Rechtliche Zulässigkeit der Privatisierung - Ausarbeitung - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 - 363/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Rechtliche Zulässigkeit der Privatisierung Ausarbeitung WD 3 - 363/06 Abschluss der Arbeit: 02.10.2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - Zusammenfassung - Es gibt vier verschiedene Formen der Privatisierung. Diese sind die formelle, die materielle und die funktionale Privatisierung sowie die Vermögensprivatisierung. Allgemeine rechtliche Vorgaben für alle Privatisierungsmaßnahmen gibt es nicht. Das Grundgesetz enthält weder ein Privatisierungsgebot noch ein Privatisierungsverbot. Daher ist auch im Bereich der Daseinsvorsorge die Privatisierung in der Regel zulässig. Jedoch gibt es auch Grenzen der Privatisierung. So sind bestimmte Staatsaufgaben nicht privatisierungsfähig sind. Dazu zählen zum Beispiel die Selbstorganisation des Staates und der Justizgewährungsanspruch. Rechtliche Möglichkeiten des Einzelnen gegen eine Privatisierung vorzugehen, sind nicht ersichtlich. Inhalt 1. Einleitung 4 2. Privatisierung 4 2.1. formelle Privatisierung/Organisationsprivatisierung 4 2.2. materielle Privatisierung 4 2.3. funktionale Privatisierung 5 2.4. Vermögensprivatisierung 5 3. Rechtliche Zulässigkeit der Privatisierung 5 4. Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen 7 - 4 - 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung soll die Frage beantworten, ob die für das Gemeineigentum verantwortlichen Parlamente und Verwaltungen befugt sind, öffentliches Eigentum nach Belieben zu veräußern. Zudem soll darauf eingegangen werden, ob der einzelne Bürger gegen eine Veräußerung des öffentlichen Eigentums, das seiner Daseinsvorsorge dient, rechtlich vorgehen kann. Die Veräußerung öffentlichen Eigentums stellt eine Form der Privatisierung dar. Gefragt ist damit nach der rechtlichen Zulässigkeit der Privatisierung. In diesem Zusammenhang sind auch Rechtschutzmöglichkeiten des Einzelnen darzulegen. 2. Privatisierung Im Einzelnen ist zwischen verschiedenen Formen von Privatisierung zu untersche iden1. Im Schrifttum werden heute im Wesentlichen vier Grundmodelle von Privatisierungstypen unterschieden2. Zu nennen ist dabei neben der formellen und materiellen Privatisierung auch die funktionale Privatisierung und die Vermögensprivatisierung. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. 2.1. Formelle Privatisierung/Organisationsprivatisierung Bei einer formellen Privatisierung, auch Organisationsprivatisierung genannt3, bedient sich der Verwaltungsträger zur Wahrnehmung seiner Aufgaben der Formen des Priva trechts mittels Schaffung einer Eigengesellschaft (GmbH oder AG)4. 2.2. Materielle Privatisierung Bei der materiellen Privatisierung geht es um die vollständige Übertragung öffentlicher Aufgaben und Einrichtungen auf private Unternehmen. Das heißt, dass der Staat oder 1 Hans Peter Bull/Veith Mehde, in: Hans Peter Bull/Veith Mehde (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 7. Aufl., Heidelberg 2005, S. 163, Rdnr. 367. 2 Friedrich Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl). 1994, S. 962 ff., 962. 3 Paul Stelkens/Herbert Schmitz, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz Kommentar, 6. Aufl., München 2001, § 1 Rdnr. 104. 4 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 ff., 962. - 5 - die Kommunen sich von der Wahrnehmung einer Aufgabe trennen5. Güter oder Diens tleistungen , die ursprünglich vom Staat oder Kommunen angeboten wurden, werden künftig von privaten Wirtschaftssubjekten hergestellt oder angeboten. Im weiteren Sinne lässt sich die Privatisierung der Bundesbahn und der Bundespost als Übergangsform zwischen Organisations- bzw. formeller und materieller Privatisierung einordnen. Die öffentliche Hand zieht sich zumeist aus den materiellen privatisierten Bereichen nicht vollständig zurück, sondern behält sich dort auch weiterhin bestimmte Einflussmöglichkeiten vor6. 2.3. Funktionale Privatisierung Bei diesem Modell ist es so, dass Aufgabenzuständigkeit und Aufgabenverantwortung bei den öffentlichen Verwaltungsträgern bleiben, aber der Vollzug der Aufgabe - Leistungserstellung bzw. Aufgabendurchführung - auf ein echtes Privatsubjekt (natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts) übertragen wird7. 2.4. Vermögensprivatisierung Mit der Vermögensprivatisierung ist die Übertragung staatlichen oder kommunalen Eigentums auf Private gemeint. Nach diesem Modell wird vor allem auf Bundesebene verfahren8. Bei der Vermögensprivatisierung sind staatliche oder kommunale Aufgaben nicht betroffen9. 3. Rechtliche Zulässigkeit der Privatisierung Allgemeingültige rechtliche Vorgaben, die bei allen Privatisierungsentscheidungen stets zu beachten wären, gibt es nicht10. Im Schrifttum wird betont, dass die Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, was die konkrete Entscheidungsfindung betrifft, im Einze l- 5 P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), § 1 Rdnr. 109. 6 Bull/ Mehde, in: Bull/ Mehde (Hrsg.), S. 163, Rdnr. 367. 7 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 ff., 963. 8 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 ff., 963. 9 Georg Sandberger (2005), Gutachtliche Stellungnahme zu Rechtsfragen der Privatisierung des Universitätsklinikum Gießen-Marburg, http://209.85.129.104/search?q=cache:BB7ixvJjFo4J:www.unigiessen .de/uni/informationen/Gutachten_Sandberger.pdf+Sandberger+Privatisierung&hl=de&gl=de &ct=clnk&cd=1&client=firefox-a (Stand 29.9.2006). 10 Thomas Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Rechtliche Grenzen und rechtliche Möglichkeiten , Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 2001, S. 110 ff., 110. - 6 - fall zu diskutieren sei11. Das Grundgesetz enthält weder ein allgemeines Privatisierungsgebot noch ein allgemeines Privatisierungsverbot12. Festzuhalten ist, dass es bestimmte Grenzen der Privatisierung gibt13. Bestimmte Staatsaufgaben sind nicht privatisierungsfähig. Dazu zählen die klassischen Staatsaufgaben wie zum Beispiel die Selbstorganisation des Staates und der Justizgewährungsanspruch 14. Auch die Aufgabe der Untersuchung gefährlicher Ereignisse im Bereich der Eisenbahn kann nicht privatisiert werden, weil die Eisenbahnaufsicht und Gefahrenabwehr no twendige Staatsaufgaben sind15. Der Bereich der sogenannten Daseinsvorsorge des Staates kann privatisiert werden. Das Verfassungsrecht zwingt den Staat nicht generell dazu, in eigener Verantwortung die Aufgabe etwa der Abfallentsorgung, der Abwasserbeseitigung oder der Wasserversorgung zu übernehmen. Allenfalls besondere Bereiche, die lebenswichtig für die Versorgung der Bevölkerung sind, können hier dem Staat vorbehalten bleiben16. Bestätigt wird dies durch Art. 87 e und Art. 87 f Grundgesetz17 (GG), die für die Bahn, Post und Telekommunikation als wichtige Teilbereiche der Daseinsvorsorge die Ermächtigung zur Teil- oder Vollprivatisierung vorsehen. Das heißt, dass der Staat nicht mehr die Betriebspflicht hat, er aber ein ausreichendes Versorgungsangebot gewährleisten muss18. Auch das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 S. 1 GG), das die Wahrnehmung lebensnotwendiger Dienstleistungen durch den Staat nahe legt, gibt nach der Verfassung keine zwingende Betriebspflicht vor, sondern lässt als alternative auch die Wahrnehmung 11 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 ff., 967,973. 12 Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Rechtliche Grenzen und rechtliche Möglichkeiten, DÖV 2001, S. 110 ff., 110. 13 P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), § 1 Rdnr. 102. 14 P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), § 1 Rdnr. 102. 15 P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), § 1 Rdnr. 103. 16 Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: rechtliche Grenzen und rechtliche Möglichkeiten, DÖV 2001, S. 110 ff., 112. 17 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, vom 23. Mai 1949, zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 96) vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2863). 18 Georg Sandberger (2005), Gutachtliche Stellungnahme zu Rechtsfragen der Privatisierung des Universitätsklinikum Gießen-Marburg, http://209.85.129.104/search?q=cache:BB7ixvJjFo4J:www.unigiessen .de/uni/informationen/Gutachten_Sandberger.pdf+Sandberger+Privatisierung&hl=de&gl=de &ct=clnk&cd=1&client=firefox-a (Stand 29.9.2006). - 7 - durch nicht staatliche Träger unter der Gewährleistungsverpflichtung der öffentlichen Hand zu19. Auch aus Grundrechten ergeben sich weder allgemeine Privatisierungsgebote noch Privatisierungsverbote20. Vom Grundgesetz her gesehen, ist festzuhalten, dass eine Privatisierung vom bundeseigenen Unternehmen in der Regel zulässig ist. 4. Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen Da die Privatisierung in der Regel rechtlich zulässig ist, wird der Einzelne dagegen kaum erfolgreich rechtlich vorgehen können, wenn der Bund öffentliches Eigentum veräußert, das der Daseinsvorsorge dient. 19 Georg Sandberger (2005), Gutachtliche Stellungnahme zu Rechtsfragen der Privatisierung des Universitätsklinikum Gießen-Marburg, http://209.85.129.104/search?q=cache:BB7ixvJjFo4J:www.unigiessen .de/uni/informationen/Gutachten_Sandberger.pdf+Sandberger+Privatisierung&hl=de&gl=de &ct=clnk&cd=1&client=firefox-a (Stand 29.9.2006). 20 Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl. 1994, S. 962 ff., 971.