Deutscher Bundestag Überprüfung von Wahlergebnissen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 3 – 370/09 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 370/09 Seite 2 Überprüfung von Wahlergebnissen Verfasser/in: Ausarbeitung: WD 3 – 370/09 Abschluss der Arbeit: 21. Oktober 2009 Fachbereich: WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 370/09 Seite 3 1. Einleitung Bei dem geschilderten Sachverhalt aus Monterrey/Mexiko handelt es sich um einen Fall der Wahlprüfung. Die nachfolgenden Ausführungen behandeln die Frage, wie ein solcher Fall nach deutschem Recht zu behandeln wäre. Geschildert werden die einschlägigen Bestimmungen des Wahlrechts und ihr Verhältnis zum Informationsfreiheitsgesetz sowie zum Petitionsrecht. 2. Wahlrecht Die Überprüfung der Gültigkeit der Bundestagswahl ist nach Art. 41 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Sache des Bundestages. Gegen dessen Entscheidung gibt es nur noch die Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht (vgl. Art. 41 Abs. 2 GG). Andere Möglichkeiten, die Ungültigkeit der Wahl geltend zu machen, gibt es nicht (Ausschließlichkeitsprinzip).1 Auch im Vorfeld der Wahl ist nur in sehr eingeschränktem Maße Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, möglich (vgl. § 49 Bundeswahlgesetz [BWahlG]). So hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, zuletzt in einem Beschluss vom 31. Juli 20092, Anträge auf Eilrechtsschutz mit der Begründung abgewiesen, Rechtsschutz sei erst nach der Wahl zu erlangen. Hinter dem Institut der Wahlprüfung stehen zwei Grundgedanken: Einerseits soll die richtige, d.h. gesetzmäßige Zusammensetzung des Parlaments gewährleistet sein; deshalb die Möglichkeit der Überprüfung der Bundestagswahl auf Rechtsfehler. Andererseits soll im Hinblick auf die Kompliziertheit des Wahlvorgangs, die weitreichenden Auswirkungen von Eingriffen, die Aufwändigkeit von Wiederholungswahlen sowie die verfassungspolitische und –rechtliche Stellung und Arbeitsfähigkeit des Bundestags der Bestand der Wahl möglichst aufrecht erhalten werden; deshalb die Monopolisierung der Wahlprüfung bei Bundestag und Bundesverfassungsgericht. Der Gedanke der Wahlbestandssicherung ist auch der Grund dafür, dass Einsprüche gegen die Wahl nicht schon dann erfolgreich sind, wenn ein Wahlfehler festgestellt wird. Vielmehr muss der Verstoß gegen eine Wahlrechtsvorschrift auch auf die Sitzverteilung von Einfluss sein oder sein können. „Dabei darf es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln; sie muss eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fern liegende sein.“3 Nur soweit solch eine Mandatsrelevanz gegeben ist, greifen Bundestag oder Bundesverfassungsgericht in den Bestand der Wahl ein. Deshalb kann die Wahl auch nur dann ganz oder teilweise für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet werden, wenn eine Korrektur des unrichtigen Wahlergebnisses nicht möglich ist. Dafür ist – im Gegensatz zu den meisten anderen Rechtsschutzverfahren – für den Erfolg eines Einspruchs nicht erforderlich, dass der Einspruchsführer durch den Wahlfehler gerade in eigenen subjektiven Rechten verletzt wird. Hier tritt wieder der letztlich im Demokratieprinzip wurzelnde Gedanke, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Bundestages zu gewährleisten, in den Vordergrund. 1 Leisner, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz, 2009, Art. 41 Rn. 4. 2 BVerfG, 2 BvQ 45/09 vom 31.7.2009, http://www.bverfg.de/entscheidungen/qk20090731_2bvq004509.html 3 BVerfGE 89, 291 (304). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 370/09 Seite 4 Einspruch beim Bundestag kann binnen zwei Monaten nach dem Wahltag jeder Wahlberechtigte, jede Gruppe von Wahlberechtigten und in amtlicher Eigenschaft jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Präsident des Bundestages einlegen (§ 2 Abs. 2 und 4 Wahlprüfungsgesetz [WahlprüfG]). Der Präsident des Bundestages kann auch nach Ablauf dieser Frist Einspruch einlegen, wenn ihm in amtlicher Eigenschaft Umstände bekannt werden, die einen Wahlmangel begründen könnten (§ 2 Abs. 4 Satz 2 WahlprüfG). Die Entscheidung des Bundestags wird durch den Wahlprüfungsausschuss vorbereitet (§ 3 Abs. 1 WahlprüfG), der dem Bundestag eine Entscheidung vorschlagen muss (§ 11 Satz 1 WahlprüfG). Dieser beschließt über den Antrag des Ausschusses mit einfacher Mehrheit (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WahlprüfG). Gegen den Beschluss des Bundestages über die Gültigkeit der Wahl kann – wie gesehen – Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt werden. Beschwerdeberechtigt ist jeder Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, jeder Wahlberechtigte, dessen Einspruch vom Bundestag verworfen worden ist, sofern ihm mindestens einhundert Wahlberechtigte beitreten, jede Fraktion des Bundestages und jede Minderheit des Bundestages, die mindestens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfasst (vgl. § 48 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz [BVerfGG]). Der Kreis der Beschwerdeberechtigten weicht also von dem der Einspruchsberechtigten ab. Gegenstand der Wahlprüfung ist das gesamte Wahlverfahren von der Wahlvorbereitung (insbesondere Kandidatenaufstellung) über die Wahlhandlung (Stimmabgabe) bis zur Feststellung des Wahlergebnisses. Dabei können nicht nur die Maßnahmen amtlicher Wahlorgane auf den Prüfstand geraten, sondern auch Maßnahmen Dritter, die, wie etwa Parteien bei der Kandidatenaufstellung , unter Bindung an wahlgesetzliche Anforderungen kraft Gesetzes Aufgaben bei der Wahlorganisation erfüllen. Prüfungsmaßstab sind sämtliche Wahlvorschriften, also sowohl die verfassungsmäßig niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) als auch die Vorschriften des BWahlG und der Bundeswahlordnung (BWahlO). Erfolgreich ist ein Einspruch bzw. eine Beschwerde, wie bereits dargelegt, aber nur dann, wenn der Wahlfehler auf die Sitzverteilung konkret von Einfluss ist oder sein kann. 3. Informationsfreiheitsgesetz Die wichtigsten Funktionen bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen zum Bundestag sind eigens für diesen Zweck gebildeten Wahlorganen übertragen, die außerhalb der allgemeinen Verwaltungsorganisation stehen. Als eine Art Selbstverwaltungsorgane der Wahlberechtigten nehmen sie Aufgaben des Bundes wahr und üben dessen Hoheitsgewalt aus. Sie stehen außerhalb der üblichen Organisation der Verwaltung auf Bundes- und Länderebene. Sie sind keine Behörden im Sinne des § 1 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), die öffentlichrechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Es besteht danach kein Anspruch auf Auskunftserteilung oder Akteneinsicht nach § 29 VwVfG.4 Auch der „Jedermann-Anspruch“ gegenüber Bundesbehörden auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) kann deshalb für eine Akteneinsicht nicht herangezogen werden. Das IFG erfasst nicht die Tätigkeit selbständiger und von sachlichen Weisungen der staatlichen Exekutive unabhängiger Wahlorgane des Bundes und die bei ihnen anfallenden Informationen. Auch das BWahlG und die BWahlO können insoweit nicht herangezogen werden, da sie keine einschlägigen Informationszugangsregelungen enthalten (vgl. § 1 Abs. 3 IFG). 4 Schreiber, Bundeswahlgesetz, 8. Auflage 2009, § 8 Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 – 370/09 Seite 5 4. Petitionsrecht Gemäß Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Die Behandlung der an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt nach Art. 45c GG einem vom Bundestag bestellten Petitionsausschuss. Petitionen sind formlose Rechtsbehelfe.5 Soweit sich eine Beschwerde gegen das Wahlverfahren (etwa Vorbereitung und Durchführung der Wahl, Stimmenauszählung) richtet und die Möglichkeit einer Wahlprüfung besteht, ist nicht der Petitionsausschuss zuständig, sondern ausschließlich der Wahlprüfungsausschuss .6 Anträge auf Auskunftserteilung und Akteneinsicht gegenüber staatlichen Stellen (Informationsfreiheit ) unterfallen ebenfalls nicht dem Petitionsrecht, sondern dem Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, die nach Maßgabe der allgemeinen Gesetze gilt (Art. 5 Abs. 2 GG). Ein Bedürfnis, über das Petitionsrecht die Informationsfreiheit zu gewährleisten , besteht nicht, da das Bedürfnis nicht auf die Erfüllung eines Sachbegehrens gerichtet ist.7 Im Übrigen verpflichtet das Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses (Gesetz nach Art. 45c GG) nur die Bundesregierung und die Behörden des Bundes zu Aktenvorlage und Auskunftserteilung gegenüber dem Petitionsausschuss. Wie oben unter Ziffer 3 dargelegt, handelt es sich bei den Wahlorganen aber nicht um Behörden im Sinne des VwVfG. 5 Sodan, in: Sodan (Fn. 1), Art. 17 Rn. 2. 6 Vgl. Fn. 1. 7 Pagenkopf, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Auflage 2009, Art. 17 Rn. 19.