Parlamentarisches Fragerecht und Datenschutz - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 3 - 335/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Parlamentarisches Fragerecht und Datenschutz Sachstand WD 3 - 335/07 Abschluss der Arbeit: 20. September 2007 Fachbereich WD 3: Verfassung und Verwaltung Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. Inhalt 1. Fragestellung 3 2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung 3 2.1. Schutzbereich 3 2.2. Beeinträchtigung 4 2.3. Rechtfertigung 4 2.3.1. Datenübermittlung bei „Aufsicht und Kontrolle“ 4 2.3.2. Datenübermittlung bei Einwilligung 5 2.3.3. Parlamentarisches Fragerecht 5 3. Ergebnis 6 Literaturverzeichnis 7 - 3 - 1. Fragestellung Einzelne Mitarbeiter von Bundesbehörden gehen einer Nebentätigkeit nach. Können die Bundesbehörden Angaben zu dem Auftraggeber/zweiten Arbeitgeber in eine anonymisierte Statistik aufnehmen und diese als Antwort auf eine Anfrage an das Parlament übermitteln? 2. Recht auf informationelle Selbstbestimmung Die Angaben zu den Nebentätigkeiten könnten in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Mitarbeiter eingreifen. 2.1. Schutzbereich Das Recht auf informationelle Selbststimmung ist Teil des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Den Schutzbereich hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 wie folgt beschrieben: „[Das allgemeine Persönlichkeitsrecht] umfasst […] auch die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.“ 1 Das Gericht konkretisiert den Begriff der persönlichen Lebenssachverhalte unter Bezugnahme auf die Legaldefinition der personenbezogenen Daten im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)2: „[…] Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person (personenbezogene Daten) […].“3 Informationen über Nebentätigkeiten sind Angaben über persönliche Verhältnisse.4 Diese Angaben sind personenbezogen, wenn sie auf eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person bezogen sind.5 Zwar erfolgt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage anonym, d. h. ohne Nennung der Namen der Mitarbeiter. Ist der Kreis der Mitarbeiter mit Nebentätigkeit aber entsprechend klein oder besteht nur aus einer Person , können z. B. Kollegen aus den anonymisierten Daten gleichwohl individuelle 1 BVerfGE 65, Seite 1 (41 f.). 2 Die Entscheidung nimmt auf § 2 Abs. 1 BDSG alte Fassung Bezug; heute § 3 Abs. 1 BDSG. 3 BVerfGE 65, Seite 1 (42); vgl. BVerfGE 78, Seite 77 (84). 4 Vgl. Gola/Schomerus, § 3 Rn. 5. 5 Vgl. Gola/Schomerus, § 3 Rn. 9. - 4 - Rückschlüsse ziehen, und zwar auf Informationen, die zuvor nicht verfügbar waren (Arbeitgeber/Auftraggeber des einer Nebentätigkeit nachgehenden Kollegen). Dabei fällt ins Gewicht, dass Jedermann Antworten auf parlamentarische Anfragen anhand einer Bundestagsdrucksache einsehen kann. 6 Unter dieser von den Umständen des Einzelfalls abhängenden Voraussetzung dürften die Angaben personenbezogen sein und damit in den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts fallen.7 2.2. Beeinträchtigung Übermittelt die Bundesbehörde diese personenbezogenen Daten, ist der Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung – unmittelbar oder mittelbar8 – beeinträchtigt. 2.3. Rechtfertigung Beschränkungen der informationellen Selbstbestimmung bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung für den Bürger erkennbar ergeben .9 Die Übermittlung personenbezogener Daten infolge parlamentarischer Anfragen ist auf Bundesebene – anders als z. T. auf Landesebene10 – nicht speziell geregelt. Als Rechtsgrundlage kommen damit die allgemeinen Vorschriften für die Datenübermittlung an öffentliche Stellen in Betracht. 2.3.1. Datenübermittlung bei „Aufsicht und Kontrolle“ § 15 Abs. 1 i.V.m § 14 Abs. 3 BDSB ermöglicht die Übermittlung personenbezogener Daten, wenn der auskunftbegehrenden Stelle „Aufsichts- und Kontrollbefugnisse“ zustehen. Als solche Kontrollbefugnisse könnte das Recht der Abgeordneten (bzw. des Parlamentes) anzusehen sein, Fragen an die Regierung zu richten, um sie zu kontrollieren . Dieses Fragerecht ist in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt. Seine Existenz ist aber allgemein anerkannt.11 6 Burkholz, in: VerwArch 1993, Seite 203 (206); vgl. §§ 100, 104 i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 lit. f, Abs. 3, § 77 Abs. 1 Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) und § 105 GOBT i.V.m. Nr. 14 der Richtlinie für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen (Anlage 4 zur GOBT). 7 Anders, insoweit Empfänger der anonymisierten Daten nicht die Öffentlichkeit, sondern eine „speichernde Stelle“ ist und insoweit es nur um die Identifikation der Person geht, Gola/Schomerus, § 3 Rn. 9. 8 Vgl. hierzu Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 53 ff. 9 BVerfGE 65, Seite 1 (44). 10 Vgl. aber § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Hamburger Datenschutzgesetz, wonach Datenverarbeitung außerhalb der Zweckbindung zulässig ist, wenn dies für die Beantwortung Kleiner oder Großer Anfragen notwendig ist und überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht entgegenstehen; kritisch zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung: Burkholz, VerwArch 1993, Seite 203 (229) bestritten wird. 11 Zu den unterschiedlichen Herleitungen siehe Hölscheidt, Seite 18 ff. - 5 - Allerdings dürfte das Fragerecht des Parlaments keine „Aufsicht und Kontrolle“ im Sinne des Datenschutzrechts sein. Im Datenschutzrecht gilt der Grundsatz der unmittelbaren Zweckbindung.12 Hiernach dürfen personenbezogene Daten lediglich für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und weiterverarbeitet werden .13 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur in begrenztem Umfang im Interesse eines wirksamen Datenschutzes möglich. So muss die Nutzung zur Aufsichts- und Kontrollzwecken zumindest in einem entfernten Zusammenhang mit den Zwecken stehen, für die die Daten ursprünglich erhoben worden sind. Ein solcher Zusammenhang ist gegeben, wenn die Wahrnehmung der Kontrollaufgabe dazu dient, die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überprüfen (Rechts- und Fachaufsicht durch Aufsichtbehörde), für das die ursprüngliche Datenerhebung erforderlich war. Denn dadurch ist zumindest mittelbar auch dem die Datenerhebung rechtfertigenden Zweck gedient.14 Die Kontrolltätigkeit des Parlamentes folgt hingegen anderen Maßstäben als die lediglich an Recht- und Zweckmäßigkeit orientierte Kontrolle innerhalb der behördlichen Hierarchie. Sie ist politische Kontrolle und steht dementsprechend nicht unmittelbar in einem Zusammenhang mit den Zwecken, die die ursprüngliche Datenerhebung gerechtfertigt haben.15 § 15 Abs. 1 i.V.m § 14 Abs. 3 BDSB dürfte deshalb als Rechtsgrundlage eher nicht in Betracht kommen. 2.3.2. Datenübermittlung bei Einwilligung Denkbare Rechtsgrundlage aus dem Bereich der allgemeinen Regelungen bezüglich der Übermittlung personenbezogener Daten ist aber § 15 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 BDSG. Dies setzt jedoch voraus, dass die Betroffenen in die Datenübermittlung einwilligen . 2.3.3. Parlamentarisches Fragerecht Schließlich kommt das aus dem Grundgesetz abgeleitete Fragerecht der Abgeordneten16 als Rechtgrundlage in Betracht, das dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Mitarbeiter der Ministerien als Wert mit Verfassungsrang gegenüber steht. Grundsätzlich sind widerstreitende Verfassungsrechte nach dem Prinzip praktischer Kon- 12 Burkholz, VerwArch 1993, Seite 203 (209). 13 Vgl. Gola/Schomerus, § 14 Rn. 9. 14 Burkholz, VerwArch 1993, Seite 203 (209). 15 Vgl. Burkholz, VerwArch 1993, Seite 203 (210.) 16 Vgl. Fn. 11. - 6 - kordanz im Konfliktfall zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.17 Dabei sollen beide Rechte in möglichst optimaler Weise verwirklicht werden. Gegen einen Vorrang des Fragerechts gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte folgende Überlegung sprechen:18 Trotz ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung unterscheidet sich die parlamentarische Fragebefugnis von anderen Kontrollinstituten des Parlamentes, die die Verfassung mit Exekutivbefugnissen ausgestattet hat. So kann sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 Abs. 2 GG zum Zwecke der Beweiserhebung des Instrumentariums der Strafprozessordnung bedienen. Dies dürfte aber im Umkehrschluss auch bedeuten, dass parlamentarische Kontrollrechte nur in Grundrechte eingreifen dürfen, wenn die Verfassung selbst oder eine verfassungsgemäße einfachgesetzliche Grundlage dies zulässt.19 Im Übrigen dürfte das Fragerecht keine hinreichend bestimmte20 und der Zweckbindung21 Genüge tragende Rechtsvorschrift sein, die als Grundlage für einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht geeignet wäre. 3. Ergebnis Bundesbehörden können bei Nebentätigkeiten ihrer Mitarbeiter deren (zweiten) Arbeitgeber in einer anonymisierten Statistik nur unter folgenden Voraussetzungen offenbaren : - Die anonymisierte Veröffentlichung ermöglicht keinen individuellen Rückschluss auf personenbezogene Daten, z. B. weil der Kreis der in der Statistik ausgewiesenen Mitarbeiter ausreichend groß ist, oder - die Mitarbeiter willigen in die Veröffentlichung ein. 17 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 49. 18 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38 Rn. 24. 19 Burkholz, VerwArch 1993, Seite 203 (222 ff., 229). 20 Siehe oben bei Fn. 9. 21 Siehe oben bei Fn. 12. - 7 - Literaturverzeichnis - Burkholz, Bernhard, Müssen Abgeordnete alles wissen dürfen? Parlamentarische Fragebefugnisse und informationelle Selbstbestimmung, in: Verwaltungsarchiv 1993, Seite 203 ff. (zitiert: Burkholz, in: VerwArch 1993). - Gola, Peter / Schomerus, Rudolf, in: Gola, Peter / Schomerus, Rudolf, Bundesdatenschutzgesetz, Kommentar, 8. Auflage, München, 2005 (zitiert: Gola/Schomerus). - Hölscheidt, Sven, Frage und Antwort im Parlament, Rheinbreitbach, 1992 (zitiert: Hölscheidt). - Jarass, Hans D. / Pieroth, Bodo, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007 (zitiert: Jarass /Pieroth).