AUSARBEITUNG Thema: Zur Zulässigkeit, die Vorsorgeuntersuchungen U 1 bis U 9 sowie J 1 bei Kindern und Jugendlichen verpflichtend zu machen. Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Verfasser/in: Abschluss der Arbeit: 24. Januar 2006 Reg.-Nr.: WF III - 355/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Zusammenfassung 3 2. Artikel 6 Abs. 2 GG als Maßstab für das Handeln des Gesetzgebers und der Verwaltung 3 3. Bestehende und mögliche gesetzliche Verpflichtungen der Eltern, medizinische Maßnahmen an ihrem Kind vornehmen zu lassen 5 3.1. Schutzpflicht des Staates bei Sorgerechtsmissbrauch 5 3.2. Bestehende medizinische Betreuung von Kindern durch den Staat 6 3.3. Möglichkeit einer gesetzlichen Verpflichtung der Eltern, medizinische Maßnahmen an ihrem Kind vornehmen zu lassen 8 4. Gegenwärtige Möglichkeiten, Eltern über staatlich gewährte Leistungen zur Teilnahme an Kinder-Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen 12 5. Ergebnis 16 - 3 - 1. Zusammenfassung Die in Artikel 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung der Verfassung garantiert den Vorrang der Eltern, ihre Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit bei der Pflege und Erziehung der Kinder. Zugleich bestellt die Verfassung aber die staatliche Gemeinschaft zum Wächter über die Ausübung dieses Elternrechts. Aufgabe und Befugnis des Staates bei der Ausführung dieses „Wächteramtes“ können, soweit sie in das Elternrecht eingreifen, nicht über das hinausgehen, was das Gesetz den Eltern als Pflicht auferlegt. Die Eltern können daher grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Der Staat muss diesem Vorrang der Eltern Rechnung tragen. Werden die Eltern ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind nicht gerecht und gerät das Kind dadurch in Gefahr, hat der Staat das Kind auch gegenüber seinen Eltern zu schützen . Die Kompetenz hierzu hat das Familiengericht. Die einzige Pflicht, Kinder ohne konkrete medizinische Indikation medizinisch untersuchen zu lassen, ergibt sich aus den landesrechtlich geregelten verpflichtenden KITA- bzw. Schuleingangsuntersuchungen. Um eine möglichst umfassende Inanspruchnahme der Vorsorgeleistungen zugunsten von Kindern zu erreichen, wäre z. B. die Gewährung einer „Prämie“ aus rechtlicher Sicht unproblematisch. Darüber hinaus ist der (Landes- bzw. Bundes-) Gesetzgeber grundsätzlich befugt Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend vorzuschreiben und deren Einhaltung zu überwachen, soweit er nicht in das Elternrecht in Form eines umfassenden Überwachungs- und Kontrollsystems eingreift. Als Sanktion darf der Gesetzgeber dem Kind allerdings nicht das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum verweigern. Soweit die Existenzsicherung des Kindes durch die Zahlung von Kindergeld gewährleistet wird, kann dieses auch nicht in Fällen der Nichtteilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen des Kindes gekürzt werden. Für die – früher bestehende – Möglichkeit einer teilweisen Kürzung des Kindergeldes bietet das Sozialrecht keinen Anhaltspunkt mehr. 2. Artikel 6 Abs. 2 GG als Maßstab für das Handeln des Gesetzgebers und der Verwaltung Ausgangspunkt für jede Überlegung, Eltern von Seiten des Staates Pflichten gegenüber ihren Kindern aufzuerlegen, muss die in Artikel 6 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung der Verfassung sein. Diese Norm - ergänzt durch Art. 6 Abs. 3 GG - garantiert den Vorrang der Eltern, ihre Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit - 4 - bei der Pflege und Erziehung der Kinder. Zugleich bestellt sie aber die staatliche Gemeinschaft zum Wächter über die Ausübung dieses Elternrechts.1 Grundlage für dieses „Wächteramt“ des Staates ist in erster Linie der Gedanke, dass das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat. Denn das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit . Da das Kind Schutz und Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, muss der Staat über die Ausübung der Elternverantwortung wachen, um Missbrauch und Vernachlässigung zu verhindern.2 Dabei darf der Gesetzgeber das natürliche Erziehungsrecht der Eltern nicht beliebig in seinem Inhalt beschränken.3 Aufgabe und Befugnis des Staates bei der Ausführung dieses „Wächteramtes“ können somit, soweit sie in das Elternrecht eingreifen , nicht über das hinausgehen, was das Gesetz den Eltern als Pflicht auferlegt.4 Die staatliche Gemeinschaft ist bei der Überwachung der Pflege und der Erziehung der Kinder durch ihre Eltern auf die Korrektur von durch das Gesetz näher zu bezeichnenden Mängeln und im übrigen auf die Festlegung der erforderlichen Grenzen des Rechts der Eltern beschränkt.5 Eingriffe in Art. 6 Abs. 2 GG bedürfen dabei einer gesetzlichen Grundlage, die nur ein hinreichend bestimmtes Gesetz bieten kann, an dessen Bestimmtheit ein umso strengerer Maßstab anzulegen ist, je schwerer die Auswirkungen seiner Regelungen wiegen.6 Kern der Elternverantwortung ist das (natürliche7) Recht und die Pflicht der Eltern, ihr Kind zu pflegen und zu erziehen, um dem Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe gerecht zu werden.8 Diese Verbindung zwischen (Grund-) Recht und Pflicht gegenüber dem Kind unterscheidet das Elternrecht von allen anderen Grundrechten.9 Der Grundrechtsschutz aus Art. 6 GG darf daher nur für ein Handeln in Anspruch genommen werden, das bei weitester Anerkennung der Selbstverantwortlichkeit der Eltern noch als Pflege und Erziehung gewertet werden kann, nicht aber als für das Gegenteil: die Vernachlässigung des Kindes.10 Der materielle Gehalt des Begriffs der Elternverantwortung selbst ist daher sehr gering. Pflege ist nicht Zerstörung und Erziehung ist nicht vollständige Vernachlässigung.11 Die Eltern können daher grundsätzlich frei von staatlichen 1 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit: BVerfGE 24, 119, 138. 2 BVerfGE 24, 119, 144. 3 BVerfGE 7, 320, 323. 4 Badura in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Loseblattsammlung, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 139. 5 Badura in: Maunz/Dürig, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 133. 6 BVerfGE 107, 104, 120. 7 So: Badura ebenda; der Begriff „natürlich“ drückt die von Rechtsprechung und Literatur allgemein angenommene Vorstaatlichkeit des Elternrechts aus. Auch BVerfGE 60, 79, 88. 8 Badura in: Maunz/Dürig, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 133. 9 BVerfGE 24, 119, 143. 10 BVerfGE 24, 119, 143. 11 Robbers in: v. Mangoldt/Klein/Starck; Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, München 1999, Art. 6, Rdn. 144. - 5 - Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen.12 Der Staat muss diesem Vorrang der Eltern Rechnung tragen.13 Jede das Elternrecht berührende Regelung des Gesetzgebers bedarf der an der Verfassungsgarantie orientierten Rechtfertigung durch ein legitimes Regelungsziel und ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.14 3. Bestehende und mögliche gesetzliche Verpflichtungen der Eltern, medizinische Maßnahmen an ihrem Kind vornehmen zu lassen 3.1. Schutzpflicht des Staates bei Sorgerechtsmissbrauch Werden die Eltern ihrer Verantwortung gegenüber dem Kind nicht gerecht und gerät das Kind dadurch in Gefahr, hat der Staat das Kind auch gegenüber seinen Eltern zu schützen . Die Kompetenz hierzu hat das Familiengericht, das von Amts wegen und in Zusammenwirken mit dem Jugendamt Ermittlungen anstellen und Anordnungen treffen kann. Rechtsgrundlage hierfür bildet insbesondere § 1666 BGB, der das Familiengericht zum Einschreiten sowohl bei Gefährdungen des Kindeswohls im Bereich der Personensorge als auch bei Gefährdung des Kindsvermögens ermächtigt.15 Der Begriff der „Gefährdung des Kindeswohls“ bereitet in einer wertungspluralistischen Gesellschaft allerdings Schwierigkeiten. Zwar geben einzelne Kindesschutzbestimmungen in Einzelfällen konkrete Vorgaben16, doch ist jenseits von klaren Tatbeständen wie konkrete Gesundheitsgefährdung , Verwahrlosung oder Prostitution nur bei vordergründiger Auslegung des Begriffs sichergestellt, dass er allgemein akzeptiert werden kann.17 Abzugrenzen sind hiervon Regelungen in internationalen Abkommen18, die insbesondere die Zuständigkeit der einzelnen Staaten für Rechte von Kindern z. B. aus Ehen mit Eltern verschiedener Nationalität regeln oder die den deutschen Gesetzgeber völkerrechtlich bei der Ausgestaltung des Kinder- und Jugendrechts binden.19 12 BVerfGE 60, 79, 88. 13 BVerfGE 24, 119, 145. 14 Badura in: Maunz/Dürig, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 98. 15 Schwab, Familienrecht, 13. Aufl., München 2005, Rdn. 634. 16 Z. B. § 1631a BGB. Die Norm verpflichtet die Eltern, in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht zu nehmen. 17 Schwab, Familienrecht, Rdn. 636. 18 Z. B. Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 5. Oktober 1961, BGBl II S. 219. 19 Insbesondere ist hier auf die UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahre 1989 zu verweisen, die in Deutschland seit 1992 in Kraft ist. - 6 - Die Unterlassung einer notwendigen medizinischen Behandlung des Kindes durch die Eltern ist unstreitig ein Sorgerechtsmissbrauch,20 der gegebenenfalls auch strafrechtliche Konsequenzen21 für die Eltern haben kann. Ein solcher Missbrauch kann auch in einem Unterlassen unterhalb der strafrechtlich relevanten Schwelle liegen.22 Doch liegt hier in der Praxis oftmals eine übereinstimmende Auffassung der Eltern und des Kindes vor, so dass es wenig Rechtsprechung zu diesem Konfliktbereich gibt.23 Einzelfälle, wie das Versagen einer notwendigen Bluttransfusion aus religiösen Gründen24, sind aufgrund ihrer Eindeutigkeit nicht geeignet, die sich aus der Elternverantwortung ergebenden Pflichten näher zu konkretisieren.25 3.2. Bestehende medizinische Betreuung von Kindern durch den Staat Die einzige Pflicht, Kinder ohne konkrete medizinische Indikation - andernfalls läge im Regelfall ein Sorgerechtsmissbrauch vor - medizinisch untersuchen zu lassen, ergibt sich aus den landesrechtlich geregelten verpflichtenden KITA26- bzw. Schuleingangsuntersuchungen .27 Während des KITA- bzw. Schulbesuchs werden die Kinder regelmäßig medizinisch durch den öffentlichen Gesundheitsdienst überwacht.28 Das Recht des 20 Allg. Meinung; siehe z. B. Olzen in: Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 8, 4. Auflage, München 2002, § 1666 Rdn. 75; Schwab, Familienrecht, Rdn. 636. 21 Übersicht über die strafrechtlichen Bestimmungen bei Olzen, § 1666 Rdn. 24. 22 Auf ein Verschulden kommt es – anders als bei der strafrechtlichen Beurteilung des Sorgerechtsmissbrauchs - insoweit nicht an; st. Rechtspr., vgl. BVerfGE 119, 138. 23 Olzen, § 1666 Rdn. 75. 24 Beispiele bei: Olzen, § 1666 Rdn. 76. 25 Weitere Einzelfälle (risikobehaftete Diagnosen, Schönheitsoperationen oder Impfungen) bei: Olzen, § 1666 Rdn. 76 ff. 26 Eine verpflichtende Untersuchung für die Aufnahme in eine KITA gibt es nicht in allen Bundesländern . Für Berlin siehe: § 6 Abs. 1 und 2 Gesetz zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz – KitaG) vom 19. Oktober 1995 in der Fassung vom 4. September 2002: „(1) Der Träger und das Jugendamt haben in Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst nach Maßgabe der §§ 22 und 23 des Gesundheitsdienst- Gesetzes vom 4. August 1994 (GVBl. S. 329) in der jeweils geltenden Fassung dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder in Tageseinrichtungen in Ergänzung sonstiger Vorsorgeangebote einmal jährlich ärztlich und zahnärztlich untersucht werden und der Impfstatus überprüft wird. (2) Jedes Kind muss vor der Aufnahme in eine Tageseinrichtung und nach längerer Abwesenheit außerhalb der Schließungs- oder Ferienzeiten ärztlich untersucht werden.“ 27 Siehe z. B. § 55 Abs. 5 Schulgesetz für das Land Berlin (Schulgesetz – SchulG) vom 26. Januar 2004 für das Land Berlin: „Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, ihre Kinder vor Aufnahme in die Schule schulärztlich untersuchen zu lassen.“ 28 Siehe z. B. § 52 Schulgesetz des Landes Berlin: „(1) Die Schulgesundheitspflege umfasst die Aufgaben nach dem Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954), in der jeweils geltenden Fassung und die Maßnahmen der schulärztlichen und schulzahnärztlichen Reihenuntersuchungen sowie die sonstige Gesundheitsförderung in der Schule, insbesondere Fragen der gesunden Ernährung und die Suchtprophylaxe. Die ärztlichen und zahnärztlichen Aufgaben der Schulgesundheitspflege werden von den Gesundheitsämtern durchgeführt und unterliegen nicht der Schulaufsicht; sie gelten als verbindliche Veranstaltungen der Schule. - 7 - Staates für diese Vorschul- und Schuluntersuchungen findet seine Rechtfertigung vor allem in der sich allgemein aus dem Polizeirecht ergebende Pflicht des Staates, die übrigen Kinder in der Gemeinschaftseinrichtung vor ansteckenden Krankheiten und die Gesundheit der Schüler im Lehrbetrieb zu schützen.29 Die Schuleignungsuntersuchung findet zudem ihre Rechtfertigung in der Pflicht des Staates, die ihm durch Art. 6 und 7 GG übertragenen Erziehungsaufgaben zu erfüllen und dabei hinsichtlich des Einschulungsalters und der Schulform auf den individuellen geistigen und körperlichen Entwicklungsstand der Kinder Rücksicht zu nehmen.30 Einen Sonderfall der Unterlassung einer notwendigen medizinischen Behandlung bildet die Verletzung der Impfpflicht nach § 20 Infektionsschutzgesetz (IfSG)31, da es sich hier um eine polizeirechtlich begründete strafbewehrte Pflicht handelt, die nur bei besonderen Gefahrenlagen in Kraft gesetzt wird. Weitere Pflichten der Eltern, ihre Kinder ohne konkrete medizinische Indikation untersuchen zu lassen, gibt es nicht. Insbesondere sind die kostenlosen präventiven Untersuchungen von Säuglingen und Kleinkindern (U1 bis U9)32 sowie die Jugenduntersuchung (2) Soweit nach diesem Gesetz oder einer anderen Rechtsvorschrift schulärztliche, schulzahnärztliche oder schulpsychologische Untersuchungen sowie Verfahren zur Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf, von Hochbegabung sowie der Kenntnisse in der deutschen Sprache vorgesehen sind, sind die Kinder sowie Schülerinnen und Schüler verpflichtet, sich untersuchen zu lassen und an wissenschaftlich anerkannten Testverfahren teilzunehmen. Kinder, Schülerinnen und Schüler sowie deren Erziehungsberechtigte sind verpflichtet, die erforderlichen Angaben zu machen; Fragen zur Persönlichkeitssphäre, die keinen unmittelbaren Bezug zum Untersuchungsgegenstand haben, dürfen nicht gestellt werden. (3) Schülerinnen und Schüler sowie deren Erziehungsberechtigte sind über Maßnahmen nach Absatz 2 zu informieren; ihnen ist Gelegenheit zur Besprechung der Ergebnisse zu geben und Einsicht in die Unterlagen nach Maßgabe des § 64 Abs. 5 zu gewähren.“ 29 Dies Argument stützt jedoch nicht ohne weiteres die zahnärztliche Untersuchung von KITA- Kindern, da von kranken Zähnen keine Gefährdung der übrigen Kinder ausgeht. Doch könnte eine Ablehnung einer zahnärztlichen Betreuung eines Kindes durch die Eltern gegenüber dem Kind selbst ein Sorgerechtsmissbrauch sein. 30 Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 7 Rdn. 21h. 31 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom 20. Juli 2000, BGBl I 2000, 1045. § 20 Abs. 6 IfSG bestimmt: “(6) Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Ein nach dieser Rechtsverordnung Impfpflichtiger , der nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist von der Impfpflicht freizustellen; dies gilt auch bei anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.“ 32 Die nach den "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres" ("Kinder- Richtlinien") durchzuführenden ärztlichen Maßnahmen "dienen der Früherkennung von Krankheiten , die eine normale körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes in nicht geringfügigem Maße gefährden." Die Richtlinie definiert den Anspruch auf insgesamt neun Untersuchungen ("U1" bis "U9") nach § 26 SGB V, die gemäß den im Untersuchungsheft für Kinder gegebenen Hinweisen durchzuführen sind und nur in den jeweils angegebenen Zeiträumen unter Berücksichtigung festge- - 8 - (J1)33 als Richtlinien des "Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)"34 für den Geltungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Gewährung einer ausreichenden , zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten nicht geeignet , eine Rechtspflicht gegenüber den Eltern zu begründen. Sie sind ausschließlich für die Leistungserbringer der Gesetzlichen Krankenversicherung verbindlich.35 Festzuhalten bleibt daher, dass ein Sorgerechtsmissbrauch durch ein Unterlassen einer notwendigen medizinischen Behandlung des Kindes durch die Eltern zu einem Eingreifen des Staates – Entscheidung des Familiengerichts – führen muss. Ein solcher Eingriff des Staates ist aber nur bei sehr schwerwiegenden Unterlassungen zu rechtfertigen. Die reine Unterlassung von unverbindlichen Vorsorgeuntersuchungen führt nach gegenwärtiger Rechtslage nicht zu der Berechtigung des Staates für einen Eingriff in das Elternrecht . Da der Besuch einer KITA durch ein Kind auf freiwilliger Basis erfolgt, können somit gesundheitliche Fehlentwicklungen oder körperliche Misshandlungen eines (melderechtlich erfassten) Kindes bis zur Einschulungsuntersuchung unentdeckt bleiben. 3.3. Möglichkeit einer gesetzlichen Verpflichtung der Eltern, medizinische Maßnahmen an ihrem Kind vornehmen zu lassen Aufgrund mehrerer in letzter Zeit in der Presse veröffentlichter Fälle von vernachlässigten oder misshandelten Kleinkindern36 wird gegenwärtig diskutiert, ob Eltern zu der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen für ihre Kinder verpflichtet werden können.37 Jedoch gibt es - wie oben gezeigt – nicht ohne weiteres ein Recht des Staates, legter Toleranzgrenzen in Anspruch genommen werden können. In Anhängen der Richtlinie finden sich Durchführungsbestimmungen für das "Erweiterte Neugeborenen-Screening" auf angeborene Stoffwechseldefekten und endokrine Störungen, eine ausführliche Elterninformation, Hinweise zur notwendigen Dokumentation sowie die Durchführungsempfehlungen für die Ultraschall- Untersuchung der Säuglingshüfte zur Früherkennung der Hüftgelenksdysplasie und -luxation. 33 Die J1 wird in der Praxis oft U10 genannt. 34 Früher: Bundesausschuss der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen". 35 Der G-BA als Gremium der Selbstverwaltung besteht aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen , der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesverbände der Krankenkassen, der Bundesknappschaft und der Verbände der Ersatzkassen (so geregelt in den §§ 91 und 92 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Kankenversicherung [SGB V]). Die vom G-BA erarbeiteten Richtlinien sind vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) zu genehmigen und nach ihrer Bekanntmachung im Bundesanzeiger für alle Beteiligten (Versicherte , Leistungserbringer und Kostenträger) verbindlich. 36 Im Jahr 2004 gab es in Deutschland 4.435,1 Mio. Kinder unter 6 Jahren (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2005). 37 Zum gegenwärtigen Diskussionstand: z. B. Berliner Zeitung vom 20. Dezember 2005: „Als Schutz vor Misshandlung - ein Pflichttermin beim Kinderarzt - Parteien wollen eine Untersuchung vor Schulbeginn vorschreiben von Christine Richter Eltern in Berlin sollen verpflichtet werden, ihre Kinder mindestens einmal vor Beginn der Schulzeit beim Arzt vorzustellen und untersuchen zu lassen. Dies ist die übereinstimmende Meinung der Parteien im Abgeordnetenhaus, die nun eine solche Regelung gesetzlich verankern wollen. Bislang sind die Vorsorgeuntersuchungen der Kinder - von der U 1 direkt nach der Geburt bis zur U 9 im Alter von fünf Jahren - freiwillig. - 9 - Eltern vor der Einschulungsuntersuchung zu zwingen, medizinische Vorsorgeuntersu- "Wir fordern eine Pflichtuntersuchung schon lange", sagt der CDU-Abgeordnete Sascha Steuer. Vor drei Monaten wurde ein entsprechender Antrag im Abgeordnetenhaus noch von SPD und Linkspartei .PDS abgelehnt. Doch inzwischen hat sich die Stimmung gewandelt. Angesichts vieler Fälle von vernachlässigten und misshandelten Kindern spricht sich auch die rot-rote Koalition für eine verpflichtende Untersuchung aus. "Wir stehen der Sache aufgeschlossen gegenüber", sagt der SPD- Abgeordnete Karlheinz Nolte. So könne eine der Untersuchungen, bei denen die Kinder zwei Jahre oder älter seien - die U 7 oder die U 8 - zur Pflicht erklärt werden. Die Linkspartei und die Grünen haben sich noch kein abschließendes Urteil gebildet, wollen aber auch mehr für die Kinder tun. Die FDP will alle bisherigen Untersuchungen zur Pflicht machen. "Es geht um das Kindeswohl, wir wollen ja nicht bei den Eltern schnüffeln", sagt die FDP-Abgeordnete Mieke Senftleben. Das Problem ist ein juristisches: Nach dem Grundgesetz Artikel 6 sind die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. Eine Pflicht zum Arzt-Besuch könne deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht eingeführt werden, heißt es in diversen Gutachten. Nur zwei Pflicht- Untersuchungen sind derzeit üblich, weil auf diese Weise die Gefährdung von anderen Kindern ausgeschlossen werden muss: die Kita-Untersuchung und die Schuleingangsuntersuchung. Doch auch Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei.PDS) spricht sich für eine verpflichtende Untersuchung aus. "Wenn die rechtlichen Probleme gelöst werden können, wäre das eine Möglichkeit, um Kindervernachlässigung zu verhindern", sagt ihre Sprecherin Roswitha Steinbrenner . Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz hält dies ebenfalls für sinnvoll. Auch wenn er mit Skepsis sehe, dass die Politiker die Verantwortung damit bei den Kinderärzten ablüden, so Jonitz. Aber bei einer Pflichtuntersuchung sei es möglich, frühzeitig gesundheitliche Schäden oder auch Vernachlässigung festzustellen. Der Berliner Kinderarzt Ulrich Fegeler, Sprecher des Berufsverbandes der Kinderärzte, will die Eltern zum Arztbesuch verpflichten. Allerdings müsse der Staat dann dafür sorgen, dass für die auffälligen Kinder auch genügend Einrichtungen oder andere Hilfen gewährt würden, sagt Fegeler. In Berlin nehmen viele Eltern die neun Untersuchungen wahr, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Die Quote liegt bei der U 1 bis U 3 bei 98 bis 96 Prozent, bei den letzten drei Untersuchungen zwischen 85 und 90 Prozent. "Das ist eine sehr gute Beteiligung", sagt Steinbrenner. Für die CDU ist die allerdings nicht hoch genug. "Gerade die zehn Prozent, die ihre Kinder nicht untersuchen lassen, müssen wir erreichen", sagt der Abgeordnete Steuer.“ Weitere Diskussionsbeiträge z. B. in: Berliner Zeitung vom 28. Dezember 2005 „“Politik will Kinder schützen“ oder „Kontrolle ist gut, Liebe ist besser“. Zur aktuellen politischen Diskussion: DIE WELT vom 5. Januar 2006: CDU fordert Sofortprogramm für ein Netzwerk "Kinderschutz" „Angesichts der vielen Fälle von Kindesmißhandlungen fordert die CDU ein Sofortprogramm zur Schaffung eines Netzwerkes "Kinderschutz und Prävention". Dazu sagt der jugendpolitische Sprecher Sascha Steuer: "Alle beteiligten Institutionen müssen so verzahnt sein, daß gefährdete Kinder nicht in Zuständigkeitslücken zwischen Jugendamt, Schule oder Gerichten verlorengehen." Zentrale Punkte des Sofortprogramms sollen außerdem verbindliche Vorsorgeuntersuchungen bei den Kinderärzten , mehr Hausbesuche bei den Familien und ein größeres Beratungsangebot für Eltern sein. In Kitas und Horten sollen die Erzieher regelmäßig den Entwicklungsstand der Kinder nach einheitlichen Kriterien beurteilen. Die Ergebnisse sollen in einen Kinderschutzbericht einfließen, der alle zwei Jahre dem Parlament vorgelegt werden soll. Unterstützung erhält die CDU vom Geschäftsführer des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, Stephan Eßer. Auch der Ärztevertreter fordert, die bisher freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht zu machen und die zeitlichen Abstände zu verkürzen. Bei Versäumnissen könnten Jugendämter oder Gesundheitsdienste tätig werden, schlägt Eßer vor. Zudem müsse der Erstkontakt zwischen Ärzten, Hebammen oder Beratungsanbietern und Eltern bereits in den Geburtskliniken verstärkt werden. Der Staatssekretär für Bildung, Jugend und Sport, Thomas Härtel (SPD), begrüßt Vorschläge, verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen für Kinder einzuführen. Er spricht sich für eine Bundesratsinitiative aus, da ein Berliner Alleingang wegen der in der Verfassung verankerten Elternrechte wenig Aussichten auf Erfolg habe. Jugendämter und Polizei würden bei Kindesmißhandlungen bereits nach einem gemeinsamen Leitfaden arbeiten. Künftig sollen auch Kinderärzte und Hebammen stärker mit einbezogen werden, sagt Härtel. Die FDP-Fraktion warnt davor, allein auf Zwangsuntersuchungen zu setzen. Vielmehr sei es nötig, das gesamte Umfeld des Kindes zu sensibilisieren und labilen Müttern Hilfe anzubieten, betonen Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin, und Sonning Augstin, jugendpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Flo“ - 10 - chungen bei ihren Kindern vornehmen zu lassen. Gegenwärtig liegt z. B. in Berlin die Quote der Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern bei der U1 bis U3 bei 96 bis 98 Prozent, bei den letzten drei Untersuchungen zwischen 85 und 90 Prozent38 und bei Jugendlichen zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr (J1) im Bundesdurchschnitt bei nur noch zehn Prozent.39 Es wird vermutet, dass die fehlende Vorsorgeteilnahme bei den Frühuntersuchungen gerade von Eltern zu vertreten ist, die im Verdacht stehen, zu der Gruppe derjenigen zu gehören, die für Sorgerechtsmissbrauch anfällig sind. Der Anteil dieser Eltern an den ärmeren Bevölkerungsschichten ist vermutlich hoch.40 Hierzu gibt es jedoch keine aussagekräftigen Daten und zudem sind auch Kinder sozial besser gestellter Familien grundsätzlich nicht vor Verwahrlosung geschützt. Während in der Literatur41 die Ansicht vertreten wird, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Gesetzgeber seine Pflichten zum Schutz der Kinder vernachlässigt habe, wird aufgrund der bekannt gewordenen Straftaten gesellschaftlich gefordert, die Rechtslage so zu gestalten, dass alle Eltern, also gerade „die zehn Prozent42, die ihre Kinder nicht untersuchen lassen (…)“ ihre Kinder an den Vorsorgemaßnahmen teilnehmen lassen müssen.43 Der Staat ist – wie oben bereits dargelegt – nicht nur berechtigt , sondern auch verpflichtet, die Pflege und die Erziehung der Kinder sicherzustellen, da das Kind als Grundrechtsträger selbst ein Anspruch auf Schutz des Staates hat.44 Nach gegenwärtiger Rechtslage führt die reine Unterlassung von unverbindlichen Vorsorgeuntersuchungen nicht zu der Berechtigung des Staates für einen Eingriff in das 38 Siehe: „Als Schutz vor Misshandlung - ein Pflichttermin beim Kinderarzt - Parteien wollen eine Untersuchung vor Schulbeginn vorschreiben“, Berliner Zeitung vom 20. Dezember 2005. 39 Drucksache 14/9544, S. 2. 40 Hierzu gibt es nur mittelbare Untersuchungen; allgemein wird jedoch vermutet, dass Fälle von Unterversorgung oder körperlicher Misshandlung bei ärmeren Familien häufiger als im Durchschnitt der Bevölkerung auftreten. So formulieren die Bundestagsfraktionen der SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN und FDP in der 14. Wahlperiode (Drucksache 14/9544, S. 2): „Vorsorge im Kindesalter wird heute allzu oft nur noch lückenhaft betrieben. Es ist daher notwendig , den Eltern die Existenz und den Nutzen dieser bewährten Vorsorgeprogramme wieder ins Gedächtnis zu rufen. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Kinder und Jugendliche unterer sozialer Schichten unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung besonderer Ansprache und Betreuung bedürfen . Es muss angestrebt werden, dass Armut nicht mehr mit einem schlechteren Gesundheitsrisiko einher geht.“ 41 Z. B. Wolfgang Roth in: „Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbstständiger Grundrechtsausübung , elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung“, S. 95, der Ignoranz und Trägheit bei den Behörden und Gleichgültigkeit im sozialen Umfeld der Missbrauchsopfer für die Zunahme von Straften gegen Kinder im Familienkreis verantwortlich macht. 42 Die sehr hohe Inanspruchnahme der ersten Vorsorgeuntersuchungen und der dann folgende Abfall bei der Teilnahme erklärt sich insbesondere dadurch, dass im Regelfall auch die U2 noch im Krankenhaus durchgeführt wird. 43 So der Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses Steuer in der Berliner Zeitung vom 20. Dezember 2005. 44 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 24, 119, 144. - 11 - Elternrecht (Familiengericht). Für eine Verpflichtung der Eltern, ihr Kind an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen zu lassen, müsste daher zunächst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Da eine solche gesetzliche Verpflichtung das Elternrecht berühren würde, bedarf sie einer der an der Verfassungsgarantie des Art. 6 GG orientierten Rechtfertigung durch ein legitimes Regelungsziel und ist an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden.45 Dabei bestimmt sich Art und Ausmaß des gesetzlich festzulegenden staatlichen Eingriffs nach dem Grad des Versagens der Eltern und danach, was im Interesse des Kindes geboten ist.46 Denn nicht jeden Versagen und nicht jede Nachlässigkeit berechtigen den Staat, die Erziehungsbefugnis der Eltern einzuschränken oder gar auszuschalten; es gehört auch nicht zum Wächteramt, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Entwicklung des Kindes zu sorgen47 oder ein umfassendes Überwachungs - und Kontrollsystem zu errichten.48 Ein Gesetz mit dem Inhalt, Eltern zu verpflichten, ihr Kind an medizinischen Vorsorgemaßnahmen teilnehmen zu lassen, wäre grundsätzlich geeignet, Fälle von Sorgerechtsmissbrauch zu erkennen und gegebenenfalls frühzeitig zum Schutz der Kinder zu handeln. So könnte durch einen Datenabgleich unter Einbeziehung der Kinderärzte (Meldepflicht) sichergestellt werde, dass nahezu alle Kinder in den Genuss der Vorsorgemaßnahmen kommen. Der Schutz der Kinder vor Vernachlässigung und Missbrauch ist zudem unbestreitbar ein legitimes Regelungsziel, um der Pflicht des Staates, die Lebensbedingungen zum Wohl des Kindes zu sichern,49 Genüge zu tun. Besonderes Augenmerk müsste der Gesetzgeber dabei aber auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 50 legen, damit sich aus der Pflicht zur Vorsorgeuntersuchung kein staatliches Kontrollsystem über die Eltern entwickelt. Denn die Nichteinhaltung der Termine müsste zentral erfasst und die Betroffenen namentlich ausgewertet werden.51 Überdies müsste der Gesetzgeber festlegen, ob das bloße Versäumen eines Vorsorgetermins ein Eingreifen des Staates nötig macht oder ob hier nur der Verdacht eines Sorgerechtsmissbrauchs vorliegt, der zunächst weitere Ermittlungen voraussetzt. Ein besonders Problem wäre bei einer solchen Regelung überdies die Gesetzgebungskompetenz . Grundsätzlich sind die Länder für die Gesundheitsfürsorge und die Gefahrenabwehr zuständig, da der Bund aufgrund seiner konkurrierenden Gesetzgebungs- 45 Badura in: Maunz/Dürig, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 98. 46 BVerfGE 107, 104, 118. 47 BVerfGE 60, 79, 91; BVerfGE 107, 104, 117 f. 48 Roth, S. 95. 49 Badura in: Maunz/Dürig, Art. 6 Abs. 2, 3 Rdn. 96. 50 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip und besitzt somit Verfassungsrang. St. Rechtspr. seit BVerfGE 23, 133 ff. 51 Hier ist der erhebliche Verwaltungsaufwand zu bedenken, da es um die Überwachung der Fristen von über fünf Millionen Kinder in dezentralen Kinderarztpraxen geht, die die Behandlung über nahezu 300 verschiedenen Krankenkassen, privat oder über die Sozialhilfe abwickeln. - 12 - kompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG nur den Bereich der „öffentlichen Fürsorge“ – ein Begriff, der nicht eng auszulegen ist52 - regeln darf.53 Allerdings könnte sich hier im Einzelfall eine Kompetenz des Bundes aus dem Sachzusammenhang – z. B. dem vom Bund geregelten Kindergeldrecht – ergeben. Auf jeden Fall wäre aber der Landesgesetzgeber befugt, analog den Pflichtuntersuchungen nach den KITA- und Schulgesetzen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend vorzuschreiben und deren Einhaltung zu überwachen, soweit er nicht in das Elternrecht in Form eines umfassenden Überwachungs- und Kontrollsystems eingreift. 4. Gegenwärtige Möglichkeiten, Eltern über staatlich gewährte Leistungen zur Teilnahme an Kinder-Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen Es wäre zunächst zu überlegen, ob ein Anreiz über die Gewährung finanzieller Vorteile geschaffen werden könnte. Die Gewährung einer „Prämie“ für die Inanspruchnahme der Vorsorgeleistungen zugunsten von Kindern wäre aus rechtlicher Sicht unproblematisch, da es sich hierbei ausschließlich um eine Leistung des Staates ohne Grundrechtseingriff handelt. Hier müssten – wie bei jedem staatlichen Handeln - nur die allgemeinen Grundsätze der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns beachtet werden (z. B. Gleichbehandlung). Allerdings wäre der hierzu nötige Verwaltungsaufwand nicht unbeträchtlich , da sonst Mehrfachzahlungen nicht verhindert werden könnten. Auch wäre eine solche Lösung nicht kostenneutral. Weitgehend kostenneutral54 wäre es hingegen, Eltern, die ihren Kindern die - kostenlose - Vorsorgeuntersuchungen verweigern, staatliche Leistungen zu entziehen, die ihnen ausschließlich aufgrund ihrer Elternschaft zustehen. Im Rahmen des Familienleistungsausgleichs als soziales Staatsziel (Art. 20 Abs. 1 GG)55, werden von der staatlichen Gemeinschaft als Ausdruck des besonderen staatlichen Schutzes der Familie Förderungen und Ausgleiche im Sozial- und Steuerrecht für die spezifischen Mehrbelastungen der Familien als Erziehungs- und Wirtschaftsgemeinschaft gewährt. Neben Hilfen für sozial schwache Familien56 finden sich im gegenwärtigen System des Familienleistungsausgleichs 57 - unter Außerachtlassung spezifischer Ansprüche einzelner Berufs- 52 Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 74 Rdn. 106. 53 Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 74 Rdn.115. 54 „Kostenneutral“ bezieht sich hierbei nur auf die Zahlungen selbst nicht jedoch auf den Verwaltungsaufwand , der notwendig wäre, die Zahlungen zu verbuchen, die Ansprüche abzugleichen und evt. Überzahlungen zurückzufordern. 55 Badura, a.a.O., Art. 6 Abs. 1 Rdn. 75. 56 Z. B. Wohngeld, Berücksichtigung von Kindern bei der Berechnung des Existenzminimums, Familienhilfe etc. 57 Übersicht z. B. bei: Badura, a.a.O., Art. 6 Abs. 1 Rdn. 75 ff. - 13 - gruppen58, des Rentenrechts59 oder bei besonderen Lebenssituationen60 - im Wesentlichen ein bedeutendes Ausgleichsinstrumentarien für die familiäre Mehrbelastung: Die Gewährung von Kindergeld als Bestandteil des Existenzminimums des Kindes61.62 Das Kindergeld ist in der Regel63 eine monatliche Leistung in Höhe von 154 Euro für die ersten beiden Kinder und ab dem dritten Kind in Höhe von 179 Euro. In den meisten Fällen wird es an die Eltern des Kindes ausgezahlt. Dabei ist es unbeachtlich, ob es sich um das sozialrechtliche64 oder das steuerrechtliche65 Kindergeld handelt. Letzteres wird gemäß den Festlegungen im Einkommenssteuergesetz als „Steuervergütung“ gezahlt. Diese soll den Betreuungsbedarf des Kindes als Bestandteil des familiären Existenzminimums 66 steuerrechtlich sichern und damit verhindern, dass Familien gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter gestellt werden.67 Konsequenterweise wird das steuerrechtliche Kindergeld jährlich mit der Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß § 36 Abs. 2 i. V. m. §§ 31, 32 EStG abgerechnet.68 Ungeachtet der komplexen Ausgestaltung des Kindergeldrechts durch den Gesetzgeber ist es für die hier zu behandelnde Frage wesentlich festzuhalten, dass das Kindergeld – gleich auf welcher Rechtsgrundlage es ausgezahlt wird – in der Regel eine dem Berechtigten auf Grund seiner Elternschaft monatlich zufließende staatliche Leistung ist. Fraglich ist somit, ob der Gesetzgeber69 die Gewährung dieser Leistung an die Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 und J1 binden kann. 58 Z. B. Anspruch auf kostenlose Mitversicherung von Kindern bei der GKV; Familienzuschlag im Beamtenbesoldungsrecht. 59 Zuschlag für Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. 60 Z. B. bei der Berechnung des ALG II. 61 BVerfGE 82, 60, 85 ff. (sog. Kindergeldbeschluss) und BVerfGE 99, 216, 236. 62 Aufgrund dieser Rechtsprechung hat der Bundesgesetzgeber bereits ab dem Jahr 2000 die steuerliche Anerkennung des Betreuungsbedarfs neu geregelt (Familienförderung); siehe: Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Familienförderung, Drucksache 14/1670 (Begründung in: Drucksache 14/1513). 63 Z. B. sind eigene Einkünfte des Kindes ab einem bestimmten Betrag kindergeldschädlich. 64 Das sozialrechtliche Kindergeld wird von der Bundesagentur für Arbeit als Familienkasse nach dem BKGG ausgezahlt. Die „Arbeitsämter“ fungieren hier somit als Sozialbehörden. Für Streitigkeiten sind die Sozialgerichte zuständig. 65 In diesen Fällen zahlt bei Arbeitnehmern die Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Bundesamtes für Finanzen zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs das Kindergeld als Familienkasse aus (102 Familienkassen). Die „Arbeitsämter“ fungieren hier somit als Finanzbehörden. Für Streitigkeiten sind die Finanzgerichte zuständig. Öffentliche Arbeitgeber zahlen das steuerrechtliche Kindergeld gem. § 72 Abs. 1 und 2 EStG selbst aus. 66 Zum Kindergeld als Bestandteil des notwendigen familiären Existenzminimums: BVerfGE 82, 60 (sog. Kindergeldbeschluss) und BVerfGE 99, 216, 234. 67 BVerfGE 99, 216. 68 Eine Übersicht über die komplexe Rechtslage seit dem grundlegenden Systemwandel im Kindergeldrecht im Jahr 1996 bei: Otfried Seewald, Kindergeldrecht, Kommentar, Loseblattsammlung, 19. Lieferung (2005), Köln, Berlin, München, Einführung Rdn. 1 ff. 69 Zur Frage der Gesetzgebungskompetenz siehe oben Kap. 3.3. - 14 - Die Kinderbetreuung ist eine Leistung, die auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt.70 Der finanzielle Bedarf der Eltern, diese Betreuungsleistung zu erbringen (Betreuungsbedarf), ist ein notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums.71 Eine vollständige Vorenthaltung des Kindergeldes bei Nichtteilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen würde daher - bei gegenwärtiger Rechtslage72 - in das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum eingreifen. Auch die Erbringung anderer staatlicher Leistungen, wie z. B. eine kostenfreie Schulausbildung, also Leistungen, die sich de facto auf eine Verminderung der Unterhaltspflicht der Eltern auswirken, da diese Leistungen sonst für ein marktwirtschaftliches Entgelt in Anspruch nehmen müssten, würden den Staat nicht von der Pflicht befreien, das Existenzminimum für Familien gerade durch das Steuerrecht zu sichern.73 Eine vollständige und dauerhafte Versagung zumindest des steuerrechtlichen Kindergeldes74 bei Verweigerung der Vorsorgeuntersuchungen des Kindes ist daher verfassungsrechtlich ausgeschlossen . So wie der Staat bei gegenwärtiger Rechtslage kein Recht hat, bei einer reinen Unterlassung von unverbindlichen Vorsorgeuntersuchungen ohne Vorlage eines Sorgerechtsmissbrauchs in das Elternrecht einzugreifen,75 so darf er dem Kind76 auch nicht existenzsichernde finanzielle Mittel vorenthalten.77 Allerdings muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber bei der gesetzlichen Ausgestaltung gerade von Leistungsgesetzen einen weiten Spielraum hat78 und dass das „Existenzminimum“, das dem Kind zu gewährleisten ist, letztlich das Ergebnis einer Schätzung ist. Die Rechtsprechung hat hier auf die Maßstäbe zurückgegriffen, die sich aus statistisch ermittelten Richtsätzen oder normativ festgelegten Regelleistungen für den entsprechenden Bedarf ergeben. Insbesondere wird die 70 BVerfGE 82, 60, 85. 71 Ständige Rechtspr.; vgl. BVerfGE 99, 216, 234 m. w. Nachw. 72 Es ist dem Gesetzgeber überlassen, den Betreuungsbedarf als Bestandteil des familiären Existenzminimums auch auf andere Weise wie bisher auszugestalten. Statt des heute üblichen Kindergeldes könnten z. B. einkommensabhängige Zuschüsse, Sachleistungen, Befreiung von Mehrwertsteuer (wie z. B. in Großbritannien) etc. oder eine Kombination verschiedener, direkt den Erziehenden zukommenden Leistungen gewährt werden. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird die Prüfung jedoch auf das geltende Recht beschränkt. 73 BVerfGE 82, 60, 88. 74 Nur dieses ist Gegenstand des sog. Kindergeldbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts; BVerfGE 82, 60. 75 S. o. Kap. 3.2. 76 Das Kindergeld gilt als (existenzsicherndes) Einkommen des Kindes; siehe hierzu z. B. Antwort des Staatssekretärs Heinrich Tiemann vom 13. Januar 2005 auf die Frage der Abg. Maria Michalk (CDU/CSU) – Drucksache 15/4699: „In den Fällen, in denen ein Grundsicherungsberechtigter wegen eines minderjährigen Kindes Kindergeld erhält, ist dieses dem Kind als Einkommen zuzurechnen (§ 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).“ 77 BVerfGE 99, 216, 217: „Der Betreuungsbedarf muss als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensrechtliche unbelastet bleiben …“ 78 So prüft das Bundesverfassungsgericht nur die Rechtmäßigkeit einer Norm, nicht auch die Zweckmäßigkeit : BVerfGE 1, 14, 32. - 15 - Höhe der Sozialhilfe als Anhaltspunkt genommen.79 Jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen „Freibetrags“ in Höhe des Existenzminimums von Kindern ist der Gesetzgeber frei, soziale Gesichtspunkte verstärkt zu berücksichtigen.80 Die Sicherstellung einer möglichst umfassenden Teilnahme der Kinder an den Vorsorgeuntersuchungen ist ein sozialer Gesichtspunkt, der im Interesse der Gesundheit der Kinder und der Volksgesundheit im Allgemeinen bei der Bemessung des an die Eltern auszuzahlenden Kindergelds Berücksichtigung finden kann. Im früheren Sozialhilferecht81 wurden im Rahmen des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 199982 der § 76 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII neu eingefügt, um die zum 1. Januar 2000 wirksam gewordene Familienförderung durch die Kindergelderhöhung für das erste und zweite Kind auch für Familien mit minderjährigen Kindern zu erreichen , die Sozialhilfe erhalten.83 Nach dieser Norm wurden bei der Einkommensberechnung 10,25 Euro bei einem Kind und 20,50 Euro bei zwei oder mehr Kindern in Abzug gebracht. Diese Beträge sind somit vom Gesetzgeber nicht als existenzsichernd angesehen und bieten daher einen Ansatzpunkt für einen möglichen Teileinbehalt von Kindergeld bei Nichtteilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen des Kindes. Nunmehr ist jedoch die Neufassung der Einkommensberechnung bei Kindergeld gemäß § 82 Abs. 1 SGB XII84 seit dem 1. Juli 2005 zu beachten. Demnach ist der Gesetzgeber der Auffassung, dass durch die Neugestaltung des Regelsatzbemessungssystems der sachliche Grund für die Regelung der früheren § 76 Abs. 2 Nr. 5 SGB XII entfallen ist.85 Somit bietet das Sozialhilferecht nunmehr keinen Ansatzpunkt mehr für eine evt. 79 BVerfGE 82, 60, 93 f. 80 BVerfGE 82, 60, 90 f. 81 Seit dem 1. Juli 2005 gilt in Folge der Hartz IV Gesetzgebung der § 82 SGB XII. 82 BGBl. 1999 I S. 2552. 83 Oestreicher/Schelter/Kunz, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, Loseblattsammlung, Stand: Juni 2005; § 76 Rdn 39. 84 § 83 SGB XII – Begriff des Einkommens: „(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit , bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.“ 85 So die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch , Drucksache 15/1514, S. 65: „Absatz 1 überträgt dabei im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 76 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes . Mit der Ergänzung des Satzes 1 wird klargestellt, dass auch Grundrenten (Beschädigten - und Hinterbliebenengrundrenten), die nach den Gesetzen gezahlt werden, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen – beispielsweise das Opferentschädigungsgesetz oder das Infektionsschutzgesetz –, nicht als Einkommen gelten. Mit dem neuen Satz 2 wird die gegenwärtig unterschiedliche Anrechungsregelung vereinheitlicht. Die Zurechnung des Kindergeldes beim minderjährigen Kind, das typischerweise in einem gemeinsam wirtschaftenden Familienhaushalt lebt, hat zum Ziel, die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen. - 16 - Auffassung des Gesetzgebers, dass das Kindergeld einen Teilbetrag umfasst, der nicht zum Existenzminimum des Kindes gehört. 5. Ergebnis Der (Landes- bzw. Bundes-) Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt Vorsorgeuntersuchungen für Kinder verpflichtend vorzuschreiben und deren Einhaltung zu überwachen, soweit er nicht in das Elternrecht in Form eines umfassenden Überwachungs- und Kontrollsystems eingreift. Als Sanktion darf der Gesetzgeber dem Kind allerdings nicht das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum verweigern. Soweit die Existenzsicherung des Kindes durch die Zahlung von Kindergeld gewährleistet wird, kann dieses auch nicht in Fällen der Nichtteilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen des Kindes gekürzt werden. Für die – früher bestehende – Möglichkeit einer teilweisen Kürzung des Kindergeldes bietet das Sozialrecht keinen Anhaltspunkt mehr. Absatz 2 überträgt im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 76 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes . Nicht übernommen wurde der bisherige Absatz 2 Nr. 5 des Bundessozialhilfegesetzes, da die befristete Regelung an die Übergangsregelung des bisherigen § 22 Abs. 6 des Bundessozialhilfegesetzes geknüpft war. Durch die Neugestaltung des Regelsatzbemessungssystems ist der sachliche Grund für die Regelung entfallen.“