AUSARBEITUNG Thema: Auswirkungen der Einführung einer Bürgerversicherung auf die Versicherten in der privaten Krankenversicherung (PKV) Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 10. Februar 2006 Reg.-Nr.: WF III - 375/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite Zusammenfassung 4 1. Einleitung 5 2. Frage 1 – Zu Grundrechten der Versicherten 5 2.1. Schutzbereich von Artikel 2 Abs. 1 GG 5 2.2. Schrankenbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG 6 2.3. Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit 7 2.3.1. Geeignetheit der Maßnahme 7 2.3.2. Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme 7 2.4. Zusammenfassende Wertung zu Frage 1 9 3. Frage 2 – Zur Gesetzgebungskompetenz 9 4. Frage 3 – Zu den Altersrückstellungen 11 4.1. Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff 11 4.2. Rechtliche Einordnung der Altersrückstellungen 12 4.2.1. Einfachgesetzliche Ausgestaltung 12 4.2.2. Auswirkungen auf den verfassungsrechtlichen Schutz 13 5. Frage 4 – zu möglichen Subventionierungspflichten 15 5.1. Vorüberlegung 15 5.2. Umfang der Gewährleistung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG 15 5.2.1. Grundsatz 15 5.2.2. Beitragsstabilität als eigentumsrechtliche Position 16 5.3. Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG 16 5.3.1. Unmittelbarer Eingriff 17 5.3.2. Mittelbarer Eingriff 17 5.3.3. Faktische Folgen der Bürgerversicherung 17 5.3.4. Rechtliche Bewertung faktischer Beeinträchtigungen 18 5.4. Hilfserwägungen – Qualifizierung des (hypothetischen) Eingriffs 18 5.4.1. Entschädigungspflichtige Enteignung 18 5.4.2. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung 19 - 3 - 6. Literaturverzeichnis 20 - 4 - Zusammenfassung Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung sind verfassungsrechtliche Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Einführung einer Bürgerversicherung vor allem für die Versicherten in der privaten Krankenversicherung (PKV) stellen. Untersucht wurden insbesondere Art 2 Abs. 1 GG, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und Art 14 Abs. 1 GG. Zu Art. 2 Abs.1 GG: In Teilen der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass ein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG vorliegt, wenn Personen in einer Bürgerversicherung zwangsversichert werden, die keinen Bedarf an einer Einbeziehung in eine gesetzliche Krankenversicherung haben . Die Auswertung der bisherigen Rechtsprechung führt jedoch zu der Wertung, dass durch die Einbeziehung fast der gesamten Bevölkerung in eine Versicherungspflicht, kein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG vorliegt. Zu Art. 74 Abs.1 Nr. 12 GG: Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG räumt dem Gesetzgeber im Bereich der Sozialversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Eine Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze wird daher regelmäßig von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr.12 GG erfasst sein. Bei einer Bürgerversicherung, bei der alle Bürger pflichtversichert oder zu Beiträgen herangezogen werden, ist zwar fraglich, ob diese den Boden der Sozialversicherung verlässt und noch von der Kompetenz aus Art.74 Abs.1 Nr.12 GG gedeckt ist. Man kann eine Zuständigkeit zur Gesetzgebung mit dem Argument bejahen, dass die PKV-Versicherten in der PKV verbleiben können und hierdurch nicht die gesamte Bevölkerung zwangsversichert wird. Zu Art. 14 Abs. 1 GG: Die Einführung der Bürgerversicherung verletzt nicht die Eigentumsfreiheit der PKV Versicherten im Hinblick auf ihre Altersrückstellungen. Es ist umstritten, ob Altersrückstellungen in den Schutz von Art. 14 Abs.1 S. 1 GG einbezogen sind. In der Literatur werden die Altersrückstellungen mehrheitlich als eigentumsrechtliche Position angesehen. Die Versicherten können durch die Optionsregelung ihre Anwartschaft mitnehmen. Eine Subventionierungspflicht für die Beiträge der Letztversicherten in der PKV besteht nicht, da kein gezielter Zugriff auf die Altersrückstellungen und damit auch keine Enteignung vorliegt. Die Versicherten haben durch den Wechsel in einen PKV Bürgerversicherungstarif eine vermögensschonende Alternative. - 5 - 1. Einleitung Da unter dem Stichwort Bürgerversicherung verschiedene Konzepte diskutiert werden, ist an dieser Stelle klarzustellen, dass in der nachfolgenden Ausarbeitung das Bürgerversicherungsmodell zugrunde gelegt wird, welches vom SPD Parteivorstand auf seiner Klausur am 28/29. August 2004 verabschiedet wurde.1 Zu den vereinbarten Eckpunkten gehören unter anderem auch, dass sowohl gesetzliche wie auch private Krankenversicherer die Bürgerversicherung anbieten, dass ein Kontrahierungszwang besteht und Versicherte in der PKV nicht gezwungen werden, in die Bürgerversicherung zu wechseln . Der Aufbau der Ausarbeitung folgt den von dem Auftraggeber gestellten Fragen. 2. Frage 1 – Zu Grundrechten der Versicherten Reicht das Motiv der Verbesserung der Finanzierungsgrundlage in der GKV aus, um eine Zwangsversicherung auf einen nicht des staatlichen Schutzes bedürftigen Personenkreis auszudehnen und dabei in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) einzugreifen? Die Bürgerversicherung nimmt den Bürgern die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, nicht durch Gesetz Zwangsmitglied in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit Beitragspflicht zu werden und für den krankenversicherungsrechtlichen Schutz selbst vorzusorgen.2 Hierdurch kann ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG gegeben sein. 2.1. Schutzbereich von Artikel 2 Abs. 1 GG In den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG – allgemeine Handlungsfreiheit – der auch die Vertragsfreiheit umfasst, wird eingegriffen, wenn Personen zum Abschluss eines Versicherungsvertrages verpflichtet werden.3 Die Reichweite des Schutzbereiches der 1 Modell einer solidarischen Bürgerversicherung, Bericht der Projektgruppe Bürgerversicherung des SPD-Parteivorstandes vom 26. August 2004, Download unter: www.buergerversicherung.spd.de/servlet/PB/show/1038852/buergerversiherungsmodell.pdf; im Folgenden: SPD-Modell. 2 Brall/Voges, S. 45, Axer, S. 5. 3 BVerfGE 10, 89, (102); BVerfGE 32, 54, (63 f.). - 6 - allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt. 2.2. Schrankenbereich des Artikel 2 Abs. 1 GG Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist allerdings nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 HS 2 GG gewährleistet. Die Grundrechtsgarantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit steht im Gegensatz zu den meisten Grundrechten nicht ausdrücklich unter einem Gesetzesvorbehalt, sondern unter dem Vorbehalt der in Art. 2 Abs. 1 2. HS GG genannten Schranken. Diese sind: die verfassungsmäßige Ordnung, das Sittengesetz die Rechte anderer Durch den Zwang der Mitgliedschaft in einer Bürgerversicherung wird die Vertragsfreiheit begrenzt. Die Vertragsfreiheit selbst wird durch die verfassungsmäßige Ordnung begrenzt. Unter der verfassungsmäßigen Ordnung ist die allgemeine Rechtsordnung zu verstehen, die die materiellen und formellen Normen der Verfassung zu beachten hat.4 Nach der Rechtsprechung des BVerfG zählen die Regelungen über die Gründung öffentlich rechtlicher Vereinigungen mit Pflichtmitgliedschaft zur verfassungsmäßigen Ordnung.5 Voraussetzung ist, dass die Vereinigungen legitime Aufgaben wahrnehmen.6 Die Zwangsmitgliedschaft der Versicherten der GKV wird damit begründet, dass aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG dem Staat die Pflicht erwachse, für ein menschenwürdiges Existenzminimum jeden Bürgers auch im Krankheitsfall zu sorgen. Dies rechtfertige, dass der Gesetzgeber zum krankenversicherungsrechtlichen Schutz für einen Großteil der Bürger die Versicherungspflicht in der GKV vorgeschrieben habe. Die Maßnahme lasse sich aus dem Schutzbedürfnis der sozial schwächeren rechtfertigen . Ein Schutz mit gleich hoher Effektivität habe nicht mit weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden können. 4 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 2, Rn. 8. 5 BVerfGE 10, 89, (102 f); 38, 281, (297 ff.). 6 BVerfGE 10, 89, (102 f); 38, 281, (297 ff.). - 7 - 2.3. Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit In Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit wird in der Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 GG das Recht abgeleitet, nicht durch Zwangsmitgliedschaft in unnötigen Körperschaften in Anspruch genommen zu werden.7 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zwar nirgendwo im GG expressis verbis erwähnt, er wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet.8 Verhältnismäßigkeit verlangt von jeder staatlichen Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, dass sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. Eine Maßnahme, die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist verfassungswidrig und kann angefochten und beseitigt werden. 2.3.1. Geeignetheit der Maßnahme Durch die Einführung der Bürgerversicherung soll langfristig die Krankenversicherung finanzierbar bleiben. Der Erste Senat des BVerfG hat in seinem Beschluss vom 4.2.2004 die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze damit gerechtfertigt, dass die finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit der GKV ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut sei9 und betont, der Gesetzgeber könne den Mitgliederkreis von Pflichtversicherungen so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei. Auch in einer neueren Entscheidung des BVerfG10 werden die finanzielle Stabilität und die Funktionsfähigkeit der GKV als „Gemeinwohlbelang von hinreichendem Gewicht“ bezeichnet. Nach Auffassung von Sodan11 dient diese Formel der Rechtfertigung erheblicher Grundrechtseingriffe, andererseits sei die GKV keine Institution mit Verfassungsrang. Er ist der Ansicht, dass das fiskalische Motiv niedriger Beitragssätze oder der Vermeidung von Bundeszuschüssen eine Bürgerzwangsversicherung nicht rechtfertigen würde.12 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nach Auffassung der Rechtsprechung die Maßnahme als geeignet angesehen werden wird. 2.3.2. Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme 7 BVerfGE 38, 281, (298); BVerwGE 59, 231, (233); BVerwGE 64, 115, (117) 8 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 2, Rn. 12. 9 BVerfG, Erster Senat, Beschluss vom 4.2.2004, VersR 2004, 898. 10 BVerfGE 103, 172, (184). 11 Sodan, ZRP 2004, S. 220. 12 Sodan, ZRP 2004, S. 220; so auch Kirchhof, NZS 2004, S. 2. - 8 - Es stellt sich die Frage, ob die Einbeziehung in die Bürgerversicherung erforderlich und angemessen ist. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maßnahme ist zu prüfen, ob es auch mildere Mittel gibt, um das Ziel (Stabilität und Funktionsfähigkeit einer solidarischen Krankenversicherung ) zu erreichen. Hier könnte man erörtern, ob andere Modelle der Reform der Krankenversicherung weniger in die Rechte der Versicherten eingreifen. Eine solche Prüfung würde aber übersehen, dass es sich bei der gesetzlichen Krankenversicherung um einen Grundpfeiler der Sozialversicherung handelt, dass die Materie hochkomplex ist und alle zur Zeit diskutierten Modelle Vor- und Nachteile haben. Aus diesem Grunde drängt sich jedenfalls keine mildere Maßnahme auf. Zur Angemessenheit der Maßnahme muß daran erinnert werden, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG13 „das Maß der den Einzelnen durch seine Pflichtzugehörigkeit treffende Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu der ihm und der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen“ zu stehen. Es gibt einige Stimmen, die Bedenken haben gegen die Einbeziehung von Personen, die objektiv keinen Bedarf an einer Einbeziehung in die GKV haben, aber gleichwohl zwangsversichert werden. So meint Heinze, dass eine allein mit der fiskalischen Zielsetzung betriebene Ausweitung der Versicherungspflicht dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot nicht genügen könne .14 Axer meint, dass sich für die Gruppe der heute privat versicherten Personen eine Schutzbedürftigkeit nicht generell unterstellen lasse. Nach seiner Ansicht muss die Einbeziehung von bislang privat versicherten Personen Vorteile für diese bringen, die die Nachteile der Zwangsmitgliedschaft aufwiegen.15 Egger16 und Uleer17 sehen in der Bürgerzwangsversicherung einen Verfassungsverstoß, da jüngere, gutverdienende Arbeitnehmer und Selbstständige nicht schutzwürdig seien. Dem lässt sich entgegenhalten, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Definition, wer schutzbedürftig ist, einen erheblichen Spielraum hat.18 Darüber hinaus argumentiert Jaeger, dass die überwiegende Mehrzahl der nicht versicherungspflichtigen Menschen in Deutschland einen privaten 13 Urteil vom 18.12.1974: BVerfGE 38, 281, (302). 14 Heinze, S. 68 ff.; siehe auch Kirchhof, NZS 2004 S. 1 ff. 15 Axer, S. 6. 16 Egger, SGb 2003, S. 76. 17 Uleer, S. 767, 773 f. 18 Sodan, ZRP 2004, S. 221. - 9 - Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen hat und hierdurch zum Ausdruck gebracht haben, dass sie sich selbst als schutzbedürftig ansehen.19 2.4. Zusammenfassende Wertung zu Frage 1 Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass in Teilen der Literatur die Ansicht vertreten wird, dass ein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG vorliegt, die bisherige Rechtsprechung zu der Wertung führt, dass kein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG vorliegt. 3. Frage 2 – Zur Gesetzgebungskompetenz Art 74 Absatz 1 Nr. 12 GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber, Regelungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung zu treffen. Trägt diese Norm gesetzgeberische Maßnahmen, die Personen in die staatliche Daseinsvorsorge eingliedern, die dieses Schutzes gerade nicht bedürftig sind? Die Sozialversicherung gehört gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes „Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung “. Der Bund besitzt auch gemäß Art. 87 Abs. 2 GG die Gesetzgebungskompetenz für die Ausgestaltung der Sozialversicherungsträger. Soweit das Sozialgesetzbuch Elftes Buch eine Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages begründet und Regelungen zur näheren Ausgestaltung dieses Vertragstyps enthält, wird es durch die Kompetenz des Bundes für die Materie privatrechtliches Versicherungswesen als Teil des Rechts der Wirtschaft Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gedeckt. Regelungen im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung, welche die PKV betreffen, können auf diese Kompetenzartikel gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei „Sozialversicherung “ um einen verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff, der alles umfasst, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt.20 Neue Lebenssachverhalte können demnach in das Gesamtsystem „Sozialversicherung“ einbezogen werden, wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen dem Bild entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist.21 Damit sind gewisse Mindest- 19 Jaeger, NZS 2003, S. 229, zum gleichen Ergebnis kommt Schulte, S. 29. 20 BVerfGE 11, 105, (112). 21 BVerfGE 11, 105, (112); Schnapp/Kaltenborn, S. 13. - 10 - anforderungen an die organisatorische Durchführung der sozialen Sicherung und an die abzudeckenden Risiken zu beachten. Prägende Elemente der Sozialversicherung sind jedenfalls „die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit“,22 Aufbringung der Mittel durch Beiträge,23 Verknüpfung von Beiträgen und Leistungen bei grundsätzlicher Beitragsäquivalenz 24 und Durchführung durch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts.25 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört eine Beschränkung auf Arbeitnehmer und auf eine Sicherung gegen Notlagen nicht zu den Charakteristika der Sozialversicherung im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Damit scheint der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Kreises der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtigen Personen einen sehr weiten Regelungsspielraum zu haben.26 So wird eine Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze regelmäßig von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfasst sein, denn diese Vorschrift räumt dem Gesetzgeber im Bereich der Sozialversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Die Schwelle des verfassungsrechtlich Zulässigen könnte dann überschritten sein, wenn eine allgemeine Volksversicherung eingeführt würde, in der die Versicherungsgemeinschaft mit der Volksgemeinschaft identisch und der Beitrag nicht mehr von der Steuer unterscheidbar wäre. In diesem Falle könnte man nicht mehr von einer „Sozialversicherung “ sprechen. Denn ein wesentliches Merkmal der Sozialversicherung ist – wie bereits dargestellt – die Bedarfsdeckung durch eine organisierte Vielheit. Dies bedeutet, dass lediglich ein Ausschnitt aus der Bevölkerung zur Deckung des Bedarfs herangezogen wird. An diesem Merkmal fehlt es nach Maunz im Falle einer Volks- oder Bürgerversicherung , die dem Monopol-Modell folgt.27 Das hier untersuchte Modell enthält jedoch ein Optionsrecht für die Versicherten in der PKV und darüber hinaus können auch Privatversicherer Anbieter von Bürgerversicherungen werden. Bei einer solchen Regelung werden nicht alle Bürger in der Bürgerversicherung versichert sein. 22 BVerfGE 75, 108, (146). 23 BVerfGE 75, 108, (146 f.). 24 Degenhardt, in: Sachs, GG, Art. 74 Rn. 52; Kirchhof, in: HdStR IV, § 93 Rn. 16 f. 25 BVerfGE 75, 108, (146). 26 vgl. Papier, ZSR 1990, S. 344. - 11 - Darüber hinaus gehende Aussagen zu den materiellen Grenzen einer Regelung im Bereich der Sozialversicherung lassen sich der Vorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG nicht entnehmen. Diese Grenzen ergeben sich vielmehr aus den Grundrechten der Versicherungspflichtigen und insbesondere auch aus den Grundrechten der konkurrierenden Träger der privaten Krankenversicherung. 4. Frage 3 – Zu den Altersrückstellungen Wahrt die vorgesehene Optionsregelung für Privatversicherte die Eigentumsrechte an ihren Altersrückstellungen? In der PKV zahlen die Versicherten mit ihren monatlichen Beiträgen auch einen Anwartschaftsteil , der seiner Alterssicherung in Form niedriger Prämien im Alter dient. Es stellt sich die Frage, ob diese Altersrückstellungen „Eigentum“ der Versicherten im Sinne von Art 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind. 4.1. Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff Das Grundgesetz definiert nicht ausdrücklich, was unter Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu verstehen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage muss auf den Zweck und die Funktion der Eigentumsgarantie unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung im Gesamtgefüge der Verfassung zurückgegriffen werden.28 Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen.29 Zu diesem Zweck wird der Bestand der geschützten Rechtspositionen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt bewahrt.30 Das Bundesverfassungsgericht sieht ein wesentliches Merkmal des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums darin, dass dem Berechtigten ein vermögenswertes Recht zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet wird.31 Auf dieser Grundlage 27 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 74 Rn. 172; Schnapp/Kaltenborn, S. 23 f. Auch Sodan, ZRP 2004, S. 219 spricht dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz ab. 28 BVerfGE 36, 281, (290). 29 BVerfGE 68, 193, (222), m.w.N. 30 BVerfGE 72, 175, (195). 31 st. Rspr., vgl. BVerfGE 78, 58, (71), m.w.N. - 12 - hat das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Eigentumsgarantie für dingliche oder sonstige absolute, gegenüber jedermann wirkende Rechtspositionen bejaht.32 Darüber hinaus umfasst Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.33 Voraussetzung ist dabei nicht, dass über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden kann, diese insbesondere auch beliebig übertragbar sind. Zwar ist die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand ein wesentliches Merkmal des Eigentums.34 Jedoch ist dem Gesetzgeber die Schaffung vermögenswerter Rechte, bei denen die Verfügungsmöglichkeit, eingeschränkt ist, nicht ohne weiteres verwehrt.35 Zusammengefasst gilt also: Eigentum ist kein feststehender Begriff. Sein Umfang muss durch einfachgesetzliche Normen innerhalb der Schranken-Schranken von Art. 14 Abs. 1 GG bestimmt werden. Eigentum ist danach die Summe aller vermögenswerten Rechtspositionen, die dem Bürger durch einfaches Recht zugeordnet sind und die ihm eine private Nutzungs- und Verfügungsbefugnis einräumen.36 4.2. Rechtliche Einordnung der Altersrückstellungen 4.2.1. Einfachgesetzliche Ausgestaltung Nach der Rechtsprechung begründen die Altersrückstellungen keinen individuellen Anspruch auf eine bestimmte Geldsumme, sondern lediglich einen Anspruch auf Beitragsermäßigung .37 Aus der Verwendung des Begriffs „Anwartschaft“ im Zusammenhang mit den Altersrückstellungen soll nichts anderes folgen. Der Begriff kennzeichne kein Anwartschaftsrecht im eigentlichen Sinn. Daraus, dass nach allgemeinen Versicherungsbedingungen zur „Finanzierung einer Anwartschaft auf Beitragsermäßigung im Alter“ bestimmte, am Beitragsaufkommen aller Versicherten orientierte Summen zuzuführen sind, folge nicht, dass es sich bei der 32 BVerfGE 79, 174, (191), m.w.N. 33 BVerfGE 83, 201, (209). 34 vgl. BVerfGE 52, 1, (30), m.w.N. 35 BVerfGE 83, 201, (209). 36 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 12. 37 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1999, S. 324; BGH, BB 1999, S. 1457. - 13 - Alterungsrückstellung um ein in der Entwicklung zum Vollrecht befindliches Recht handeln würde, dessen Erstarken zum vollständigen Recht allenfalls noch vom Willen des jeweiligen Versicherungsunternehmen abhinge.38 Der Begriff der Anwartschaft wird in den Versicherungsbedingungen in anderem Sinne gebraucht.39 Er meint, dass der Versicherungsnehmer im fortgeschrittenen Alter einen Anspruch darauf hat, eine geringere Prämie zu zahlen, als sich diese allein aus der Anwendung der allgemeinen Vorschriften und dem spezifisch höheren Risiko des älteren Menschen ergeben würde. Dabei gehe die „Anwartschaft“ im Sinne einer rechtlich abgesicherten Erwartung dahin, dass diese Beitragsermäßigung nach bestimmten, nicht am individuellen Beitrag des einzelnen Versicherungsnehmers, sondern am Beitragsaufkommen aller Versicherten des einschlägigen Tarifs bemessenen Kriterien errechnet wird. Aus der Verwendung des Begriffs „Anwartschaft“ folgt daher nicht, dass ein individueller Anspruch auf eine bestimmte Summe Geldes oder einen bestimmten Anteil an der Deckungsrückstellung besteht. Es besteht von vornherein kein, auch kein bedingter Anspruch auf Zahlung.40 4.2.2. Auswirkungen auf den verfassungsrechtlichen Schutz Welche Auswirkung diese einfachgesetzliche Auslegung hat, ist umstritten: Nach einer Auffassung sind die Altersrückstellungen in den Schutz von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG einbezogen, da der Schutz vor Beitragssteigerungen im Alter aufgrund der Kapitalbildung eine eigentumsrechtliche Position des jeweils Versicherten darstelle.41 Obgleich die Altersrückstellung nicht übertragbar und die Verfügungsbefugnis erheblich eingeschränkt sei, könne der Versicherte über die Altersrückstellungen grundsätzlich verfügen – er allein könne den Vertrag kündigen und so auf die Ansprüche aus der Altersrückstellung verzichten.42 38 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1999, S. 324; BGH, BB 1999, S. 1457. 39 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1999, S. 324; BGH, BB 1999, S. 1457. 40 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1999, S. 324; BGH, BB 1999, S. 1457. 41 Storr, SGb 2004, S. 287; Schulte, S. 31; Bieback, S. 106; Axer, S. 8. 42 Storr, SGb 2004, S. 287; Isensee, NZS 2004, S. 400. - 14 - Dagegen spricht, dass gerade kein Verzicht auf einen Anspruch vorliegt, sondern lediglich der Verzicht auf eine Aussicht. Es fehlt bereits an der Individualisierbarkeit des Anspruchs.43 Außerdem können die Altersrückstellungen nicht in dem Sinne genutzt werden, dass daraus laufend Früchte oder sonstige, auch einmalige Vorteile gezogen werden. Vielmehr stellen sie Rechtspositionen dar, die vom Gesetz zwar als Rechte oder Anwartschaften ausgestaltet sind, bei denen aber die Möglichkeit, sie auszunutzen, von weiteren Voraussetzungen abhängt, deren Eintritt ungewiss ist. Solche Positionen kommen wirtschaftlich betrachtet einer bloßen Chance nahe, die nicht unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen.44 Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht die Aussicht auf beitragslosen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz im Rentenfall nicht als vermögenswerte Position im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG angesehen.45 In dem Modell des SPD Parteivorstandes ist eine so genannte Optionsregelung enthalten . In dieser ist vorgesehen, dass Versicherte in der PKV (so genannte Altverträge) dort versichert bleiben können.46 Sie können aber auch in die Bürgerversicherung wechseln. Nach dem Modell ist die Übertragung der Altersrückstellungen bei Wechsel von der PKV geplant. Jedoch kann die Kapitalansparung nur bei einem Wechsel von einem PKV-Altvertrag zu einem anderen PKV-Altvertrag oder zu einem Bürgerversicherungstarif bei einer PKV mitgenommen werden.47 Der Versicherungsnehmer hat nur dann Nachteile, wenn er in einen Bürgerversicherungstarif einer GKV wechselt. In diesem Fall kann die Kapitalansparung nicht mitgenommen werden. Ob dies verfassungsmäßig ist, hängt letztlich davon ab, ob durch die fehlende Mitnahmemöglichkeit (Portabilität) der Altersrückstellung in einen GKV- Bürgerversicherungstarif eine Enteignung oder eine Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt (siehe sogleich Frage 4.). 43 vgl. PKV-Info, Bleibt Ihre private Krankenversicherung im Alter bezahlbar? S. 12, Download unter: www. http://www.pkv.de/downloads/INFO-Alter%201_2004.pdf, Zugriff am 30.1.2006. 44 BVerfGE 83, 201, (211) vgl. BVerfGE 68, 193, (222); 74, 129, (148). 45 BVerfGE 69, 272, (307ff.) zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 181. 46 SPD-Modell, S. 52. 47 SPD-Modell, S. 52. - 15 - 5. Frage 4 – zu möglichen Subventionierungspflichten Gibt es eine Subventionierungspflicht, wenn die Beiträge der Mitglieder der GKV nach Einführung der Bürgerversicherung explodieren? 5.1. Vorüberlegung Eine Subventionierungspflicht für die Beiträge der Letztversicherten entsteht nur, wenn durch die Bürgerversicherung in Grundrechte der Letztversicherten dergestalt eingegriffen wird, dass ein Anspruch auf Subventionierung der Beiträge entsteht. Grundsätzlich besteht bei verfassungswidrigen Grundrechtseingriffen kein Anspruch auf Geldzahlung, sondern ein Abwehr- oder Beseitigungsanspruch des Bürgers. Ausnahmen bestehen im Falle rechtswidrigen staatlichen Handelns, wenn keine Abwehr oder Beseitigung möglich ist.48 Handelt der Staat hingegen recht- bzw. verfassungsmäßig, besteht grundsätzlich kein Anspruch des Bürgers. Eine wichtige Ausnahme stellt Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG dar, wonach Eingriffe in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, die als Enteignung qualifiziert werden, immer entschädigungspflichtig sind. Daneben hat das Bundesverfassungsgericht entschieden , dass auch Inhalts- und Schrankenbestimmungen unter Umständen ausgleichspflichtig sein können. Voraussetzungen für entsprechende Ansprüche sind jedenfalls, dass die Beiträge von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG überhaupt umfasst sind, dass ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vorliegt und dass dieser Eingriff eine Entschädigungspflicht, respektive einen Anspruch auslöst. 5.2. Umfang der Gewährleistung von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG 5.2.1. Grundsatz Wie aufgezeigt, definiert das Grundgesetz nicht ausdrücklich, was unter Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu verstehen ist. 48 Vgl. insbesondere den Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. - 16 - Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist danach nicht betroffen, soweit es die Vertragsverhältnisse als solche betrifft, da der von Art. 14 Abs. 1 GG umfasste Bestandsschutz für den bereits erworbenen Kundenstamm beachtet wird. In Betracht kommt aber, dass es aufgrund fehlender junger Nachrücker in der PKV zu einer Erhöhung der Beitragssätze in der PKV aufgrund der faktischen Entwertung der so genannten Altersrückstellungen kommt.49 Fraglich ist, ob dies von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist. 5.2.2. Beitragsstabilität als eigentumsrechtliche Position Das Bundesverfassungsgericht hat die durch die Beiträge erzielten Vorteile in Form von Anwartschaften unter den Schutz von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gestellt. Die Beiträge als solche sind indes Teil des Vermögens und insoweit nicht geschützt.50 Mittelbar könnte die Beitragshöhe aber dadurch geschützt sein, dass in der PKV Altersrückstellungen gebildet werden, die wiederum zumindest eine Absenkung der Beiträge im Alter bzw. eine Nichtanpassung der Beiträge an das altersspezifische Risiko sicherstellen und vertraglich garantieren.51 Geht man von der Hypothese aus, dass diese Altersrückstellungen aufgrund fehlender junger Risiken in der PKV nicht mehr gebildet werden können und hierdurch Beitragssteigerungen folgen, so führte dies faktisch zur Entwertung der bereits erzielten Rückstellungen. Um Ansprüche generieren und letztlich eine Subventionierungspflicht begründen zu können, müssten demnach die Altersrückstellungen selbst verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Dies ist wie aufgezeigt umstritten. Sofern man den Altersrückstellungen verfassungsrechtlichen Schutz zugesteht, ist die Umstellung auf die Bürgerversicherung grundsätzlich auch am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu messen. 5.3. Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verbindet Eigentumsgarantie der Bürger und Regelungsauftrag des Gesetzgebers. Die sich aus Art. 14 GG ergebenden Rechte sind ihrer Existenz und 49 Beck, SozSich 2004, S. 391; Muckel, SGb 2004, S. 677; Wallrabenstein, SGb 2004, S. 26. 50 Ganz herrschende Auffassung, vgl. nur Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 40, m.w.N. 51 Allgemein zur Überprüfung von Prämienerhöhungen in der privaten Krankenversicherung, LG Saarbrücken, NJW-RR 2003, S. 1258. - 17 - ihrer konkreten Ausgestaltung nach von Regelungen durch den Gesetzgeber abhängig. Insoweit muss für die Eingriffsqualifizierung zwischen inhaltsbestimmenden und schrankenziehenden Gesetzen unterschieden werden.52 Dies ist nicht immer möglich. Es bietet sich an, zur Unterscheidung auf folgende Kriterien abzustellen: Werden Befugnisse generell und pflichtneutral festgelegt, handelt es sich um eine Inhaltsnorm. Werden konkrete Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten auferlegt, handelt es sich um eine Schrankennorm.53 Diese wirkt dann als Beeinträchtigung und unterliegt den Schranken des Art. 14 GG. 5.3.1. Unmittelbarer Eingriff Bezogen auf die Altersrückstellungen und damit mittelbar auf die Beitragssätze sieht das SPD-Modell vor, dass künftig die Altersrückstellungen bei einem Wechsel innerhalb der PKV portabel sein sollen und ein Wechsel in die GKV nicht zwingend ist.54 Insoweit scheidet ein unmittelbarer Eingriff aus, da nicht final und zielgerichtet die bereits erworbenen Vorteile entzogen werden. 5.3.2. Mittelbarer Eingriff Die Eigentumsgewährleistung schützt nach überwiegender Auffassung in der Literatur nicht nur gegen gezielte hoheitliche Eingriffe, sondern auch gegen faktische Beeinträchtigungen oder solche, die bloße (ggf. auch nicht beabsichtigte) Nebenfolge staatlichen Handelns sind.55 5.3.3. Faktische Folgen der Bürgerversicherung In Betracht kommt, dass aufgrund einer allgemeinen Versicherungspflicht und der dann fehlenden Neu-Verträge die PKV nicht mehr in der Lage sein wird, die noch verbliebenen , nunmehr alternden Versicherungsnehmer allein über die bislang gebildeten Altersrückstellungen abzusichern – Konsequenz wäre ein steigender Beitragssatz für die Verbliebenen. 52 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 55. 53 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14, Rn. 55. 54 SPD-Modell, S. 52; zu Formen der Einbeziehung und Folgen für die Beitragsentwicklung vgl. Schräder/Sehlen/Hofmann, SozSich 2004, S. 10. 55 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 40, m.w.N.; vgl. zu Subventionierungspflichten aufgrund staatlichen Handelns BVerwG, NJW 1972, S. 2325. - 18 - 5.3.4. Rechtliche Bewertung faktischer Beeinträchtigungen Dies stellt sich nur dann als rechtlich relevante Beeinträchtigung dar, wenn ein hinreichender Zusammenhang zwischen der staatlichen Maßnahme und den eintretenden Folgen besteht. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist aufgrund der gesetzlichen Konzeption der privaten Krankenversicherung keine existenzielle Abhängigkeit der PKV von Neuzugängen gegeben.56 Die privaten Unternehmen arbeiteten nach dem Anwartschaftsdeckungsprinzip und seien daher weniger demografieanfällig als die Sozialversicherung mit dort praktizierten Umlageverfahren.57 Soweit die PKV ihren gesetzlichen Verpflichtungen aus §§ 12 des Versicherungsaufsichtsgesetz nachgekommen sei und hinreichende Rückstellungen gebildet habe, könne keine Beeinträchtigung vorliegen.58 5.4. Hilfserwägungen – Qualifizierung des (hypothetischen) Eingriffs Hält man diese Argumentation, die sich auf die Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze bezieht, beim völligen Wegfall potentieller Neu-Verträge für zu formaljuristisch, stellt sich in der Konsequenz die Frage, wie diese Folge rechtlich einzuordnen wäre – Art. 14 Abs. 1 S. 2 und Art. 14 Abs. 3 GG unterscheiden insoweit für die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach Enteignung und Inhalts- und Schrankenbestimmung. Erste löst regelmäßig, letztere nur ausnahmsweise eine Entschädigungspflicht aus.59 5.4.1. Entschädigungspflichtige Enteignung Der Begriff „Enteignung“ unterliegt einem ständigen Wandel und ausführlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen.60 Das Bundesverfassungsgericht geht von einem formellen Enteignungsbegriff aus und unterscheidet danach, ob abstrakt-generelle Regelungen vorliegen oder aber ein konkret-individueller Zugriff auf subjektive Rechtsposi- 56 BVerfG vom 4.2.2004, 1 BvR 1103/03, Absatz-Nr. 34, unter: www.bundesverfassungsgericht.de; kritisch: Beck, SozSich 2004, S. 391; Muckel, SGb 2004, S. 676. 57 Darauf verweist die PKV im Übrigen selbst, vgl. PKV-Info, Bleibt Ihre private Krankenversicherung im Alter bezahlbar? S. 14, Download unter: www. http://www.pkv.de/downloads/INFO- Alter%201_2004.pdf, Zugriff am 30.1.2006. 58 BVerfG vom 4.2.2004, 1 BvR 1103/03, Absatz-Nr. 34, unter: www.bundesverfassungsgericht.de; zustimmend: Schmidt, SGb 2004, 737; Bieback, SozSich 2003, S. 424. Hinzu kommt, dass keine Pflicht besteht, in der PKV zu bleiben; die bereits in der PKV Versicherten könnten zwischen PKV und GKV und den jeweiligen Bürgerversicherungstarifen wählen, vgl. SPD-Modell, S. 52. 59 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 52. 60 Siehe nur: Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14, Rn. 401 ff. m.w.N. - 19 - tionen stattfindet.61 Enteignung ist danach der gezielte hoheitliche Zugriff auf konkrete vermögenswerte Rechte, die für einen vom Wohl der Allgemeinheit geforderten konkreten Gemeinwohlzweck benötigt werden.62 Eine Enteignung scheidet demnach aus, da kein gezielter Zugriff auf die Altersrückstellungen vorliegt. 5.4.2. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung Für die Frage, ob eine ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung vorliegt, kommt es maßgeblich auf die konkrete Ausgestaltung an – zentrale Frage ist diesem Zusammenhang, ob die fehlende Mitnahmemöglichkeit (Portabilität) der Altersrückstellung in einen GKV-Bürgerversicherungstarif ohne Entschädigungsklausel unverhältnismäßig wäre.63 Dies wird man verneinen müssen, denn der Versicherungsnehmer hat nach diesem Modell eigentumsschonende Alternativen, da er frei zwischen GKV- und PKV-Bürgerversicherungstarif wählen können soll. 61 BVerfGE 70, 191, (199f.). 62 Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 58. 63 Kirchof, NZS 2004, S. 4; Axer, S. 9; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14, Rn. 100a. - 20 - 6. Literaturverzeichnis Axer, Peter, Verfassungsrechtliche Fragen einer Bürgerversicherung, in: Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, München 2005, S. 1 – 16. 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