezweifelt.38 Stellt die Bundesregierung im Rahmen der Rechtsaufsicht Mängel bei der Ausführung der Bundesgesetze fest und werden diese nicht durch das Land abgestellt, so folgt daraus weder ein Selbsteintritts- noch ein Weisungsrecht des Bundes, sondern lediglich das Verfahren der Mängelrüge unter Einschaltung des Bundesrates gemäß Art. 84 Abs. 4 GG. In diesem Fall beschließt der Bundesrat auf Antrag der Bundesregierung oder des betroffenen Landes, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen diesen Beschluss kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. 5. Einrichtung eines nationalen Krisenstabs – Einzelweisungsrecht des Bundes Nur in Ausnahmefällen, die in einem Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf , vorgesehen werden, steht der Bundesregierung das Recht der Einzelweisung gegenüber der obersten Landesbehörde zu. Es muss sich um einen besonderen Fall handeln, der sich von der normalen Lage des Gesetzesvollzugs unterscheidet.39 Zur Durchsetzung eines einheitlichen Standards in der Ausübung der Lebensmittelüberwachung eignet sich dieses Instrument daher nicht. Der Beauftragte für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung schlägt vor, zur Einrichtung eines nationalen Krisenstabes auf die Möglichkeit des Einzelweisungsrechtes gemäß Art. 84 Abs. 5 GG zurückzugreifen.40 Hierfür wäre eine Änderung des LFGB notwendig, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Weisungsberechtigt wäre in diesem Fall die Bundesregierung als Kollegialorgan . Das Gesetz kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber auch einem Bundesmi- 33 Oebbecke in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI - Bundesstaat , 3. Aufl. 2008, § 136 – Verwaltungszuständigkeit, Rn. 47 m.w.N. 34 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 94. 35 Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 97, 98 m.w.N. 36 Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Fn. 3), Art. 84 Rn. 33. 37 Kirchhof (Fn. 11), Art. 84 Rn. 206. 38 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 39 Henneke (Fn. 36), Art. 84 Rn. 32. 40 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 148. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 10 nister das entsprechende Weisungsrecht erteilen.41 Grundsätzlich haben diese Weisungen gegenüber der obersten Landesbehörde zu ergehen, in Fällen, die die Bundesregierung für dringlich erachtet, ist ein direkter Zugriff auf die Landes- oder Kommunalbehörde zulässig (Art. 84 Abs.5 Satz 2 GG).42 Die gesetzliche Ermächtigung zur Ausübung des Weisungsrechts muss sich auf die Verpflichtung des Landes zur Vornahme oder Unterlassung bestimmter Vollzugshandlungen beziehen .43 Ein entsprechendes Weisungsrecht könnte also durch eine Änderung des LFGB vorgesehen werden. 6. Leistungsvergleiche zwischen den Landesverwaltungen hinsichtlich der Lebensmittelüberwachung Gemäß Art. 91d GG können Bund und Länder in Vereinbarungen die Durchführung von Leistungsvergleichen ihrer Verwaltungen – auch im Bereich der Lebensmittelkontrolle – abschließen. In einer entsprechenden Vereinbarung können auch „durch Kompetenz und Unabhängigkeit ausgewiesene Einrichtungen“ mit einem entsprechenden Vergleich beauftragt werden.44 Allerdings lehnen die Länder bisher entsprechende Studien ab.45 Eine Vergleichsstudie ohne Mitwirkung der Länder ist nicht möglich. 7. Ergebnisse und Handlungsoptionen Dem Bund steht im Bereich des materiellen Lebensmittelrechts die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG zu. Bei deren Ausübung ist die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG zu beachten. Demnach kann der Bund das materielle Recht der Lebensmittelsicherheit umfassend regeln, wenn und soweit zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Die Durchführung der Lebensmittelüberwachung liegt grundsätzlich in der Verwaltungshoheit der Länder. Der Bund kann gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG Durchführungsvorschriften auf dem Gebiet der Lebensmittelüberwachung in Form eines Gesetzes erlassen; die Länder können aber von dem bundeseinheitlich vorgegebenem Verwaltungsverfahren abweichen. Um mit Zustimmung des Bundesrates abweichungsfestes Bundesrecht zu erlassen, müsste für die konkrete Vorschrift dargelegt werden, warum ein besonderes Bedürfnis an der einheitlichen Regelung besteht . Dies dürfte im Regelfall nicht allein deshalb gegeben sein, weil es sich bei der Sicherheit der Lebensmittel um ein hochrangiges Rechtsgut handelt. Der Bundestag könnte ferner mit Zustimmung des Bundesrates in das LFGB eine Norm aufnehmen, die die Bundesregierung oder 41 BVerfGE 49, 24, 49 (obiter dictum), noch offengelassen in BVerfGE 26,396; BVerwGE 42, 283; zustimmend Henneke (Fn. 36), Art. 84 Rn. 32; ablehnend Hermes (Fn. 10), Art. 84 Rn. 86 m.w.N. 42 Henneke (Fn. 36), Art. 84 Rn. 32 m.w.N. 43 Von dieser Ermächtigung wird in der Staatspraxis nur selten Gebrauch gemacht; ein Beispiel findet sich in § 74 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) geändert worden ist. 44 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d), BT-Drs. 16/12410, S. 10. 45 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 88 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 376/11 Seite 11 den zuständigen Minister zum Erlass von Rechtsverordnungen, die Vorgaben für den Bereich der Lebensmittelkontrolle enthalten, ohne Zustimmung des Bundesrates ermächtigen. Ferner steht es der Bundesregierung frei, zur Vereinheitlichung des Vollzugs mit Zustimmung des Bundesrates Allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Um einem nationalen Krisenstab beim Bund die Anordnung von Umsetzungsmaßnahmen in den Ländern zu ermöglichen, könnte durch eine Änderung des LFGB mit Zustimmung des Bundesrates der Bundesregierung oder einem Minister die Befugnis erteilt werden, im länderübergreifenden Krisenfall den obersten Landesbehörden, im Eilfall auch weiteren Landes- oder Kommunalbehörden , Einzelweisungen zu erteilen. Alternativ käme eine Änderung des Grundgesetzes in Betracht, wie sie im BWV-Gutachten vorgeschlagen wird.46 46 BWV-Gutachten (Fn. 1), S. 147.