AUSARBEITUNG Thema: Frage zu Art. 3 Abs. 9 S. 2 US- Pauschalentschädigungsabkommen Fachbereich III Verfassung und Verwaltung Tel.: Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2005 Reg.-Nr.: WF III G - 341/05 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung. Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages, das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - 1. Zusammenfassung Der Bund als Rechtsnachfolger eines US-Bürgers nach Art. 3 Abs. 9 S. 2 US- Pauschalentschädigungsabkommen ist infolge des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit prinzipiell gehalten, eine Rückübertragung sämtlicher ihm zustehender Vermögenswerte zu verlangen. Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Je nach Bewertung der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile des Einzelfalles kann der Bund seine Rückforderungsansprüche gegenüber einer Gemeinde auch auf einzelne Vermögenswerte beschränken. Diese Ausnahme gilt allerdings nicht für Unternehmen, die gemäß § 3 Abs. 1 S. 3 Vermögensgesetz nur insgesamt herausverlangt werden dürfen. 2. Einführung Im Ausgangsfall ist der Bund gemäß Art. 3 Abs. 9 S. 2 US- Pauschalentschädigungsabkommen1 Rechtsnachfolger eines US-Bürgers geworden. Die betreffenden Vermögenswerte unterlagen einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 6 Vermögensgesetz (VermG)2 und wurden einer Gemeinde durch Vermögenszuordnungsbescheid zugeordnet. Hieran knüpft sich folgende generelle Frage: Muss der Bund, wenn er gemäß Art. 3 Abs. 9 S. 2 US-Pauschalentschädigungsabkommen eine Rückübertragung der Vermögenswerte verlangt, eine Rückübertragung sämtlicher Vermögenswerte verlangen (da er diesen Anspruch auch durch eine pauschale Entschädigungsleistung erlangt hat) – oder kann er sich auf einzelne Vermögenswerte wie z. B. einzelne Grundstücke beschränken ? 1 Abkommen zwischen der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögensansprüche vom 13. Mai 1992, BGBl. II 1992, S. 1223 ff. 2 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, BGBl. I 2005, 205 ff., 2809, 2813; BGBl. II 1990, S. 885, 1159 ff. - 3 - 3. Möglichkeit der Beschränkung der Rückübertragungsansprüche des Bundes auf einzelne Vermögenswerte im Falle des Art. 3 Abs. 9 S. 2 US- Pauschalentschädigungsabkommens 3.1. US-Pauschalentschädigungsabkommen und Anwendung des Vermögensgesetzes Das US-Pauschalentschädigungsabkommen erfasst nach seinem Artikel 1 „die Ansprüche von Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika (einschließlich natürlicher und juristischer Personen), die aus der Verstaatlichung, der Enteignung, staatlichem Eingriff oder sonstigen Wegnahmen oder besonderen Maßnahmen in bezug auf das Vermögen von Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika vor dem 18. Oktober 1976 entstanden sind und die unter das Programm der Vereinigten Staaten von Amerika über Ansprüche gegen die Deutsche Demokratische Republik gemäß dem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika 94-542 vom 18. Oktober 1976 („Programm der Vereinigten Staaten von Amerika“) fallen.“ Dafür hat die Bundesrepublik an die USA einen Pauschalbetrag in Höhe von 102 Millionen US-Dollar zur Abgeltung der aufgrund des US-Bundesgesetzes 94-542 festgesetzten Entschädigungsansprüche gezahlt.3 Gemäß Art. 3 Abs. 9 S. 1 US-Pauschalentschädigungsabkommen stellt dieses Abkommen eine vollständige und abschließende Regelung und Abwicklung der Ansprüche von jenen Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika nach Art. 1 US- Pauschalentschädigungsabkommen dar, die sich nicht dafür entschieden haben, innerstaatliche Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch zu nehmen. In der Folge gehen nach Art. 3 Abs. 9 S. 2 US-Pauschalentschädigungsabkommen die Rechtstitel dieser Staatsangehörigen auf jegliche Vermögenswerte in der Bundesrepublik Deutschland, die durch solche Ansprüche erfasst werden, oder Rechte oder Interessen jeglicher Art an diesen Vermögenswerten aufgrund des Abkommens mit der Feststellung des endgültigen Überweisungsbetrages auf die Bundesrepublik Deutschland über. 3 Lehmann-Richter, Arnold, Übergang von Restitutionsansprüchen nach § 1 VI VermG auf die Bundesrepublik Deutschland nach dem US-Pauschalentschädigungsabkommen, Zeitschrift für Vermögens - und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 641. Laut Auskunft des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 24. November 2005 gegenüber den Wissenschaftlichen Diensten wurde der Überweisungsbetrag am 29. April 1997 endgültig festgestellt. - 4 - In diesen Fällen wird der Bund mithin Rechtsnachfolger der Rückübertragungsansprüche von US-Bürgern. Die Realisierung der Ansprüche des Bundes obliegt der Bundesvermögensverwaltung, jetzt vertreten durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die auch für die Verwaltung und Verwertung des aus dem Abkommen resultierenden Bundesvermögens zuständig ist.4 Die Rechtsstellung des Bundes in Bezug auf Vermögenswerte, die nach dem US- Pauschalentschädigungsabkommen entschädigt und nach dem Vermögenszuordnungsgesetz einer Gemeinde zugewiesen wurden, wird im Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. Juni 1993 (V B 6 – VV5118 – 33/93) geregelt.5 Dort wird u. a. ausgeführt:6 „Das Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) bestimmt in § 9 Abs. 1, dass das Vermögensgesetz unberührt bleibt. Das bedeutet, dass das Vermögensgesetz als lex spezialis den Vorschriften der Vermögenszuordnung vorgeht, mit der Folge, dass derjenige, der einen übertragenen Vermögenswert nach dem VZOG erhalten hat, diesen im Falle der Restitution nach dem Vermögensgesetz an den Berechtigten herausgeben muss. Sofern sich der Berechtigte für die Entschädigung nach dem US-Verfahren entscheidet , tritt die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 3 Abs. 9 des o. g. Abkommens ex lege an die Stelle des Berechtigten im Verfahren nach dem Vermögensgesetz . Der nach dem VZOG zugeordnete Vermögenswert muss also an die Bundesrepublik Deutschland herausgegeben werden. Das gilt auch, wenn es sich bei dem Begünstigten um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft wie z. B. eine Gemeinde handelt.“ Demgemäß gelangen bei den Rückübertragungsansprüchen nach dem US- Pauschalentschädigungsabkommen auch gegenüber Gemeinden die Regelungen des Vermögensgesetzes zur Anwendung. 4 Auskunft des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 24. November 2005 gegenüber den Wissenschaftlichen Diensten. 5 Eine Sonderregelung findet allerdings dann Anwendung, wenn es sich um einen gegen den Entschädigungsfonds gerichteten Anspruch nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (BGBl. I 2005, S. 2809; BGBl I 1994, S. 2624, 2632) handelt. Diesbezüglich hat das Bundesministerium der Finanzen in einem Erlass vom 31. Mai 1995 (V B 6 – VV 5118 USA – 37/95) bestimmt, dass in einem solchen Fall der nach Art. 3 Abs. 9 S. 2 US-Pauschalentschädigungsabkommen übergegangene Anspruch von der Bundesrepublik Deutschland nicht geltend gemacht wird. 6 Laut Auskunft des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 24. November 2005 gegenüber den Wissenschaftlichen Diensten. - 5 - 3.2. Regelungen im US-Pauschalentschädigungsabkommen und Vermögensgesetz zur (teilweisen) Nichtgeltendmachung von Rückforderungsansprüchen des Bundes Das US-Pauschalentschädigungsabkommen selbst enthält keine Regelung, aus der sich ergibt, ob der Bund alle auf ihn übergegangenen Ansprüche geltend machen muss oder sich beispielsweise auf Teilforderungen beschränken kann. Auch im Vermögensgesetz finden sich zu dieser Frage nur wenige Anhaltspunkte. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 1. HS VermG sind die betroffenen Vermögenswerte „auf Antrag“ an den Berechtigten zurück zu übertragen. Daraus folgt, dass es einem Berechtigten grundsätzlich frei steht, ob er einen Antrag auf Rückübertragung stellt. Gemäß der Regelung des § 3 Abs. 1 S. 3 VermG kann „ein Berechtigter, der einen Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens stellt oder stellen könnte, … seinen Antrag nicht auf die Rückgabe einzelner Vermögensgegenstände beschränken, die sich im Zeitpunkt der Schädigung in seinem Eigentum befanden “. Nach dieser so genannten „Rosinentheorie“7 kann also ein Unternehmen nur vollständig zurückgefordert werden, und eine Beschränkung auf einzelne Vermögenswerte ist insoweit nicht möglich. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Berechtigte sich nicht lediglich auf die Übernahme der Aktivbestandteile des Unternehmensvermögens beschränken kann.8 Allerdings bezieht sich diese Einschränkung ausdrücklich nur auf die Rückübertragung von Unternehmen. Bei anderen Vermögenswerten, die nicht Unternehmen betreffen, kann deshalb im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es grundsätzlich zulässig ist, wenn ein Anspruchsinhaber seine Ansprüche auf Rückübertragung nur teilweise geltend macht. Als weitere Vermögenswerte im Sinne dieses Gesetzes gelten beispielsweise nach § 2 Abs. 2 S. 1 VermG bebaute und unbebaute Grundstücke sowie rechtlich selbständi- 7 Hirschinger, Ellen, Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht, Nomos, zu § 3 Abs. 1 S. 3 VermG, Quelle: http://rsw.beck.de/bib/default.asp?vpath=%2Fbibdata%2Fges%5Fnomos%2FNomos%2DBR%2DEr l%2FVermG%2Fcont%2FNOMOS%2DBR%2DErl%2EVermG%2Ep3%2Ehtm (Stand: 28.11.2005). 8 Hirschinger, zu § 3 Abs. 1 S. 3 VermG, a. a. O. - 6 - ge Gebäude und Baulichkeiten, Nutzungsrechte und dingliche Rechte an Grundstücken oder Gebäuden, bewegliche Sachen sowie gewerbliche Schutzrechte, Urheberrechte und verwandte Schutzrechte. Als Zwischenergebnis ist daher festzustellen: Solange es sich bei dem Vermögenswert nicht um ein Unternehmen oder Vermögensteile davon handelt, bestehen im Hinblick auf die Regelungen des US-Pauschalentschädigungsabkommens und des Vermögensgesetzes keine Bedenken dagegen, falls der Bund nur einen Teil der auf ihn übergegangenen Ansprüche geltend machen möchte. 3.3. Einschränkung durch das Haushaltsrecht des Bundes Einer Beschränkung der Ansprüche des Bundes auf die Rückübertragung einzelner Vermögenswerte könnte jedoch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Haushalte entgegenstehen. Nach § 6 Abs. 1 des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG)9 sowie § 7 Abs. 1 S. 1 der Bundeshaushaltsordnung (BHO)10 sind bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Überdies genießt der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz durch seine Erwähnung in Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG als Prüfungsmaßstab für den Bundesrechnungshof Verfassungsrang.11 Er verpflichtet die Bundesverwaltung zu seiner Beachtung und verbietet in der Regel eine unentgeltliche Leistungszuwendung.12 Die Wirtschaftlichkeit einer staatlichen Maßnahme ist unter Einbeziehung von Sparsamkeitsaspekten dann gegeben, wenn die Bedeutung der durch die staatliche Maßnahme erreichbaren Ziele für das Gemeinwohl den eingesetzten Aufwand an Arbeitskraft, Zeit und Finanzmitteln unter Einschluss etwaiger negativer Nebenfolgen als gerechtfertigt erscheinen lässt und diese Ziele nicht mit geringerem Aufwand erreicht werden können.13 Das Sparsamkeitsprinzip ist demgemäß als Komponente der Wirtschaftlichkeit zu verstehen.14 9 BGBl. I 1997, S. 3251 f.; BGBl. I 1969, S. 1273 ff. 10 BGBl. I 2005, S. 2680, 2810; BGBl. I 1969, S. 1284 ff. 11 Staender, Klaus, Lexikon der öffentlichen Finanzwirtschaft – Wirtschafts-, Haushalts- und Kassenrecht , 6. Aufl., Heidelberg 2004, S. 479. 12 Kirchhof, Paul, in: Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IV, Finanzverfassung – Bundesstaatliche Ordnung, Heidelberg 1990, § 88 Rn. 318; Wiesner, Herbert / Leibinger, Bodo / Müller, Reinhard, Öffentliche Finanzwirtschaft, 11. Aufl., Heidelberg 2004, S. 106. 13 Vogel, Klaus / Kirchhof, Paul, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: September 2005, § 114 Rn. 87, 90, 101. 14 Wiesner / Leibinger / Müller, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 106. - 7 - Unter Anwendung dieser Prinzipien erscheint es denkbar, dass es im Einzelfall wirtschaftlich sinnvoller ist, einen bestimmten Vermögenswert (z. B. ein Grundstück) im bisherigen Eigentum einer Gemeinde zu belassen. Infolgedessen müssen für jeden Einzelfall gesondert die vorliegenden Sachaspekte gegeneinander abgewogen werden.15 Zudem ist in einem solchen Fall zumindest ein schriftlicher Vermerk darüber erforderlich , aus welchen Gründen der Bund auf Teile seiner Ansprüche verzichtet.16 Im Ergebnis muss der Bund nicht in jedem Fall die Rückübertragung sämtlicher Vermögenswerte fordern. Vielmehr kann er im Rahmen seiner Rückübertragungsansprüche je nach Bewertung der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile im Einzelfall seine Ansprüche auch nicht oder nur teilweise geltend machen. Etwas anderes gilt jedoch für Unternehmen , die gemäß § 3 Abs. 1 S. 3 VermG nur insgesamt herausverlangt werden dürfen . 15 Vogel / Kirchhof, § 114 Rn. 91. 16 Nach telefonischer Auskunft des Bundesamtes für offene Vermögensfragen vom 30. November 2005 gegenüber den Wissenschaftlichen Diensten werden in der Praxis in solchen Fällen auch grundsätzlich entsprechende Vermerk gefertigt.