Petitionsrecht auf kommunaler Ebene - Sachstand - © 2006 Deutscher Bundestag WD 3 - 351/06 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Petitionsrecht auf kommunaler Ebene Sachstand WD 3 - 351/06 Abschluss der Arbeit: 27.09.2006 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: +49 Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Im Auftrag wurde nach dem Petitionsrecht auf kommunaler Ebene gefragt. Dieser Sachstand informiert über die rechtlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern und die Rechtsprechung. 2. Einräumung eines kommunalen Petitionsrechts Die Möglichkeit, Petitionen unmittelbar an Stellen der kommunalen Selbstverwaltung zu richten, ist in 8 der 16 Bundesländer vorgesehen. Die Vorschriften sind auf der Ebene einfachen Landesrechts in den Gemeindeordnungen bzw. in der Kommunalverfassung (Mecklenburg-Vorpommern) enthalten. Vgl. dazu auch die tabellarische Übersicht (Anlage 1). 2.1. Bayern Art. 56 Abs. 3 BayGO1: „Jeder Gemeindeeinwohner kann sich mit Eingaben und Beschwerden an den Gemeinderat wenden.“ 2.2. Brandenburg § 21 GO Bbg: „Jeder hat das Recht, sich in Gemeindeangelegenheiten mit Vorschlägen, Hinweisen und Beschwerden einzeln oder gemeinschaftlich an die Gemeindevertretung oder den Bürgermeister zu wenden. Der Einreicher ist innerhalb von vier Wochen über die Stellungnahme zu den Vorschlägen, Hinweisen oder Beschwerden zu unterrichten. Ist dies nicht möglich, erhält er einen Zwischenbescheid.“ 2.3. Mecklenburg-Vorpommern § 14 Abs. 1 KV M-V (Kommunalverfassung): „Die Einwohner der Gemeinde haben das Recht, sich schriftlich oder zur Niederschrift mit Anregungen und Beschwerden an die Gemeindevertretung zu wenden. Sie sind über die Stellungnahme der Gemeindevertretung oder eines Ausschusses unverzüglich zu unterrichten.“ 2.4. Niedersachsen § 22 c NGO: „Jede Person hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde an den 1 GO bzw. GemO = Gemeindeordnung. - 4 - Rat zu wenden. Die Zuständigkeiten des Verwaltungsausschusses, der Ausschüsse, Stadtbezirksräte und Ortsräte und der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Die Erledigung von Anregungen und Beschwerden kann der Rat dem Verwaltungsausschuss übertragen. Die Antragstellerin oder der Antragsteller ist über die Art der Erledigung der Anregung oder Beschwerde zu unterrichten. Das Nähere regelt die Hauptsatzung.“ 2.5. Nordrhein-Westfalen § 24 GO NRW: „(1) Jeder hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Anregungen oder Beschwerden in Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat oder die Bezirksvertretung zu wenden. Die Zuständigkeiten der Ausschüsse, der Bezirksvertretungen und des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Die Erledigung von Anregungen und Beschwerden kann der Rat einem Ausschuss übertragen. Der Antragsteller ist über die Stellungnahme zu den Anregungen und Beschwerden zu unterrichten. (2) Die näheren Einzelheiten regelt die Hauptsatzung.“ 2.6. Rheinland-Pfalz § 16 b GemO RPF: „Jeder hat das Recht, sich schriftlich mit Anregungen und Beschwerden aus dem Bereich der örtlichen Verwaltung an den Gemeinderat zu wenden. Soweit der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist, hat der Gemeinderat ihm die Behandlung der Anregungen und Beschwerden zu überlassen. Zur Erledigung der sonstigen Anregungen und Beschwerden kann der Gemeinderat einen Ausschuss bilden. Der Antragsteller ist über die Behandlung der Anregungen und Beschwerden zu unterrichten .“ 2.7. Sachsen § 12 SächsGemO: „(1) Jeder Einwohner hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen in Gemeindeangelegenheiten mit Vorschlägen, Bitten und Beschwerden (Petitionen) an die Gemeinde zu wenden. Dem Petenten ist innerhalb angemessener Frist, spätestens aber nach sechs Wochen, ein begründeter Bescheid zu erteilen . Ist innerhalb von sechs Wochen ein begründeter Bescheid nicht möglich, ist ein Zwischenbescheid zu erteilen. - 5 - (2) Der Gemeinderat kann für die Behandlung von Petitionen, die in seine Zuständigkeit fallen, einen Petitionsausschuss bilden.“ 2.8. Schleswig-Holstein § 16 e GO SH: „Die Einwohnerinnen und Einwohner haben das Recht, sich schriftlich oder zur Niederschrift mit Anregungen und Beschwerden an die Gemeindevertretung zu wenden. Die Zuständigkeiten der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters werden hierdurch nicht berührt. Antragstellerinnen und Antragsteller sind über die Stellungnahme der Gemeindevertretung zu unterrichten.“ 3. Adressat der Petitionen gem. Art. 17 GG Außer der in den o.g. landesrechtlichen Vorschriften ausdrücklich bestehenden Möglichkeit , Petitionen an die jeweils genannten gebietskörperschaftlichen Organe einzureichen , ist weiterhin eine Adressierung dieser Organe auch in den nicht mit einschlägigen Regelungen versehenen Ländern möglich. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 17 GG. Dieser bestimmt: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und die Volksvertretung zu wenden.“ Danach sind Petitionen an kommunale Vertretungsorgane ebenfalls zu adressieren, wenn diese unter den Begriff der „Volksvertretung“ oder den der „zuständigen Stelle“ fallen. Das OVG Münster2 hat daraus einen umfassenden Adressatenbegriff entnommen: „Petitionsadressaten sind „die zuständigen Stellen“ und, d.h. parallel und nicht alternativ, „die Volksvertretung“. Damit ist der Kreis der Petitionsadressaten so weit gezogen, dass er sämtliche Organe des Bundes oder der Länder umfasst, gleichgültig, ob sie der gesetzgebenden , vollziehenden oder Rechtsprechenden Gewalt, der unmittelbaren oder mittelbaren (z.B. kommunalen), der Eingriffs-, fiskalischen oder leistenden Verwaltung angehören oder Behörden im technischen Sinne des Wortes sind.“ Davon ausgehend hat das OVG parallel zur „zuständigen Stelle“ die Eigenschaft eines Gemeinderats als „Volksvertretung“ mit der Begründung bejaht, eine Einbeziehung kommunaler Vertretungskörperschaften sei „durch Art. 28 I GG verfassungsrechtlich - 6 - geboten“: Das Gebot der Homogenität in Bund und Ländern hinsichtlich Institutionen und Verfahren verlange die Einrichtung einer gewählten Vertretung – trotz fehlender Eigenstaatlichkeit – auch auf kommunaler Ebene. Ergebe sich aber die demokratische Legitimation des kommunalen Vertretungsorgans aus der Wahl durch das Volk, das darin seinen politischen Willen äußere, so müsse sie auch „Volksvertretung“ i.S. des Art. 17 GG sein. Dieses Grundrecht sei „entscheidend gerade von der Rechtsidee eines unmittelbaren parlamentarischen Anrufungsrechtes als eines Instruments des staatlichen Integrationsprozesses zwischen den demokratischen Repräsentationskörperschaften und dem einzelnen bestimmt.“3 Zwar ergibt sich – wenn man dieser Einschätzung folgt – daraus die Verpflichtung der gemeindlichen Organe, Petitionen entgegenzunehmen, doch muss für eine Entscheidung über die Petition auch „eine konkrete administrative Kompetenz gegeben sein“4. Ist eine derartige Kompetenz gegeben, ist allerdings auch stets von einer „zuständigen Stelle“ im Sinne des Art. 17 GG auszugehen. Daher wird der (eben umrissene) Streit über die Eigenschaft von Gemeindevertretungen als „Volksvertretung“ zumeist als hinfällig betrachtet 5, wie auch das OLG Düsseldorf6 früh konstatierte: „Denn in jedem Falle ist der Gemeinderat eine "zuständige Stelle" i. S. von Art. 17 GG.“ ( ) ( ) 2 Entscheidung abgedruckt in: NJW 1979, 281 ff. 3 Ebenso Bauer, in: Dreier, Art. 17 Rn. 6 und 30: „Petitionsadressaten sind die „zuständigen Stellen“ und die „Volksvertretung“. Dabei zählt man zur „Volksvertretung“ nicht nur Bundestag und Länderparlamente , sondern überwiegend auch Gemeinde- und Kreisparlamente sowie mitunter einzelne Abgeordnete.“; Kunig, in. v. Münch/Kunig, Art. 17 Rn. 12: „Die Vertretungskörperschaften der Gemeinden und Kreise wegen Art. 28 I 2 (…) sind ebenfalls als „Volksvertretungen“ anzusehen.“; a. A.: Erlenkämper, in: NVwZ 1995, 649 ff. (659) und bereits in NVwZ 1984, 622 ff. (625 f.): „Unstreitig ist der Rat der Gemeinde eine Volksvertretung; gleichwohl ist er aber andererseits kein Parlament im überkommenen Parlamentsverständnis. Gerade aber gegenüber dem Parlament im eigentlichen Sinne sollte aus Gründen der Gewaltenteilung das Petitionsrecht bestehen.“ 4 Langenfeld, in: HStR Bd. III, § 39, S. 263 ff. (278 f.). 5 So z.B. Brenner, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, 5. Auflage 2005, Art .17 Rn. 45: „Letztlich ist dies jedoch ohne Bedeutung, da die Gemeindevertretungen bei anderer Betrachtungsweise jedenfalls als „zuständige Stellen“ zu betrachten wären.“; Krings, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 17, Rn. 54: „Umstritten ist, ob auch die kommunalen Vertretungskörperschaften und unter den Begriff „Volksvertretung“ zu subsumieren sind. Die Beantwortung dieser Frage erlangt zwar im Ergebnis wenig Relevanz, da die kommunalen Vertretungskörperschaften zumindest „Stellen“ sind; sie ist gleichwohl positiv zu beantworten, wofür auch die Formulierung des Art. 28 I 2 GG streitet.“ (m. w. N.); Krüger/Pagenkopf, in: Sachs, Art. 17 Rn. 10: „Der Meinungsstreit, ob letztere (scil.: Gemeinderäte bzw. Kreistage) auch Volksvertretungen sein können, ist unergiebig, da sie jedenfalls „Stellen“ i.S. des Art. 17 GG und damit Petitionsadressaten sind. - 7 - Anlage 1: Tabellarische Übersicht über die Regelungen der einzelnen Länder x = keine Regelung Petent Adressat Übertragung an einen Ausschuß Unterrichtung des Petenten Bayern "Jeder" Gemeindevertretung x x Brandenburg Einzeln oder gemeinschaftlich Gemeindevertretung oder Bürgermeister x Binnen 4 Wochen (andernfalls Zwischenbescheid) Mecklenburg- Vorpommern "Die Einwohner" Gemeindevertretung x Unverzügliche Unterrichtung über Stellungnahme Niedersachsen Einzeln oder gemeinschaftlich Gemeindevertretung Verwaltungsausschuß möglich Unterrichtung über die Art der Erledigung Nordrhein- Westfalen Einzeln oder gemeinschaftlich Gemeindeoder Bezirksvertretung "An einen Ausschuß" möglich Unterrichtung über die Stellungnahme Rheinland- Pfalz "Jeder" Gemeindevertretung oder Bürgermeister Ausschußbildung möglich Unterrichtung über die Behandlung Sachsen Einzeln oder gemeinschaftlich Ausschußbildung möglich Binnen 6 Wochen (andernfalls Zwischenbescheid) Schleswig- Holstein "Die Einwohnerinnen und Einwohner" Gemeindevertretung x Unterrichtung über die Stellungnahme "die Gemeinde" (soweit zuständig: Gemeinderat) 6 Entscheidung abgedruckt in: NVwZ 1983, 502 ff.