Deutscher Bundestag Beobachtung von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums nach § 10a Abs. 2 BHO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 3 – 3000 – 371/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 2 Beobachtung von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums nach § 10a Abs. 2 BHO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 3 – 3000 – 371/11 Abschluss der Arbeit: 3. Mai 2016 Fachbereich: WD 3 – Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Beobachtung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages 7 2.1. Das freie Mandat (Artikel 38 Abs. 1 GG) 7 2.1.1. Beeinträchtigung des freien Mandats 8 2.1.2. Schranke des freien Mandats 8 2.1.3. Verhältnismäßigkeit 9 2.2. Immunität gegen Strafverfolgung (Artikel 46 Abs. 2 GG) 10 2.3. Immunität gegen die Beschränkung der persönlichen Freiheit (Artikel 46 Abs. 3 GG) 11 2.4. Indemnität (Artikel 46 Abs. 1 GG) 12 2.4.1. Sachlicher Anwendungsbereich 12 2.4.2. Beschränkung auf den parlamentarischen Raum 12 2.4.3. Folgen 13 3. Besonderheiten bei der Beobachtung von parlamentarischen Kontrollgremien 13 3.1. Aufgabe des PKGr und Status seiner Mitglieder 14 3.2. Aufgabe des Vertrauensgremiums und Status seiner Mitglieder 14 3.3. Besonderheiten aus der Aufgabenstellung der Sondergremien 14 3.4. Besonderheiten aufgrund des Status der Gremienmitglieder 15 3.5. Auskunftsrecht 16 4. Zusammenfassung 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG)1 die gesetzliche Aufgabe, Informationen, insbesondere von Sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, zu sammeln und auszuwerten über „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung […] gerichtet sind“. Solche Bestrebungen sind gemäß § 4 Abs. 1 c) i.V.m. § 4 Abs. 2 BVerfSchG politisch bestimmte , ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss , der darauf gerichtet ist, einen der folgenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen: – das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen , – die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, – das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, – die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, – die Unabhängigkeit der Gerichte, – der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und – die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die zur Erfüllung dieser Aufgabe erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten darf das Bundesamt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG erheben, verarbeiten und nutzen. Dazu darf das Bundesamt auch Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung anwenden (§ 8 Abs. 2 BVerfSchG). Im Rahmen der Beobachtung der politischen Partei DIE LINKE. bzw. ihrer Vorgänger2 erhebt das Bundesamt für Verfassungsschutz auch Informationen über die Tätigkeit von Mitgliedern des Bundestages in der und für die Partei sowie über deren Abgeordnetentätigkeit.3 Jedenfalls in der letzen Wahlperiode enthielt die einschlägige Sachakte Informationen zu allen Mitgliedern der Fraktion DIE LINKE.4 Das Amt hält u. a. biographische Daten der Abgeordneten, deren Funktio- 1) Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576). 2) Vgl. hierzu: Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2010, S. 154 ff. 3) BVerwG, Urteil vom 21. Juli 2010, Az. 6 C 22.09 – „Ramelow“; Antwort der Bundesregierung vom 7. September 2009, Drs. 16/13990 (neu). 4) Antwort der Bundesregierung (Fn. 3) zu Frage 5; zur Beobachtung ab der 14. Wahlperiode siehe Antwort zu Frage 13. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 5 nen innerhalb der Partei, Mitgliedschaften in extremistischen Personenzusammenschlüssen sowie Kontakte zu in- und ausländischen extremistischen Parteien und Gruppierungen fest. Das Bundesamt beobachtet die Partei zwar ohne nachrichtendienstliche Mittel. Im Einzelfall ist die Speicherung von mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Informationen allerdings nicht ausgeschlossen.5 Diese Praxis ist im Deutschen Bundestag auf Widerspruch gestoßen. Die nachrichtendienstliche Beobachtung beschränke die politische Arbeit von Abgeordneten; diese könnten ihr Amt nicht mehr frei und unabhängig wahrnehmen. Der Kommunikationsprozess mit den Bürgerinnen und Bürgern werde durch die Beobachtung erschwert. Der Exekutive werde ermöglicht, politische Konkurrenz öffentlich zu stigmatisieren.6 Abgeordnete könnten veranlasst werden, ein bestimmtes Verhalten einzunehmen, um sich und ihre Gesprächspartner vor einer Beobachtung zu schützen . Dadurch werde die Funktionsweise des Parlaments gefährdet.7 Ein Antrag, die Bundesregierung zur Einstellung der Überwachung von Abgeordneten aufzufordern8, sowie ein Gesetzentwurf mit dem Ziel der Einführung einer Mitteilungspflicht der Beobachtung an den Bundestagspräsidenten 9 und eines Widerspruchsrechts des Parlamentarischen Kontrollgremiums10 sind allerdings vom Bundestag im Mai 2009 abgelehnt worden.11 Am 21. Juli 2010 entschied das Bundesverwaltungsgericht, die Erhebung von Informationen über Bundestagsabgeordnete durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung sei zulässig. Zwar sei auch die Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ein Eingriff, wenn die gewonnenen Informationen einzelnen Personen oder Personenmehrheiten zugeordnet werden. Wer am öffentlichen Leben in Wort, Schrift oder Aktion teilnehme, willige damit nicht notwendig in die gezielte, auf Vollständigkeit angelegte Erhebung oder gar Speicherung aller seiner öffentlichen Äußerungen ein.12 Auch beeinträchtige die Beobachtung das durch Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandat eines Abgeordneten, wobei auch faktische Nachteile zu berücksichtigen seien.13 Ein faktischer Nachteil sei, dass die Erhebung von Informationen über den Abgeordneten für diesen mit einer „Stigmatisierung“ verbunden sei, die ihm den Zugang zu dem überwiegenden Teil der Bevölkerung erschweren könne. Bei Bekanntwerden der Informationsbeschaffung könne es für den Abgeordneten schwieriger werden, An- 5) Antwort der Bundesregierung (Fn. 3) zu Frage 2. 6) Drs. 16/12374, S. 1. 7) Drs. 16/5455, S. 1 f. 8) Drs. 16/5455. 9) So schon: Brenner, Abgeordnetenstatus und Verfassungsschutz, in: Brenner/Huber/Möstl (Hrsg.), Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, Tübingen 2004, S. 55. 10) Drs. 16/12374. 11) Drs. 16/13220; PlPr. 16/225, S. 24908. 12) BVerwG (Fn. 3), Rz. 17. 13) BVerwG (Fn. 3), Rz. 96. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 6 hänger und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Letzteres habe auch deshalb negative Auswirkungen auf seine politische Arbeit, weil er für diese darauf angewiesen sei, Meinungen und Stimmungen der Wählerschaft zu kennen , sowie Informationen aus der Bevölkerung zu erhalten. Hierdurch gingen zugleich Erkenntnisse verloren, die für den Willensbildungsprozess des Parlaments in seiner Gesamtheit von Bedeutung seien. Der Beitrag, den der einzelne Abgeordnete zu diesem Willensbildungsprozess leiste, beruhe nicht nur auf seiner Ausbildung, seinem persönlichen Werdegang und den Erfahrungen in seinem privaten Umfeld, sondern ganz wesentlich auch auf Erkenntnissen, die er durch Kontakte mit der Bevölkerung gewinne.14 Die Freiheit des Mandats sei allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie sei durch das mit verfassungsrechtlichem Rang ausgestattete Prinzip der streitbaren Demokratie begrenzt.15 Den mit der nachrichtendienstlichen Beobachtung von Abgeordneten verbundenen erheblichen Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit werde durch das strikte Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen (§§ 8 Abs. 5, 9 BVerfSchG).16 Der Gesetzgeber sei auch nicht von Verfassung wegen gezwungen, die Erhebung von Informationen über Abgeordnete durch das Bundesamt von der vorherigen Genehmigung des Parlaments abhängig zu machen. Artikel 46 Abs. 2 und 3 GG sähen eine Genehmigung des Bundestages nur vor für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Abgeordnete und für deren Verhaftung, für sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen und für die Einleitung eines Verfahrens auf Verwirkung von Grundrechten.17 Verhältnismäßig sei die Beobachtung jedenfalls, soweit sich die Erhebung von Informationen auf Mittel der offenen Informationsbeschaffung beschränke und der Kernbereich der parlamentarischen Tätigkeit , nämlich sein Abstimmungsverhalten sowie seine Äußerungen im Parlament und seinen Ausschüssen, ausgenommen werde.18 Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist auf Kritik gestoßen.19 Es verkenne die in Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG begründete organschaftliche Stellung des Abgeordneten als demokratische Repräsentanz. Die Überwachung von Abgeordneten drehe den Kontrollzusammenhang zwischen Bundestag und Bundesregierung um.20 Die Bedeutung des Abgeordentenstatus und der Funktionszusammenhang des Parlaments werde insgesamt verkannt. Das Abstellen auf die geringe Beeinflussung des Abgeordneten durch die Beobachtung verkenne die Zweiseitigkeit des Kommunikationsprozesses zwischen Bürger und Abgeordnetem.21 Insgesamt wird aber nicht be- 14) BVerwG (Fn. 3), Rz. 95. 15) BVerwG (Fn. 3), Rz. 72. 16) BVerwG (Fn. 3), Rz. 75. 17) BVerwG (Fn. 3), Rz. 77. 18) BVerwG (Fn. 3), Rz. 91 f. 19) Die Kritik wird nur insoweit wiedergegeben, als sie sich auf die Besonderheiten wegen des Abgeordnetenstatus des Beobachteten bezieht. Hier nicht von Bedeutung sind Ausführungen zu der Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit von Teilen der Partei DIE LINKE. und deren Zurechnung. 20) Möllers, Anmerkung zur Entscheidung des BVerwG, JZ 2011, S. 48 [50]. 21) Klatt, Die Beobachtung von Abgeordneten – Das Urteil des BVerwG vom 21. 7. 2010, NVwZ 2011, 146 [149]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 7 stritten, dass die Beobachtung von Abgeordneten zulässig sein kann. Ein generelles Verbot der Überwachung von Abgeordneten erscheine keine zwingende Konsequenz.22 Die vorliegende Ausarbeitung soll untersuchen, welche Besonderheiten und gegebenenfalls Einschränkungen sich für Bundestagsabgeordnete ergeben, die zu Mitgliedern des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung (BHO)23 oder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) gewählt worden sind. 2. Beobachtung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages Zunächst ist zu klären, in welchem Umfang die Beobachtung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages – unabhängig von Ihrer Mitgliedschaft in parlamentarischen Kontrollgremien – rechtlich zulässig ist. Verfassungsrechtliche Bedenken könnten sich aus einer unzulässigen Beschränkung des freien Mandats (Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG), einem Verstoß gegen die Immunitätsgarantie (Artikel 46 Abs. 2 und 3 GG) sowie gegen den Indemnitätsschutz (Artikel 46 Abs. 1 GG) ergeben. 2.1. Das freie Mandat (Artikel 38 Abs. 1 GG) Nach Artikel 38 Abs. 1 S. 2 GG sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen . Dieser Grundsatz der Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten ist für die Repräsentationsfunktion und Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie schlechthin konstitutiv .24 Das freie Mandat verleiht den Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine eigene verfassungsrechtliche Stellung. Geschützt ist nicht nur der Bestand, sondern auch die tatsächliche Ausübung des Mandats.25 Der Abgeordnetenstatus schützt den Abgeordneten gegen Beeinflussung seiner mandatsbezogenen Arbeit innerhalb und außerhalb des Parlamentes und gegen Druck, der seine selbstverantwortliche und unabhängige Parlamentstätigkeit beeinträchtigen könnte.26 Insbesondere soll das freie Mandat den Abgeordneten vor einer Steuerung oder Manipulation seitens 22) Möllers (Fn. 20), S. 50. 23) Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 9. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885). 24) Vgl. Morlok, in: Dreier (Hrsg), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, 2. Auflage 2006, Art. 38, Rn. 142 ff. 25) BVerfGE 80, 188 [218]; 99, 19 [32]; 118, 277 [324]. 26) Badura, Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen in Bund und Ländern, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, Berlin 1989, § 15, Rn. 5; , Überwachung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages durch den Verfassungsschutz, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WD 3 – 178/06, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 8 des Staates bewahren.27 Auch gegen subtile Einwirkung auf die mandatsbezogene Tätigkeit schützt dieses Statusrecht.28 2.1.1. Beeinträchtigung des freien Mandats Durch die Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz wird das freie Mandat berührt.29 Dies ist nahezu unstreitig.30 Für das Bundesverfassungsgericht birgt die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten „erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG) und damit für den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt.“31 Das Bundesverwaltungsgericht hat die zu berücksichtigenden faktischen Nachteile aufgezählt und für die offene Informationsbeschaffung zutreffend festgestellt, dass in der Teilnahme am öffentlichen Leben in Wort, Schrift oder Aktion nicht notwendig die Einwilligung zu einer gezielten, auf Vollständigkeit angelegten Erhebung oder gar Speicherung aller seiner öffentlichen Äußerungen zu sehen ist (siehe oben). 2.1.2. Schranke des freien Mandats Die Freiheit des Mandats ist nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.32 Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist ein hohes Verfassungsgut. Dies ergibt sich zum einen aus Artikel 21 Abs. 2 GG, der dem Bundesverfassungsgericht die Befugnis gibt, Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, dies Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, zu verbieten. Zum andern verwirkt nach Artikel 18 GG eine Reihe von Grundrechten derjenige, der diese Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht. Der Gesetzgeber hat mit § 8 BVerfSchG i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, um zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung personenbezogene Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen. Personenbezogene Daten von Mitgliedern des Bundestages sind von dieser gesetzlichen Ermächtigung nicht ausgenommen.33 27) Brenner (Fn. 9), S. 46. 28) BVerfGE 56, 396 [405]; 80, 188 [218]; 99, 19 [32]; 112, 118 [134]. Brenner (Fn. 9), S. 45. 29) Im Einzelnen: Brenner (Fn. 9), S. 47 ff. 30) abgesehen von Söllner, DVBl. 2009, S. 926 f., der den Abgeordnetenstatus verkennt und ihn wohl für eine Sonderform des Persönlichkeitsrechts hält. 31) BVerfGE 124, 161 [195] (Hervorhebungen nur hier). 32) BVerfGE 118, 277 [324]. 33) Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 366. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 9 2.1.3. Verhältnismäßigkeit Nach § 8 Abs. 5 BVerfSchG darf eine Maßnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Außerdem sind Gesetze im Lichte derjenigen Verfassungsbestimmungen auszulegen, die sie begrenzen , und damit in ihrer beschränkenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt.34 Ob die Beobachtung eines Abgeordneten geeignet, erforderlich und angemessen ist, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und ist auch einzelfallbezogen abzuwägen.35 Zunächst müsste Klarheit bestehen, welcher Erfolg mit der Beobachtung angestrebt wird. Die Verfassung wird noch nicht durch das Sammeln, Verarbeiten und Auswerten von Informationen allein geschützt, sondern erst mit daran anschließenden Maßnahmen. Hieran ist die Geeignetheit der Beobachtung zu messen. Es dürfte einen Unterschied machen, ob ein Abgeordneter etwa wegen seiner Mitgliedschaft in einem ins Visier geratenen Verein oder einer politischen Partei beobachtet wird. Während gegenüber einem Verein eine Reihe von Aufsichts- und Sanktionsmöglichkeiten nach dem Vereinsgesetz36 besteht, sind politische Parteien durch das Grundgesetz besonders geschützt (Artikel 21 GG). Das Sammeln von Informationen über Abgeordnete im Zusammenhang mit der Beobachtung einer politischen Partei dürfte nur dann Sinn machen, als dies für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf Verbot nach Artikel 21 Abs. 2 Satz 2 GG zu stellen ist, in Betracht kommt.37 Fehlt es von vornherein an der Absicht, einen Verbotsantrag zu stellen , dürfte eine Beobachtung unzulässig sein.38 Auch dies ist eine Frage des konkreten Sachverhalts . Einigkeit besteht, dass zu differenzieren sein wird, ob eine offene Informationsbeschaffung (§ 8 Abs. 1 BVerfSchG) für ausreichend angesehen wird oder ob eine Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, also unter Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapieren und Tarnkennzeichen (§ 8 Abs. 2 BVerfSchG) für erforderlich gehalten wird. Die Beobachtung mit Mitteln der offenen Informationsbeschaffung dürfte ein wesentlich geringfügiger Eingriff sein, als die mit nachrichtendienstlichen Mitteln.39 Somit dürfte die Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln unzulässig sein, wenn diese Informationen auch auf andere Weise, insbesondere aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Auskunftsersuchen an andere Behörden gewonnen werden können.40 34) BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 59, 231 [264 f.] – ständige Rechtsprechung. 35) Zu Letzterem: BVerfGE 92, 277 [327]. 36) Vereinsgesetz vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198). 37) Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 11. Auflage 2011, Art. 21, Rn. 37. 38) So ausdrücklich: Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Lfg. 45 (August 2005), Artikel 21, Rn. 579. 39) BVerwG (Fn. 3), Rz. 91; Klein (Fn. 38), Artikel 21, Rn. 578. 40) Brenner (Fn. 9), S. 51. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 10 Die Beeinträchtigungen durch eine Beobachtung müssen auch im Hinblick auf das verfolgte Ziel angemessen sein und dürfen das geschützte freie Mandat nicht in Gänze aushöhlen. Dies gilt zum einen für den Kommunikationsprozess, in den ein Abgeordneter als Volksvertreter permanent eingebunden ist. Nicht zulässig sein dürfte demnach, den Abgeordneten im Gespräch mit dem Bürger zu beobachten oder sein Verhalten und seine Aussagen nachrichtendienstlich zu erfassen. Würden Bürger von einem Gespräch mit dem betreffenden Abgeordneten abgeschreckt werden, weil sie die Speicherung ihres Gesprächskontaktes befürchten müssten, könnte der Abgeordnete sein Mandat nicht mehr in der von der Verfassung vorgestellten Art und Weise wahrnehmen.41 Zum anderen gilt dies für die Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments. Diese würde ausgehöhlt, wenn der freie Beratungs- und Diskussionsprozess im Parlament oder seinen Ausschüssen beeinträchtigt (dazu auch unten: 2.4 Indemnität, S. 12) oder gar beeinflusst würde.42 So dürfte die Erfassung der parlamentarischen Äußerungen und des Abstimmungsverhaltens („Kernbereich der parlamentarischen Tätigkeit“43) gänzlich unzulässig sein. 2.2. Immunität gegen Strafverfolgung (Artikel 46 Abs. 2 GG) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter gemäß Artikel 46 Abs. 2 GG nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden. Seinem sachlichen Anwendungsbereich nach scheidet eine Begrenzung der nachrichtendienstlichen Beobachtung von Abgeordneten durch Artikel 46 Abs. 2 GG aus. Die Beobachtung stellt als reine Vorfeldmaßnahme weder ein Zur-Verantwortung-Ziehen noch eine Verhaftung dar.44 Unter „Zur-Verantwortung-Ziehen“ ist jede Untersuchungshandlung zu verstehen, die im Rahmen einer gerichtlichen oder behördlichen Untersuchung mit dem Ziel einer (Straf-)Verfolgung bzw. einer entsprechenden Sanktion durch Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden oder durch die für disziplinar-, berufs- und ehrengerichtliche Ermittlungen zuständigen Behörden gegen den Abgeordneten gerichtet ist; erfasst sind auch Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Bereits die Einleitung eines solchen Verfahrens ist unzulässig.45 Auch wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG verpflichtet ist, alle zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlichen Informationen an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, ist dies jedoch nicht mit einem Ermittlungsverfahren gleich zu setzten; das Bundesamt für Verfassungsschutz zielt nicht wie die Staatsanwaltschaft 41) Brenner (Fn. 9), S. 47. 42) Brenner (Fn. 9), S. 48 f. 43) BVerwG (Fn. 3), Rz. 92. 44) Böttger, Beobachtung von Landtagsabgeordneten durch den Thüringer Verfassungsschutz, ThürVBl. 2002, S. 125 [127]. 45) Butzer, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Online-Kommentar Grundgesetz, Stand: Oktober 2011, Art. 46, Rn. 14 m.w.Nw. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 11 darauf, strafbare Handlungen zu verfolgen, sondern vielmehr die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen (§ 1 Abs. 1 BVerfSchG).46 2.3. Immunität gegen die Beschränkung der persönlichen Freiheit (Artikel 46 Abs. 3 GG) Auch bei jeder sonstigen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten ist die vorherige Genehmigung erforderlich. Umstritten ist, wieweit der Begriff der persönlichen Freiheit zu fassen ist.47 Nach einer Ansicht ist der Bereich der persönlichen Freiheit so weit zu verstehen, dass jegliche Maßnahmen hierunter fallen, die die parlamentarische Tätigkeit behindern, z. B. Durchsuchung, Beschlagnahme, Überwachung des Telefon- und Fernmeldeverkehrs.48 Begründet wird dies mit der Missbrauchsgefahr von Überwachungsmaßnahmen durch die Regierung zur Gewinnung von Informationen über Abgeordnete der Opposition.49 Nach anderer Auffassung ist unter der in Artikel 46 Abs. 3 GG genannten persönlichen Freiheit unter Heranziehung des Begriffs der „Freiheit der Person“ in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch primär die körperlich-räumliche Freiheit zu verstehen.50 Folgte man der ersten Auffassung, käme in Betracht, vor jeder Beobachtung von Abgeordneten seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Genehmigung zu verlangen.51 Das Bundesverwaltungsgericht sieht eine Genehmigungspflicht nach Artikel 46 Abs. 3 GG ausschließlich für die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Abgeordnete und für deren Verhaftung, für sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen und für die Einleitung eines Verfahrens auf Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG.52 Im Jahre 2009 hat die Fraktion DIE LINKE einen Gesetzentwurf zur Änderung des damals geltenden Kontrollgremiumsgesetzes (PKGrG) eingebracht.53 Der Entwurf sah vor allem vor, dass eine Beobachtung eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages dem Präsidenten oder der Präsidentin des Deutschen Bundestages mitzuteilen ist, welchen/welche dann eine unverzügliche Mitteilungspflicht gegenüber dem überwachten Abgeordneten trifft. Weiterhin sah der Änderungsvorschlag vor, dass das Parlamentarische Kontrollgremium bei Widerspruch eines Fünftels seiner Mitglieder eine Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz untersagen könnte. Begründet wurde dieser Änderungsvorschlag mit der Verletzung von Artikel 38 Abs. 1 46) Brenner (Fn. 9), S. 37. 47) Zum Meinungsstand: Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz , Bd. 2, Art. 46, Rn. 57 m.w.Nw. 48) Z. B. Butzer (Fn. 45), Art. 46, Rn. 17; Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum GG, 62. Ergänzungslieferung 2011, Artikel 46, Rn. 79. 49) Böttger (Fn. 44), S. 127 f. 50) Achterberg/Schulte (Fn. 47), Art. 46, Rn. 56; Pieroth (Fn. 37), Art. 46, Rn. 9; Wehowsky, in: Umbach /Clemens, Grundgesetz Kommentar, Band II, Heidelberg 2002, Art. 104, Rn. 7. 51) Dies so zu verlangen, schlägt Brenner (Fn. 9), S. 55, dem Gesetzgeber vor. 52) BVerwG (Fn. 3), Rz. 77. 53) Drs. 16/12374, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 12 S. 2 GG und Artikel 46 Abs. 2 bis 4 GG. Die vorgeschlagenen Mechanismen entsprächen denen des Immunitätsverfahrens und sollten die Gewaltenteilung sicher stellen.54 Dieser Gesetzentwurf wurde vom Plenum abgelehnt.55 Der Gesetzgeber selbst hat somit die prinzipielle Zulässigkeit der Überwachung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages eingeräumt, indem er eine Sonderregelung bei einer solchen Überwachung nicht Gesetz werden ließ. 2.4. Indemnität (Artikel 46 Abs. 1 GG) Nach Artikel 46 Abs. 1 GG darf ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. 2.4.1. Sachlicher Anwendungsbereich Diese Bestimmung schützt den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vor jeglichen Sanktionen , welche im Zusammenhang mit seinem Abstimmungsverhalten oder seinen Äußerungen im Rahmen innerparlamentarischer Arbeit stehen.56 Die Freiheit und Unabhängigkeit der parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten ist eine Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Parlaments . Im Gegensatz zur Immunitätsgarantie, ist die Schutzwirkung der Indemnität weit auszulegen : Ausgeschlossen ist jede außerparlamentarische staatliche Maßnahme, die geeignet ist, den Abgeordneten in seinem Wirken zu beeinträchtigen; der Schutz ist somit lückenlos.57 2.4.2. Beschränkung auf den parlamentarischen Raum Allerdings beschränkt sich die Schutzwirkung auf den innerparlamentarischen Bereich. Auf außerparlamentarische Tätigkeiten ist der Schutz aufgrund des klaren Wortlauts der Bestimmung nicht anwendbar. Außerhalb des Parlaments, etwa auf Partei- oder Wahlveranstaltungen, amtlichen Reisen, Presse- und Rundfunkinterviews und Wahlkreissprechstunden, genießt der Abgeordnete keinen Indemnitätsschutz.58 Auch wenn diese in Artikel 46 Abs. 1 GG nicht ausdrücklich aufgeführt sind, gilt der Schutz nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung auch für Äußerungen der Abgeordneten in ihren Fraktionen.59 54) Drs. 16/12374, S. 2. 55) Drs. 16/13220, S. 3; PlPr. 16/225, S. 24908. 56) Klein, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum GG, 58. Ergänzungslieferung 2010, Artikel 46, Rn. 38. 57) Klein (Fn. 56), Artikel 46, Rn. 45; Achterberg/Schulte (Fn. 50), Art. 46, Rn. 21. 58) Brenner (Fn. 9), S. 39; Achterberg/Schulte (Fn. 50), Art. 46, Rn. 17 m.w.Nw. 59) Achterberg/Schulte (Fn. 50), Art. 46, Rn. 16 m.w.Nw. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 13 2.4.3. Folgen Bei der Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz muss daher unterschieden werden: Die Informationsbeschaffung außerhalb des Abstimmungsverhaltens und der parlamentarischen Äußerungen berühren den Schutzbereich des Artikel 46 Abs. 1 S. 1 GG nicht. Soweit es aber um Äußerungen und Abstimmungen im Parlament und seiner Ausschüsse geht, sind die Abgeordneten gegen jegliche Maßnahmen interner oder tatsächlicher Art, wie z. B. die Anlegung von Akten, die Aufnahme in ein Register oder Beobachtung und Überwachung durch den Verfassungsschutz geschützt.60 3. Besonderheiten bei der Beobachtung von parlamentarischen Kontrollgremien Wie alle anderen Organe, Einrichtungen und Tätigkeitsfelder der vollziehenden Gewalt des Bundes , unterliegt das Bundesamt für Verfassungsschutz der Kontrolle des Deutschen Bundestages.61 Nur über die parlamentarische Kontrolle ist das Tätigwerden des Bundesamtes demokratisch legitimiert.62 Da die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit wegen des notwendigen Schutzes der betroffenen Sachmaterie auf besondere Geheimhaltung angewiesen ist, ist diese Aufgabe dem eigens dafür geschaffenen Parlamentarischen Kontrollgremium zugewiesen worden.63 Das gleiche gilt für das Budgetrecht des Parlaments: § 10a BHO modifiziert den Grundsatz, dass das Parlament in seiner Gesamtheit das Budgetrecht ausübt, in Bezug auf Nachrichtendienste dahingehend, dass nur ein Sondergremium (Vertrauensgremium) – stellvertretend für den Haushaltsauschuss – mit der Prüfung des Budgets betraut ist.64 Dieses informiert den Haushaltsauschuss lediglich über die Endsummen, nicht aber über die Zweckbestimmung und die Detailausgaben (§ 10a Abs. 2 BHO). Fraglich ist, ob sich aus den Aufgaben oder der Stellung der Mitglieder des PKGr oder des Vertrauensgremiums Besonderheiten bezüglich einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz ergeben. 60) Achterberg/Schulte (Fn. 50), Art. 46, Rn. 23; Klein (Fn. 56), Artikel 46, Rn. 46; Magiera, in: Bonner Kommentar, Grundgesetz, Art. 46, Rn. 45; Pieroth (Fn. 37), Art. 46, Rn. 4; Schneider, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 46, Rn. 8. 61) BVerfGE 124, 161 [191]; Wolff, Der nachrichtendienstliche Geheimschutz und die parlamentarische Kontrolle, JZ 2010, S. 173 [175]; Achterberg/Schulte (Fn. 50), Art. 45d, Rn. 12; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfau, Grundgesetz Kommentar, 12. Auflage 2011, Art. 45d,Rn. 5, 7. 62) Hermes, in: Dreier, Grundgesetz Kommentar, 2. Auflage, Supplementum 2010, Art. 45d, Rn. 1. 63) Gesetzesbegründung zu Artikel 45d GG, Drs. 16/12412, S. 4. 64) Hierzu und zum Folgenden Droste (Fn. 33), S. 621 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 14 3.1. Aufgabe des PKGr und Status seiner Mitglieder Das Parlamentarische Kontrollgremium hat nach § 1 Abs. 1 des Kontrollgremiumgesetzes (PKGrG)65 die Aufgabe, die Bundesregierung hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz , des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes zu kontrollieren . Hierfür hat es einige besondere Befugnisse, die insbesondere in § 5 PKGrG näher beschrieben sind. Mindestens zweimal pro Wahlperiode erstattet es dem Deutschen Bundestag Bericht über seine Kontrolltätigkeit (§ 13 PKGrG). Das PKGr setzt sich zusammen aus vom Bundestag aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern (§ 2 Abs. 1 PKGrG). Für die Wahl eines jeden Mitgliedes ist die Vereinigung der Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich (§ 2 Abs. 3 PKGrG). Damit haben die Mitglieder des PKGr gegenüber den Mitgliedern der Ausschüsse des Bundestages einen Sonderstatus. Die Mitglieder der Ausschüsse werden von den Fraktionen entsprechend dem Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen benannt (§§ 57 Abs. 2, 12 Satz 1 GO-BT). Das Gremium hingegen „besteht nur aus Mitgliedern, die das Vertrauen nicht nur ihrer Fraktion, sondern des gesamten Plenums besitzen.“66 3.2. Aufgabe des Vertrauensgremiums und Status seiner Mitglieder Das Vertrauensgremium hat die Aufgabe, geheimzuhaltende Wirtschaftspläne zu billigen. Von seiner Billigung kann der Bundestag die Bewilligung von Ausgaben, die nach diesen Wirtschaftsplänen bewirtschaftet werden sollen, abhängig machen (§ 10a Abs. 2 Satz 1 BHO). Das Vertrauensgremium verfügt über die gleichen Rechte wie das PKGr. Die Mitglieder des Vertrauensgremiums werden genau wie die Mitglieder des PKGr gesondert vom Bundestag gewählt (§ 10a Abs. 2 Satz 1 BHO). 3.3. Besonderheiten aus der Aufgabenstellung der Sondergremien Beiden Gremien ist gemein, dass die parlamentarische Kontrolle bzw. das Budgetrecht des gesamten Bundestages für einen bestimmten Ausschnitt, insbesondere in Bezug auf das Bundesamt für Verfassungsschutz, auf diese delegiert wird. Die Mitglieder dieser beiden Gremien übernehmen insoweit stellvertretend für die übrigen Mitglieder des Bundestages die parlamentarische Kontrolle67, die konstituierend ist für die demokratische Legitimation der Tätigkeit des Bundes- 65) Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz – PKGrG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346). 66) Gesetzesbegründung zu dem Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346), Drs. 16/12411, S. 7. 67) Was allerdings nicht bedeutet, dass hierdurch das parlamentarische Fragerecht im Übrigen eingeschränkt würde: BVerfGE 124, 161 [191 f.]. Die von dem Gremium wahrgenommene Kontrollfunktion bleibt eine solche des gesamten Bundestages, die von dem Gremium lediglich wahrgenommen oder ausgeführt wird (Hermes (Fn. 62), Art. 45d, Rn. 34). Das PKGr soll die herkömmliche parlamen- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 15 amtes für Verfassungsschutz. Diese besondere Kontrollaufgabe hat der Verfassunggeber mit dem neuen Artikel 45d mit Verfassungsrang ausgestattet.68 Werden die Mitglieder dieser Gremien vom Bundesamt überwacht oder beobachtet, wird dieser Kontrollzusammenhang in besonders intensiver Weise umgedreht.69 Wenn nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten im allgemeinen bereits „erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG)“ birgt (siehe oben: 2.1.1, S. 8), verschärfen sich diese Gefahren bezüglich derjenigen, denen es als besondere Aufgabe anvertraut worden ist, diese Nachrichtendienste , von denen sie beobachtet werden, zu kontrollieren. Das Wissen um das eigene Beobachtetwerden bzw. des möglichen Beobachtetwerdens, könnte die Unbefangenheit und damit die freie Willensbildung des Kontrolleurs beeinträchtigen. Aus der mit Verfassungsrang ausgestatteten Aufgabenstellung der Sondergremien dürfte sich ein besonderes Gebot zur Zurückhaltung bei der nachrichtendienstlichen Beobachtung ergeben. Will das Bundesamt für Verfassungsschutz über ein Mitglied eines dieser Gremien Informationen erheben oder sammeln oder sieht es sich hierzu veranlasst, müsste es über wesentlich gewichtigere Gründe hierfür verfügen als für die Beobachtung der übrigen Abgeordneten. 3.4. Besonderheiten aufgrund des Status der Gremienmitglieder Anders als die Mitglieder der Ausschüsse, sind die Mitglieder der beiden Sondergremien vom Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt. Zwar wird auch bei Wahlen, die der Bundestag vorzunehmen hat, der Grundsatz der Berücksichtigung des Stärkeverhältnisses der Fraktionen angewandt (§ 12 Satz 2 GO-BT).70 Jedoch bleibt es dem Bundestag unbenommen, bei der Wahl der Mitglieder dieser Gremien – anders als bei der Benennung der Ausschussmitglieder – den Vorschlag einer Fraktion abzulehnen. Aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes, soll es verfassungsrechtlich sogar hinzunehmen sein, dass auch einzelne Fraktionen bei der Besetzung eines solchen Gremiums ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben.71 Das Motiv des Bundestages für eine solche Ablehnung kann insbesondere der Zweifel an der Verfassungstreue des Vorgeschlagenen sein. Wählt der Bundestag eines seiner Mitglieder in diese besonderen Gremien, die nach § 10 Abs. 1 PKGrG zur besonderen Geheimhaltung verpflichtet sind, indiziert dies, dass der Bundestag an der Verfassungstreue dieses Mitgliedes keine Zweifel hat. Darauf weist auch die Begründung zu dem Gesetz zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes vom 29. Juni 2009 hin: Im Zentrum der Kontrolltätigkeit sollen „die ein- tarische Kontrolle ergänzen, nicht ersetzen (Wolff (Fn. 61), S. 180. Es hat im Angelegenheiten der Nachrichtendienste kein Zuständigkeitsmonopol (Kretschmer (Fn. 61), Art. 45d, Rn. 14). 68) So ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu Artikel 45d Abs. 1 GG, Drs. 16/12412, S. 5. 69) Vgl. Möllers (Fn. 20), S. 50. 70) Vgl. einschränkend: BVerfGE 66, 26 [38 f.]; 70, 324 [366]. 71) BVerfGE 70, 324 [366]. Ablehnend: Hermes (Fn. 62), Art. 45d, Rn. 37 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 371/11 Seite 16 zelnen Abgeordneten stehen, die als Mitglieder des Gremiums das Vertrauen des gesamten Bundestages genießen.“72 Auch hieraus ergibt sich, dass nur ganz außergewöhnliche Umstände die Beobachtung eines Mitgliedes dieser Sondergremien rechtfertigen können. 3.5. Auskunftsrecht Nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag Auskunft. Die Auskunft unterbleibt u. a. soweit eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen oder die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde (§ 15 Abs. 2 BVerfSchG). Auch ein Mitglied des Bundestages kann nach § 15 BVerfSchG Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten verlangen. Für die Ablehnung der Auskunft gilt dann dasselbe wie für Jedermann. Auf die Ablehnungsgründe nach § 15 Abs. 2 BVerfSchG kann sich die Bundesregierung nicht berufen, soweit die Auskunft nach § 4 Abs. 1 Satz 2 PKGrG von dem Gremium73 verlangt wird. Das gleiche gilt für Verlangen nach § 5 Abs. 1 und 2 PKGrG. In diesen Fällen kann sie die Unterrichtung , Auskunft oder Akteneinsicht nur im Rahmen des § 6 Abs. 2 PKGrG verweigern und müsste dies dem Gremium gegenüber begründen. 4. Zusammenfassung Aufgrund der besonderen Aufgabenstellung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und des Vertrauensgremiums nach § 10a Abs. 2 BHO sowie des besonderen Status ihrer Mitglieder können nur ganz außergewöhnliche Umstände die Beobachtung eines Mitgliedes dieser Sondergremien durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtfertigen. 72) Drs. 16/12411, S. 7. 73) Sämtliche Eingriffsbefugnisse stehen nur dem Gremium insgesamt und keinesfalls den einzelnen Mitgliedern des Gremiums zu (Gesetzesbegründung zu § 5, Drs. 16/12411).