© 2018 Deutscher Bundestag WD 3 - 3000 - 360/18 Stilllegung von Kohlekraftwerken Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Ein Genehmigungsanspruch für Kraftwerke besteht, wenn die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erfüllt sind und andere öffentlichrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen, § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Ein Kohlekraftwerksbetreiber kann, wenn er die Anforderungen des Immissionsschutzrechts einhält, ein Kohlekraftwerk nach eigenem Ermessen solange betreiben, wie er es wirtschaftlich für sinnvoll hält. Für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung müsste der Gesetzgeber eine spezielle Befristung der Betriebsgenehmigungen oder eine Widerrufsmöglichkeit einführen.2 3. Verfassungsmäßigkeit Der Bundesgesetzgeber ist nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG für Angelegenheiten der Energiewirtschaft im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung gesetzgebungsbefugt. Dieser Regelungsgegenstand umfasst die Energiegewinnung aus sämtlichen Energiequellen.3 Das Gesetzgebungsrecht auf diesem Gebiet hat nach Art. 72 Abs. 2 GG der Bund jedoch nur, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht“. Davon kann bei der einheitlichen Regelung zur Abschaltung aller Kohlekraftwerke zur deutschlandweiten Reduzierung der Kohlenstoffdioxidemissionen ausgegangen werden. In energiepolitischen Fragen ist der Gesetzgeber in weitem Umfang regelungsbefugt und darf seine Ziele aufgrund von Neubewertungen frei anpassen.4 Ein Gesetz müsste aber in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungsgemäß sein. Es müsste also insbesondere mit den Grundrechten vereinbar sein. Bei einer Stilllegung könnten aus Sicht der betroffenen Kraftwerksbetreiber das Eigentumsrecht nach Art. 14 GG, das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG, sowie der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG berührt sein. 1 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris. 2 So auch Däuper/Michaels: Ein gesetzlicher Ausstieg aus der Kohleverstromung vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zum Atomausstieg, EnWZ 2017, S. 213. 3 Pieroth in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 74 Rn. 25. 4 Vgl. BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 283. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 4 3.1. Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG 3.1.1. Eingriff in den Schutzbereich Personell erfasst der Schutzbereich der Eigentumsgarantie inländische natürliche und juristische Personen, die nicht in staatlicher Hand stehen. Sachlich ist eine von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition jedes durch den Gesetzgeber gewährte konkrete vermögenswerte Recht.5 Vom Schutz umfasst ist das zivilrechtliche Sacheigentum, dessen Besitz sowie die Möglichkeit, es zu nutzen. Danach genießen die Betreiber von Kohlekraftwerken verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz an den Werksgrundstücken und den Kraftwerksanlagen sowie an der Nutzbarkeit dieser Betriebsanlagen.6 Umstritten ist, ob auch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 6 BImSchG ein von Art. 14 GG geschütztes Eigentumsrecht ist. Nach einer Ansicht ist dies der Fall. Hiernach käme der Genehmigung eine zielgerichtete Schutzfunktion für die getätigten Investitionen in die Anlage zu. Sie diene dem Schutz von Leistungen, die der Anlagenbetreiber in Ausnutzung der Genehmigung selbst erbracht habe. Dies zeige sich in den Bestimmungen der §§ 13, 14, 17 BImSchG, die den Genehmigungsinhaber vor späteren Einwendungen gegen den Betrieb der Anlage schützten und nachträgliche behördliche Anordnungen nur unter bestimmten Voraussetzungen gestatteten.7 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unterfallen solche Genehmigungen dagegen nicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG.8 Hiernach unterfielen dem Eigentumsschutz nur staatliche Erlaubnisse , die durch Einsatz von Kapital und Arbeit erworben wurden und ein Äquivalent eigener Leistung darstellen. Dies sei auch dann nicht der Fall, wenn die Genehmigung erst nach erheblichen Investitionen des Anlagenbetreibers in Grundstück und Anlage erteilt worden sei. Weitergehender verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz über die Rechtsfigur des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs besteht nicht. Der Schutz geht jedenfalls nicht weiter als der der Anlagen an sich und erfasst nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern des Betriebs. Bloße Umsatz- und Gewinnchancen für die Zukunft werden auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst.9 5 BVerfGE 58, 300 (336). 6 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 228. 7 Klinski: Juristische und finanzielle Optionen der vorzeitigen Abschaltung von Kohlekraftwerken, Rechtsgutachten im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz, März 2015 S. 21; abrufbar unter: http://institut-ina.de/wp-content/uploads/2015/09/2015_09_Klinski-Rechtsgutachten-Kohlausstieg -IZES-Studie.pdf (Stand: 31.10.2018). 8 Vgl. ausführlich zu atomrechtlichen Genehmigungen: BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 231 f. 9 Vgl. BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 240. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 5 Ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht liegt also jedenfalls bei allen Instrumenten vor, die die genehmigte Nutzung der Anlagen eines Kraftwerks aufheben oder einschränken.10 Bei einer gesetzlich angeordneten Stilllegung von Kohlekraftwerken wäre ein solcher Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG gegeben. Dieser könnte eine Enteignung gemäß Art. 14 Abs. 3 GG oder eine Inhaltsund Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellen: 3.1.1.1. Enteignung Eine Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 GG stellt die Stilllegung von Kohlekraftwerken nicht dar. Diese setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben dem Entzug des Eigentums auch eine Güterbeschaffung zugunsten der öffentlichen Hand oder eines sonst Enteignungsbegünstigten voraus.11 Eine solche ist bei der kompletten Stilllegung nicht gegeben. Lediglich im Sonderfall der Zuweisung einer strategischen Reservefunktion eines stillgelegten Kraftwerks wären wahrscheinlich die weitergehenden Anforderungen von Art. 14 Abs. 3 GG zu erfüllen.12 3.1.1.2. Inhalts- und Schrankenbestimmung Es würde sich bei der gesetzlichen Stilllegung von Kraftwerken daher um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG handeln. In diesem Rahmen ist es dem Gesetzgeber möglich, neue Rechte einzuführen und das Entstehen von bisher möglichen Rechten für die Zukunft ausschließen. Die Eigentumsgarantie gebietet auch nicht, einmal ausgestaltete Rechtspositionen für alle Zukunft in ihrem Inhalt unangetastet zu lassen. Selbst die völlige Beseitigung bisher bestehender, durch die Eigentumsgarantie geschützter Rechtspositionen kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Die Gründe des öffentlichen Interesses, die für einen solchen Eingriff sprechen, müssen so schwerwiegend sein, dass sie Vorrang haben vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand seines Rechts. Auch das zulässige Ausmaß des Eingriffs hängt vom Gewicht des dahinterstehenden öffentlichen Interesses ab.13 Dies ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu beachten. 3.1.2. Verhältnismäßigkeit Einschränkungen des Grundrechts auf Eigentum, die keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG darstellen, können grundsätzlich auf jegliche vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gestützt werden. Bei der Eigentumsgarantie ist dabei vor allem die Sozialbindung des Eigentumsgegenstandes zu berücksichtigen.14 Mit der Stilllegung könnte der Gesetzgeber die Zielsetzung verfolgen, die Treibhausgasemissionen zu mindern. Hierbei könnte er sich auf das Staatsziel Umweltschutz aus Art. 20a GG als herausragendes Gemeinwohlziel von Verfassungsrang stützen. 10 BVerfG, Urteil vom 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 –, juris Rn. 228 f. 11 Vgl. zur Stilllegung von Atomkraftwerken: BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 243 ff. 12 Klinski: Klimaschutz versus Kohlekraftwerke – Spielräume für gezielte Rechtsinstrumente, NVwZ 2015, S. 1475. 13 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 269. 14 BVerfG, Urteil vom 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 –, juris Rn. 218. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 6 Es geht bei der Klimaschutzpolitik um den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. In Betracht kommt zudem der Gesundheitsschutz der Bevölkerung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Durch diese Rechtsgüter mit Verfassungsrang können potentiell auch schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt sein. Die Maßnahme müsste jedoch zunächst geeignet sein, die angestrebten Ziele zu erreichen. Geeignet ist die Maßnahme, wenn mit ihr der verfolgte Zweck zumindest gefördert werden kann. Dem Gesetzgeber steht dabei ein relativ großer politischer Einschätzungsspielraum zu. Es reicht aus, dass die jeweilige Maßnahme der gesetzlichen Zielsetzung überhaupt förderlich ist.15 Eine Stilllegung von Kohlekraftwerken wäre in diesem Sinne geeignet, die Minderung des Schadstoffausstoßes und die damit einhergehenden Verminderungen von Gesundheits- und Umweltgefahren jedenfalls zu fördern. Feste Abschalttermine können die endgültige Beendigung der Kohleenergienutzung schneller , als nach der bisherigen Rechtslage möglich ist, herbeiführen.16 Das Vorhandensein anderer Emissionsquellen in Deutschland sowie die weitere Existenz von Kohlekraftwerken in angrenzenden Staaten wären hierbei unschädlich. Deutschland kann nur auf eigenem Gebiet Regelungen treffen. Zur Reduzierung des CO₂-Ausstoßes in Deutschland trüge der Kohleausstieg bei.17 Darüber hinaus müsste die Maßnahme zur Erreichung der genannten Ziele auch erforderlich sein. Dafür müsste der Gesetzgeber unter mehreren geeigneten Mitteln dasjenige auswählen, das bei gleicher Wirkung und Wirksamkeit den am wenigsten belastenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen zur Folge hat.18 Die Stilllegung von Kohlekraftwerken wäre demnach auch erforderlich. Zwar ist sie etwa gegenüber anderen möglichen Instrumenten, etwa dem Verbot neuer Kohlekraftwerke , mengenbezogener Begrenzungen oder Erhöhung von technischen Anforderungen19, der weiterreichende Eingriff. Im Vergleich zu konkret festgesetzten Ablaufdaten bis zur Stilllegung wären diese aber insgesamt weniger wirksam. Die Abschaltung der Kohlekraftwerke müsste sich ferner als angemessen erweisen. Eine Maßnahme ist angemessen, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.20 Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist zu beachten, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für Beschränkungen des Eigentums umso größer ist, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts ist; 15 BVerfGE 121, 317 (354). 16 So BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 286 zur Kernenergienutzung. 17 Vgl. Becker, Büttner, Held: Ein Kohleausstieg nach dem Vorbild des Atomausstiegs? Eine juristische Analyse des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2016. Studie im Auftrag von Agora Energiewende, S. 18; abrufbar unter: https://www.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2015/Kohlekonsens/Agora_Rechtsgutachten -Kohlekonsens_WEB.PDF (Stand 31.10.2018). 18 BVerfGE 121, 317 (354). 19 Vgl. zu weiteren möglichen Instrumenten: Klinski: Klimaschutz versus Kohlekraftwerke – Spielräume für gezielte Rechtsinstrumente, NVwZ 2015, S. 1474; Rodi: Kohleausstieg – Bewertung der Instrumentendebatte aus juristischer und rechtspolitischer Sicht, EnWZ 2017, S. 198 ff. 20 Vgl. BVerfGE 113, 167 (260). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 7 hierfür sind dessen Eigenart und Funktion von entscheidender Bedeutung.21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei der Sozialbezug etwa bei der Kernenergie als Hochrisikotechnologie mit extremen Schadensrisiken besonders groß und somit der Spielraum des Gesetzgebers besonders weit.22 Eine vergleichbare Hochrisikotechnologie stellt die Kohlekraft zwar nicht dar; jedoch gehen von ihr nicht unerhebliche Umwelteinwirkungen mit den einhergehenden Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt selbst aus. Ferner kommt ihr eine enorme Bedeutung für die Deckung des Energiebedarfs in Deutschland zu. Der Kohlekraft kommt damit eine erhebliche Sozialbezogenheit zu, weshalb dem Gesetzgeber in diesem Bereich auch ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht.23 Er hat die schutzwürdigen Interessen der Eigentümer und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.24 Hierbei stehen sich die Eigentumsfreiheit der Kraftwerksbetreiber auf der einen Seite und der Gesundheitsschutz und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auf der anderen Seite gegenüber. Der Gesetzgeber müsste, etwa durch die Schaffung von Übergangsregelungen oder gestaffelten Stilllegungsterminen, einen schonenden Übergang schaffen. Im Einzelfall können auch weitergehende Ausgleichsmaßnahmen nötig sein. Zu beachten sind hierfür die folgenden Gesichtspunkte : 3.1.2.1. Investitionsschutz In bestimmten Fällen müsste den in die Anlagen investierten Mitteln besondere Beachtung zukommen . Zwar erfasst der Art. 14 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung ausdrücklich keine Umsatzund Gewinnaussichten.25 Auch besteht kein Recht darauf, „von Neuregelungen verschont zu bleiben, bis einmal getätigte Investitionen sich vollständig amortisiert haben“26. Schutzwürdig ist aber ein durch Investitionen betätigtes, aus einem gesetzlichen Vertrauenstatbestand abgeleitetes Vertrauen.27 Deshalb kann es im Einzelfall nötig sein, für erst vor Kurzem getätigte Investitionen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes, die gerade die Einhaltung der geltenden immissionsschutzrechtlichen Regelungen und damit den Weiterbetrieb gewährleisten sollten, eine Ausgleichsregelung zu schaffen.28 21 BVerfGE 100, 226 (241). 22 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 219, 297. 23 So auch Däuper/Michaels: Ein gesetzlicher Ausstieg aus der Kohleverstromung vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zum Atomausstieg, EnWZ 2017, S. 213. 24 BVerfGE 100, 226 (240). 25 BVerfGE 74, 129 (148). 26 BVerwG in NVwZ 2009, S. 1443 zum Verbot von Käfighaltung bei Legehennen aus Tierschutzgründen. 27 BVerwG in NVwZ 2009, S. 1444. 28 Vgl. Däuper/Michaels: Ein gesetzlicher Ausstieg aus der Kohleverstromung vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zum Atomausstieg, EnWZ 2017, S. 216. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 8 3.1.2.2. Vertrauensschutz Ferner ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen, der in Art. 14 Abs. 1 GG für vermögenswerte Güter eine eigene Ausprägung erfahren hat.29 Das Eigentumsgrundrecht schützt damit auch berechtigtes Vertrauen in den Bestand der Rechtslage als Grundlage von Investitionen in das Eigentum und seiner Nutzbarkeit. Ob und inwieweit ein solches Vertrauen berechtigt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.30 Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung begründen etwa bereits geschaffene Übergangsvorschriften einen besonderen Vertrauenstatbestand und können nur unter besonderen Voraussetzungen wieder geändert werden.31 Entsprechende Regelungen wurden in Bezug auf den Kohleausstieg bislang jedoch nicht erlassen, sodass kein besonderes Vertrauen der Kohlekraftwerkbetreiber in den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage begründet wurde. Fraglich ist also, ob und inwieweit die Anlagenbetreiber ein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage haben könnten. Entscheidend ist insoweit die konkrete Vertrauensposition, deren Bedeutung mit zunehmender Betriebsdauer und erfolgter Ausnutzung der jeweiligen Genehmigung abnimmt.32 Bei älteren Anlagen, deren Investitionen nach Ablauf der Abschreibungszeit amortisiert sind, kann der Vertrauensschutz daher nur noch eine geringe Rolle spielen. Einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kommt grundsätzlich eine Schutzfunktion für das in den Bestand der Genehmigung gesetzte Vertrauen zu. Die Vertrauensschutzwirkung ist aber von vornherein auf das in § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG angesprochene Immissionsschutzrecht im engeren Sinne beschränkt.33 Die Kraftwerksbetreiber können allein aus der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht darauf schließen, dass es der Gesetzgeber auf unbestimmte Zeit unterlässt, Einfluss darauf zu nehmen, auf welche Energieträger die zukünftige Stromversorgung gestützt werden soll. Hier haben auch die politischen Entwicklungen, die gesellschaftliche Debatte über Klimaschutz und Emissionsreduktion sowie der präsente Ausbau erneuerbarer Energien einen Einfluss auf die noch berechtigte Erwartungshaltung von Kohlekraftwerkbetreibern, die verstärkt mit Änderungen zu rechnen haben.34 Das generelle Vertrauen in die unbefristet erteilten Betriebsgenehmigungen müsste bei der Gesetzesgestaltung aber berücksichtigt und im Einzelfall durch entsprechende Übergangsregelungen oder auch durch andere Ausgleichsmaßnahmen abgefedert werden. 29 Vgl. BVerfGE 36, 281 (293). 30 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 372. 31 So zum Atomkonsens BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 344. 32 Vgl. BVerfGE 72, 175 (196). 33 Vgl. BVerwG in NVwZ 2009, S. 1442. 34 Vgl. Däuper/Michaels: Ein gesetzlicher Ausstieg aus der Kohleverstromung vor dem Hintergrund des Urteils des BVerfG zum Atomausstieg, EnWZ 2017, S. 217; Schröder: Verfassungsrechtlicher Investitionsschutz beim Atomausstieg , NVwZ 2013, S. 109. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 9 3.1.3. Verbotenes Einzelfallgesetz Im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Regelung ein nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbotenes Einzelfallgesetz wäre. Nach dieser Vorschrift muss ein Gesetz, durch welches ein Grundrecht eingeschränkt wird, allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Hier ginge es um die Stilllegung ganz konkreter Kraftwerke, also mehrerer „Einzelfälle“. Das Bundesverfassungsgericht interpretiert die Vorschrift aber einschränkend dahin, dass dem Gesetzgeber lediglich verboten wird, aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte willkürlich einen Fall herauszugreifen.35 Sofern der Gesetzgeber also eine Regelung trifft, die für einzelne Kraftwerke begründet differenziert, kann darin keine verbotene Einzelfallregelung liegen.36 Ein solches Gesetz greift nicht einzelne Fälle heraus, sondern regelt abschließend die verbleibenden Fälle. Die Willkür einer gesetzlichen Einzelfallregelung, vor der Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG schützen will, wäre daher nicht gegeben.37 3.2. Berufsfreiheit nach Art. 12 GG Ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG liegt vor, soweit eine Regelung darauf gerichtet ist, eine bestimmte berufliche Tätigkeit zu untersagen, den Zugang zum Beruf zu beschränken oder den Beruf in bestimmter Weise auszuüben. In Abgrenzung zur Eigentumsfreiheit schützt die Berufsfreiheit nicht den bereits erworbenen Bestand, sondern die Möglichkeiten des (künftigen) Erwerbs durch berufliche Betätigung.38 Bei einer Regelung, nach der die Herstellung von Strom aus Kohle letztlich generell nicht mehr zulässig ist, wird eine bisher vorhandene Art der beruflichen Tätigkeit abgeschafft. Je nachdem, ob man das Berufsbild des Kohlekraftwerkbetreibers als eigenständigen Beruf qualifiziert oder nicht, handelt es sich hier entweder um eine Berufswahlregelung oder eine objektive Berufsausübungsregelung. Diese Zuordnung kann aber dahinstehen, weil die gesetzgeberischen Ziele des Gesundheits- und Klimaschutzes als herausragende Gemeinwohlziele von Verfassungsrang in beiden Fällen geeignet sind, einen Eingriff zu rechtfertigen. Bezüglich der Verhältnismäßigkeit gilt das bereits zu Art. 14 Abs. 1 GG ausgeführte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann der Schutzgehalt des Art. 12 GG im Fall der unternehmerischen Betätigung nicht weiter gehen als der Eigentumsschutz bei beruflicher Nutzung nach Art. 14 GG.39 Eine gesetzliche Stilllegung von Kraftwerken kann je nach ihrer konkreten Ausgestaltung auch mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar sein. 35 BVerfGE 25, 371 (399). 36 So für den Parallelfall der Laufzeitbegrenzungen beim Atomausstieg: Bruch/Greve: Atomausstieg 2011 als Verletzung der Grundrechte der Kernkraftwerksbetreiber?, DÖV 2011, S. 799. 37 So BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 393 zum Atomausstieg. 38 BVerfGE 88, 366 (377). 39 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 391. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 10 3.3. Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist betroffen, wenn ihrem Wesen nach ungleiche Sachverhalte gleich oder in ihrem Wesen gleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht fragt insofern danach, ob sich der jeweils verfolgte Differenzierungszweck im Lichte der Ungleich- bzw. Gleichbehandlungswirkungen auf einen sachlichen Grund stützen lässt oder sich im Einzelfall als verhältnismäßig erweist.40 Insbesondere bei der Wahl und dem Zuschnitt des Adressatenkreises der Regelungen hat der Gesetzgeber darauf zu achten, sinnvolle Typisierungen zu bilden, in denen die gesetzlichen Ziele einen folgerichtigen, verhältnismäßigen Ausdruck finden. Die Belastungen müssen gleich verteilt werden. Differenzierungen bedürfen der Rechtfertigung durch Sachgründe. Denkbar wären hier etwa eine Stafflung der Stilllegung anhand von Betriebsalter , Schadstoffausstoß und Effizienz der Anlagen. Auch der Standort eines Kraftwerks kann im Rahmen der Sicherstellung der Versorgungssicherheit aller Regionen Deutschlands Bedeutung erlangen.41 Soweit Ausnahmen vorgesehen werden, müssen diese durch eine spezifische Rechtfertigung getragen sein und in der getroffenen Regelung einen widerspruchsfreien Ausdruck finden. Für Einzelfälle von Ungleichbehandlungen müssen Entschädigungsregelungen vorgesehen werden.42 3.4. Ergebnis Unter Beachtung der jeweils genannten Kriterien könnte eine gesetzliche Regelung mit dem Ziel einer Stilllegung von Kohlekraftwerken generell mit den Grundrechten der Anlagenbetreiber vereinbar sein. Im Einzelfall kann hierfür das Vorsehen von Übergangsfristen oder weiteren Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sein. 4. Entschädigungszahlungen als Ausgleichsmaßnahme Der Gesetzgeber muss in der gesetzlichen Regelung zur Stilllegung der Kraftwerke unter bestimmten Umständen Ausgleichsmaßnahmen für bestimmte Fälle vorsehen, um die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung zu wahren. Er kann eigentumsbeschränkende Bestimmungen, die er im öffentlichen Interesse für geboten hält, auch in Härtefällen durchsetzen, wenn er durch kompensatorische Vorkehrungen unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen des Eigentümers vermeidet und schutzwürdigem Vertrauen angemessen Rechnung trägt.43 In Betracht kommen dabei neben den bereits genannten Übergangsfristen insbesondere auch finanzielle Entschädigungszahlungen . Der finanzielle Ausgleich durch Entschädigung soll jedoch als Ausgleichmaßnahme die Ausnahme sein. Es müssen gewichtige Gründe vorliegen, um eine Entschädigungspflicht auszulösen .44 Ein Recht darauf, von Neuregelungen verschont zu bleiben, bis einmal getätigte Investitionen 40 BVerfGE 55, 72 (88). 41 So schon beim Atomausstieg, vgl. BT-Drs. 17/6070, S. 7. 42 So in Bezug auf die Ungleichbehandlung von Futtermittelherstellern BVerfG Beschl. v. 25.02.2004, Az.: 1 BvR 2016/01 -, juris Rn. 40. 43 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 259. 44 BVerfG Urt. v. 06.12.2016, Az.: 1 BvR 2821/11 -, juris Rn. 260. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 360/18 Seite 11 sich vollständig amortisiert haben, besteht nicht.45 Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sind grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. Ein Grundsatz, nach dem Anlagenbetreibern eingeräumte Rechtspositionen trotz Rechtsänderungen generell zu belassen seien und nur gegen Entschädigung entzogen werden dürften, ist auch nicht dem Immissionsschutzrecht nicht zu entnehmen. Die immissionsrechtliche Genehmigung erstreckt sich nicht auf den Schutz vor Änderungen auf der Ebene energierechtlicher Systementscheidungen.46 Insbesondere bei älteren, bereits abgeschriebenen Anlagen kann eine Stilllegung ohne Entschädigungszahlung daher möglich sein.47 Eine Entschädigungsregelung müsste jedoch insbesondere für solche Einzelfälle vorgesehen werden, in denen trotz der vorrangig gebotenen Übergangs- und Ausnahmeregelungen unzumutbare wirtschaftliche Belastungen verbleiben.48 *** 45 BVerwG NVwZ 2009, S. 1443. 46 BVerwG NVwZ 2009, S. 1442; Klinski: Klimaschutz versus Kohlekraftwerke – Spielräume für gezielte Rechtsinstrumente , NVwZ 2015, S. 1475. 47 So zur Stilllegung von Atomkraftwerken: Bruch/Greve: Atomausstieg 2011 als Verletzung der Grundrechte der Kernkraftwerksbetreiber?, DÖV 2011, S. 798 f. 48 Klinski: Juristische und finanzielle Optionen der vorzeitigen Abschaltung von Kohlekraftwerken, Rechtsgutachten im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz, März 2015, S. 40; abrufbar unter: http://institut-ina.de/wp-content/uploads/2015/09/2015_09_Klinski-Rechtsgutachten-Kohlausstieg -IZES-Studie.pdf (Stand: 31.10.2018).